Leitsatz (amtlich)
Hat die erbberechtigte Schwester eines Hoferben nach dem Übergabevertrag als Teil der erbrechtlichen Abfindung gegen den Hoferben einen Anspruch auf Unterkunft, vollen Unterhalt in gesunden und kranken Tagen sowie auf Taschengeld in bestimmter Höhe, so steht sie, auch wenn sie nach dem Übergabevertrag zur "standesgemäßen Mitarbeit nach Kräften verpflichtet ist, nicht in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis.
Normenkette
RVO § 165 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1945-03-17; AVAVG § 56 Abs. 1 Fassung: 1957-04-03, § 69; RVO § 1226 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1945-03-17, § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. November 1955 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger und die Beigeladene zu 1) sind Geschwister. Am 23. März 1952 übergaben die Eltern dieser Beteiligten ihren in H Nr. ... gelegenen Bauernhof in Größe von 43,39 ha durch notariellen Vertrag im Wege der vorweggenommenen Erbfolge nach der Höfeordnung (HöfeO) vom 24. April 1947 (Verordnung Nr. 84 der Militärregierung für die britische Zone, Anlage B, Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Britisches Kontrollgebiet, 1947 S. 505) an den Kläger. Der Vertrag sieht als Abfindung für die Beigeladene zu 1), die bei seinem Abschluß 22 Jahre alt war, vor: eine Leinenaussteuer, zwei Sparbücher mit insgesamt 180,- DM Einlage, eine anteilige Gewinnbeteiligung an der Nutzung eines Waldgrundstücks, die Versicherungssumme eines etwa 1960 fälligen Versicherungsvertrages in Höhe von 5.000,- DM, wobei die noch anfallenden Prämien vom Kläger zu zahlen waren, und für den Fall ihres Wegzugs vom Hofe eine Möbelaussteuer. Daneben wurde der Beigeladenen zu 1) ein Hofesrecht eingeräumt, bestehend aus einem Anspruch auf ein eigenes Zimmer mit vollem Unterhalt in gesunden und kranken Tagen sowie auf ein monatliches Taschengeld von 50,- DM, nach Vollendung ihres 50. Lebensjahres von 40,- DM, das als erlassen galt, wenn es nicht jeweils bis zum Jahresende eingefordert wurde. In dem Übergabevertrag wurde ferner vereinbart, daß der Kläger, solange die Beigeladene zu 1) von dem Hofesrecht Gebrauch macht, die Krankenkassenbeiträge zu zahlen habe und daß sie zur standesgemäßen Mitarbeit nach Kräften auf dem Hof des Klägers verpflichtet sei. Der Wert des Hofesrechts, auch Unterhaltsrecht genannt, wurde auf 1.600,- DM jährlich beziffert und sollte im Rang nach den Rechten der Eltern im Grundbuch als Belastung des Hofes eingetragen werden.
Die beklagte Landkrankenkasse beurteilte die Mitarbeit der Beigeladenen zu 1) als versicherungspflichtige Beschäftigung und machte ihre Beitragsforderung geltend. Daraufhin beantragte der Kläger bei dem Versicherungsamt, die Versicherungsfreiheit der Beigeladenen zu 1) festzustellen. Das Verfahren ging am 1. Januar 1954 als Klage auf das Sozialgericht über. Der Kläger vertrat die Auffassung, die auf Grund des Übergabevertrags erbrachten gegenseitigen Leistungen seien Ausdruck eines familienhaften Gemeinschaftslebens, verbunden mit einer Hilfeleistung unter wirtschaftlich Gleichgestellten.
Mit Urteil vom 8. Juli 1954 stellte das Sozialgericht fest, daß die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) auf dem Hof des Klägers nicht der Versicherungspflicht unterliege. Es ging davon aus, daß die Rechte und Pflichten der Beigeladenen zu 1) ausschließlich auf dem Übergabevertrag beruhten, nicht aber Ausfluß eines entgeltlichen Arbeitsverhältnisses seien.
Gegen dieses Urteil legte die Beklagte rechtzeitig Berufung ein. Sie führte zur Begründung aus, Inhalt und Zweck des Übergabevertrages seien nicht nur die Übergabe des Hofes, sondern auch der Abschluß von Arbeitsverträgen mit den Schwestern des Hofübernehmers gewesen, um dem Hof billige Arbeitskräfte zu erhalten. Die Beigeladene zu 1) ersetze eine sonst notwendige Arbeitskraft. Ihre Versicherungspflicht ergebe sich insbesondere daraus, daß sie weisungsgebunden sei, der Kläger vertraglich die Zahlung der Beiträge zur Krankenversicherung für sie übernommen habe und das gezahlte Taschengeld als Betriebsausgabe verbucht werde. Der Kläger machte demgegenüber geltend, das Taschengeld werde unabhängig von der Arbeitsleistung der Beigeladenen zu 1) gezahlt. Diese sei nicht wie ein fremder Arbeitnehmer in den Betrieb eingegliedert und zur Mitarbeit verpflichtet; denn unter standesgemäßer Mitarbeit seien nur solche Tätigkeiten zu verstehen, wie sie für nachgeborene Bauernkinder üblich seien.
Mit Urteil vom 29. November 1955 wurde die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Revision wurde zugelassen. Das Landessozialgericht hat zur Begründung ausgeführt, die Beigeladene zu 1) stehe in keinem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zum Kläger, weil sie auf dem Hof im Rahmen eines familienhaften Beschäftigungsverhältnisses tätig werde. Die Kennzeichnung des Hofübergabevertrages auch als Unterhaltsvertrag für die Geschwister des Klägers lasse es gerechtfertigt erscheinen, den in § 1617 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zum Ausdruck gekommenen Grundsatz hier entsprechend anzuwenden. Bei dem Übergabevertrag habe nicht die Sicherung einer Arbeitsleistung im Vordergrund gestanden, der Vertrag sichere vielmehr die Stellung der Geschwister des Hofübernehmers, die das erhalten sollten, was ihnen sonst erst beim Tode ihrer Eltern zugefallen wäre. Da die Eltern der Beigeladenen zu 1) wegen der Übertragung ihres gesamten Eigentums auf den Kläger nicht mehr in der Lage seien, die ihnen gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht zu erfüllen, habe der Kläger als der neue Herr des Hofes ihnen diese gesetzliche Pflicht abgenommen. Dieser Interessenlage entspreche es, daß die Beigeladene zu 1), die auf dem Hof als Familienmitglied Verpflegung und Unterkunft erhalte, ihr zumutbare Dienste leiste. Die der Beigeladenen zu 1) auf Grund des Hofesrechtes gewährten Zuwendungen seien Teile der durch den Übergabevertrag für den Hofübernehmer begründeten Pflichten und nicht Entgelt im Sinne des § 165 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Sowohl die Verfallklausel wie auch die Verpflichtung, das Taschengeld weiterzuzahlen, wenn die Beigeladene zu 1) infolge von Alter oder Krankheit nicht mehr mitarbeiten könne, seien einem echten Arbeitsverhältnis fremd. Die steuerliche Behandlung der Leistungen des Klägers könne auf einer irrtümlichen Anwendung des Steuerrechts beruhen und müsse nicht unbedingt bedeuten, daß der Kläger selbst die Leistungen aus dem Hofesrecht als Entgelt beurteilt habe.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 17. Februar 1956 zugestellte Urteil am 15. März 1956 Revision eingelegt, die sie - nachdem die Begründungsfrist bis zum 17. Mai 1956 verlängert worden war - an diesem Tage wie folgt begründet hat: Aus der Größe des Hofes und dem Vorhandensein nur einer weiteren fremden Hilfskraft ergebe sich, daß die Mitarbeit der Beigeladenen zu 1) nicht nur als unverbindliche Hilfeleistung unter wirtschaftlich Gleichgestellten zu beurteilen sei. Die Art der Eingliederung der Beigeladenen zu 1) in den Betrieb des Klägers sei kennzeichnend für ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Ebenso habe das vom Kläger gezahlte Taschengeld zumindest für die Zeit, in der die Beigeladene zu 1) mitarbeiten könne, den Charakter einer Gegenleistung für ihre Mitarbeit. Auf das Verhältnis unter Geschwistern dürfe der in § 1617 BGB zum Ausdruck gekommene Grundsatz nicht übertragen werden. Außerdem sei auf die steuerliche Behandlung des Lohnes entscheidendes Gewicht zu legen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts Münster aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte und auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist nicht begründet. Voraussetzung für die Versicherungspflicht in der Sozialversicherung ist das Bestehen eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses (für die Krankenversicherung § 165 Abs. 2 RVO; für die Rentenversicherung der Arbeiter § 1226 Nr. 1 RVO a. F. - seit dem 1.3.1957 § 1227 Abs. 1 Nr. 1 RVO i. d. F. des ArVNG; für die Arbeitslosenversicherung § 69 AVAVG a. F. - § 56 AVAVG i. d. F. vom 3.4.1957, BGBl. I S. 321 -). Ein solches entgeltliches Beschäftigungsverhältnis besteht aber nicht zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1), weil die Leistungen aus dem Hofesrecht, wie das Landessozialgericht zutreffend angenommen hat, nicht als Entgelt - d. h. als Gegenwert - für die Mitarbeit der Beigeladenen zu 1) angesehen werden können.
Die Eltern des Klägers und der Beigeladenen zu 1) haben ihren Hof im Wege der vorweggenommenen Erbfolge nach § 7 HöfeO für die Britische Zone auf Grund eines Übergabevertrages dem Kläger übertragen. Ein solcher Überlassungsvertrag, durch den die Eltern ihr Vermögen, insbesondere ihren Grundbesitz, bei Lebzeiten an einen ihrer Abkömmlinge übergeben, hat nicht nur die Bedeutung eines Veräußerungsgeschäftes, sondern auch unmittelbare erbrechtliche Wirkungen, indem er die Abfindungsansprüche der Miterben entstehen läßt (vgl. BGH. in Lindenmaier-Möhring, § 12 HöfeO Nr. 3); denn nach § 17 Abs. 2 HöfeO gilt der Erbfall hinsichtlich des Hofes mit dem Zeitpunkt der Übertragung auf den Hoferben zu Gunsten der anderen Abkömmlinge als eingetreten. Den Erben des Erblassers, die nicht Hoferben geworden sind, steht nach § 12 Abs. 1 HöfeO gegen den Hoferben grundsätzlich ein Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrags an Stelle ihres Erbteils zu, doch kann nach dieser Vorschrift die Abfindung durch den Übergabevertrag auch anderweitig geregelt werden. Im vorliegenden Fall wurde der Beigeladenen zu 1) außer den im Übergabevertrag einzeln aufgeführten Ansprüchen (Leinenaussteuer, Sparguthaben, Übertragung der Rechte aus einem Versicherungsvertrag, anteilige Gewinnbeteiligung an den Nutzungen eines Waldgrundstücks) ein Hofesrecht eingeräumt, wie es § 12 Abs. 7 HöfeO für minderjährige Geschwister des Hoferben zwingend vorschreibt. Danach hat sie einen Anspruch auf ein eigenes Zimmer und auf vollen Unterhalt in gesunden und kranken Tagen und auf ein monatlich im voraus zahlbares Taschengeld von 50,- DM, das sich vom vollendeten 50. Lebensjahr an auf 40,- DM mindert.
Das der Beigeladenen zu 1) eingeräumte, zeitlich nicht begrenzte Hofesrecht stellt einen Teil ihrer durch den Übergabevertrag geregelten erbrechtlichen Abfindung dar. Als Teil dieser Abfindung wird es bereits dadurch gekennzeichnet, daß es im Übergabevertrag unter den übrigen Abfindungsansprüchen mitaufgeführt ist. Aber auch die besondere Ausgestaltung des Hofesrechtes, wie z. B. seine dingliche Sicherung, zeigt, daß es der Beigeladenen zu 1) nicht als Gegenleistung für ihre Mitarbeit auf dem Hofe zusteht. Ebenso lassen das Fortbestehen des Hofesrechtes in Zeiten, in denen die Beigeladene zu 1) keine Arbeitsleistung mehr erbringen kann, die Klausel über den Verfall des Taschengeldes, die Festsetzung seiner Höhe auf Jahre hinaus und die bereits bei Vertragsabschluß vereinbarte Minderung vom 50. Lebensjahr der Beigeladenen an erkennen, daß die Leistungen aus dem Hofesrecht und die Mitarbeit der Beigeladenen nicht in einer für ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis notwendigen Wechselbeziehung - wie Arbeitslohn und Arbeitsleistung - stehen. So wie das Hofesrecht nur als Teil der erbrechtlichen Abfindung und nicht als Arbeitsentgelt beurteilt werden kann, entspringt auch die Verpflichtung der Beigeladenen zu 1) zur standesgemäßen Mitarbeit nach ihren Kräften nicht einer arbeitsvertraglichen Pflicht, sondern ist allein auf die bäuerlichen Lebensanschauungen zurückzuführen, die es verbieten, daß ein arbeitsfähiges Familienmitglied aus dem Hof seinen Unterhalt bezieht, ohne standesgemäß an der Erhaltung dieser Lebensgrundlage mitzuwirken. Daß sich die Beigeladene zu 1) von solchen Erwägungen leiten läßt, hat das Landessozialgericht auf Grund ihrer Erklärungen in der mündlichen Verhandlung zutreffend angenommen.
Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß durch die Mitarbeit der Beigeladenen zu 1) auf dem Hofe eine fremde Arbeitskraft erspart wird; denn aus dieser natürlichen Begleiterscheinung jeder familienhaften Mitarbeit kann für sich allein nicht auf ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis geschlossen werden. Dafür spricht auch nicht, daß der Kläger in dem Übergabevertrag die Verpflichtung zur Zahlung der Krankenkassenbeiträge für die Beigeladene zu 1) übernommen hat. Daraus kann nicht gefolgert werden, daß die vertragschließenden Parteien ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründet haben; denn es fehlt, wie das Landessozialgericht zutreffend ausgeführt hat, jeder Anhalt dafür, daß es sich dabei um Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung handeln sollte, zumal die Beigeladene zu 1) Mitglied einer privaten Krankenversicherung ist. Im übrigen hätte es im Fall der Pflichtversicherung hinsichtlich des Arbeitgeberanteils keiner Vereinbarung bedurft, um die Zahlungspflicht des Klägers zu begründen; die Übernahme des Arbeitnehmeranteils der Beiträge durch den Kläger hätte aber eine andere Wortfassung des Vertrages bedingt.
Schließlich kann auch dem Umstand, daß der Kläger die seiner Schwester auf Grund des Hofesrechts gewährten Leistungen als Betriebsausgaben verbucht hat, keine entscheidende Bedeutung beigelegt werden. Die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs hat Altenteilsleistungen eines landwirtschaftlichen Betriebes auch dann als Betriebsausgaben angesehen, wenn sie einem Angehörigen für die Überlassung des Betriebs gewährt worden sind (RStBl. 1935 S. 157; vgl. auch Blümich-Falk, Einkommenssteuergesetz 8. Aufl. S. 310; Abschn. 123 Abs. 2 Beispiel B der Einkommenssteuer-Richtlinien 1959). Wenn der Kläger sich im Hinblick darauf - ob zu Recht oder zu Unrecht - für befugt gehalten hat, die Leistungen, die er auf Grund des dinglich gesicherten Hofesrechts seiner Schwester zu gewähren hat, als Betriebsausgaben im Sinne des § 4 Abs. 4 Einkommensteuergesetz zu behandeln, so kann daraus nicht geschlossen werden, daß er die der Beigeladenen gewährten Leistungen selbst als Arbeitsentgelt angesehen habe. Der Sachverhalt unterscheidet sich auch insoweit wesentlich von demjenigen, der dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. April 1956 (BSG. 3 S. 30) zugrunde gelegen hat. Denn in dem genannten Fall handelte es sich um eine im Lohnbuch eingetragene Zahlung an einen Familienangehörigen, für die der Betriebsinhaber Lohnsteuer entrichtet hatte.
Da das Hofesrecht - wie dargelegt - einen Teil der erbrechtlichen Abfindung bildet und nicht als Gegenleistung für die Mitarbeit der Beigeladenen zu 1) angesehen werden kann, besteht zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) kein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis, so daß die Versicherungspflicht zu verneinen ist.
Die Revision der Beklagten ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen