Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I
Der im Januar 1910 geborene Kläger leistete vom 1. Oktober 1934 bis 12. Oktober 1935 freiwillig Wehrdienst bei einem Infanterieregiment in Schlesien. Im Bescheid vom 4. Februar 1974 lehnte es die Beklagte ab, diese Zeit als Ersatzzeit einzutragen, weil der Wehrdienst nicht auf Grund gesetzlicher Dienstpflicht geleistet worden sei; der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. Die Zeit blieb auch bei der Berechnung des (flexiblen) Altersruhegeldes unberücksichtigt, das die Beklagte dem Kläger gemäß § 25 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) ab Juli 1974 bewilligte (Bescheid vom 5.9.1974).
Das Sozialgericht wies die hiergegen gerichteten Klagen ab. Auf die Berufung des Klägers änderte das Landessozialgericht (LSG) die Vorentscheidungen; es verurteilte die Beklagte, die Zeit vom 21. Mai 1935 bis 12. Oktober 1935 als Ersatzzeit in die Versicherungskarte einzutragen und als solche bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen. Das LSG wertete die Klage gegen den Bescheid vom 4. Februar 1974 - entsprechend BSG 31, 226 ff. - als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage; das Rechtsschutzbedürfnis dafür sei durch die inzwischen beim Altersruhegeld möglich gewordene Leistungsklage nicht entfallen. In der Sache verneinte das LSG eine Bindung der Beklagten an eine 1937 durch die Ortspolizeibehörde erfolgte Eintragung der Wehrdienstzeit in die Versicherungskarte und an die "Wiedergabe" dieser Eintragung in einem 1949 übersandten Kontoauszug. Das LSG hielt jedoch die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG für die Zeit ab 21. Mai 1935 für erfüllt, weil von da an der Wehrdienst des Klägers auf gesetzlicher Wehrpflicht beruht habe. Der Kläger sei mit der Verkündung des Wehrgesetzes vom 21. Mai 1935 wehrpflichtig geworden; er habe zwar nicht zum Personenkreis der im Herbst 1935 zum aktiven Wehrdienst Einberufenen gehört, habe aber vom 21. Mai 1935 Wehrdienst als - wehrpflichtiger - Angehöriger des Beurlaubtenstandes (Ersatzreserve) geleistet. Der freiwillige Eintritt in die Wehrmacht stehe der Anerkennung als Ersatzzeit nicht entgegen; denn auch ein - etwa wegen zu erwartender Übungen - freiwillig vorzeitig geleisteter Wehrdienst beruhe bei bestehender gesetzlicher Wehrpflicht ausschließlich auf dieser. Das Ergebnis entspreche dem Sinn und Zweck der Ersatzzeitenregelung in § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt; sie beantragt,das Berufungsurteil dahin zu ändern, daß die Berufung des Klägers in vollem Umfang zurückgewiesen wird.
Nach ihrer Ansicht ist ein militärischer Dienst nur dann auf Grund gesetzlicher Dienst- oder Wehrpflicht geleistet, wenn für den Betroffenen eine konkrete Verpflichtung zur Leistung des Dienstes bestanden habe. Das sei beim Kläger nicht der Fall gewesen.
Der Kläger beantragt,die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Das LSG hat die Zulässigkeit der gegen den Bescheid vom 4. Februar 1974 gerichteten Klage zu Recht bejaht. In der Deutung dieser Klage ist es der Auffassung des erkennenden Senate im Urteil vom 8. Juli 1970 (BSG 31, 226) gefolgt; der Senat hatte dort eine solche Klage als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gewertet; mit ihr erstrebe der Versicherte die Verurteilung des Versicherungsträgers zur Eintragung der Ersatzzeit in eine Versicherungskarte; diese Eintragung sei ein Verwaltungsakt, mit dem der Versicherungsträger die Ersatzzeiten (Ausfallzeiten) von Versicherten feststelle. Der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat (BSG 39; 38; 39) Zweifel geäußert, ob sich die Rechtsauffassung des Senats angesichts der §§ 13; 17 Abs. 3 der inzwischen in Kraft getretenen Datenerfassungs-Verordnung (DEVO) vom 24. November 1972 (BGBl. I 2159) halten lasse. Dem erkennenden Senat erscheinen die Zweifel nicht berechtigt. Die DEVO hat in § 13 Abs. 5 Satz 2 die Möglichkeit beibehalten, daß der Versicherte unmittelbar bei dem für die Kontoführung zuständigen Versicherungsträger die Vormerkung von Tatbeständen einer Ersatz- und Ausfallzeit beantragen kann. Für die hierauf vom Versicherungsträger zu treffende Entscheidung gilt § 17 Abs. 3 DEVO, wonach der "Versicherungsverlauf kein die Beteiligten bindender Verwaltungsakt" ist, nicht; vielmehr müssen auch hierfür die vom Senat in BSG 31, 226 entwickelten Grundsätze Anwendung finden. Dem steht nicht entgegen, daß § 13 nur von "Tatbeständen" einer Ersatzzeit oder Ausfallzeit spricht; denn auch Meldungen und Vormerkungen solcher Tatbestände setzen rechtliche Überlegungen mit voraus; das bestätigt im übrigen § 13 Abs. 7 DEVO, wonach bei Zweifeln, ob ein "Tatbestand" einer Ersatz- oder Ausfallzeit vorliegt, dem Rentenversicherungsträger der "Sachverhalt" mitzuteilen ist. Bei den Vormerkungen durch den Rentenversicherungsträger wird jedenfalls, wie der Senat schon in BSG 31, 226, 229 dargelegt hat, nur eine verbindliche Feststellung der Ersatz- und Ausfallzeiten, welche deren rechtliche Würdigung einschließt, den Bedürfnissen der Versicherten und des Versicherungsträgers gerecht. Der Senat hält es auch nicht für möglich, den Versicherungsträger etwa statt dessen zu einer "Anerkennung" von Ersatzzeiten zu verurteilen; es gibt keine Vorschrift, die den Versicherungsträger allgemein oder bei Ersatz- oder Ausfallzeiten zu "Anerkennungen" verpflichtet (BSG 31, 228). Der Senat bleibt daher bei seiner in BSG 31, 226 vertretenen Auffassung. Sie ist im Hinblick auf § 13 Abs. 5 Satz 2 DEVO lediglich dahin zu modifizieren, daß der Versicherte beim Streit um vorhandene Ersatz- oder Ausfallzeiten vom Versicherungsträger die "Vormerkung" dieser Zeiten verlangen kann; in welcher Weise dies geschieht, ob durch Eintragung in Versicherungskarten oder in sonstiger Weise, ist von untergeordneter Bedeutung. Dem LSG ist ferner darin zuzustimmen, daß für die genannte Klage das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen war; das ergibt sich schon daraus, daß bei Rücknahme der Klage der Bescheid vom 4. Februar 1974, soweit er die Eintragung einer Ersatzzeit abgelehnt hat, bindend geworden wäre mit der Folge, daß auch im Leistungsstreit eine Ersatzzeit nicht mehr berücksichtigt werden könnte.
In der Sache hat das LSG zu Recht für den vom 21. Mai bis 12. Oktober 1935 geleisteten Wehrdienst die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG bejaht. Danach sind Ersatzzeiten "Zeiten des militärischen oder militärähnlichen Dienstes i. S. der §§ 2 und 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) der aufgrund gesetzlicher Dienst- oder Wehrpflicht oder während eines Krieges geleistet worden ist". Der in der streitigen Zeit geleistete Dienst des Klägers wer militärischer Dienst i. S. des § 2 BVG; nach dessen Abs. 1 Buchst. a fällt hierunter jeder nach deutschem Wehrrecht geleistete Dienst als Soldat. Die Frage ist hier nur, ob der Dienst auch aufgrund gesetzlicher Wehrpflicht geleistet worden ist; insofern weicht § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG von der Fassung früherer Vorschriften ab (vgl. § 1263 Nr. 1 RVO a.F., danach mußte es sich um Zeiten handeln, "in denen der Versicherte zur Erfüllung der Wehrpflicht eingezogen gewesen ist").
Mit der Frage, wann ein militärischer Dienst aufgrund gesetzlicher Wehrpflicht geleistet worden ist, hat sich das BSG schon mehrfach befaßt. Für den von Berufssoldaten geleisteten Dienst haben der erkennende und der 1. Senat (SozR Nr. 7 und 65 zu § 1251 RVO) einen Dienst auf solcher Grundlage verneint; bei anderen Soldaten hat der 12. Senat (SozR Nr. 54 zu § 1251 RVO; SozR 2200 § 1251 Nr. 8 und Urteil vom 18. Dezember 1975, 12 RJ 130/75) für Zeiten nach dem 20. Mai 1935 militärischen Dienst aufgrund gesetzlicher Wehrpflicht bejaht, auch wenn der Dienst - gemäß § 8 Abs. 2 des Wehrgesetzes oder sonstwie - freiwillig geleistet worden ist; der 12. Senat hat hierfür genügen lassen, daß der Versicherte den Wehrdienst als Wehrpflichtiger geleistet hat. Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat im Ergebnis für den vorliegenden Fall an.
Das Wehrgesetz vom 21. Mai 1935 (RGBl. I 609) hat die Wehrpflicht dahin geregelt, daß jeder deutsche Mann vom vollendeten 18. Lebensjahr bis zu dem auf die Vollendung des 45. Lebensjahres folgenden 31. März wehrpflichtig gewesen ist, und daß die Wehrpflicht durch den Wehrdienst erfüllt worden ist (§§ 1, 4, 7). Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 bis 4 hat der Wehrdienst a) den aktiven Wehrdienst und b) den Wehrdienst im Beurlaubtenstand umfaßt. Das LSG hat zutreffend ausgeführt, daß der Kläger dem Beurlaubtenstande angehörte; er war Angehöriger der Ersatzreserve (§ 10 Wehrgesetz); als solcher hat er ab 21. Mai 1935 aktiven Wehrdienst im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Wehrgesetzes geleistet. Mit diesem Dienst hat der Kläger gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 des Wehrgesetzes "die Wehrpflicht erfüllt". Wehrdienst, durch den die "Wehrpflicht erfüllt" worden ist, muß aber grundsätzlich als "aufgrund gesetzlicher Wehrpflicht geleistet" gelten.
Die Forderung der Beklagten, der Wehrdienst müsse aufgrund einer konkreten Dienstpflicht geleistet sein, findet im Gesetzeswortlaut keine Stütze. Danach kommt es nicht darauf an, ob eine "aktive Dienstpflicht" im Sinne des § 8 des Wehrgesetzes bestand oder bevorstand. Das Gesetz stellt darauf ab, ob die Wehrpflicht die Grundlage des militärischen Dienstes war. Dies war sie aber auch dann, wenn die Dienstleistung neben der Wehrpflicht außerdem auf einem freiwilligen Entschluß des Versicherten beruhte.
Sinn und Zweck des § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG gebieten allerdings bei der Anerkennung des von Wehrpflichtigen geleisteten Wehrdienstes als Ersatzzeit Einschränkungen. Im "aktiven Wehrdienst" nach § 7 des Wehrgesetzes standen auch aktive Offiziere, freiwillig länger dienende Unteroffiziere und Mannschaften sowie Wehrmachtsbeamte, die nach Erfüllung der Dienstpflicht als Beamte angestellt wurden (vgl. § 7 Abs., 1 Satz 3 Nrn. 2 und 3); sie erfüllten mit diesem Wehrdienst gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 des Wehrgesetzes gleichfalls ihre Wehrpflicht. Wie das BSG für Berufssoldaten schon entschieden hat, kann den Friedensdienstzeiten solcher Personen jedoch nicht der Charakter von Ersatzzeiten zugebilligt werden. Wo die Grenze zu ziehen ist, kann hier offen bleiben. Der Kläger hat den Wehrdienst nicht berufsmäßig und nicht über die Zeit einer aktiven Dienstpflicht hinaus geleistet. Aus dem Sinn und Zweck der Ersatzzeitenregelung des § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG ergibt sich aber kein überzeugender Grund, Wehrdienstzeiten die Anerkennung als Ersatzzeiten bloß deshalb zu versagen, weil der Wehrdienst freiwillig von Personen geleistet worden ist, die wegen ihres Alters (Jahrgangs) zum aktiven Wehrdienst nicht (mehr) herangezogen worden sind oder wären.
Zu Unrecht beruft sich die Beklagte noch auf die Rechtsprechung des BSG zum "freiwilligen Arbeitsdienst" (SozR Nr. 41 zu § 1251 RVO; SozR 2200 § 1251 Nr. 3); diese Rechtsprechung ist hier schon deshalb ohne Bedeutung, weil sie Zeiten betrifft, für die eine Arbeitsdienstpflicht im Sinne der §§ 1, 3 des Reichsarbeitsdienstgesetzes vom 26. Juni 1935 (RGBl. I 769) noch nicht galt.
Da offensichtlich auch die in § 28 Abs. 2 AVG genannten Anrechnungsvoraussetzungen erfüllt sind, ist hiernach die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.11 RA 130/75
Bundessozialgericht
Fundstellen
Haufe-Index 518762 |
BSGE, 159 |