Leitsatz (redaktionell)
1. Ehrenamtliche Bürgermeister im Saarland unterliegen als leitende Angestellte der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung und Angestelltenversicherung.
Beitragspflichtig ist der Betrag, der ein Drittel der Aufwandsentschädigung, mindestens 100,- DM, übersteigt.
Die Nachforderung unverjährter Rentenversicherungspflichtbeiträge ist im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit der Interessen des Versicherten unbeschränkt zulässig; sie verstößt nicht gegen Treu und Glauben.
Die Geltendmachung eines Beitragsanspruchs ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Versicherte die Wartezeit für eine Rente aus der Angestelltenversicherung nicht erfüllen kann.
2. Bezüge, die nach den Lohnsteuerrichtlinien als Aufwandsentschädigung steuerfrei bleiben, gehören nicht zum Entgelt im sozialversicherungsrechtlichen Sinne.
3. Wird die Anmeldung bei der KK unterlassen und deshalb die Versicherungspflicht von ihr nicht geprüft, so verstößt es nicht gegen Treu und Glauben, wenn nach Feststellung der Sicherungspflicht für die zurückliegende Zeit die noch nicht verjährten Beiträge nachgefordert werden; dies gilt auch, wenn der Versicherte sich bei rechtzeitiger Anmeldung von der Versicherungspflicht hätte befreien lassen können.
4. Die Nachforderung nichtverjährter Beiträge zur RV ist im Hinblick auf die besondere Schutzwürdigkeit der Interessen der Versicherten unbeschränkt zulässig. Das gilt auch für den Fall, daß ein Versicherter infolge der Kürze der versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht mehr die Wartezeit für eine Rente erfüllen kann und ihm auf Antrag nach AVG § 82 (= RVO § 1303) hin seine Beitragsanteile zu erstatten wären.
Orientierungssatz
Zur Frage der Versicherungspflicht eines - gegen eine Aufwandsentschädigung tätigen - (saarländischen) Bürgermeisters.
Zur Entgelteigenschaft der Aufwandsentschädigung.
Eine Befreiung nach RVO § 173 Abs 1 wirkt nur für die Zukunft.
Zur Frage, wann die Geltendmachung einer Beitragsnachforderung gegen Treu und Glauben verstößt.
Normenkette
RVO § 165 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-07-27, § 173 Abs. 1 Fassung: 1945-03-17; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23, § 3 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23, § 7 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 165b Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1956-06-12, § 160 Abs. 1 Fassung: 1941-07-01; BGB § 242 Fassung: 1896-08-18; RFM/RAMErl 1944-09-10 Abschn. 1 S. 2 Nr. 1
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 4. April 1967 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der bei der klagenden Gemeinde als ehrenamtlicher ... tätig gewesene Beigelade zu 1) in der Zeit vom 1. Januar 1961 bis zum 12. September 1962 der Versicherungspflicht in der Kranken- und Angestelltenversicherung unterlegen hat.
Der Beigeladene zu 1) war vom 28. Mai 1956 bis zum 1. April 1964 ehrenamtlicher ... der Klägerin und bezog in der streitigen Zeit monatlich eine Aufwandsentschädigung in Höhe von brutto 812,50 DM. Bis zum 31. März 1959 war er - zuletzt als Konrektor - hauptberuflich im saarländischen Schuldienst tätig.
Mit Bescheid vom 24. August 1962 stellte die beklagte Krankenkasse die Sozialversicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) fest und forderte von der Klägerin seine Anmeldung zur Kranken- und Angestelltenversicherung und die Zahlung der Beiträge ab 1. Januar 1961. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch. Der Beigeladene zu 1) stellte mit dem gleichen Datum vorsorglich bei der Beklagten den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 173 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. § 7 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) mit der Begründung, er sei Ruhestandsbeamter. Dem Antrag auf Befreiung gaben sowohl die Beklagte als auch die Beigeladene zu 2) (BfA) ab 13. September 1962 statt. Die Widerspruchsstelle wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 5. Dezember 1962).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage gegen diesen Bescheid abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) ergebe sich aus §§ 165, 165 a RVO sowie aus § 2 AVG. Wesentliches Merkmal für die Versicherungspflicht sei das Vorliegen einer persönlichen Abhängigkeit. Sie zeige sich in der Eingliederung in einen Betrieb oder eine Verwaltung, womit notwendig das Direktionsrecht eines Arbeitgebers verbunden sei. Die unterschiedliche Gestaltung der Beschäftigungsverhältnisse bringe es jedoch mit sich, daß diese Merkmale in einzelnen Fällen nur abgeschwächt vorhanden sein könnten. Dies sei in der Regel insbesondere bei diensthöheren Arten der Fall. Ein solches Unterordnungsverhältnis sei auch nach der früheren saarländischen Gemeindeordnung (GemeindeO) vom 10. Juli 1951 (Amtsbl. S. 995) bei der Stellung des Beigeladenen - im Gegensatz zu den Bürgermeistern in der früheren britischen Besatzungszone - gegeben. Nach §§ 22, 59 dieser GemeindeO sei der Bürgermeister fest in die Verwaltung der Gemeinde eingegliedert, auch wenn er sein Amt nur ehrenamtlich versehe. Er habe die Rechte und Pflichten eines Gemeinderatsmitglieds und werde aus dessen Mitte gewählt (§ 74 GemeindeO). Er stehe in einer Abhängigkeit zu diesem Gemeinderat, auch wenn er befugt sei, Anordnungen zu erlassen, die keinen Aufschub duldeten; denn dann müsse er in der nächsten Sitzung nach § 57 GemeindeO dem Gemeinderat davon Kenntnis geben. Ein anderer Hinweis auf die Abhängigkeit vom Gemeinderat ergebe sich daraus, daß der Bürgermeister einen Beigeordneten beauftragen könne, in seinem Namen einzelne Gemeindeangelegenheiten zu erledigen; er bedürfe aber hierzu immer nach § 61 GemeindeO der Zustimmung des Gemeinderats. Auch wenn der Bürgermeister Dienstvorgesetzter der Gemeindebediensteten sei, so dürfe er diese nur aufgrund einer Entscheidung des Gemeinderats ernennen (§ 67 GemeindeO). Der Haushalt sei zwar von dem Bürgermeister aufzustellen, aber wiederum vom Gemeinderat zu beschließen (§ 106 GemeindeO).
Der ehrenamtliche Bürgermeister sei also im Gegensatz zu einem freien Unternehmen oder einem Selbständigen auch bei allen Besonderheiten, die seine Stellung klar kennzeichneten, letztlich in seinen Befugnissen durch Gesetz, Satzung und Beschlüsse des Gemeinderats festgelegt.
Diese fremdbestimmte Arbeit habe der Beigeladene zu 1) gegen Entgelt geleistet, auch wenn seine Bezüge als Aufwandsentschädigung bezeichnet seien. Nach dem gemeinsamen Erlaß des früheren Reichsministers der Finanzen und des früheren Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (AN 1944), 281) seien die Sozialversicherungsbeiträge grundsätzlich von dem Betrag zu bemessen, der für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend sei. Nach II Ziff. 17 Abs. 3 der Lohnsteuer-Richtlinien 1960 iVm dem Erlaß des saarländischen Ministers für Finanzen und Forsten vom 22. Dezember 1960 sei bei den saarländischen, in der Gemeindeverwaltung ehrenamtlich tätigen Personen ein steuerlich anzuerkennender Aufwand in Höhe von 33 1/3 % der Aufwandsentschädigung, mindestens aber ein Betrag von 100,- DM monatlich, steuerfrei. Von der monatlich gezahlten Aufwandsentschädigung in Höhe von 812,50 DM sei daher der Teilbetrag von 541,67 DM beitragspflichtiges Entgelt im Sinne des Sozialversicherungsrechts.
Es liege keine Arglist vor, wenn die Beklagte die Beiträge zur Kranken- und Angestelltenversicherung geltend mache, weil es sich um eine Zwangsversicherung handele, ohne daß darauf abzustellen wäre, ob der Versicherte später die Voraussetzungen für eine Leistung erfüllen könne oder ob er Anspruch auf Rückerstattung von Beiträgen habe.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt.
Sie trägt vor: Der Beigeladene zu 1) als damaliger ehrenamtlicher ... habe die Verwaltung der eigenen Angelegenheiten der Gemeinde geleitet. Er sei ehrenamtlich tätig gewesen und deshalb nach §§ 48, 55 GemeindeO nicht ein besoldeter Beamter der Gemeinde gewesen. Seine Aufwendungen seien ihm in Form einer Pauschalaufwandsentschädigung abgegolten worden. Der ehrenamtliche Bürgermeister habe die Gemeinde verwaltet, sei gesetzlicher Vertreter der juristischen Person Gemeinde B, sei Dienstvorgesetzter des gesamten Personals gewesen und habe Dienststrafgewalt über alle Beamten und Angestellten gehabt. Als solcher könne er nicht Angestellter der Gemeinde mit einem sozialversicherungspflichtigen Entgelt von 541,67 DM gewesen sein. Es sei auch arglistig und verstoße gegen die guten Sitten, wenn nachträglich Beiträge verlangt würden, obwohl bereits feststehe, daß diese Beiträge zu keiner Leistung führten und auf Antrag wiederzuerstatten seien.
Vor dem 6. Juli 1959 seien im Saarland die ehrenamtlichen Bürgermeister nicht sozialversicherungspflichtig gewesen. Mit der Einführung des Bundesrechts im Saarland sei den Gemeinden nicht klar geworden, daß die Bürgermeister nunmehr versicherungspflichtig sein sollten, weil der Rechtszustand sehr unübersichtlich gewesen sei. Die Hauptverwaltung der Allgemeinen Ortskrankenkasse für das Saarland habe erst 1965 ihre Verwaltungsstellen angewiesen, die Versicherungspflicht der ehrenamtlichen Bürgermeister zu überprüfen. Das beweise, wie schwer die Rechtslage im Saarland damals zu übersehen gewesen sei. Wenn eine Sozialversicherungspflicht bestanden hätte, so hätte der Beigeladene zu dem Kreis der Personen gehört, die auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit werden können, und zwar rückwirkend vom Beginn des Beschäftigungsverhältnisses an, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten danach gestellt worden sei. Die Frist von zwei Monaten für einen Befreiungsantrag nach § 173 RVO, § 7 AVG habe nicht mit dem Tage des Beginns der Tätigkeit zu laufen begonnen, desgleichen nicht mit dem Tage der Ruhestandsversetzung. Die Frist habe daher von keinem der Beteiligten beachtet werden können.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG für das Saarland vom 4. April 1967 und des Urteils des SG für das Saarland vom 16. Februar 1966 sowie des Bescheides der Beklagten vom 24. August 1962 und des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 1962 festzustellen,
daß der Beigeladene zu 1) während seiner Amtszeit vom 1. Januar 1961 bis zum 12. September 1962 der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und in der Krankenversicherung nicht unterlag,
hilfsweise festzustellen,
daß die Beitragsnachforderung ab 1. Januar 1961 rechtswidrig ist,
hilfsweise festzustellen,
daß die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung rückwirkend auf den 1. Januar 1961 vorzunehmen war.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beigeladene zu 1) ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Nach §§ 165 Abs. 1 Nr. 2, 165 b RVO unterliegen der Versicherungspflicht in der Krankenkasse Angestellte, wenn ihr regelmäßiger Jahresarbeitsverdienst die Grenze von 7.920,- DM nicht übersteigt. Des weiteren sind nach § 2 Abs. 1 AVG in der Rentenversicherung der Angestellten versichert alle Personen, die als Angestellte gegen Entgelt tätig sind, sofern ihr regelmäßiger Jahresarbeitsverdienst die in §§ 4, 5 AVG festgelegten Grenzen nicht überschreitet. Voraussetzung für die Versicherungspflicht in beiden Versicherungszweigen ist zunächst das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses. Hierzu hat der Senat bereits in mehreren Urteilen Stellung genommen: Es muß jeweils geprüft werden, ob der Dienstleistende verpflichtet ist, in persönlicher Abhängigkeit im Rahmen des Direktionsrechts des Arbeitgebers dessen Weisungen über die Ausführung der Arbeit zu befolgen. Maßgebend ist in erster Linie die Eingliederung in den Betrieb und die damit gegebene Bindung an einzelne Anweisungen des Unternehmers. Ausschlaggebend ist das Gesamtbild der Beschäftigung unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung (Urteil vom 31. Juli 1958 in SozR RVO § 165 Nr. 8; ferner BSG 13, 196). Dabei kann bei Diensten höherer Art die Weisungsgebundenheit des Dienstverpflichteten praktisch kaum in Erscheinung treten; hier ist es darauf abzustellen, ob eine Eingliederung in den Betrieb vorliegt. Dies war hier bei dem Beigeladenen zu 1) der Fall, wie das LSG auf Grund der Vorschriften der saarländischen GemeindeO im einzelnen zutreffend festgestellt hat. Nach § 22 GemeindeO beschließt der Gemeinderat über die Angelegenheiten der Gemeinde, der Bürgermeister verwaltet die Gemeinde nach den Beschlüssen des Gemeinderates; nach § 59 GemeindeO leitet der Bürgermeister die Verwaltung der eigenen Angelegenheiten der Gemeinde .... Ihm obliegt der Vollzug der Gesetze und Verordnungen sowie der Weisungen der für die Sachaufsicht zuständigen Staatsbehörden und der Vollzug der Beschlüsse und Anordnungen der Aufsichtsbehörde. Nach § 57 GemeindeO führt der Bürgermeister im Gemeinderat den Vorsitz, er bereitet die Verhandlungen des Gemeinderates vor und vollzieht seine Beschlüsse. Der Bürgermeister ist befugt, Anordnungen, die keinen Aufschub gestatten, zu erlassen, er hat aber hiervon dem Gemeinderat in der nächsten Sitzung Kenntnis zu geben. Damit hatte der Beigeladene als saarländischer Bürgermeister nicht nur Repräsentationsfunktionen (wie der Bürgermeister der ehemaligen britischen Besatzungszone), sondern war zugleich Spitze der Gemeindeverwaltung; er war abhängig beschäftigter Arbeitnehmer, ein "Angestellter in leitender Stellung" (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AVG).
Die Beschäftigung war entgeltlich, auch wenn der Beigeladene zu 1) nur eine Aufwandsentschädigung erhielt. Eine solche ist kein Entgelt, soweit sie dazu dient, die Aufwendungen auszugleichen. Der darüber hinausgehende Betrag ist aber Entgelt. Nach Ziff. 1 Nr. 1 des gemeinsamen Erlasses des früheren Reichsministers der Finanzen und des früheren Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (AN 1944, 281) sind die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von dem Betrag zu berechnen, der für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend ist. Nach den maßgebenden Lohnsteuerrichtlinien in Verbindung mit dem Erlaß des saarländischen Ministers für Finanzen und Forsten ist mit Rücksicht darauf, daß ehrenamtlich tätige Personen in Kreis- und Gemeindeverwaltungen eine Aufwandsentschädigung erhalten, die über den tatsächlichen Aufwand hinausgeht, ein Drittel der Aufwandsentschädigung, mindestens aber 100,- DM als Aufwandsentschädigung anzusehen, während der Rest der Steuerpflicht unterliegt. Die "Aufwandsentschädigung" des Beigeladenen zu 1) stellte also nur zu einem Drittel einen pauschalierten Ersatz seiner Auslagen dar. Bei einer "Aufwandsentschädigung" von 812,50 DM ist demnach der darüber hinausgehende Betrag von 541,67 DM beitragspflichtiges Entgelt. Der Beigeladene zu 1) ist daher in der Kranken- und Angestelltenversicherung versicherungspflichtig.
Die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 173 Abs. 1 RVO, § 7 Abs. 1 AVG, die mit Wirkung vom 13. September 1962 ausgesprochen worden ist, wirkt entgegen der Ansicht der Klägerin nur für die Zukunft, nicht aber für die Vergangenheit, weil der Antrag nicht innerhalb von einem Monat (§ 173 Abs. 2 RVO) bzw. zwei Monaten (§ 7 Abs. 3 AVG) nach Beginn der Beschäftigung gestellt worden ist. Auch wenn man davon ausgeht, daß diese Fristen nicht schon mit Beginn des Beschäftigungsverhältnisses als solchem, sondern von dem Zeitpunkt an zu laufen beginnen, in dem die Beschäftigung des Beigeladenen wegen der Höhe der Bezüge eine versicherungspflichtige geworden war, waren diese Fristen im September 1962 längst abgelaufen. Die beklagte Krankenkasse hat daher mit Recht die nichtverjährten Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1961 bis 12. September 1962 gefordert.
In der Geltendmachung dieser Forderung liegt kein Verstoß gegen Treu und Glauben. Auch wenn im allgemeinen Versicherte und Arbeitgeber gegen eine verspätete Geltendmachung von Beiträgen durch die kurzen Verjährungsfristen genügend geschützt sind, so schließt das nicht aus, daß unter Umständen das Geltendmachen nichtverjährter Beiträge ein Verstoß gegen Treu und Glauben ist. Voraussetzung dafür ist, daß der Forderungsberechtigte in irgendeiner Form bei dem Schuldner den Eindruck erweckt hat, er werde die Forderung nicht geltend machen. Dies setzt voraus, daß der Gläubiger, d.h. hier die Krankenkasse, von dem Schuldner über die maßgebenden Verhältnisse unterrichtet worden ist und daß er trotz Kenntnis des Sachverhalts von einer - rechtzeitigen - Beitragsforderung abgesehen hat. Der Fehler muß also im Bereich der Krankenkasse geschehen sein. So hat das Reichsversicherungsamt (RVA) mit Recht in der GE 2327 vom 13. Januar 1917 (AN 1917, 396) entschieden, der Arbeitgeber sei zur Nachzahlung von Beitragsteilen zur Krankenversicherung eines früher von ihm beschäftigten Versicherungspflichtigen dann nicht verpflichtet, wenn infolge eines Versehens der Kasse der Abzug dieser Beitragsteile vom Barlohn des Versicherungspflichtigen unterblieben sei. Dabei hatte die Krankenkasse eine gemeldete Lohnaufbesserung übersehen, die zu einer höheren Beitragsklasse geführt hätte. Begründet wurde diese Entscheidung damit, daß das Unterlassen der Abzüge der Beitragsteile nicht auf einem Verschulden des Arbeitgebers, sondern auf einem Verschulden der Kasse beruhe. Weiter hat das RVA in der GE 5054 vom 4. Februar 1937 (AN 1937, 73) ausgesprochen, eine Krankenkasse sei nicht berechtigt, nachträglich Beiträge zur Krankenversicherung zu erheben, wenn sie nach ordnungsmäßiger Anmeldung des Versicherten die Krankenversicherungspflicht verneint habe und deshalb ohne Verschulden des Beitragsschuldners die Beitragsleistung unterblieben sei. Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor. Denn die beklagte Krankenkasse hatte bezüglich der streitigen Zeit keine Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere der Höhe der "Aufwandsentschädigung". Sie hatte auch keinen Anlaß, von sich aus etwas zu unternehmen; es wäre vielmehr Sache der Klägerin gewesen, eine Anmeldung des Beigeladenen zu 1) vorzunehmen, um so eine Klärung der Versicherungspflicht herbeizuführen. Eine Geltendmachung der Beiträge zur Krankenversicherung verstößt daher nicht gegen Treu und Glauben.
Das gleiche gilt auch für die Beiträge zur Rentenversicherung. In BSG 17, 173 hat der Senat unter Bezugnahme auf das RVA bereits ausgesprochen, daß die Nachforderung von Beiträgen zur Rentenversicherung unbeschränkt zulässig sei, weil die Rechte des Versicherten in der Rentenversicherung von der tatsächlichen Beitragsentrichtung abhingen; deshalb sei bei Nachforderung von Beiträgen zur Rentenversicherung ein Verstoß gegen Treu und Glauben zu verneinen. Auch in BSG 21, 52 ff ist die Nachforderung nichtverjährter Beiträge zur Rentenversicherung für zulässig angesehen worden, und zwar im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit der Interessen des Versicherten; denn bei Ausfall von Beiträgen für Zeiten versicherungspflichtiger Beschäftigung seien die Versicherungsleistungen an den Versicherten oder seine Hinterbliebenen regelmäßig niedriger, als ihm nach seiner Stellung im Arbeitsleben zukomme. Denn die Sicherheit der Existenzgrundlage durch eine angemessene Rente für die der Versicherungspflicht unterliegenden abhängig Beschäftigten stelle die praktisch wichtigste Form der Zukunftssicherung dar.
Wenn auch der Beigeladene infolge der Kürze der versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht die Wartezeit für eine Rente aus der Angestelltenversicherung erfüllen kann, ihm vielmehr nach § 82 AVG auf Antrag seine Beitragsanteile zu erstatten sind, so schließt auch dieser Umstand nicht die Geltendmachung der streitigen Beiträge aus. Wie der Senat in seinem Urteil vom 28. April 1964 (SozR AVG § 2 Nr. 2) hervorgehoben hat, besteht auch ohne Erfüllung der Wartezeit bereits ein beschränkter Versicherungsschutz, insbesondere bei Arbeitsunfällen (§ 29 AVG); des weiteren können unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 AVG Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit gewährt werden. Auf alle Fälle bleibt, wie dieses Urteil weiter hervorhebt, dem Versicherten die Möglichkeit der Beitragserstattung nach § 82 AVG, während die Heranziehung des Arbeitgebers zur Beitragslast einem Grundprinzip der Sozialversicherung entspricht (vgl. § 109 AVG). Das Verlangen von Beiträgen zur Angestelltenversicherung ist daher nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben anzusehen.
Weil mithin das angefochtene Urteil die Klage in vollem Umfange zu Recht abgewiesen hat, muß die Berufung der Klägerin zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Fundstellen