Entscheidungsstichwort (Thema)
KVdR. Vorversicherungszeit. Halbbelegung. erstmalige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Beginn. Rahmenfrist. Praktikum
Leitsatz (amtlich)
Auch in einer entgeltlichen Beschäftigung zur wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf (Praktikum) vor dem Studium liegt die erstmalige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, mit der die Rahmenfrist für die Vorversicherungszeit in der Krankenversicherung der Rentner beginnt.
Normenkette
RVO § 165 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a, § 172 Nr. 5; SGB IV § 8; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 11; GRG Art. 56 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger als Rentner versicherungspflichtig ist.
Der 1926 geborene Kläger ist seit dem 1. Februar 1971 freiwilliges Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Er beantragte am 13. April 1988 bei der beigeladenen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Altersruhegeld wegen Vollendung des 60. Lebensjahres. Er bezieht das Altersruhegeld seit dem 1. November 1988.
Der Kläger war vom 7. Dezember 1945 bis 4. Juli 1946 als Holzarbeiter beschäftigt. Danach besuchte er noch bis 1947 die Schule und war dann vom 26. August 1947 bis 30. April 1949 beschäftigt. Während der Beschäftigungszeiten wurden unter Annahme von Versicherungspflicht zur Arbeiterrentenversicherung Beiträge entrichtet. Von 1949 bis 1953 studierte der Kläger und nahm anschließend im Januar 1954 eine Erwerbstätigkeit auf. In der Meldung zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) erklärte er, am 7. Dezember 1945 erstmals eine Erwerbstätigkeit aufgenommen zu haben. Die Beklagte sah die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht in der KVdR nach § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht als erfüllt an. Der Kläger blieb freiwilliges Mitglied der Beklagten.
Im Oktober 1989 machte der Kläger geltend, daß er Mitglied der KVdR sei. Bei der Prüfung der Voraussetzungen hierfür dürften die Beschäftigungszeiten vor 1950 nicht berücksichtigt werden. Er sei für die Arbeit als Holzarbeiter seit dem 7. Dezember 1945 dienstverpflichtet gewesen. Ab August 1947 habe er als Praktikant gearbeitet. Die Beklagte sah die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht als Rentner weiterhin nicht als erfüllt an (Bescheid vom 12. Dezember 1989 und Widerspruchsbescheid vom 13. März 1990).
Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen und auf Feststellung der Mitgliedschaft in der KVdR gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 10. März 1992). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 13. Mai 1993). In den Gründen hat es im wesentlichen ausgeführt, daß der Kläger die Halbbelegung des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO nicht erreiche. Mit der Beschäftigung seit dem 7. Dezember 1945, aber auch mit der Arbeit als Praktikant seit dem 26. August 1947 habe er eine Erwerbstätigkeit aufgenommen. Die Rahmenfrist für die Vorversicherungszeit beginne daher am 1. Januar 1950. Von da an bis zur Stellung des Rentenantrages am 13. April 1988 sei der Kläger seit Februar 1971 und damit nur etwas mehr als 17 Jahre, nicht aber die erforderlichen mehr als 19 Jahre Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit der er eine Verletzung des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO rügt. Er hält es für unzulässig, "Zeiten einer von hoher Hand verfügten Dienstverpflichtung als Wald- und Sägewerksarbeiter, die (er) als Schüler nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft absolvieren mußte", als Zeiten einer Erwerbstätigkeit zu bewerten. Er habe damals keine Erwerbsinteressen verfolgt. Gleiches gelte für die Zeiten "studienvorbereitender Pflichtpraktika vor Beginn seines Hochschulstudiums (die zugleich Zeiten des Wartens auf einen Studienplatz waren)". Dies müsse unabhängig von ihrer Dauer gelten, solange es keine Anhaltspunkte dafür gebe, daß der Zusammenhang mit dem angestrebten Studium durch ihn selbst unterbrochen worden sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG vom 13. Mai 1993 und das Urteil des SG vom 10. März 1992 abzuändern, den Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 1990 aufzuheben und festzustellen, daß er aufgrund seines Rentenantrages vom 13. April 1988 Mitglied der KVdR ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des SG mit Recht zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger ist mit Beginn der Rentenzahlung am 1. November 1988 nicht nach § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO versicherungspflichtig geworden und auch seit dem 1. Januar 1989 weder nach Art 56 Abs 2 des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) noch nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V in der bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Fassung (§ 5 Abs 1 Nr 11 SGB V aF) versicherungspflichtig.
Nach § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO war Voraussetzung für die Versicherungspflicht als Rentner, daß der Versicherte seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, jedoch frühestens seit dem 1. Januar 1950 bis zur Stellung des Rentenantrages mindestens die Hälfte der Zeit Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung war. Die Rahmenfrist beginnt auch dann am 1. Januar 1950, wenn zwar vor diesem Datum eine Erwerbstätigkeit aufgenommen wurde, am Stichtag selbst aber keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde (BSG SozR 3-2200 § 165 Nr 5). Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO nicht. Er war in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1950 und seinem Rentenantrag im April 1988, dh einem Zeitraum von mehr als 38 Jahren, nur seit Februar 1971, dh für die Dauer von etwas mehr als 17 Jahren Mitglied.
Für den Beginn der Rahmenfrist iS des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO ist hier der 1. Januar 1950 maßgebend. Der Kläger hat nicht erst im Jahr 1954 nach Abschluß seines Studiums erstmals eine Erwerbstätigkeit aufgenommen. Vielmehr stellt schon die Beschäftigung von August 1947 bis April 1949, für die der Kläger auf der Versicherungskarte als "Praktikant" bezeichnet wurde, eine Erwerbstätigkeit iS der Vorschrift dar. Der Senat hat bereits früher entschieden, daß die auf die Zeit ab 1. Januar 1950 begrenzte Rahmenfrist des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO das gesamte Erwerbsleben umfaßt. Bei der Ermittlung der Rahmenfrist sind zB auch Zeiten einer Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen, in denen der Erwerbstätige keine Möglichkeit hatte, der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung anzugehören, oder in denen er diese Möglichkeit zwar hatte, von ihr aber - aus vielleicht verständlichen Gründen - keinen Gebrauch gemacht hat (vgl BSGE 56, 39, 42 = SozR 2200 § 165 Nr 72). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Nicht zu entscheiden ist im vorliegenden Verfahren, ob auch Beschäftigungen, die wegen Geringfügigkeit nach § 8 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) oder vorher nach § 168 RVO in der bis zum Inkrafttreten des SGB IV am 1. Juli 1977 geltenden Fassung versicherungsfrei waren, als Erwerbstätigkeiten in Betracht kommen. Insofern kann es als gerechtfertigt erscheinen, eine "Erwerbstätigkeit" iS des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO zu verneinen, weil der Gesetzgeber die Teilnahme am Erwerbsleben für so geringfügig hält, daß er von einer Einbeziehung in die Sozialversicherung absieht. Die Beschäftigung des Klägers als Praktikant seit August 1947 war jedoch keine versicherungsfreie geringfügige Beschäftigung. Dies hat das LSG unter Bezugnahme auf die Entgelteintragungen in der Quittungskarte Nr 1 der LVA Rheinprovinz festgestellt.
Für alle anderen Erwerbstätigkeiten, dh entgeltlichen Beschäftigungen oder Tätigkeiten, gilt, daß sie Erwerbstätigkeiten iS des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO sind, und zwar unabhängig davon, ob Versicherungspflicht besteht oder nicht.
Auch eine Beschäftigung als Praktikant, dh eine Beschäftigung zur wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf, ist eine Erwerbstätigkeit iS des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO, wenn sie gegen Entgelt ausgeübt wird. Unerheblich ist, ob die Beschäftigung als Praktikant nach dem jeweils geltenden Recht in allen oder in einzelnen Zweigen der Sozialversicherung versicherungsfrei war, wie zB in den Jahren 1947 bis 1949 nach § 172 Nr 5 RVO und § 1226 Nr 1 RVO idF der Ersten Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. März 1945 (RGBl I S 41). Dies ergibt sich schon daraus, daß diese Vorschriften über Versicherungsfreiheit überflüssig gewesen wären, wenn nicht auch die wissenschaftliche Ausbildung in abhängiger und entgeltlicher Beschäftigung seit jeher dem Grunde nach als versicherungspflichtige Beschäftigung und damit auch als Erwerbstätigkeit angesehen worden wäre. Es kann deshalb offenbleiben, ob der Kläger entgegen der seinerzeit in der Rentenversicherung angenommenen Versicherungspflicht aufgrund der tatsächlich ausgeübten Beschäftigung als Praktikant dauernd oder zumindest zeitweise nach diesen Vorschriften versicherungsfrei war oder ob nicht die Versicherungspflicht darauf beruhte, daß es sich - vor allem wegen der Dauer der Beschäftigung von 20 Monaten - schon eher um eine Beschäftigung gehandelt hat, die den Rahmen einer Praktikantentätigkeit überschritt.
Unzutreffend ist die Ansicht des Klägers, nur eine auf Dauer angelegte Erwerbstätigkeit werde von § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO erfaßt. Diese Auslegung würde dem Gesetzeszweck widersprechen. Mit der Aufnahme der Erwerbstätigkeit wird die frühestens am 1. Januar 1950 beginnende Rahmenfrist in Lauf gesetzt. Innerhalb dieser Rahmenfrist muß eine bestimmte Mindestversicherungszeit zurückgelegt sein, um in die beitragsbegünstigte KVdR zu gelangen. Die Gründe für das Fehlen einer ausreichenden Versicherung nach Aufnahme der Erwerbstätigkeit sind nach dem Gesetz unerheblich. Insofern wäre es widersprüchlich, die Rahmenfrist nicht beginnen zu lassen, weil eine nur vorübergehende Erwerbstätigkeit aufgenommen wurde, und damit im Ergebnis nach dem Grund für die Aufnahme der Erwerbstätigkeit zu fragen. Die Nichtberücksichtigung einer entgeltlichen versicherungsfreien Beschäftigung als Praktikant als Erwerbstätigkeit ist auch nicht aus anderen Gründen gerechtfertigt. Der Kläger wird nicht besser oder schlechter gestellt als jeder andere, der vor dem 1. Januar 1950 vorübergehend eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hat und dabei sowie anschließend nicht gesetzlich krankenversichert war. Die Beschäftigung des Klägers wird durch die Einbeziehung als Erwerbstätigkeit auch nicht unzulässig rückwirkend anders beurteilt, als während ihrer Ausübung. Mit Einführung der sogenannten Halbbelegung in § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO (Art 1 § 1 Nr 1 Buchstabe a Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz vom 27. Juni 1977 ≪BGBl I 1069≫) hat der Gesetzgeber vielmehr in zulässiger Weise allen früheren Erwerbstätigkeiten Bedeutung für die Zugehörigkeit zur KVdR beigemessen.
In dieser Auslegung ist § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO aF mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Gesetzgeber hat den Zugang zur KVdR auf die Personengruppen beschränken wollen, die vorher eine ausreichende Zeit in der gesetzlichen Krankenversicherung Mitglied waren. Mit der durch den Beginn der Erwerbstätigkeit bzw dem 1. Januar 1950 und dem Rentenantrag begrenzten Rahmenfrist hat er einen für alle Rentner gleichen Maßstab gesetzt. Dieser gründet sich auf den Zugang zum Erwerbsleben und dessen Ende. Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, beim Beginn der Rahmenfrist darauf abzustellen, ob die maßgebliche Erwerbstätigkeit auf Dauer aufgenommen werden sollte. Gegen Härten, die dadurch auftreten können, daß nach der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit noch eine längere Ausbildungszeit ohne Zugehörigkeit zur Krankenversicherung folgte, war der Rentner hinreichend dadurch geschützt, daß innerhalb der frühestens am 1. Januar 1950 beginnenden Rahmenfrist lediglich die Halbbelegung erforderlich war. Es wäre sogar verfassungsrechtlich eher bedenklich, bei den Versicherten, die unmittelbar nach der Schulausbildung eine Erwerbstätigkeit aufgenommen haben, die Rahmenfrist stets mit Aufnahme der Erwerbstätigkeit beginnen zu lassen, und nur bei denen, die zB vor dem Studium vorübergehend eine Erwerbstätigkeit aufgenommen haben, diese Erwerbstätigkeit für unbeachtlich zu erklären. Die zuerst genannten Versicherten würden gegenüber den zuletzt genannten benachteiligt, wenn sie vorübergehend ebenfalls über längere Zeit nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung waren und deshalb die Halbbelegung verfehlen. Der Senat ist deshalb von Anfang an davon ausgegangen, daß der Gesetzgeber zulässigerweise jede Unterscheidung nach den Gründen für das Nichtbestehen einer Versicherung innerhalb der Rahmenfrist ausgeschlossen hat (vgl BSGE 56, 39, 42 = SozR 2200 § 165 Nr 72). Auch die Gründe dafür, daß der Kläger in der Zeit von Januar 1950 bis Januar 1971 der gesetzlichen Krankenversicherung nicht angehört hat, sind unerheblich.
Da der Kläger am 31. Dezember 1988 als Rentner nicht versicherungspflichtig war, lagen auch die Voraussetzungen des Art 56 Abs 2 GRG für die Versicherungspflicht ab 1. Januar 1989 nicht vor. Beim Kläger sind seit dem 1. Januar 1989 auch nicht die Voraussetzungen für die KVdR nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V aF erfüllt gewesen. Danach war Voraussetzung für die Versicherungspflicht als Rentner, daß seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrages mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums eine Mitgliedschaft bestand. Neun Zehntel der zweiten Hälfte des danach maßgebenden Zeitraums vom 26. August 1947 bis 13. April 1988 sind mehr als 18 Jahre. Anrechenbar sind jedoch auch hier nur die seit 1971 zurückgelegten etwas mehr als 17 Jahre.
Bei dieser Sachlage brauchte der Senat nicht zu entscheiden, ob die schon im Dezember 1945 aufgenommene Beschäftigung als Holzarbeiter, für die der Kläger eine Dienstverpflichtung behauptet, eine Erwerbstätigkeit gewesen ist. Ebenso kann offenbleiben, ob der Kläger nicht möglicherweise schon früher, nämlich im Juli 1945 oder sogar schon 1944 mit der in seinem Arbeitsbuch bescheinigten Arbeit als Holzfäller bzw Praktikant, eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hatte und ob die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen gegen die insoweit vom LSG getroffenen Feststellungen durchgreifen. Denn eine vor August 1947 aufgenommene Erwerbstätigkeit ließe bei der Anwendung des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO die Rahmenfrist unverändert (ab 1. Januar 1950) und würde bei Anwendung des § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V aF die Rahmenfrist (ab 26. August 1947) zu Ungunsten des Klägers noch verlängern.
Die Revision erwies sich demnach als unbegründet und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen