Leitsatz (redaktionell)
Die geschiedene Ehefrau ist befugt, gemäß SGG § 55 Abs 1 Nr 1 im eigenen Namen Klage auf Feststellung der Versicherungspflicht ihres früheren Ehemannes in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung zu erheben.
Orientierungssatz
Klagebefugnis der geschiedenen Ehefrau auf Feststellung der Versicherungspflicht ihres früheren Mannes:*
1. Das festzustellende Rechtsverhältnis nach § 55 Abs 1 Nr 1 muß nicht notwendig zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits bestehen. Ausreichend sind auch Rechtsbeziehungen eines Beteiligten zu Dritten, sofern der Rechtsbereich der Klägerin durch Bestehen oder Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses wenigstens mittelbar berührt wird (vgl BSG 1962-12-20 3 RK 31/58 = BSGE 18, 190, 193), oder wenn ein Rechtsverhältnis unter Dritten in den Rechtsbereich der Klägerin irgendwie hineinreicht.
2. Die Klagebefugnis der geschiedenen Ehefrau setzt nicht voraus, daß sie zu dem Rechtsinhaber die Stellung eines gesetzlichen Prozeßstandschafters hat bzw von ihm zur Prozeßführung ermächtigt worden ist.
3. Von dem Bestehen oder Nichtbestehen der Kranken- und Rentenversicherungspflicht des geschiedenen Ehemannes wird der Rechtskreis der geschiedenen Ehefrau betroffen. Zum einen hängt ihr Beitrittsrecht zur Krankenversicherung nach der Ehescheidung gemäß § 176b Abs 1 Nr 1 RVO davon ab, zum anderen könnte sie, falls nach einer Feststellung der Rentenversicherungspflicht ihres geschiedenen Ehemannes für diesen nachträglich Beiträge abgeführt wurden, auch als geschiedene Frau später einen Rentenanspruch haben (§ 42 AVG).
Normenkette
AVG § 42 Fassung: 1977-07-01; RVO § 1265 Fassung 1977-07-01, § 176b Abs. 1 Nr. 1 Fassung 1975-05-07; SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1 Fassung 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 29.05.1981; Aktenzeichen L 4 Kr 2105/78) |
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 06.10.1978; Aktenzeichen S 10 Kr 1746/76) |
Tatbestand
Die Klägerin erstrebt die Feststellung, daß ihr geschiedener Ehemann St. (Beigeladener zu 1) als Beschäftigter der inzwischen aufgelösten Firma G. in L. versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung war. Hierwegen erhob sie am 22. September 1976 Feststellungsklage beim Sozialgericht (SG) Freiburg. Zuvor hatte die Beklagte einen Antrag, sie bei ihr zu versichern, abgelehnt, weil der - damals noch nicht geschiedene - Ehemann nicht versicherungspflichtig sei. Das SG wies mit Urteil vom 6. Oktober 1978 die Feststellungsklage als unzulässig mit der Begründung ab, der Klägerin fehle es an der Prozeßführungsbefugnis. Das Landessozialgericht (LSG) Baden- Württemberg hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 29. Mai 1981). Es hat ebenfalls die Auffassung vertreten, der Klägerin fehle die prozessuale Berechtigung, die Feststellung der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) im eigenen Namen zu betreiben. Es liege auch keine Prozeßstandschaft vor. Dem Umstand, daß die Klägerin möglicherweise begründete familienrechtliche Ansprüche auf Unterhalt gegen den Beigeladenen zu 1) habe, komme in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu.
Mit der - vom Senat mit Beschluß vom 28. April 1982 zugelassenen - Revision trägt die Klägerin vor, das Rechtsverhältnis, auf dessen Feststellung geklagt wird, könne auch zwischen Dritten bestehen. Ihr eigenes Feststellungsinteresse könne nicht mit der Erwägung verneint werden, einen Anspruch auf Familienhilfe habe allein der Versicherte, denn auch für die mitversicherten Familienangehörigen könne das Bestehen einer Mitversicherung eigene Ansprüche und Rechte zur Folge haben. Das LSG habe die Klage nicht wegen fehlender Klagebefugnis oder Prozeßstandschaft als unzulässig abweisen dürfen, sondern nachprüfen müssen, ob die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gegeben seien.
Die Klägerin beantragt, die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Dezember 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 1977 aufzuheben und festzustellen, daß der Beigeladene zu 1) als Beschäftigter der Firma G. in L. versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung war.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise: den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG.
Das Berufungsurteil beruht auf einem - von der Klägerin formgerecht gerügten - Verfahrensmangel, der im Revisionsverfahren nicht geheilt werden kann. Das LSG hat unzutreffend die Prozeßvoraussetzung der Klagebefugnis verneint und deshalb das Prozeßurteil des SG bestätigt. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist die Klägerin befugt, die Feststellung der Kranken- und Rentenversicherungspflicht ihres - inzwischen geschiedenen - Ehemannes während seiner Tätigkeit für die 1981 aufgelöste Firma im eigenen Namen im Wege einer Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu betreiben. Das festzustellende Rechtsverhältnis muß nicht notwendig zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits bestehen. Ausreichend sind auch Rechtsbeziehungen eines Beteiligten zu Dritten, sofern der Rechtsbereich der Klägerin durch Bestehen oder Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses wenigstens mittelbar berührt wird (Meyer- Ladewig, SGG § 55, Anm 7; Baumbach ua, ZPO 41. Aufl, § 256 Anm 3 I B; BSGE 15, 118, 126; 18, 190, 193) oder wenn ein Rechtsverhältnis unter Dritten in den Rechtsbereich der Klägerin irgendwie hineinreicht (Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl, S 527) und das Interesse an der baldigen Feststellung für die Klägerin gegeben ist. Der Prozeßführungsbefugnis für die Feststellungsklage steht sonach nicht entgegen, daß die Klägerin nicht die Trägerin des festzustellenden Rechtsverhältnisses ist. Ihre Klagebefugnis setzt auch nicht voraus, daß sie zu dem Rechtsinhaber die Stellung eines gesetzlichen Prozeßstandschafters hat bzw von ihm zur Prozeßführung ermächtigt worden ist. Ohne eine solche Ermächtigung wirkt das im Feststellungsstreit ergehende Urteil allerdings nicht gegen den Dritten (vgl hierzu BGH in Lindenmaier/Möhring, § 325 ZPO Nr 4; BGHZ 78, 1, 7; Rosenberg/Schwab aa0), es sei denn, dieser ist - wie hier - zum Rechtsstreit beigeladen und hat damit hinreichend Gelegenheit gehabt, seine Interessen im Prozeß geltend zu machen.
Von dem Bestehen oder Nichtbestehen der Kranken- und Rentenversicherungspflicht ihres geschiedenen Ehemannes wird auch der Rechtskreis der Klägerin betroffen. Zum einen hängt ihr Beitrittsrecht zur Krankenversicherung nach der Ehescheidung gemäß § 176b Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) davon ab (vor der - bei Klageerhebung noch nicht rechtskräftigen - Ehescheidung wirkte sich das Krankenversicherungsverhältnis des Ehemannes auf etwaige Familienhilfeleistungen nach § 205 RVO und möglicherweise auf ein Recht zur freiwilligen Versicherung nach § 313 Abs 1 Satz 2 RVO aus), zum anderen könnte sie, falls nach einer Feststellung der Rentenversicherungspflicht ihres geschiedenen Ehemannes für diesen nachträglich Beiträge abgeführt wurden, auch als geschiedene Frau später einen Rentenanspruch haben (§ 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-). Aus diesen für die Klägerin bedeutsamen Auswirkungen auf ihre eigene Rechtsposition ergibt sich ihr berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses (§ 55 Abs 1 Nr 1 letzter Halbsatz SGG).
Das LSG wird nunmehr in der Sache zu entscheiden haben.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 60383 |
NJW 1983, 2960 |
NJW 1983, 2960 (L1) |
RegNr, 11828 |
Das Beitragsrecht Meuer, 454 D 2 (ST1) |
USK, 8372 (LT1) |
Breith 1984, 166-167 (LT1) |
Die Beiträge 1984, 189-191 (T) |
SozR 1500 § 55, Nr 22 (LT1) |
ZfSH/SGB 1984, 135-136 (LT1) |
Breith. 1984, 166 |