Beteiligte
1. …, 2. …, 3. …, Kläger und Revisionskläger |
…, Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Die Kläger begehren Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der im Jahre 1949 geborene Ehemann der Klägerin zu 1. und Vater der Kläger zu 2. und 3. ist am 25. Februar 1984 beim Ausbau einer Lichtmaschine aus einem Schrottauto tödlich verunglückt. Er betrieb seit dem 2. Januar 1984 ein Unternehmen, das sich auf den An- und Verkauf von Kraftfahrzeugen, auf das "Ausschlachten" schrottreifer Personenkraftwagen und auf einen Abschleppdienst erstreckte. Der Übernehmer des Betriebes gab am 3. April 1984 in einer Betriebsbeschreibung an, das Gesamtunternehmen umfasse zu 80 vH den An- und Verkauf von Kraftfahrzeugen und Ersatzteilen, zu 10 vH den Schrotthandel und zu weiteren 10 vH den Abschleppdienst.
Auf den Antrag der Kläger vom 5. April 1984, ihnen Hinterbliebenenrente zu gewähren, machte die beigeladene Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen geltend, sie halte die Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft für den zuständigen Versicherungsträger. Diese lehnte die Gewährung von Hinterbliebenenrente ab, da der Ehemann der Klägerin zu 1. als Unternehmer nicht zu dem pflichtversicherten Personenkreis gehört habe und auch der Versicherung nicht freiwillig beigetreten sei (Bescheid vom 28. August 1984, Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 1984). Im anschließenden Klageverfahren legten die Kläger eine Bescheinigung der Stadt W ... (W) vom 9. Oktober 1984 vor. Darin heißt es ua, der Ehemann der Klägerin zu 1. habe sein Gewerbe am 19. Dezember 1983 zum 2. Januar 1984 angemeldet. Eine Ausfertigung dieser Gewerbeanmeldung sei dem Landesverband Nordwestdeutschland der gewerblichen Berufsgenossenschaft über den Landkreis L ... übersandt worden. Der Ehemann der Klägerin zu 1. habe dem zuständigen Sachbearbeiter erklärt, er wolle eine Versicherung zusätzlich bei der Berufsgenossenschaft (BG) vornehmen, sobald ihm die sachlich zuständige BG bekannt sei.
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts - SG - Aurich vom 11. September 1986; Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Niedersachsen vom 2. April 1987). Das LSG hat zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung ua ausgeführt: Nach dem Schwergewicht der unternehmerischen Tätigkeit habe das Unternehmen zum Zuständigkeitsbereich der beklagten Berufsgenossenschaft gehört. Deren Satzung sehe eine Unternehmensversicherung nach § 543 Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht vor. Nach §§ 40, 41 der Satzung habe es zum Abschluß einer freiwilligen Versicherung einer schriftlichen Anmeldung sowie der Angaben über die Höhe der Versicherungssumme bedurft. Eine freiwillige Unternehmerversicherung habe der Ehemann der Klägerin zu 1. nicht beantragt. Seine Äußerung gegenüber dem Sachbearbeiter der Stadt W anläßlich der Gewerbeanmeldung sei auch nicht als entsprechender Antrag zu werten. Denn die Anmeldung hätte nach § 41 der Satzung der Beklagten der Schriftform bedurft. Der in der mündlichen Verhandlung beantragten Vernehmung dieses Sachbearbeiters sei nicht stattzugeben gewesen. Es sei zugunsten der Kläger davon auszugehen, daß der Ehemann der Klägerin zu 1. den Wunsch geäußert habe, Mitglied der BG zu werden. Es fehle aber an einer schriftlichen Äußerung. Die Gewerbeanmeldung beinhalte nicht gleichzeitig eine schriftliche Antragstellung. Darin sei kein Hinweis enthalten, daß er der BG habe beitreten wollen. Ebensowenig begründe das vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelte Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine Entschädigungspflicht der Beklagten. Gegenüber dem Ehemann der Klägerin zu 1. seien keinerlei Auftragspflichten verletzt worden, für die die Beklagte einzustehen habe. Auch habe seitens des Gewerbeamtes der Stadt W keine Verpflichtung bestanden, über die Notwendigkeit einer schriftlichen Antragstellung aufzuklären. Schließlich könne ein Herstellungsanspruch nicht daraus abgeleitet werden, daß die Gewerbeanmeldung den am Verfahren beteiligten Unfallversicherungsträger nicht erreicht habe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügen die Kläger eine Verletzung materiellen und formellen Rechts. § 41 der Satzung der Beklagten verstoße, indem sie einen schriftlichen Antrag sowie Eingang desselben bei der BG verlange, gegen § 1 Abs 2 sowie § 16 Abs 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I). Dadurch werde der Zugang zur Sozialversicherung erschwert, was § 4 Abs 1 SGB I nicht nur als Programmsatz gebiete. Ihr Ehemann und Vater habe die Anmeldung zur freiwilligen Versicherung wirksam gegenüber der Stadt W erklärt. § 16 Abs 1 SGB I erfasse nicht nur das schriftlich abgefaßte Begehren. Vielmehr sei entscheidend die gegenüber einer zuständigen Stelle getätigte Willenserklärung, Leistungen erhalten zu wollen. Der einfach zu gestaltende Zugang zu den Sozialleistungen umfasse auch die freiwillige Versicherung (§ 17 Abs 1 Nr 3 SGB I). Die Beklagte habe dafür Sorge zu tragen, daß die zur Gewerbeanmeldung berechtigten Stellen von den Besonderheiten des Satzungsrechts Kenntnis erhalten und somit den Unternehmern entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Mit der Abgabe der Gewerbeanmeldung vertraue der Unternehmer darauf, daß der zuständigen BG eine Abschrift hiervon zugehe. Nachdem bei der Gewerbeanmeldung die Zuständigkeit noch nicht feststehe, könnten an die Anmeldung einer freiwilligen Versicherung nach Form und Inhalt keine besonders hohen Anforderungen gestellt werden. Zudem bestehe nach dem Runderlaß des Niedersächsischen Ministers für Wirtschaft und Verkehr für die Gemeinden/Gewerbeaufsichtsämter eine Verpflichtung, die zuständige BG zu unterrichten. Danach hätte auch der Landkreis L ..., an den eine Abschrift der Gewerbeanmeldung zur Weiterleitung an den Landesverband der gewerblichen BG zugeleitet worden sei, verfahren müssen. Außerdem sei § 545 RVO in Blickrichtung auf § 543 RVO nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art 3 Abs 1 Grundgesetz - GG -) vereinbar, weil damit nicht gerechtfertigte unterschiedliche Regelungen über den Zugang zur Sozialversicherung bestünden.
Die Kläger beantragen,die Beklagte unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG sowie der zugrunde liegenden Verwaltungsbescheide zur Gewährung von Hinterbliebenenrente zu verurteilen.
Die beklagte BG beantragt,die Revision der Kläger zurückzuweisen.
Sie hält unter Bezugnahme auf das Urteil des LSG daran fest, daß der Ehemann der Klägerin zu 1. von der freiwilligen Unternehmerversicherung keinen Gebrauch gemacht habe. Er habe sich nicht, wie dies § 41 der Satzung verlange, schriftlich bei der Beklagten angemeldet.
Die beigeladene BG beantragt,die Revision der Kläger zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
II.
Die Revision der Kläger führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG. Es fehlt an erforderlichen Tatsachenfeststellungen für die Entscheidung, ob eine Unternehmerversicherung infolge freiwilligen Beitritts (§ 545 RVO) bestanden hatte; diese Feststellungen hat das LSG nachzuholen.
Die Ansprüche der Kläger auf Witwen- und auf Waisenrente (§ 589 Abs 1 Nr 3, §§ 590, 595 RVO) sind davon abhängig, daß der Ehemann und Vater der Kläger bei seinem Unfall, der zum Tode führte, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden und damit einen Arbeitsunfall erlitten hatte. Er gehörte nicht zu den nach § 539 RVO versicherten Personen. Er war nach den Feststellungen des LSG seit 2. Januar 1984 als Unternehmer tätig (§ 658 Abs 2 RVO). Dies schließt jedoch nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO die Annahme eines Arbeitsunfalles nicht aus. Wie dort die Verweisung auf § 543 und § 545 RVO deutlich macht, besteht für den Unternehmer, der nicht schon kraft Gesetzes versichert ist, Versicherungsschutz, wenn die Satzung des Trägers der Unfallversicherung die Versicherung auf Unternehmer erstreckt (§ 543 RVO) oder der Unternehmer der Unfallversicherung freiwillig beitritt, sofern nicht schon Versicherungsschutz kraft Gesetzes oder kraft Satzung besteht (§ 545 RVO).
Von den hier in Betracht kommenden BGen hat nur die Beigeladene den Versicherungsschutz nach § 543 RVO auf die Unternehmer erstreckt. Entgegen der Auffassung der Revision ist es nicht verfassungswidrig, daß außerhalb der Fälle des § 539 RVO die Einführung der Unternehmerpflichtversicherung in die Entscheidungsbefugnis der Selbstverwaltung der Unfallversicherungsträger gestellt ist. Die freiwillige Unfallversicherung steht Unternehmern wie dem Ehemann der Klägerin zu 1. offen, und die erforderliche Antragstellung ist keine so wesentliche Erschwernis des Zuganges, daß sie gegenüber den nach § 543 RVO geschützten Unternehmern eine Verletzung des Gleichheitssatzes bedeuten könnte.
Ob der Ehemann bzw Vater der Kläger gegen Arbeitsunfall versichert war, läßt sich somit erst nach Bestimmung des zuständigen Versicherungsträgers beantworten. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) beschäftigte er sich zu 80 vH mit dem An- und Verkauf von Kraftfahrzeugen und Ersatzteilen bzw dem "Ausschlachten" von Kraftfahrzeugen und nur zu je 10 vH mit dem Schrotthandel und dem Abschleppdienst. Folgerichtig hat das LSG entsprechend der sachlichen Gliederung der BGen nach Gewerbezweigen (§ 646 RVO) das Unternehmen des Ehemanns der Klägerin zu 1. der beklagten BG als dem zuständigen Versicherungsträger (s § 3 der Satzung der Beklagten) zugeordnet. Das Berufungsgericht hat dabei zutreffend bedacht, daß gemäß § 647 RVO diejenige BG zuständig ist, der das "Hauptunternehmen" angehört.
Ob der Ehemann und der Vater der Kläger den für seinen Versicherungsschutz demnach erforderlichen Beitritt zur freiwilligen Unternehmerversicherung erklärt hat, kann der erkennende Senat aufgrund seiner Rechtsauffassung nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht entscheiden.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats bedarf es für die freiwillige Unternehmerversicherung einer auf die Begründung des Versicherungsverhältnisses gerichteten Willenserklärung in der Gestalt des vom Unternehmer zu stellenden Antrags (BSGE 23, 248, 252). Der Unternehmer muß in erkennbarer Weise seinen Willen zum Ausdruck bringen, von seinem Antragsrecht Gebrauch zu machen (BSGE 50, 16, 18). Der Antrag muß unmißverständlich und ohne Vorbehalt erklärt sein (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, Band II, S 478 w mwN; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 545 RdNr 3 Buchst c).
Die Gewerbeanmeldung kann - wovon das LSG zutreffend ausgegangen ist - für sich allein nicht als Antrag auf freiwilligen Beitritt zur Unternehmerversicherung gedeutet werden. Die Rechtsprechung hat selbst dann, wenn der Unternehmer seinen eigenen Verdienst in den Lohnnachweis des Betriebes für die Unfallversicherungs-Beiträge aufgenommen hat, nicht allein deshalb eine freiwillige Unternehmerversicherung angenommen (BSG SozR Nr 43 zu § 539 RVO). Um so mehr gilt dies für die Gewerbeanmeldung, bei der jeglicher sozialrechtlicher Bezug fehlt. Insoweit ist auch keine andere rechtliche Beurteilung möglich, wenn man dem Vortrag der Revision folgend davon auszugehen hätte, daß die Gewerbeämter aufgrund ministerieller Weisung gehalten seien, den Landesverbänden der gewerblichen BG eine Abschrift der Gewerbeanmeldung zu übersenden. Das im Rahmen der Amtshilfe veranlaßte Handeln dient der Ermittlung der den BGen zugehörigen Unternehmen (§ 662 Abs 2 RVO). Die Zuleitung der abschriftlichen Gewerbeanmeldung hat lediglich Kontrollfunktion.
Das LSG hat im übrigen nicht festgestellt, sondern nur zugunsten der Kläger unterstellt, daß der Ehemann und Vater der Kläger einen Antrag auf freiwillige Versicherung gestellt hat. Es hat allein wegen Nichteinhalt der nach der Satzung für die Begründung der freiwilligen Unternehmerversicherung vorgeschriebenen Schriftform des Antrags den Versicherungsschutz verneint. Dem folgt der Senat nicht.
Gemäß § 671 Nr 9 RVO hat die Satzung der Beklagten Bestimmungen zu enthalten über das Verfahren bei Anmeldung und Ausscheiden kraft freiwilliger Versicherung sowie Höhe und Ermittlung des Jahresarbeitsverdienstes. Nach den §§ 40 und 41 der Satzung der Beklagten bedarf es zur freiwilligen Unternehmerversicherung einer schriftlichen Anmeldung und Eingang derselben beim Unfallversicherungsträger. Diese Satzungsbestimmungen sind von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit dahin zu prüfen, ob sie mit anderen, dem autonomen Recht der Beklagten übergeordneten Recht vereinbar sind. Dem steht nicht entgegen, daß die Satzung vom Bundesversicherungsamt genehmigt ist (BSGE 27, 237, 240; 55, 26, 27). Diese sich über den Geltungsbereich eines Landes hinaus erstreckenden Regelungen (s § 4 der Satzung der Beklagten) sind revisibles Recht iS des § 162 Abs 2 SGG (BSGE 5, 222, 229; Brackmann aaO S 154 c). Sie stehen im Einklang mit dem Gesetz, auf dem die Ermächtigung beruht, und sind auch mit sonstigem höherrangigem Recht vereinbar (BSGE 54, 232, 233 mwN). Es ist insbesondere rechtlich nicht zu beanstanden, soweit die Beklagte in Anlehnung an die für die gewerblichen BGen herausgegebene Mustersatzung (hier § 47; Lauterbach/Watermann aaO Anhang 23 S 231) für die Anmeldung in den Fällen Schriftform verlangt, in denen der Unternehmer seinen freiwilligen Beitritt zur Unfallversicherung unmittelbar der BG gegenüber erklärt. Durch die schriftliche Anmeldung soll im Interesse sowohl der BG als auch des Versicherten selbst der Beitritt sicher nachweisbar festgestellt sein.
Der Ehemann und Vater der Kläger hat Jedoch auch nach deren Vorbringen einen Antrag auf freiwillige Versicherung nicht unmittelbar bei der Beklagten gestellt. Allein deshalb darf jedoch gemäß § 16 SGB I der Versicherungsschutz des Ehemannes und Vaters der Kläger nicht verneint werden.
Diese Vorschrift, die sich nach ihrem Wortlaut nur mit Anträgen auf' Sozialleistungen befaßt, ist im Wege der Lückenfüllung entsprechend auch auf andere Anträge anzuwenden, die für die Stellung als Versicherter Bedeutung haben (Brackmann aaO S 79 q mwN). Der 8. Senat des BSG hat entschieden (BSG SozR 1200 § 16 Nr 8), daß der Eingang der freiwilligen Beitrittserklärung eines Schwerbehinderten bei einer Gemeinde zur Fristwahrung des § 176c Satz 2 RVO iVm § 176 Abs 3 RVO dient. Darauf Bezug nehmend hat der 12. Senat des BSG im Urteil vom 15. Dezember 1983 - 12 RK 37/82 - (DRV 1964, 337) ausgeführt, daß diese Auslegung des § 16 SGB I auch der Praxis der Rentenversicherungsträger bei der Anwendung von Art 2 § 49a ArVNG und Art 2 § 51a ArVNG entspreche und daher gleichermaßen für Nachentrichtungsbeiträge gelte (BSGE 59, 190, 192). Dem steht die Rechtsprechung des 7. Senats des BSG (BSGE 60, 43) sowie des 3. Senats des BSG (BSGE 52, 254) nicht entgegen, weil im Gegensatz zum Antrag auf Sozialleistungen sowie zur Beitrittserklärung sowohl die Arbeitslosmeldung als sogenannte Tatsachenerklärung wie auch die Meldung über den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit keine Willenserklärung beinhaltet. In beiden Fällen handelt es sich nicht, wie § 16 SGB I aber voraussetzt, um eine empfangsbedürftige Willenserklärung (BSG SozR 1200 § 16 Nr 8). Es ist in Übereinstimmung mit der vom Schrifttum überwiegend geteilten Auffassung des 8. Senats des BSG nach Sinn und Zweck des § 16 SGB I nicht zwischen dem Antrag auf Sozialleistungen, der das Bestehen eines Sozialrechtsverhältnisses voraussetzt, und der Beitrittserklärung, die dieses Rechtsverhältnis begründet, zu differenzieren. § 16 SGB I verwirklicht das in § 1 SGB I vorangestellte Postulat der sozialen Gerechtigkeit und der sozialen Sicherheit als Ausformung des in Art 20, 28 GG enthaltenen Sozialstaatsgrundsatzes (Brackmann aaO S 79 f I und II). Dem Sozialstaatsprinzip kommt bei der Auslegung von Gesetzen entscheidende Bedeutung zu (BVerfGE 1, 97, 105; BSGE 30, 239, 243; auch BVerfGE 51, 166, 175; 55, 134, 143; 58, 369, 376; 59, 330, 334). Dieses Verfassungsgebot hat in § 2 Abs 2 Halbsatz 2 SGB I zusätzlichen Ausdruck gefunden. Danach sind alle mit der sozialen Rechtsgewährung befaßten Institutionen gehalten sicherzustellen, daß die sozialen Rechte weitgehend verwirklicht werden. Diese Norm ist bei der Rechtsfindung zu beachten und nicht als bloße Leerformel zu werten (BSGE 51, 89, 95; Kieswald in Entwicklung des Sozialrechts - Aufgabe der Rechtsprechung, Festschrift aus Anlaß des 100jährigen Bestehens der sozialgerichtlichen Rechtsprechung, S 473 mwN). Darauf stellt offenbar auch der 12. Senat des BSG ab (BSG SozR 5070 § 10 Nr 30), soweit er als Auswirkung des in § 2 Abs 2 SGB I enthaltenen Gebots die zentrale Bedeutung einer ausreichenden Information und Beratung für das Funktionieren des sozialen Leistungssystems herausstellt.
Daraus folgt, daß der Antrag eines Unternehmers zum freiwilligen Beitritt zur Unfallversicherung nicht nur beim zuständigen Leistungsträger - wie in der Satzung der Beklagten vorgesehen - gestellt werden kann, sondern nach § 16 Abs 1 SGB I auch bei allen anderen Leistungsträgern und der Gemeinde möglich ist. Bereits das Reichsversicherungsamt hatte die Anmeldung eines Unternehmers zur Selbstversicherung bei einer unzuständigen BG als eine förmliche Anmeldung für die zuständige BG gewertet (RVA EuM 42, 260; Lauterbach/Watermann aaO § 543 RdNr 7 Buchst b). Nach § 16 Abs 2 Satz 2 SGB I gilt der Antrag zum freiwilligen Beitritt als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einem unzuständigen Leistungsträger oder einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde eingegangen ist. Mithin reicht der Antrag eines Unternehmers zum freiwilligen Beitritt zur Unfallversicherung bei einer Gemeinde aus, um das Sozialrechtsverhältnis vom Tag der Antragstellung an zu begründen. Auf die Kenntnis des zuständigen Versicherungsträgers hiervon kommt es nicht an. Schon bisher war für die Entstehung der freiwilligen Unternehmerversicherung weder die Annahme noch die Bestätigung des Antrages erforderlich (BSGE 23, 246, 251 mwN). Die Übergangszeit zwischen der Antragstellung bei der Gemeinde und dem Zugang des Antrags bei der BG kann - wie auch in den anderen von § 16 SGB I erfaßten Fällen - ohne Rechtsnachteile in Kauf genommen werden. Gelangt nämlich die BG nach Eingang des Antrages aufgrund ihrer pflichtgemäßen Prüfung zu dem Ergebnis, daß der Antrag auf freiwillige Unternehmerversicherung gesetzlichen oder satzungsgemäßen Bedingungen widerspricht, ist sie befugt, einen die freiwillige Versicherung von Anfang an ablehnenden Bescheid zu erlassen.
Somit bedarf es der - vom LSG aufgrund seiner Rechtsauffassung nicht getroffenen - Feststellung, ob der Ehemann und Vater der Kläger bei der Gemeinde einen Antrag auf freiwillige Versicherung gestellt hat.
Diese Feststellung ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil nach dem Vorbringen der Kläger der Antrag bei der Gemeinde mündlich gestellt worden sein soll. Allerdings regelt § 16 SGB I nicht, in welcher Form und mit welchem Inhalt der Antrag zu stellen ist; dies ergibt sich vielmehr jeweils aus den Vorschriften der einzelnen Leistungsbereiche (Brackmann aaO S 79 q; Bley in SGB-Sozialversicherungs-Gesamtkommentar, § 16 SGB I Anm 11 Buchst a; Schnapp in Wertenbruch, Bochumer Kommentar zum SGB - Allgemeiner Teil, 1979, §` 16 RdNr 10). Demnach befreit die Stellung des Antrages auf freiwillige Unternehmerversicherung bei einer Gemeinde nicht von der durch die Satzung vorgeschriebenen Schriftform.
Die Beklagte wäre aber unter dem Gesichtspunkt des von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Herstellungsanspruchs (vgl hierzu ua BSGE 50, 12 f; 50, 88, 91; 52, 145, 148; Funk DAngVers 1981, 26) gehalten, die Kläger so zu stellen, als ob die Schriftform gewahrt worden wäre. Dies allerdings - wie ausgeführt - unter der vom Berufungsgericht noch nachzuprüfenden Voraussetzung, daß ein ordnungsgemäßer Antrag auch tatsächlich gestellt worden ist, wie die Kläger behaupten. Dann wäre es im vorliegenden Fall nicht entscheidend, daß die den Herstellungsanspruch verursachenden Faktoren ggf nicht von der Beklagten selbst gesetzt worden sind, sondern von der Gemeinde, an die sich der Ehemann der Klägerin zu 1. wegen der Gewerbeanmeldung gewandt hatte. Nach der Rechtsprechung des BSG kann ein Herstellungsanspruch gegenüber einem Versicherungsträger auch gegeben sein, wenn die zu Nachteilen für den Versicherten führende Handlung oder Unterlassung einer anderen Behörde zuzurechnen ist (BSGE 51, 89; 57, 288, 290; 62, 96, 98; BSG SozR 1200 § 14 Nr 13). Die Entwicklung des Herstellungsanspruchs ist von der Rechtsprechung gerade von der Erwägung getragen worden, Fehler im Verwaltungsablauf schon mit den der Verwaltung möglichen Mitteln auszugleichen und den Geschädigten nicht zur Durchführung des Schadensersatzanspruches auf den Zivilrechtsweg zu verweisen. Es kann nicht darauf ankommen, welche der in den Verwaltungsablauf eingeschalteten Stellen pflichtwidrig gehandelt hat, sofern nur der entstandene Nachteil durch eine Amtshandlung der für diese zuständigen Verwaltungsstelle ausgleichbar ist.
Die Gemeinde ist, wie bereits dargelegt, kraft des in § 16 Abs 1 SGB 1 enthaltenen Auftrages verpflichtet, Anträge, die das Sozialrechtsverhältnis in irgendeiner Weise tangieren, entgegenzunehmen. Dabei macht es keinen Unterschied, welche Form der Antragsteller für den Antrag gewählt hat. Mündlich gestellte Anträge sind nach allgemeiner Verwaltungsübung in der Weise festzuhalten, daß eine Niederschrift aufgenommen wird (vgl Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 4. Aufl 1986, § 22 RdNr 16). Damit wäre die in der Satzung der Beklagten geforderte Schriftform gewahrt, sofern der Ehemann der Klägerin zu 1. einen Antrag auf freiwillige Unternehmerversicherung gestellt hat, was das LSG noch feststellen muß. Kam die Gemeinde diesem Erfordernis nicht nach, hätte sie dem Antragsteller gegenüber pflichtwidrig gehandelt. § 16 Abs 2 Satz 1 SGB I gebietet außerdem die unverzügliche Weiterleitung an den zuständigen Versicherungsträger. Dieses Gebot ist der Gemeinde nicht allein zugunsten des Antragstellers auferlegt. Vielmehr hat der Versicherungsträger ein ureigenes rechtliches Interesse, möglichst umgehend über den gestellten Antrag informiert zu sein. Dies und insbesondere auch der Umstand, daß es für den Zeitpunkt des Antrags darauf ankommt, wann er bei der Gemeinde eingegangen und dies dem Versicherungsträger nach § 16 Abs 2 Satz 2 SGB I zuzurechnen ist, macht deutlich, daß insoweit die Gemeinde in den Verwaltungsablauf des Versicherungsträgers eingebunden ist. Daraus folgt, daß der Versicherungsträger auch für ein pflichtwidriges Verhalten der Gemeinde, den Antrag nicht schriftlich niedergelegt und weitergegeben zu haben, einzustehen hätte. Ohne diese sogenannte "Haftung" bzw das Einstehen für eine andere Behörde können die mit der sozialen Rechtsgewährung befaßten Institutionen nicht, wie dies § 2 Abs 2 Halbsatz 2 SGB I fordert, sicherstellen, daß die sozialen Rechte weitgehend verwirklicht werden. Gerade dies ist aber unabdingbare Voraussetzung zum Funktionieren vor allem eines gegliederten sozialen Leistungssystems.
Durch diese Pflichtverletzung bei der noch festzustellenden Antragstellung könnte dem Ehemann der Klägerin zu 1. und damit im Hinblick auf die Hinterbliebenenansprüche auch den Klägern ein Schaden insoweit entstanden sein, als der Antrag auf freiwillige Unternehmerversicherung im Unfallzeitpunkt nicht formgerecht gestellt gewesen ist. Dieser Schaden wäre wesentlich durch die Pflichtverletzung bedingt. Der Ehemann der Klägerin zu 1. verunglückte innerhalb von zwei Monaten nach Aufnahme des Gewerbebetriebes. In dieser kurzen Zeit hätte er insbesondere nach den Umständen des vorliegenden Falles vor allem deshalb noch nicht feststellen können, daß ein Antrag auf freiwillige Unternehmerversicherung bei der Beklagten nicht formgerecht eingegangen war, weil nach den Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen über die Mitgliedschaft des Ehemannes der Klägerin zu 1. bei der zuständigen BG noch nicht entschieden war. Es kann deshalb dahinstehen, ob und ggf ab wann das Verhalten der Gemeinde hätte dadurch "unbeachtlich" geworden sein können, daß der Ehemann der Klägerin zu 1. selbst Möglichkeiten zur Aufklärung der nicht formgerechten Antragstellung grob fahrlässig nicht genutzt hätte (vgl ua BSGE 62, 96, 99; BSG SozR 1200 § 14 Nr 16; Gagel, AFG, Vorbem vor §§ 142 RdNr 225; Krasney BKK 1985, 380, 384). Damit wären die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches erfüllt, der ein schuldhaftes Verhalten nicht voraussetzt (s ua BSGE 49, 16, 77; 51, 89, 94; Brackmann aaO S 79 o II; Funk aaO S 33; Krasney aaO S 382).
Sonach ist es für die streitigen Ansprüche auf Hinterbliebenenrente entscheidungserheblich, ob der Ehemann der Klägerin zu 1. bei seiner Gewerbeanmeldung oder ggf anläßlich späterer Rückfragen bei der Stadt - sofern solche stattgefunden haben sollten - eindeutig und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht hatte, eine freiwillige Unternehmerversicherung abschließen zu wollen, und diese Willenserklärung als entsprechender Antrag gewertet werden kann. Diese Feststellungen wird das LSG noch zu treffen und auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Bundessozialgericht
2/9b RU 36/87
Fundstellen