Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Zahlung freiwilliger Beiträge. wesentliche Änderung der Verhältnisse. Erstattung. Herstellungsrecht. Anfechtung. Willenserklärung. Realakt. Inhaltsirrtum. Rechtsfolgeirrtum. Motivirrtum. freiwillige Versicherung. Verwaltungsakt. Gestaltungsrecht. Dispositionsrecht
Leitsatz (amtlich)
Die Zahlung freiwilliger Beiträge zur Rentenversicherung nach § 7 Abs 1 S 1 SGB 6 ist als Realakt nicht in entsprechender Anwendung des § 119 Abs 1, § 142 Abs 1 BGB anfechtbar.
Normenkette
SGB VI § 7 Abs. 1 S. 1; SGB IV § 26 Abs. 2; SGB X § 48 Abs. 1; BGB § 119 Abs. 1, § 142 Abs. 1; RV-BZV § 5
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. Februar 2003 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. September 2001 zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger einen Geldbetrag in Höhe der Summe erstatten muss, die er für die Zeiten vom 1. Januar 1994 bis zum 29. Februar 2000 als freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt hatte.
Der 1954 geborene Kläger war von 1969 bis Ende 1989 versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 2. Januar 1990 bis 30. Juni 1990 war er arbeitslos. Danach war er als Geschäftsführer einer GmbH selbständig erwerbstätig. Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtete er in dieser Zeit zunächst nicht. Nach einem Beratungsgespräch in der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Gießen ging am 27. Dezember 1993 bei der Hauptstelle der Beklagten in Berlin ein vom Kläger eigenhändig unterschriebener “Antrag auf Beitragszahlung zur Angestelltenversicherung für eine freiwillige Versicherung” ein, datiert vom 22. Dezember 1993. Darin kündigte der Kläger eine Beitragszahlung in Höhe des Mindestbeitrags an. Mit Bescheid vom 11. Januar 1994 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger berechtigt sei, freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten ab Januar 1994 in Höhe von 107,52 DM monatlich zu zahlen. Die Beiträge wurden entsprechend der erteilten Einziehungsermächtigung vom Bankkonto des Klägers bis einschließlich Februar 2000 abgebucht. Anlässlich eines weiteren Beratungsgesprächs am 29. Februar 2000 wurde dem Kläger von der Beklagten mitgeteilt, durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge könne kein Versicherungsschutz gegen Berufsunfähigkeit (BU) bzw Erwerbsunfähigkeit (EU) begründet werden. Der Kläger erklärte daraufhin zur Niederschrift, mit sofortiger Wirkung “storniere” er seine freiwillige Beitragszahlung. Zugleich beantragte er, ihm die seit 1994 entrichteten freiwilligen Beiträge zu erstatten. Er habe die Beiträge im Irrglauben gezahlt, er könne hiermit seinen BU/EU-Versicherungsschutz aufrechterhalten. Im Rahmen eines Beratungsgesprächs im Dezember 1993 sei ihm gesagt worden, er könne im Falle einer Entrichtung von mindestens 36 freiwilligen Beiträgen einen entsprechenden Versicherungsschutz wieder erlangen. Mit Bescheid vom 20. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2000 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rückzahlung der seit dem Jahre 1994 gezahlten freiwilligen Beiträge ab. Sie stellte dabei zugleich fest, dass der Berechtigung zur Entrichtung von freiwilligen Beiträgen mit einem Bescheid entsprochen worden sei. Das Sozialgericht (SG) wies die dagegen erhobene Klage ab, nachdem es zuvor die Ehefrau des Klägers und den vom Kläger benannten Beamten der Beklagten als Zeugen vernommen hatte. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch stehe dem Kläger nicht zu, da ein Beratungsfehler durch die Beklagte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellbar sei (Urteil vom 20. September 2001). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG und die vorgenannten Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, die vom Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 29. Februar 2000 gezahlten freiwilligen Beiträge zu erstatten (Urteil vom 21. Februar 2003).
Das LSG hat ausgeführt: Anspruchsgrundlage für den Erstattungsanspruch sei § 26 Abs 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Die Beiträge seien zu Unrecht entrichtet worden. Die Unrechtmäßigkeit der Beitragsentrichtung ergebe sich nicht bereits aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch; insoweit fehle es an dem erforderlichen Nachweis einer für die freiwillige Versicherung ursächlichen Falschberatung. Der Kläger habe jedoch das “Rechtsgeschäft der freiwilligen Versicherung” wirksam angefochten, sodass die der Beitragsentrichtung zu Grunde liegende Erklärung vom 22. Dezember 1993 nichtig geworden sei. § 119 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sei entsprechend auf den Fall der Entrichtung freiwilliger Beiträge im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung anwendbar. Der Kläger habe sich in einem Irrtum über den Erklärungsinhalt befunden, nämlich in einem beachtlichen Rechtsfolgeirrtum. Er habe sich über die unmittelbare Hauptwirkung seiner Erklärung geirrt, weil er mit der freiwilligen Versicherung die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes im Hinblick auf Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit angestrebt habe; diese Rechtsfolge sei angesichts der für die Zeit vom 1. Juli 1990 bis 31. Dezember 1993 bestehenden Versicherungslücke nicht erreichbar gewesen. Er habe sich also über die Rechtsfolgen der freiwilligen Versicherung geirrt.
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 119 Abs 1 BGB. Es liege kein eine Anfechtung rechtfertigender Irrtum über die Rechtsfolge vor. Das LSG habe den Begriff der Rechtsfolge zu weit interpretiert. Was Rechtsfolge sei, hänge vom Inhalt des jeweiligen Rechtsgeschäfts ab. Hier gehe es um das Recht, sich freiwillig in der Rentenversicherung zu versichern. Die Willenserklärung des Klägers vom 22. Dezember 1993 habe darauf abgezielt, künftig freiwillige Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen zu wollen. Es möge sein, dass der Kläger mit dieser Willenserklärung vorrangig die Vorstellung verbunden habe, seinen Schutz gegen etwa eintretende Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit abzusichern. Diese Vorstellung habe in der Tat nicht mit der objektiven Rechtslage übereingestimmt. Dabei habe es sich jedoch nur um eine bloße Nebenfolge bzw ein im Rahmen der Irrtumsanfechtung unbeachtliches Motiv der Beitragszahlung gehandelt. Auch aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ergebe sich, dass der vom Kläger behauptete Irrtum über die Aufrechterhaltung seines Erwerbsminderungsschutzes nicht zur Anfechtung berechtige. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob der Bescheid vom 11. Januar 1994 rechtsgestaltende Wirkung entfalte oder nur deklaratorisch die kraft Gesetzes vorgegebene Rechtslage festgestellt habe. Das Gesetz sehe einen rückwirkenden Widerruf eines die Beitragszahlung zulassenden Bescheides nicht vor.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. Februar 2003 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. September 2001 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger meint, das LSG habe zutreffend die Anfechtungsvorschriften des BGB lückenfüllend im Sozialrecht für entsprechend anwendbar gehalten. Es habe auch zu Recht festgestellt, dass er sich bei der Antragstellung in einem rechtserheblichen Irrtum über den Erklärungsinhalt befunden habe, denn er habe sich über die unmittelbare Hauptwirkung seiner Erklärung geirrt. Er habe Versicherungsschutz im Hinblick auf Erwerbsunfähigkeit bzw Berufsunfähigkeit anstreben wollen, dieses Ziel habe er aber mit der Zahlung von freiwilligen Beiträgen nicht erreichen können.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Das angefochtene Urteil des LSG verletzt Bundesrecht (§ 162 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) und ist deshalb aufzuheben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG ist zurückzuweisen. Das SG hat im Ergebnis zu Recht die zulässigen kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklagen des Klägers abgewiesen, denn dieser hat weder einen Anspruch auf Aufhebung des die Versicherungsberechtigung nach § 7 Abs 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) feststellenden Verwaltungsakts im Bescheid vom 11. Januar 1994 noch einen Anspruch auf (Rück-)Zahlung (Erstattung) der von ihm für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 29. Februar 2000 gezahlten freiwilligen Beiträge. Die negativen Entscheidungen der Beklagten über diese Ansprüche im Bescheid vom 20. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2000 sind rechtmäßig; sie verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
1. Streitgegenstand ist das prozessuale Begehren des Klägers (§ 123 SGG; dazu: BSG SozR 3-2200 § 1303 Nr 4 S 7; BSG SozR 3-1500 § 96 Nr 9 S 18 f), die Beklagte unter Ausräumung sämtlicher rechtlicher Hindernisse zu verurteilen, ihm den Wert seiner für die Zeiten vom 1. Januar 1994 bis zum 29. Februar 2000 als freiwillige Versicherung gezahlten Beiträge zur Rentenversicherung zu erstatten. Die Beklagte hat es in dem Bescheid vom 20. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. August 2000 auch sinngemäß abgelehnt, die bindende Feststellung vom 11. Januar 1994 aufzuheben. Der Kläger wendet sich deshalb mit seinen Anfechtungsklagen sowohl gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten, die bindende Feststellung über dessen Berechtigung, freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten zu zahlen, aufzuheben, als auch gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten, die seit dem Jahre 1994 gezahlten freiwilligen Beiträge zurück zu zahlen. Mit der Verpflichtungsklage begehrt er die Aufhebung der bindenden Feststellung seiner Berechtigung und mit der (echten) Leistungsklage die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Geldbetrages in Höhe der Summe, die er als freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 29. Februar 2000 gezahlt hatte.
2. Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage des Klägers (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), mit der dieser die Aufhebung der ablehnenden Entscheidung der Beklagten, die bindende Feststellung der Berechtigung, freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten zu zahlen, aufzuheben und die Verurteilung der Beklagten zur Aufhebung dieser bindenden Entscheidung begehrt, ist zulässig, aber unbegründet. Denn dem Kläger steht kein Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit zu. Dieser ergibt sich nicht aus § 48 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Durch die vom Kläger am 29. Februar 2000 erklärte Anfechtung ist keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, die die Beklagte verpflichten würde, die im Bescheid vom 11. Januar 1994 getroffene Feststellung der Berechtigung, freiwillige Beiträge zu zahlen, rückwirkend aufzuheben.
a) Nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB VI können sich Personen, die nicht versicherungspflichtig sind, für Zeiten von Vollendung des 16. Lebensjahres an freiwillig versichern. Nach den vom LSG getroffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen war der Kläger selbständig als Geschäftsführer einer GmbH tätig und damit nicht versicherungspflichtig iS der §§ 1 ff SGB VI. Ihm stand deshalb kraft Gesetzes das subjektiv-öffentliche Gestaltungsrecht zu, freiwillige Beiträge zu zahlen. Dieses hat zum alleinigen rechtlichen Inhalt die Rechtsmacht, Geld als wirksamen freiwilligen Beitrag zur Rentenversicherung zu zahlen, mit der Folge, dass der Rentenversicherungsträger es als wirksamen Beitrag entgegennehmen und beachten muss. Durch die Zahlung freiwilliger Beiträge hat der Kläger dieses Recht lediglich faktisch ausgeübt. Dieses Recht ist weder von einem Antrag noch einer Zulassung durch den Rentenversicherungsträger abhängig (vgl BSG SozR 2200 § 1233 Nr 22 S 26 f). Wird aber – wie hier – vom Rentenversicherungsträger die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB VI festgestellt, so handelt es sich dabei um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (vgl BSGE 11, 226, 228 f; Voelzke in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 3 Rentenversicherungsrecht, § 18 RdNr 36; Schmidt in Kreikebohm, SGB VI, 2. Aufl, § 7 RdNr 37; Klattenhoff in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 7 RdNr 11; Gürtner in Kasseler Kommentar, § 7 SGB VI RdNr 13). Dieser bleibt nach § 39 Abs 2 SGB X wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.
b) Dem Kläger steht ein Anspruch auf Aufhebung nach § 48 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 2 SGB X schon deshalb nicht zu, weil durch die von ihm am 29. Februar 2000 erklärte Stornierung/Anfechtung keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist. Eine “wesentliche Änderung” liegt vor, sobald die bisherige Regelung (§ 31 SGB X) auf Grund einer nach ihrer Bekanntgabe eingetretenen Änderung der Sach- und Rechtslage nicht mehr mit demselben Regelungsinhalt erlassen werden dürfte (vgl BSG SozR 3-2600 § 89 Nr 2 S 5). Die hier festgestellte Berechtigung, nach § 7 Abs 1 SGB VI freiwillige Beiträge zahlen zu dürfen, ist nicht rückwirkend (§ 142 Abs 1 BGB) durch die am 29. Februar 2000 erklärte Stornierung/Anfechtung des vermeintlichen “Antrags auf Beitragszahlung zur Angestelltenversicherung für eine freiwillige Versicherung” vom 22. Dezember 1993 entfallen. Das durch Gesetz eingeräumte subjektiv-öffentliche Gestaltungsrecht auf Zahlung freiwilliger Beiträge kann nur durch ein weiteres Gesetz aufgehoben werden. Es ist der Disposition sowohl des Versicherten als auch des Versicherungsträgers entzogen. Dieses Recht kann deshalb auch schlechthin nicht durch eine individuelle Erklärung des Berechtigten beseitigt werden. Demnach müsste auch nach der Stornierungs-/Anfechtungserklärung von der Beklagten dieselbe Feststellung getroffen werden.
3. Die Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), mit der der Kläger die Aufhebung der ablehnenden Entscheidung der Beklagten, die seit dem Jahre 1994 gezahlten freiwilligen Beiträge zurückzuzahlen, und die echte Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG), mit der der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Geldbetrages in Höhe der Summe, die er als freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 29. Februar 2000 gezahlt hatte, begehrt, sind zulässig, aber ebenfalls unbegründet.
a) Die Voraussetzungen der einzigen hier anwendbaren Anspruchsgrundlage für die Erstattung der gezahlten freiwilligen Beiträge, die des § 26 Abs 2 SGB IV als Spezialnorm des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs, sind nicht erfüllt; denn der Kläger hat die Beiträge nicht zu Unrecht, dh ohne Rechtsgrund, entrichtet. Rechtsgrundlage für die vom Kläger im Zeitraum 1. Januar 1994 bis 29. Februar 2000 gezahlten freiwilligen Beiträge war zum einen das Gesetz (§ 7 Abs 1 Satz 1 SGB VI), zum anderen der Verwaltungsakt vom 11. Januar 1994, der die Berechtigung des Klägers bindend festgestellt hat, freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten zahlen zu dürfen. Durch seine Stornierungs-/Anfechtungserklärung vom 29. Februar 2000 konnte der Kläger weder das Gesetz noch – wie bereits ausgeführt – den Verwaltungsakt beseitigen. Das Recht stand ihm also aus doppeltem Rechtsgrund endgültig zu.
b) Der Kläger kann auch nicht beanspruchen, so gestellt zu werden, als hätte er sein Recht zur freiwilligen Versicherung nicht ausgeübt.
aa) Ein diesbezüglicher Anspruch stand dem Kläger nicht unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsrechts zu. Dieses richterrechtlich aus den sozialen Rechten entwickelte verschuldensunabhängige sekundäre Recht knüpft ua an die Verletzung “behördlicher” Auskunfts-, Beratungs- und Betreuungspflichten im Sozialversicherungsverhältnis an (stellv zuletzt BSG Urteil vom 27. Juli 2003 – B 4 RA 13/03 R, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen mwN) und hat zur Folge, dass der Zustand wieder herzustellen ist, der (wahrscheinlich) bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger sich rechtmäßig verhalten hätte. Das LSG hat im vorliegenden Fall für den Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, es seien die Tatsachen nicht feststellbar, von denen abhänge, ob die Beklagte gegenüber dem Kläger eine Hinweis- oder Beratungspflicht verletzt habe. Diese bindende Feststellung des LSG führt nach materiellem Recht zu einer Entscheidung auf der Grundlage der objektiven Beweislast. Diese trägt für die Entstehungsvoraussetzungen eines Herstellungsrechts jeweils derjenige, der sich darauf beruft, hier also der Kläger.
bb) Ein Anspruch so gestellt zu werden, als hätte der Kläger sein Recht, freiwillige Beiträge zu zahlen, nicht ausgeübt, ergibt sich auch nicht aus einer vermeintlichen rückwirkenden Beseitigung (“Anfechtung”) der mit der Ausübung dieses Rechts verbundenen Handlungen.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl BSG Urteil vom 26. September 1972 – 11 RA 232/71, USK 72171; BSG Urteil vom 22. Mai 1974 – 12 RJ 8/74 = BSGE 37, 257, 260 = SozR 2200 § 1248 Nr 3 S 9 f; BSG Urteil vom 19. Juni 1979 – 5 RJ 128/78, rv 1979, 216; BSG Urteil vom 16. Dezember 1980 – 11 RA 128/79, DRV 1981, 253; BSG Urteil vom 22. März 1984 – 11 RA 9/83, DRV 1984, 610; BSG Urteil vom 16. November 1984 – 8 RK 2/84, SozR 7610 § 119 Nr 4 S 4; BSG Urteil vom 16. September 1998 – B 11 AL 17/98 R, SGb 1999, 251) können verwaltungsrechtliche Willenserklärungen und verwaltungsrechtliche rechtsgeschäftliche Handlungen uU angefochten werden. Voraussetzung für eine gesetzes- oder rechtsanaloge oder rechtsgrundsätzliche Anwendung des § 119 BGB ist aber stets, dass eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung eines Bürgers oder eine verwaltungsrechtliche rechtsgeschäftsähnliche Handlung vorliegen und öffentlich-rechtliche Regelungen konzeptwidrig (“planwidrig”) nicht vorhanden sind, in denen die Frage geregelt ist, ob und ggf mit welchen Rechtswirkungen wirksam abgegebene verwaltungsrechtliche Willenserklärungen oder verwaltungsrechtliche rechtsgeschäftliche Handlungen nachträglich mit “Rückwirkung” für unwirksam erklärt werden dürfen. Hierauf ist nicht weiter einzugehen, denn vorliegend hat der Kläger weder eine verwaltungsrechtliche Willenserklärung abgegeben noch eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung vorgenommen. Die Ausübung des (Gestaltungs-) Rechts, Geldbeträge als freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlen zu dürfen, geschieht durch den Realakt (Tathandlung) der Zahlung. Bei dem von der Beklagten irreführend “Antrag” genannten Vorgang handele es sich um eine bloße Anmeldung des Rechtsinhabers, er werde der Beklagten Geldbeträge als freiwillige Beiträge für einen bestimmten Zeitraum in einer bestimmten Höhe überweisen (vgl dazu § 5 der Verordnung über die Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung ≪RV-Beitragszahlungsverordnung – RV-BZV≫ vom 30. Oktober 1991 – BGBl I 2057). Diese Anmeldung hat reine Ordnungsfunktion. Sie ermöglicht dem Rentenversicherungsträger unter Mitwirkung des Berechtigten ein ordnungsgemäßes Beitragszahlverfahren durchzuführen (§ 5 Abs 1 Satz 2 RV-BZV). Der Rentenversicherungsträger wird durch die Anmeldung in die Lage versetzt, eingehende freiwillige Beiträge dem (richtigen) Versicherungskonto des Berechtigten zuzuordnen, insbesondere, wenn dieser – wie hier – auf Grund früherer Pflichtbeiträge als materiell Versicherter bereits Mitglied der BfA ist. In diesem Fall werden durch die Zahlung freiwilliger Beiträge die Rentenanwartschaften erhöht. Durch den Realakt der Zahlung wird jedoch keine Rechtsfolge auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts begründet, sondern nur eine kraft Gesetzes gegebene Rechtsmacht ausgeübt. Da keine verwaltungsrechtliche Willenserklärung oder verwaltungsrechtliche rechtsgeschäftliche Handlung des Klägers vorlag, konnte er diese auch nicht in analoger Anwendung der §§ 119 Abs 1, 142 Abs 1 BGB anfechten.
Im übrigen liegt auch kein zur Anfechtung berechtigender Irrtum und damit kein Anfechtungsgrund vor. Der Kläger befand sich nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht in einem rechtserheblichen Irrtum iS des § 119 Abs 1 BGB. Das LSG hat ausdrücklich festgestellt, dass der Kläger schriftlich erklärt hat, er wolle der Beklagten ab Januar 1994 freiwillige Beiträge in Höhe der Mindestbeiträge zahlen, und dass er dies wollte. Der Erklärungstatbestand entsprach demnach dem wirklichen Willen (vgl Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl, § 119 RdNr 10). Nach den Feststellungen des LSG liegen außerdem keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger das falsche Feld angekreuzt und einen “Antrag” auf eine Pflichtversicherung von selbständig Tätigen stellen, also sich dieser Pflichtversicherung unterwerfen wollte. Es lag auch kein seit der Rechtsprechung des Reichsgerichts als Irrtum über den Erklärungsinhalt (§ 119 Abs 1 Regelung 1 BGB) beachtlicher Irrtum über die Rechtsfolgen der Erklärung vor (dazu aus der zivilgerichtlichen Rechtsprechung: RGZ 134, 195, 197 f; BGHZ 134, 152, 156; BayObLG NJW 1988, 1270; BAG JZ 1991, 880). Dieser ist gegeben, wenn das Rechtsgeschäft infolge Verkennung seiner rechtlichen Bedeutung eine von der gewollten wesentlich verschiedene Rechtswirkung erzeugt, nicht aber, wenn ein irrtumsfrei erklärtes und gewolltes Rechtsgeschäft außer der erstrebten Wirkung noch andere nicht erkannte und nicht gewollte Nebenfolgen hervorbringt (so schon die Formel des Reichsgerichts; vgl etwa RGZ 134, 195, 197 f). Hier hat sich der Kläger nach den Feststellungen des LSG ausschließlich über die gesetzlichen Voraussetzungen eines Rechts auf Rente wegen Erwerbsminderung (vgl §§ 43 Abs 1 Nr 2, 44 Abs 1 Nr 2 SGB VI idF des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18. Dezember 1989 – BGBl I 2261) sowie über die durch das Gesetz an die Zahlung freiwilliger Beiträge geknüpften Rechtsfolge geirrt. Die Gründe für die Zahlung, insbesondere der damit verbundene Versicherungsschutz, mögen zwar für den Kläger subjektiv wesentliche Bedeutung gehabt haben. Bei einem Irrtum über den gesetzlichen Umfang des mit der Zahlung freiwilliger Beiträge erworbenen Versicherungsschutzes handelt es sich jedoch nur um einen unbeachtlichen reinen Rechtsirrtum bzw um einen unbeachtlichen Motivirrtum (vgl dazu auch: Palandt/Heinrichs, aaO, § 119 RdNr 11 ff, 29 f; Erman/Palm, BGB, 10. Aufl, § 119 RdNr 37; Kramer in Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl, § 119 RdNr 55 ff; Hefermehl in Soergel, BGB, 13. Aufl, § 119 RdNr 17 ff; aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG: BSG Urteil vom 19. Juni 1979 – 5 RJ 128/78, rv 1979, 216; BSG Urteil vom 16. Dezember 1980 – 11 RA 128/79, DRV 1981, 253; BSG Urteil vom 16. September 1998 – B 11 AL 17/98 R, SGb 1999, 251).
Auf die Revision der Beklagten ist mithin das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
SozR 4-2600 § 7, Nr. 1 |
ZfSSV 2007 |