Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsausgleich – Rückausgleich – keine Anwendung der Vierjahresfrist
Leitsatz (amtlich)
1. Ist wegen der Übertragung von „Rentenanwartschaften” im Versorgungsausgleich an den ausgleichsberechtigten Ehepartner die einem Versicherten zuerkannte Rente aufgrund der vorzunehmenden Kürzung der Entgeltpunkte mit einem niedrigeren Wert festgesetzt worden, so hat der Rentenversicherungsträger nach dem Tode des Ausgleichsberechtigten mit Beginn des Folgemonats eine neue Rentenhöchstwertfeststellung ohne Kürzung der Entgeltpunkte vorzunehmen, sofern der Ausgleichsberechtigte keine rentenversicherungsrechtlichen Leistungen erhalten hat.
2. Für die zurückliegende Zeit vom Rentenbeginn bis zum Todesmonat hat der Versicherte einen (Rück-)Ausgleichsanspruch in Höhe der Differenz zwischen festgesetztem (gekürztem) Rentenwert und dem Wert, der ohne Kürzung bestanden hätte.
3. Dem (Rück-)Ausgleichsanspruch kann nicht der Vierjahreseinwand des § 48 Abs 4 SGB 10 entgegengehalten werden.
Stand: 18. Februar 2002
Normenkette
SGB X § 48 Abs. 1, 4; VersorgAusglHärteG § 4 Abs. 1
Beteiligte
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte |
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. April 2000 wird zurückgewiesen. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 30. Juni 1999 wird wie folgt neu gefaßt:
„Die Aufhebung der bisherigen Höchstwertfestsetzung des Rechts auf Regelaltersrente für Bezugszeiten vor dem 1. März 1998 im Bescheid vom 28. Mai 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 1998 wird aufgehoben. Die Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger über den bisher zuerkannten Ausgleichsanspruch von 40.910,16 DM hinaus einen weiteren Betrag unter Berücksichtigung auch des Ausgleichszeitraumes vom 1. Oktober 1993 bis 31. Dezember 1993 zu zahlen.”
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist der Zeitpunkt, zu dem die Beklagte frühestens die bisherige Höchstwertfestsetzung des Rechts auf (Regel-)Altersrente (RAR) aufheben und einen neuen Höchstwert festsetzen durfte, sowie der Wert des Ausgleichsanspruchs streitig, der sich aus dem Rückausgleich der wegen eines Versorgungsausgleichs vorgenommenen Kürzung des Werts des Rechts auf Altersrente ergibt.
Die Ehe des am 21. September 1928 geborenen Versicherten war durch Urteil des Amtsgerichts (AG) M. vom 9. Mai 1985 rechtskräftig geschieden worden. In diesem Urteil hatte das AG zugleich vom Versicherungskonto des Klägers auf das Versicherungskonto der Ehefrau „Rentenanwartschaften” aus der Ehezeit vom 1. August 1956 bis 31. Januar 1985 in Höhe von „monatlich 526,45 DM” übertragen.
Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) erkannte dem Kläger ab 1. Oktober 1993 das Recht auf eine RAR zu (Bescheid vom 20. Juli 1993). Den monatlichen Wert des Rechts stellte sie mit 1.242,04 DM fest; hierbei berücksichtigte sie die rentenversicherungsrechtlichen Folgen des durchgeführten Versorgungsausgleichs durch entsprechende Kürzung der Entgeltpunkte wegen der übertragenen „Rentenanwartschaften”. Ferner erkannte sie dem Kläger das – hier nicht streitbefangene – Recht auf eine Zusatzleistung aus Höherversicherung zu, dessen Wert sie mit 214,86 DM feststellte.
Die frühere Ehefrau, die keine Rente und keine sonstige Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen hatte, starb am 15. Februar 1998. Der Kläger beantragte im März 1998, die wegen des Versorgungsausgleichs geminderte RAR ab Rentenbeginn (1. Oktober 1993) ungekürzt zu zahlen. Die Beklagte traf daraufhin im Bescheid vom 28. Mai 1998 folgende Regelungen:
„Ihre bisherige Regelaltersrente wird ab 01.01.94 neu berechnet.
Ab 01.07.98 werden monatlich 2.127,87 DM gezahlt.
Für die Zeit vom 01.01.94 bis 30.06.98 beträgt die Nachzahlung 40.910,16 DM.”
Der für die Zeit ab 1. Juli 1998 genannte Zahlungsbetrag setzte sich zusammen aus dem monatlichen Wert der RAR von 2.093,02 DM zuzüglich des Wertes der Zusatzleistung aus Höherversicherung von 214,86 DM, gemindert um die Beitragsanteile des Klägers zur Kranken- und Pflegeversicherung.
Den Widerspruch des Klägers, mit dem er die „Rückgängigmachung der Rentenkürzung” bereits ab 1. Oktober 1993 begehrte, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 10. September 1998); sie führte aus, in Anwendung des § 48 Abs 4 SGB X könne eine Neufeststellung nur rückwirkend für vier Jahre beansprucht werden. Das SG hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Oktober 1993 die ungeminderte Rente zu zahlen (Gerichtsbescheid vom 30. Juni 1999 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 21. Juli 1999). Zur Begründung ist ausgeführt worden, daß § 4 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) erkennbar den Zweck verfolge, den Rückausgleich von Anfang an durchzuführen; er gehe als Sondervorschrift dem § 48 SGB X vor.
Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 7. April 2000). Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, daß offenbleiben könne, ob § 4 VAHRG eine Sondervorschrift gegenüber § 48 SGB X sei. Gehe man hiervon aus, ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 4 VAHRG, daß die Versorgung für keinen Zeitraum aufgrund des Versorgungsausgleichs gekürzt werden dürfe. Sehe man mit dem 4. Senat des BSG (Urteil vom 14. Mai 1996 – 4 RA 22/95 –) § 48 Abs 1 SGB X als „Anspruchsgrundlage” an, ergebe sich schon aus der Systematik des § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X iVm § 44 Abs 4 aaO, daß die Vierjahresfrist nicht anwendbar sei. Denn das Recht auf Rückausgleich könne frühestens in dem Zeitpunkt beginnen, in dem der Ausgleichsverpflichtete den Rückausgleich erstmals verlangen könne. Aus den Motiven des „Gesetzgebers” zu § 48 Abs 4 SGB X ergebe sich nichts Abweichendes.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 4 VAHRG, 48 SGB X. Sie trägt vor, entgegen der Rechtsauffassung des 4. Senats im Urteil vom 14. Mai 1996 (4 RA 22/95, SozR 3-5795 § 4 Nr 6) greife vorliegend die Vierjahresfrist des § 48 Abs 4 SGB X. Es handele sich um eine materielle Ausschlußfrist, bei der es – anders als bei der Verjährung – nicht auf das Entstehen und Fälligwerden der Ansprüche ankomme, deren rückwirkende Befriedigung begehrt werde. Dies folge aus dem in Bezug genommenen § 44 Abs 4 SGB X, der die Berechnung des Vierjahreszeitraumes auf den Zeitpunkt der Rücknahme oder des Antrages auf Rücknahme beziehe. Die materielle Ausschlußfrist orientiere sich nicht an der Entstehung und dem Fälligwerden der einzelnen Ansprüche – insoweit abweichend von den §§ 45 Abs 1, 40 und 41 des SGB I –, sondern am zeitlichen Fixpunkt der Rücknahme oder des Antrags auf Rücknahme. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle diese materielle Ausschlußfrist generell sicherstellen, daß über den Zeitraum von vier Jahren hinaus rückwirkend keine Sozialleistungen erbracht werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. April 2000 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 30. Juni 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat keinen Sachantrag gestellt und sich nicht zur Revision der Beklagten geäußert.
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Gegenstand der revisionsgerichtlichen Überprüfung ist das Begehren der Beklagten, die vorinstanzlichen Entscheidungen aufzuheben, soweit diese den erhobenen Klagen stattgegeben haben. Der Kläger hat sich in der ersten Instanz gegen die Versagung eines „höheren” Ausgleichsanspruchs aus dem Rückausgleich nach § 4 Abs 1 VAHRG gewandt. Seine vor dem SG gestellten Sachanträge sind dahin auszulegen (§ 123 SGG), daß er die neue Rentenhöchstwertfeststellung für die Bezugszeiten vom 1. Januar 1994 bis zum 28. Februar 1998 und die Feststellung des Wertes des Ausgleichsanspruchs für diesen Zeitraum angefochten und insoweit die Verurteilung der BfA zur Zahlung eines höheren Ausgleichsbetrages beantragt hat. Dieses Begehren hat er vor dem SG mit einer Kombination von Anfechtungs- und (unechter) Leistungsklage verfolgt. Die Klagen sind zulässig und begründet.
1. Anfechtungs- und Leistungsklage sind zulässig.
Die Beklagte hat durch den Bescheid vom 28. Mai 1998 drei Verwaltungsakte (§ 31 SGB X) erlassen. Der erste Verfügungssatz, „Ihre bisherige Regelaltersrente wird ab 01.01.94 neu berechnet”, beinhaltet, daß die bisherige Rentenhöchstwertfeststellung im Bescheid vom 20. Juli 1993 mit Wirkung zum 1. Januar 1994 aufgehoben wurde. Mit der zweiten Regelung hat sie den Wert des Rechts auf RAR ab 1. Juli 1998 auf 2.093,02 DM neu festgestellt. Schließlich hat sie in einer dritten Regelung einen von ihr „Nachzahlung” genannten Zahlungsanspruch des Klägers festgestellt und dessen Höhe aus der Differenz der neu berechneten Rentenhöhe zur bisher in den Zeiten (nur) vom 1. Januar 1994 (aber) bis 30. Juni 1998 gezahlten Beträgen mit 40.910,16 DM festgesetzt.
Der Kläger hat sich nicht gegen die zweite Regelung gewandt, also nicht den ihn ausschließlich begünstigenden Verwaltungsakt angefochten, mit dem die Beklagte den Rentenwert ab 1. Juli 1998 neu festgestellt hat; er hat hierzu auch nicht gerügt, daß die BfA diese Feststellung – wie nachfolgend darzulegen ist – bereits ab 1. März 1998 hätte treffen müssen. Mit seinen Klagen wendete er sich allein gegen die erste Regelung, soweit die frühere Rentenwertfestsetzung für Zeiten vom 1. Januar 1994 bis zum 28. Februar 1998 aufgehoben wurde, ferner gegen die dritte Regelung, weil der in dem festgestellten „Nachzahlungsanspruch” enthaltene Ausgleichsanspruch für die Bezugszeiten vom 1. Oktober 1993 bis zum 28. Februar 1998 wegen Nichtberücksichtigung seines Verlustes aus dem letzten Viertel des Jahres 1993 zu niedrig festgesetzt war; hingegen ist der eigentliche Nachzahlungsanspruch für die Zeit vom 1. März bis zum 30. Juni 1998 richtig und unangefochten festgestellt worden.
a) Die Anfechtungsklage, mit welcher der Kläger die gerichtliche Aufhebung der Aufhebung der bisherigen Rentenhöchstwertfeststellung für Bezugszeiten ab 1. Januar 1994 bis Ende Februar 1998 begehrt, ist zulässig.
Der Kläger ist klagebefugt, dh formell beschwert (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG). Die von der Beklagten getroffene Regelung verletzt ua schon deshalb möglicherweise sein Recht auf richtige Festsetzung des Wertes seines Rechts auf RAR, weil die BfA die bisherige – bindend gewordene – Festsetzung des sich aus dem Gesetz ergebenden Höchstwertes seines subjektiven (Grund-)Rechts auf RAR für Bezugszeiten ab 1. Januar 1994 bis 28. Februar 1998 aufgehoben hat, ohne einen neuen Höchstwert festzusetzen.
b) Die außerdem vorliegende Kombination von Anfechtungs- und (unechter) Leistungsklage, mit welcher der Kläger begehrt, die angefochtene Festsetzung des Höchstwerts des (Rück-)Ausgleichsanspruchs aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, nach Festsetzung eines höheren Wertes wegen Berücksichtigung auch der Kürzungszeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1993 einen höheren Ausgleichsbetrag zu zahlen, ist zulässig.
Die Klagebefugnis für diese Anfechtungsklage folgt hier schon daraus, daß die Beklagte das Recht des Klägers auf Rückausgleich aus § 4 Abs 1 VAHRG verletzt haben könnte, indem sie den „Nachzahlungsbetrag” von 40.910,16 DM, soweit er auf dem Ausgleichsanspruch für die Verluste des Klägers aus dem rechtmäßig durchgeführten Versorgungsausgleich beruht (Bezugszeiten bis 28. Februar 1998), ohne Berücksichtigung seiner Verluste in der Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1993 feststellte. Zugleich konnte er seine Anfechtungsklage mit der sog unechten Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) verbinden, die – unter Konsumtion der nach materiellem Recht (§ 117 SGB VI) eigentlich erforderlichen Verpflichtungsklage – darauf zielte, die Beklagte zur Zahlung des entsprechenden höheren Ausgleichsbetrages zu verurteilen.
2. Die drei Klagen sind begründet.
a) Die Beklagte war nicht ermächtigt, die bisherige Rentenhöchstwertfeststellung für Bezugszeiten vor dem 1. März 1998 aufzuheben. Insoweit ist der Kläger in seinen Rechten verletzt („materiell beschwert”, § 54 Abs 2 Satz 1 SGG). Die Aufhebung der bindenden Rentenhöchstwertfeststellung ab 1. Januar 1994 verletzt den Kläger in seinem Recht auf „richtige Rentenfeststellung”.
Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung der bisherigen Rentenhöchstwertfeststellung ist § 48 Abs 1 SGB X. Wie der Senat entschieden hat (Urteil vom 14. Mai 1996, SozR 3-5795 § 4 Nr 6), handelt es sich bei der Regelung des sog Rückausgleichs in § 4 VAHRG – entgegen der Auffassung des SG – nicht um eine Sondervorschrift zu § 48 SGB X; denn § 4 VAHRG enthält ausschließlich materielles (Verwaltungs-)Recht. Durch eine gesetzliche Regelung rein materiell-rechtlicher Natur (im engeren Sinn) wird eine Ermächtigungsgrundlage zur Aufhebung bindender Verwaltungsakte nicht geschaffen; der (Fehl-)Schluß von einer gesetzlichen Pflicht eines Verwaltungsträgers, die für diesen – organisationsrechtlich – eine von ihm zu bewältigende Aufgabe ist, auf eine zu ihrer Verwirklichung angeblich erforderliche Befugnis ist auch im Sozialverwaltungsrecht schlechthin nicht erlaubt. Daher kann eine bloße materiell-rechtliche gesetzliche Regelung keine Eingriffsermächtigung geben und auch keine Ermächtigungsgrundlagen verdrängen (oder ggf eine fehlende Ermächtigungsgrundlage ersetzen).
Nach der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist (Satz 1). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit ua die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (Satz 2 Nr 1).
Für die im (Erst-)Bescheid vom 20. Juli 1993 getroffene und bindend gewordene Festsetzung des monatlichen Rentenhöchstwerts war ua wesentlich, daß infolge der Übertragung von „Rentenanwartschaften” auf das Versicherungskonto der geschiedenen Ehefrau der Rangstellenwert des Klägers um die abgezogenen Entgeltpunkte verringert worden war. Deshalb hatte sein Recht auf RAR, das ihm ab 1. Oktober 1993 zustand, einen entsprechend geringeren Geldwert (§ 64 SGB VI). Dies hat die BfA rechtmäßig durchgeführt. Die Rentenhöchstwertfestsetzungen für die Bezugszeiten vom 1. Oktober 1993 bis zum 28. Februar 1998 waren rechtmäßig.
Mit dem Tod der früheren Ehefrau am 15. Februar 1998 ist eine Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen eingetreten. Da sie keine rentenversicherungsrechtlichen Leistungen erhalten hatte, für deren Gewährung die im Versorgungsausgleich übertragenen Anwartschaften hätten bedeutsam sein können (vgl dazu Urteil des Senats vom 14. Mai 1996, SozR 3-5795 § 4 Nr 6), konnte der Kläger nunmehr beanspruchen, daß der Wert seines Rechts auf RAR nicht mehr aufgrund des Versorgungsausgleiches gekürzt werde. Er konnte seither, dh ab 1. März 1998, gemäß § 4 Abs 1 VAHRG die Aufhebung der bisherigen und – zukunftsgerichtet – eine neue Rentenhöchstwertfestsetzung beanspruchen; ferner entstand zu diesem Zeitpunkt ein Ausgleichsanspruch (Anspruch auf „Rückausgleich”), dessen Höhe sich aus den ihm wegen des Versorgungsausgleichs vom Rentenbeginn bis zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Anspruchs (hier: zum 1. März 1998) entgangenen Rentenbeträge ergibt. Hierzu ist im einzelnen auf folgendes hinzuweisen:
Eine Änderung in den wesentlichen Verhältnissen hat die Beklagte in jedem Fall, ausgehend vom „Erlaß” (genauer: Bekanntgabe) der Aufhebung, mit Wirkung für die Zukunft Rechnung zu tragen (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X). Zugunsten des Klägers soll eine solche Aufhebung rückwirkend frühestens ab Eintritt der wesentlichen Änderung erfolgen (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X). Die wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen ist – wie schon angesprochen – mit dem Tod der früheren Ehefrau am 15. Februar zum 1. März 1998 eingetreten; denn dieses Ereignis löste die Rechtsfolgen des § 4 Abs 1 VAHRG aus (vgl hierzu auch: Urteil des Senats vom 14. Mai 1996, SozR 3-5795 § 4 Nr 6). Schon deshalb konnte die Beklagte die bisherige Rentenhöchstwertfeststellung rückwirkend nicht schon ab 1. Januar 1994, sondern frühestens ab 15. Februar 1998, unter Beachtung des rentenversicherungsrechtlichen Monatsprinzips aber erst mit Wirkung ab 1. März 1998 aufheben. Von diesem Zeitpunkt an ist die bisherige Rentenwertfestsetzung rechtswidrig geworden, so daß nunmehr eine „wesentliche” Änderung iS von § 48 Abs 1 SGB X vorlag.
Es liegt hingegen keine der Fallgestaltungen vor, in denen eine tatsächliche Änderung denkbarerweise ihre rechtliche Wirkung (unter Rückbewirkung von Rechtsfolgen) ab einem Zeitpunkt vor ihrem Eintritt entfalten könnte; ob es solche „rückwirkenden Tatsachenänderungen” überhaupt gibt, kann auch hier offenbleiben (so schon Urteil des Senats vom 9. Juni 1988, SozR 2200 § 1255a Nr 19 ≪S 57≫). Denn § 4 Abs 1 VAHRG enthält nicht einmal eine Andeutung, daß die bisherigen Wertfestsetzungen rückwirkend rechtswidrig geworden seien. Vielmehr war der Versorgungsausgleich rechtmäßig durchgeführt. Als dessen Rechtsgrund und damit zugleich die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der wertmäßigen Kürzung des Grundrechts des Klägers auf RAR mit dem Tode der Versorgungsausgleichsberechtigten entfiel, mußte jetzt zukunftsgerichtet der verfassungsgemäße Zustand (nicht: wieder) hergestellt werden; der „Rückausgleich” hat nach § 4 Abs 1 VAHRG zum einen durch Aufhebung der bisherigen Rentenwertfestsetzung (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X) und durch die zukunftsgerichtete Neufeststellung des Rentenhöchstwertes sowie zum anderen durch eine einmalige Ausgleichszahlung zu erfolgen. Für deren Höhe ist die Differenz zwischen dem bisher festgestellten Rentenhöchstwert und dem fiktiven Rentenhöchstwert maßgeblich, der ohne den Versorgungsausgleich festzusetzen gewesen wäre; die Ermittlung der Summe dieser monatlichen Verlustbeträge ist lediglich die Berechnungsgröße für die Höhe des einmaligen Ausgleichsanspruchs. Es werden nicht etwa „Rentenleistungen” für die Vergangenheit erbracht. Die Aufhebung der Rentenhöchstwertfestsetzung für Bezugszeiten vom 1. Januar 1994 bis 28. Februar 1998 konnte daher keinen Bestand haben.
b) Der Kläger kann ferner die Festsetzung eines höheren Ausgleichsanspruchs und deshalb die Zahlung eines höheren Ausgleichsbetrages beanspruchen, als ihm von der Beklagten zuerkannt worden ist. Insoweit sind nämlich auch die Verluste aus den Rentenbezugszeiten vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1993 bei der Wertfestsetzung des Ausgleichsanspruchs zu berücksichtigen.
Die Anspruchsgrundlage hierfür ergibt sich aus § 4 Abs 1 VAHRG. Danach wird die Versorgung des Verpflichteten (hier: des Klägers) nicht aufgrund des Versorgungsausgleichs gekürzt, wenn – wie hier – ein Versorgungsausgleich nach § 1587b Abs 1 oder 2 BGB durchgeführt worden ist und der Berechtigte (hier: die frühere Ehefrau) vor seinem Tod keine Leistungen aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht erhalten hat. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger ist – frühestens ab Beginn des auf den Tod der Berechtigten folgenden Kalendermonats – so zu stellen, als sei der Versorgungsausgleich nicht durchgeführt worden.
Diese Norm gibt somit nicht nur ein Recht auf Aufhebung der bisherigen Wertfestsetzung und auf Neufeststellung des Rentenhöchstwerts ab Eintritt der wesentlichen Änderung (dazu oben unter a), sondern begründet auch die Pflicht des Rentenversicherungsträgers, jetzt den Verlust auszugleichen, den der Versorgungsausgleichsverpflichtete infolge des rechtmäßig durchgeführten Versorgungsausgleichs erlitten hat. Maßgeblich ist insoweit der Zeitraum vom festgesetzten Rentenbeginn (Urteil des Senats vom 14. Mai 1996, SozR 3-5795 § 4 Nr 6) bis zur Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs (hier: 1. März 1998). Der Kläger hatte somit materiell-rechtlich einen Ausgleichsanspruch für seine Vermögensverluste aus der Zeit vom 1. Oktober 1993 bis 28. Februar 1998. Im vorliegenden Fall mußte die BfA außerdem für die Zeiten vom 1. März bis zum 30. Juni 1998 die Differenzbeträge nachzahlen, weil sie den höheren Rentenwert – entgegen § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X iVm § 4 Abs 1 VAHRG – erst zum 1. Juli 1998 festgesetzt hatte; insoweit hat sie den – vom Ausgleichsanspruch zu unterscheidenden – Nachzahlungsanspruch bereits bindend anerkannt und erfüllt. Im wirtschaftlichen Ergebnis wird der Kläger hierdurch so gestellt, als hätte die Beklagte die neue Rentenhöchstwertfestsetzung zum 1. März 1998 in Kraft gesetzt.
Die Einbeziehung des gesamten Verlustzeitraumes bei der Festsetzung des Wertes des Ausgleichsanspruchs folgt nicht nur aus der fehlenden zeitlichen Einschränkung in § 4 Abs 1 VAHRG, sondern auch aus der Rechtsqualität dieses Anspruchs, insbesondere aus seiner verfassungsrechtlich gebotenen einfach-gesetzlichen Ausgestaltung.
Der Ausgleichsanspruch ist auf eine einmalige Leistung (Zahlung) gerichtet. Es geht nicht um in der Vergangenheit entstandene und fällig gewordene Einzelansprüche, deren „anteilige” Nichterfüllung durch eine Änderung iS des § 48 Abs 1 SGB X rechtswidrig geworden sein könnte. Eine solche Rechtsfolge hätte allenfalls eintreten können, wenn eine „Rückgängigmachung” des Versorgungsausgleichs auch durch eine rechtlich „rückwirkende” Rückübertragung der „Rentenanwartschaften” auf das Versicherungskonto des Ausgleichsverpflichteten (hier: des Klägers) und daher durch eine echt „rückwirkende” Begründung einer Rechtswidrigkeit der Durchführung des Versorgungsausgleichs vorzunehmen wäre. Eine solche „Rückübertragung” erfolgt aber gerade nicht (Urteil des Senats vom 14. Mai 1996, SozR 3-5795 § 4 Nr 6). Denn dann läge ein rechtswidriger Grundrechtseingriff vor, der die von der Beklagten gesetzte Rechtsfolge schlechthin nicht zuließe. Demzufolge sind die bis zum Tode der früheren Ehefrau im Februar 1998 entstandenen und fällig gewordenen monatlichen Ansprüche des Klägers mit ihrem rechtmäßigen Wert erfüllt worden. Um verfassungswidrige Härten im Versorgungsausgleich zu vermeiden, gebietet § 4 Abs 1 VAHRG, der insoweit die Rechtsprechung des BVerfG umsetzt (Urteil vom 28. Februar 1980, BVerfGE 53, 257 = SozR 7610 § 1587 Nr 1), den Ausgleichsverpflichteten jetzt so zu stellen, als sei eine Rentenkürzung wegen des Versorgungsausgleichs in der Vergangenheit nicht vorgenommen worden. Berechnungsgrundlage dieses Ausgleichsanspruchs ist ein Wertevergleich, dh die Werte der in der Vergangenheit entstandenen und fällig gewordenen monatlichen Ansprüche werden jeweils den Werten gegenübergestellt, die ohne die Kürzung bestanden hätten. Hierbei handelt es sich um eine bloße Berechnungsmethode, in der Rechnungsposten miteinander verglichen werden, nicht aber um eine Erfüllung von in der Vergangenheit gerade nicht entstandenen Ansprüchen oder um eine Umwandlung der früheren rechtmäßigen Wertfestsetzung in einen rechtswidrigen Eingriffsakt.
§ 4 Abs 1 VAHRG konkretisiert das verfassungsrechtliche Gebot eines wirtschaftlich vollständigen Rückausgleichs. Deshalb enthält das Gesetz keine zeitliche Einschränkung. Der Ausgleichsanspruch ist aufgrund der Verluste im gesamten Zeitraum vorzunehmen, in dem wegen des Versorgungsausgleichs eine niedrigere Rente zu zahlen war. Ansonsten verbliebe eine verfassungswidrige Härte (vgl BVerfG, Urteil vom 28. Februar 1980, aaO). Die Beklagte hat somit auch die Verluste aus den ersten drei Monaten des Rentenbewilligungszeitraumes, also aus der Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1993 bei der Festsetzung des Ausgleichsbetrages zu berücksichtigen.
c) Zu Unrecht hat sie ihre Weigerung auf § 48 Abs 4 Satz 1 Regelung 2 iVm § 44 Abs 4 SGB X gestützt. Dieser materiell-rechtliche Einwand ist von vornherein nicht einschlägig; denn der strittige einmalige Ausgleichsanspruch ergibt sich gerade nicht als Summe aus in der Vergangenheit wiederkehrend entstandenen und fällig gewordenen Einzelansprüchen, sondern ist originär gemäß § 4 Abs 1 VAHRG mit dem Tod der früheren Ehefrau entstanden und zum 1. März 1998 fällig geworden. Vor diesem Zeitpunkt gab es keinen wegen des Versorgungsausgleichs („anteilig”) nicht erfüllten Anspruch des Klägers, gegen den der „Vierjahreseinwand” überhaupt nur erhoben werden könnte.
Im übrigen hat der Senat bereits entschieden (Urteil vom 14. Mai 1996, SozR 3-5795 § 4 Nr 6), daß § 48 Abs 4 SGB X ua mit der Bezugnahme auf § 44 Abs 4 aaO eine Rechtsgrund–, nicht aber Rechtsfolgenverweisung verlautbart. Die Vierjahresfrist des § 44 Abs 4 SGB X knüpft zwar als Ausgangspunkt für die Berechnung des Zeitraumes an den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Rücknahme bzw des Antrags auf Rücknahme an; dies bedeutet jedoch nicht, daß alles, was rechtlich in der Vergangenheit in irgendeiner Weise von Bedeutung gewesen ist, nunmehr rechtlich unerheblich wird, sofern es zeitlich außerhalb des Vierjahreszeitraumes liegt. Vielmehr erschließen sich Sinn und Zweck des § 44 Abs 4 SGB X, was von der Beklagten außer acht gelassen wird, nur aus dem Zusammenhang mit dessen Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 1. Soweit nämlich „Sozialleistungen” zu Unrecht in der Vergangenheit nicht erbracht worden sind, sollen sie nur längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor Beginn des Jahres der Rücknahme bzw der Antragstellung erbracht werden. Das Gesetz definiert die rechtliche Bedeutung des Ausdrucks „Sozialleistungen” nicht. Dieser knüpft an die Umschreibung in § 11 Satz 1 SGB I an; danach sind Gegenstand der sozialen „Rechte” die in diesem Gesetzbuch vorgesehen (Sach-, Dienst- und) Geldleistungen (=Sozialleistungen). Nach § 2 Abs 1 aaO dienen der Erfüllung der in § 1 aaO genannten Aufgaben die nachstehend genannten sozialen Rechte (Satz 1). Aus ihnen können „Ansprüche” nur insoweit geltend gemacht oder hergeleitet werden, als deren Voraussetzungen und Inhalt durch Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches im einzelnen bestimmt sind (Satz 2). Im Rentenversicherungsrecht (vgl §§ 4, 23 SGB I) bedeutet dies, daß unter „Sozialleistungen” auch iS des § 44 SGB X die Zahlungen (Sach- und Dienstleistungen) zu verstehen sind, die zur Erfüllung der aus dem subjektiven Recht fließenden monatlichen Ansprüche „erbracht” werden. Die Ansprüche hierauf sind, obwohl sie in der Vergangenheit zu Unrecht nicht erfüllt worden und damit „Sozialleistungen” zu Unrecht nicht erbracht worden waren, vom Rentenversicherungsträger schlechthin nicht mehr zu erfüllen, und damit untergegangen, soweit sie außerhalb des Vierjahreszeitraumes liegen.
Auf § 48 SGB X übertragen bedeutet dies folgendes: Für die Vergangenheit kann der Bürger die Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte (und – nach entsprechender materieller Neufeststellung – die Erfüllung von Ansprüchen) ohnehin frühestens ab dem Zeitpunkt des Eintritts der wesentlichen Änderung verlangen. Nur wenn, ausgehend von diesem Zeitpunkt, die Aufhebungsentscheidung bzw der Antrag auf Aufhebung später als vier Jahre nach der Änderung ergeht bzw gestellt wird, kann der „Vier-Jahres-Einwand” des § 48 Abs 4 SGB X iVm § 44 Abs 4 aaO überhaupt rechtserheblich werden. Voraussetzung ist also, daß ab dem Zeitpunkt der Änderung „neue” Ansprüche entstanden und fällig geworden waren, deren Erfüllung noch aussteht.
Demzufolge ist § 48 SGB X für die Wertfeststellung des hier strittigen Ausgleichsanspruchs nicht einschlägig. Denn es geht nicht um die Erfüllung von in der Vergangenheit (ab Eintritt der Änderung) in einem Dauerrechtsverhältnis entstandenen und fällig gewordenen Rentenansprüche, sondern um einen mit der wesentlichen Änderung im Februar 1998 erstmals entstandenen einmaligen Ausgleichsanspruch. Für eine solche „Leistung” ist § 48 Abs 1 iVm Abs 4 SGB X ohne Bedeutung. Der Erfüllung eines solchen Zahlungsanspruchs kann nach geltendem Recht allenfalls die – hier ohnehin nicht erhobene – Einrede der Verjährung entgegengehalten werden.
Die Beklagte hat somit den Wert des Ausgleichsanspruchs unter Zugrundelegung auch der Verluste aus einem weiteren Ausgleichszeitraum, nämlich der Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1993, neu festzustellen und dem Kläger den entsprechenden Differenzbetrag zum bereits zuerkannten Ausgleichsbetrag auszuzahlen.
Die Revision der Beklagten konnte somit keinen Erfolg haben. Zur Klarstellung ist der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung neu gefaßt worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 670449 |
FamRZ 2002, 1186 |
FA 2002, 191 |
NZS 2002, 319 |
SozR 3-5795 § 4, Nr. 7 |