Entscheidungsstichwort (Thema)
Kontinuität der Versicherung
Leitsatz (amtlich)
Ein Antrag auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht als Student (§ 165 Abs 1 Nr 5 RVO) braucht nicht innerhalb von drei Monaten nach Beginn des Studiums gestellt zu werden, sondern ist auch noch in einem späteren Semester zulässig. Eine einmal erfolgte Befreiung ist unwiderruflich (§ 173d Abs 2 RVO).
Orientierungssatz
Entsprechend dem Wortlaut von § 306 Abs 4 RVO beginnt die Mitgliedschaft der Studenten jeweils neu "mit dem Semester" (frühestens mit der Einschreibung oder Rückmeldung). Hieraus ergibt sich zwingend, daß gemäß § 173d Abs 2 RVO in jedem Semester mit dem Beginn der neuen Mitgliedschaft auch eine neue Frist für einen Befreiungsantrag eröffnet wird. Das Bedürfnis nach Kontinuität der Versicherungsverhältnisse und die Unwiderruflichkeit des Befreiungsantrags stehen dieser Auslegung nicht entgegen.
Normenkette
RVO § 173d Abs 2 Fassung: 1975-06-24, § 306 Abs 4 Fassung: 1975-06-24; KVSMV § 1 Fassung: 1975-10-30; KVSMV Anl 1 Fassung: 1975-10-30; RVO § 165 Abs 1 Nr 5 Fassung: 1975-06-24
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Krankenversicherungspflicht der Studenten zu befreien ist.
Der Kläger war seit dem 1. März 1976 Student der Hochschule für Wirtschaft in B. Er hatte sich am 20 Februar 1976 eingeschrieben und das Studium bis einschließlich Sommersemester 1979 dort fortgesetzt. Letztmalig hat er sich am 21. März 1979 zurückgemeldet. Ab 1. Juli 1979 nahm er eine krankenversicherungspflichtige Beschäftigung als Angestellter auf.
Während seines Studiums wohnte der Kläger nicht am Studienort, sondern in S. Für S ist die beigeladene Allgemeine Ortskrankenkasse für den Kreis O örtlich zuständig.
Am 27. April 1977 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag, ihn gemäß § 173d der Reichsversicherungsordnung (RVO) von der Krankenversicherungspflicht als Student zu befreien. Zur Begründung legte er die Bescheinigung des Krankenversicherungsvereins aG D R H, vom 22. April 1977 vor, aus der sich ergab, daß für ihn bei diesem Versicherungsunternehmen vom 1. Januar 1976 an vertraglicher Versicherungsschutz besteht, der Leistungen vorsieht, die der Art nach den Leistungen der Krankenhilfe mit Ausnahme des Krankengeldes entsprechen.
Die Beklagte lehnte den Befreiungsantrag ab (Bescheid vom 16. Mai 1977), weil dieser nicht innerhalb von drei Monaten nach Beginn der Mitgliedschaft - nach Auffassung der Beklagten ist das der Studienbeginn - gestellt worden sei. Sie forderte alsdann von ihm Beiträge für die Zeit vom 1. März 1976 bis 31. August 1977 (Bescheid vom 24. Mai 1977). Der Widerspruch gegen beide vorgenannten Bescheide blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 1977).
Das Sozialgericht (SG) hat unter Abänderung der angefochtenen Bescheide festgestellt, daß der Kläger ab 1. Mai 1977 von der Krankenversicherungspflicht der Studenten befreit sei. Es hat die Auffassung vertreten, daß die Mitgliedschaft jedes Semesters neu beginne (§ 306 Abs 4 RVO) und daß deshalb auch in jedem Semester gem § 173d Abs 2 RVO eine neue Frist für den Befreiungsantrag eröffnet werde (Urteil des SG Stade vom 30. März 1978).
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt mit der Begründung, daß die Beklagte nicht die örtliche zuständige Kasse sei und deshalb über seine Versicherungspflicht nicht wirksam entscheiden könne. Die Beklagte hat Anschlußberufung eingelegt, mit der sie sich gegen die Auffassung wendet, daß die Antragsfrist jedes Semester neu eröffnet wird.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben, soweit sie die Versicherungs- und Beitragspflicht des Klägers in der Zeit vom 1. März 1976 bis 26. April 1977 betreffen, und im übrigen sowohl die Berufung als auch die Anschlußberufung zurückgewiesen (Urteil des LSG Niedersachsen vom 10. Oktober 1979). Es hat die Auffassung vertreten, daß der an die Beklagte gerichtete Antrag auf Befreiung von der Studentenkrankenversicherung zugleich einen nach § 257d Abs 2 Nr 1 RVO zulässigen und wirksamen Antrag enthalte, die Mitgliedschaft nunmehr bei der für den Sitz der Hochschule zuständigen Ortskrankenkasse durchzuführen. Daraus ergebe sich, daß die Beklagte für die Zeit ab 27. April 1977 die zuständige Kasse sei. Für die Zeit davor sei jedoch gem § 257d Abs 1 RVO die Beigeladene als die für den Wohnort zuständige Ortskrankenkasse allein zuständig gewesen, so daß die Entscheidungen der Beklagten, soweit sie diesen Zeitraum betreffen, unwirksam seien. Sie wurden insoweit aufgehoben.
Im übrigen hat das LSG die Auffassung vertreten, daß aus Gründen der Kontinuität der Versicherungsverhältnisse und zur Vermeidung unvertretbaren Verwaltungsaufwandes davon auszugehen sei, daß - ungeachtet der jeweils zu Semesterbeginn neu entstehenden Mitgliedschaft - die Antragsfrist bei einem kontinuierlich durchgeführten und versicherungspflichtigen Studium nur einmal zu Beginn des Studiums eröffnet werde.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, daß diese Auffassung mit dem Gesetz nicht vereinbar sei. Wenn § 306 Abs 4 RVO vorsehe, daß die Mitgliedschaft in jedem Semester mit der Einschreibung oder Rückmeldung neu beginne und § 173d Abs 2 die Antragsfrist mit dem Beginn der Mitgliedschaft beginnen lasse, so folge daraus zwingend, daß in jedem Semester erneut eine Frist für den Befreiungsantrag eröffnet werde. Dies ergebe sich auch aus § 1 der Verordnung über Inhalt, Form und Frist der Meldungen sowie das Meldeverfahren für die Krankenversicherung der Studenten (Meldeverordnung für die Krankenversicherung der Studenten) -KVSMV- vom 30. Oktober 1975 (BGBl I S 2709). § 1 KVSMV verpflichte die Hochschulen, die Studienbewerber und Studenten über die Krankenversicherung der Studenten zu unterrichten und sehe hierfür ein Merkblatt vor, in dessen Ziffer 5 es heißt:
"Wer einen Versicherungsvertrag mit einem Unternehmen der privaten
Krankenversicherung abgeschlossen hat, kann sich bis spätestens drei
Monate nach Beginn des Semesters - oder wenn er sich nach Beginn des
Semesters einschreibt oder rückmeldet - innerhalb von drei Monaten
nach der Einschreibung oder Rückmeldung - von der Versicherungspflicht
befreien lassen."
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Abänderung des Urteils des Landessozialgerichts die Bescheide
vom 16. Mai 1977 und 24. Mai 1977 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 1977 auch insoweit aufzuheben,
als Beiträge für die Zeit ab 1.5.1977 gefordert werden.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen
die Revision zurückzuweisen.
Sie beziehen sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) entschieden wird.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Bescheide der Beklagten sind, soweit sie die Zeit ab 1. Mai 1977 betreffen, aufzuheben, weil der Kläger am 17. April 1977 einen wirksamen Antrag auf Befreiung von der Krankenversicherung der Studenten gestellt hat.
Dem LSG ist allerdings insoweit zu folgen, als es die Beklagte für die jetzt noch streitige Zeit ab 1. Mai 1977 als die zuständige Kasse angesehen hat. Hierzu kann auf die Ausführungen des LSG verwiesen werden, zumal Einwendungen mit der Revision insoweit nicht geltend gemacht worden sind.
Dem LSG ist auch darin zu folgen, daß - entsprechend dem Wortlaut von § 306 Abs 4 RVO - die Mitgliedschaft des Studenten jeweils "mit dem Semester" (frühestens mit der Einschreibung oder Rückmeldung) neu beginnt. Auch insoweit bedarf es keiner weiteren Ausführungen.
Entgegen der Auffassung des LSG ergibt sich hieraus aber zwingend, daß gem § 173d Abs 2 RVO in jedem Semester mit dem Beginn der neuen Mitgliedschaft auch eine neue Frist für einen Befreiungsantrag eröffnet wird. § 173d Abs 2 RVO verweist ausdrücklich auf den Beginn der "Mitgliedschaft". Wann die Mitgliedschaft beginnt, ist in § 306 Abs 4 RVO geregelt. Dieser eindeutigen Rechtslage entspricht auch die Fassung von Ziffer 5 des Merkblatts zur Krankenversicherung der Studenten (Anlage 1 zur KVSMV).
Das Bedürfnis nach Kontinuität der Versicherungsverhältnisse und die Unwiderruflichkeit des Befreiungsantrags stehen dieser Auslegung nicht entgegen. Eine vom LSG insoweit angenommene unzumutbare Belastung der Verwaltung könnte allenfalls dann eintreten, wenn jeweils zu Semesterbeginn neue Befreiungsanträge zu stellen wären. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das LSG verkennt hier, daß die Befreiung nach § 173d RVO nicht lediglich eine Befreiung von der Mitgliedschaft, sondern eine Befreiung "von der Versicherungspflicht" (§ 173d Abs 1 RVO) zum Inhalt hat. Es hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Befreiung von der Versicherungspflicht regelmäßig auch für später begründete Mitgliedschaften gilt. So hat es zutreffend hervorgehoben, daß ein Wechsel des Beschäftigungsverhältnisses oder dessen wiederholte Begründung die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 173 oder § 173b RVO nicht berühren (vgl auch Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 62. Nachtrag, Anm 4b zu § 173 RVO, Seite 17/180). Das bedeutet, daß auch die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht der Studenten nach § 173d RVO zumindest dann uneingeschränkt fortwirkt, wenn, wie hier, das Studium ohne Unterbrechung fortgesetzt wird. Sie gilt dann für jede neubegründete Mitgliedschaft und bleibt bis zum Ende des Studiums unwiderruflich (§ 173d Abs 2 Satz 4 RVO).
Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß dem Studenten entgegen dem Gesetzeswortlaut nur einmal bei Studienbeginn die Möglichkeit eines Befreiungsantrags eröffnet wird; denn auch dann, wenn diese Antragsfrist mit jedem Semester bzw mit jeder Einschreibung oder Rückmeldung neu beginnt, bleibt die Kontinuität des Versicherungsschutzes gewahrt, weil auch dann nur ein einmaliger Wechsel von der gesetzlichen Krankenversicherung in die private Krankenversicherung möglich ist. Daß diese Regelung von der Gestaltung des Befreiungsrechts bei der überwiegenden Zahl von Befreiungsmöglichkeiten in der Krankenversicherung und der Rentenversicherung abweicht, stellt allein noch keinen Grund dar, dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 173d Abs 2 RVO nicht zu folgen, zumal keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß dieser Wortlaut nicht auch dem Willen des Gesetzgebers entspricht.
Da das Semester im März 1977 begonnen hat, hat der Kläger mit seinem Antrag vom 27. April 1977 die Antragsfrist gewahrt. Die Befreiung wirkt nach § 173d Abs 2 Satz 3 RVO vom Beginn des folgenden Monats an, hier also ab 1. Mai 1977. Die Beklagte konnte ihre ablehnende Entscheidung und ihren Anspruch auf Beiträge deshalb nicht darauf stützen, daß der Kläger seinen Befreiungsantrag verspätet und damit unwirksam gestellt habe. Das SG hat dementsprechend die Bescheide der Beklagten insoweit zurecht aufgehoben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1656452 |
BSGE, 150 |
Breith. 1982, 462 |