Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragspflicht einer vor Studienbeginn ausgeübten kurzfristigen Beschäftigung

 

Beteiligte

…, Kläger und Revisionsbeklagter

Betriebskrankenkasse der Firma Wegmann & Co GmbH, Kassel, August-Bode-Straße 1, Beklagte

1.Landesversicherungsanstalt Hessen, Frankfurt am Main 70, Städelstraße 28, 2.Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg 30, Regensburger Straße 104, Revisionsklägerin, 3…

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Die Beteiligten streiten über die Beitragspflicht einer vom Kläger vor Studienbeginn ausgeübten kurzfristigen Beschäftigung.

Der am 5. Juli 1960 geborene Kläger durchlief nach dem Abitur bei der Beigeladenen zu 3) eine dreijährige Berufsausbildung als Werkzeugmacher. Vor Ende der Ausbildung am 6. Juli 1884 hatte er sich bei der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze in Dortmund um die Zulassung zum Maschinenbaustudium beworben. Mit dem Erfolg dieser Bewerbung zum 1. Oktober 1984 war zu rechnen. Am Montag, dem 9. Juli 1984, schloß er mit der Beigeladenen zu 3) einen befristeten "Aushilfs-Arbeitsvertrag" für die Zeit vom 9. Juli bis 7. September 1984. Das dafür vereinbarte Stundenentgelt entsprach dem eines Facharbeiters. Zum 1. Oktober 1984 wurde er an der Universität/Gesamthochschule Paderborn als Student immatrikuliert. Mit Bescheid vom 17. Juli 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 1984 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht des Klägers in der Kranken- und Arbeiterrentenversicherung sowie seine Beitragspflicht zur Beigeladenen zu 2) für die am 9. Juli 1984 begonnene Aushilfsbeschäftigung mit der Begründung fest, diese werde zwar kurzfristig, aber berufsmäßig ausgeübt.

Die Klage ist erfolglos geblieben. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 9. November 1988 das sozialgerichtliche Urteil vom 23. Februar 1988 sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben, die Versicherungs- und Beitragsfreiheit des Klägers in der Zeit vom 9. Juli bis 7. September 1984 festgestellt und die Beklagte zur Erstattung der auf diesen Zeitraum entfallenen Arbeitnehmeranteile an den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen sowie zur Zahlung von 4 % Zinsen hieraus seit dem Entrichtungszeitpunkt, frühestens seit dem 1. September 1984 verurteilt. Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, die Aushilfsbeschäftigung des Klägers sei innerhalb eines Jahres auf weniger als zwei Monate begrenzt gewesen, die vorausgegangene Ausbildung müsse insoweit außer Betracht bleiben. Die Beschäftigung sei entgegen der Ansicht des Sozialgerichts nicht berufsmäßig ausgeübt worden, da beim Kläger besondere Umstände vorgelegen hätten. Bereits vor Beginn der befristeten Aushilfsbeschäftigung habe der Erfolg seiner Bewerbung um einen Studienplatz festgestanden. Diese Beschäftigung habe daher nur der Überbrückung einer Zeit zwischen abgeschlossener Berufsausbildung und Studienbeginn gedient. Daher sei der Kläger nicht anders zu behandeln als ein Abiturient, der in der Zeit zwischen Abitur und Studium eine kurzfristige entgeltliche Aushilfstätigkeit ausübe. Derartige Personen seien aber nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht berufsmäßig beschäftigt.

Gegen dieses Urteil hat nur die Beigeladene zu 2) die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 8 Abs 1 Nr 2 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV). Für die Beurteilung der Berufsmäßigkeit einer befristeten Beschäftigung seien aber auch vorausgegangene längerfristige Tätigkeiten - hier die Ausbildungszeit des Klägers - zu berücksichtigen. Etwas anderes gelte nur für aus dem Erwerbsleben ausgeschiedene Personen. Der Kläger sei erst seit der Aufnahme seines Studiums und nicht schon seit seiner Bewerbung um einen Studienplatz aus dem Erwerbsleben ausgeschieden.

Die Beigeladene zu 2) beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. November 1988, soweit es den Bescheid vom 17. Juli 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 1984 aufhebt und eine versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers in der Zeit vom 9. Juli bis 7. September 1984 nicht feststellt, sowie die Beklagte verurteilt, auch den eingezogenen Arbeitnehmerbeitragsanteil zur Bundesanstalt für Arbeit nebst anteiligen Zinsen zurückzuzahlen, aufzuheben und insoweit die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Februar 1988 zurückzuweisen.

Die übrigen Verfahrensbeteiligten haben keine (wirksamen) Anträge gestellt.

II

Die Revision der Beigeladenen zu 2) ist begründet. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind nur noch die Beitragspflicht des Klägers zu dieser Beigeladenen (der Bundesanstalt für Arbeit) in der Zeit vom 9. Juli bis 7. September 1984 sowie die entsprechenden Beitragserstattungs- und Zinsansprüche. Soweit das LSG die Versicherungsfreiheit des Klägers in der Kranken- und Arbeiterrentenversicherung festgestellt und die Beklagte zur Erstattung der entsprechenden Beitragsanteile verurteilt hat, ist das Urteil des LSG rechtskräftig, weil es weder von der Beklagten noch von der beigeladenen LVA mit der Revision angefochten worden ist.

Nach der Rechtsprechung des BSG durfte Anträge auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gemäß § 185a Abs 3 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in der bis Ende 1988 geltenden Fassung (aF) nur der Träger dieser Versicherung ablehnen. Die Zuständigkeit der Beklagten als Einzugsstelle beschränkte sich insoweit auf die Entscheidung über die Beitragspflicht nach Grund und Höhe (so Urteil des erkennenden Senats in BSGE 62, 281, 285 f = SozR 2200 § 385 Nr 18). Eine Entscheidung des zuständigen Arbeitsamtes über die Ablehnung der beantragten Beitragserstattung herbeizuführen erübrigte sich hier; denn die Beklagte hat zutreffend im angefochtenen Bescheid die Beitragspflicht des Klägers zur Beigeladenen zu 2) festgestellt. Dieser war während der umstrittenen Zeit nicht beitragsfrei in der Arbeitslosenversicherung.

Beitragsfrei in diesem Sinn waren damals ua Personen, die die Voraussetzungen für die Krankenversicherungsfreiheit deshalb erfüllten, weil sie nur eine geringfügige Beschäftigung ausübten (§§ 168 Abs 1 Satz 1, 169 Nr 1 AFG aF iVm § 168 Halbs 1 der Reichsversicherungsordnung [RVO], vgl ab 1. Januar 1989 § 7 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V). Eine Beschäftigung ist nach § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV (idF durch Art 2 § 9 Nr 1 des 21. Rentenanpassungsgesetzes - 21. RAG - vom 25. Juli 1978 - BGBl I 1089) als geringfügig einzustufen, wenn sie innerhalb eines Jahres seit ihrem Beginn auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eingenart begrenzt zu sein pflegt oder im voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, daß die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt die in Nr 1 genannten Grenzen übersteigt. Den Ausnahmetatbestand im letzten Teil dieser Vorschrift erfüllte der Kläger in der Zeit vom 9. Juli bis zum 7. September 1984, so daß er beitragspflichtig war (§ 168 Abs 1 Satz 1 AFG aF).

Der Kläger und die Beigeladene zu 3) haben nicht ab 9. Juli 1984 die vorangegangene versicherungspflichtige Beschäftigung während der betrieblichen Ausbildung fortgesetzt, sondern sind ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen. Dessen Beitragspflicht ist daher selbständig zu beurteilen. Sie war -  nach dem Wortlaut des § 8 Abs 2 Satz 1 SGB IV - nicht schon deshalb zu bejahen, weil beide Beschäftigungszeiten zusammenzurechnen waren. Die genannte Vorschrift schreibt das nur für mehrere iS ihres Abs 1 geringfügige Beschäftigungen vor. Ob in die Zusammenrechnung - entgegen dem Wortlaut des Gesetzes - eine frühere, länger andauernde Beschäftigung einzubeziehen ist (so Merten in GK-SGB IV, § 8 RdNr 59), kann hier unentschieden bleiben, weil die Beitragsfreiheit des Klägers schon im Hinblick auf den Ausnahmetatbestand in § 8 Abs 1 Nr 2 SGB IV zu verneinen ist.

Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung die Ausübung einer zeitlich befristeten Beschäftigung als berufsmäßig angesehen, wenn der Betreffende durch sie seinen Lebensunterhalt überwiegend oder doch in einem solchen Umfang erwirbt, daß seine wirtschaftliche Stellung zu einem erheblichen Teil auf der Beschäftigung beruht (vgl SozR Nr 11 zu § 1228 RVO; SozR 2200 § 168 Nr 3). Diese zu §§ 168 und 1228, jeweils Abs 2, RVO aF entwickelte Rechtsprechung hat auch nach dem Inkrafttreten des SGB IV am 1. Juli 1977 Gültigkeit behalten, weil das Begriffsmerkmal der Berufsmäßigkeit nach altem wie nach neuem Recht für den Fall einer seit ihrem Beginn befristeten Beschäftigung nicht verändert worden ist (so Urteil des Senats vom 11. Juni 1980 in SozR 2200 § 168 Nr 5).

Um beurteilen zu können, ob eine Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird, hat der Senat in früheren Entscheidungen auf die zeitliche Inanspruchnahme als wesentlichen Umstand abgestellt und bei einer laufend ausgeübten Beschäftigung, die mehr als 20 Stunden wöchentlich beansprucht, Berufsmäßigkeit angenommen. Diese Rechtsprechung betraf jedoch nur diejenigen Fälle, in denen es sich um geringfügig entlohnte, aber laufend oder in regelmäßiger Wiederkehr ausgeübte Beschäftigungen handelte (so Urteil vom 30. November 1978 in SozR 2200 § 168 Nr 3). Für derartige Fälle spielt das Merkmal der Berufsmäßigkeit seit Inkrafttreten des SGB IV ohnehin keine Rolle mehr (§ 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV). Darüberhinaus hat der Kläger eine vollschichtige, wenn auch auf knapp zwei Monate befristete Tätigkeit verrichtet. Aus der wöchentlichen Arbeitszeit lassen sich hier somit keine Rückschlüsse auf die Berufsmäßigkeit ziehen.

Die Fallgestaltung in diesem Rechtsstreit ist jeweils zT vergleichbar mit den Sachverhalten in den Urteilen des Senats vom 30. November 1978 und 11. Juni 1980 (aaO). Die erstgenannte Entscheidung betraf eine befristete Beschäftigung als Assessor bei einem Rechtsanwalt zwischen der mit der Großen juristischen Staatsprüfung abgeschlossenen Referendarausbildung und der Einstellung als Richter. Der Senat hat diese Tätigkeit als berufsmäßig ausgeübt angesehen, weil jener Assessor bis unmittelbar vor und unmittelbar nach dieser auf einen Monat befristeten Beschäftigung dem Grunde nach versicherungspflichtige Tätigkeiten iS der wesentlichen wirtschaftlichen Grundlage verrichtet habe. Er sei daher zwischenzeitlich nicht wie Personen beschäftigt gewesen, die, ohne zum Kreis der Erwerbstätigen zu gehören, nur gelegentlich eine vorübergehende Beschäftigung ausübten. Er könne nicht anders beurteilt werden, als ein Arbeitnehmer, der die Lücke zwischen zwei Arbeitsverhältnissen überbrücke und dadurch nicht seine Eigenschaft als berufsmäßiger Arbeitnehmer verliere.

In der späteren Entscheidung vom 11. Juni 1980 (aaO) hatte der Senat über die befristete Beschäftigung einer Klägerin zwischen deren Abitur und der beabsichtigten Aufnahme eines Studiums zu befinden. Er hat dabei ausgesprochen, eine erstmalige befristete Beschäftigung sei jedenfalls dann nicht berufsmäßig ausgeübt, wenn bei ihrer Aufnahme keine Anhaltspunkte dafür vorhanden seien, daß ihr innerhalb absehbarer Zeit eine weitere Beschäftigung folgen werde, wenn also die erste Beschäftigung eine vereinzelte Ausnahme bleibe. Als Schülerin habe jene Klägerin nicht zum Kreis der berufsmäßigen Arbeitnehmer gehört und sich nach dem Abitur um einen Studienplatz beworben.

Die tatsächlichen Verhältnisse im Rechtsstreit des Klägers enthalten Elemente aus beiden geschilderten Fällen. Mit dem ersten der beiden Fälle hat die Sachlage hier gemeinsam, daß sich die kurzfristige Beschäftigung an die vorangegangene Ausbildung schloß und daß sie voll entlohnt, also für den Beschäftigten von wesentlicher wirtschaftlicher Bedeutung war. Allerdings folgte ihr keine weitere Beschäftigung, sondern ein Studium, wie bei der späteren Entscheidung vom 11. Juni 1980 (aaO). In dem durch die erwähnten Urteile des Senats eingegrenzten Spannungsfeld der berufsmäßigen oder nicht berufsmäßigen befristeten Beschäftigung liegt der nunmehrige Sachverhalt näher bei demjenigen der ersten Entscheidung vom 30. November 1978 (aaO). Durch seine Ausbildung bei der Beigeladenen zu 3) hatte der Kläger die Eigenschaft eines berufsmäßigen Arbeitnehmers. Diese hat er durch die - nach Abschluß der Ausbildung höher bezahlte - Tätigkeit in dem erlernten Beruf nicht verloren. Zwar folgte dieser weder eine weitere Erwerbstätigkeit noch war wegen des Studiums eine solche innerhalb absehbarer Zeit zu erwarten, aber die vorangegangene versicherungspflichtige Ausbildung prägte auch die anschließende kurzfristige Erwerbstätigkeit. Seine Zugehörigkeit zum "Kreis der Erwerbstätigen" und die "Eigenschaft eines berufsmäßigen Arbeitnehmers" (Urteil vom 30. November 1978, aaO) hat der Kläger erst mit der Aufnahme seines Studiums verloren. Übt ein ausgebildeter Facharbeiter im Anschluß an die abgeschlossene Ausbildung seinen erlernten Beruf aus, und zwar bei voller Arbeitszeit und zum vollen Lohn, so arbeitet er berufsmäßig, unabhängig davon, ob er voraussichtlich danach ein Studium beginnt. Die Anknüpfung an die kurzfristige Beschäftigung zwischen Abitur und Aufnahme eines Studiums verbietet sich im Fall des Klägers auch deshalb, weil der Senat im Urteil vom 11. Juni 1980 (aaO) ausdrücklich auf die erstmalig ausgeübte Beschäftigung abgestellt hat, beim Kläger aber der kurzfristigen Beschäftigung eine betriebliche Ausbildung vorausgegangen war, die einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gleichsteht (§ 7 Abs 2 SGB IV).

Das Ergebnis, zu dem der Senat hier gelangt ist, steht nicht im Widerspruch zu seiner eigenen Entscheidung vom 26. September 1972 (SozR Nr 11 zu § 1228 RVO). Dort ist eine zeitlich eingeschränkte Beschäftigung, die sich nahtlos an eine Vollbeschäftigung angeschlossen hat, nicht als berufsmäßig ausgeübt angesehen worden. Im Gegensatz zu jener Versicherten hat der Kläger nicht während der befristeten Tätigkeit ein erheblich niedrigeres Arbeitsentgelt erhalten, als vorher während der länger andauernden ersten Beschäftigungszeit bei demselben Arbeitgeber. Sein Lohn überstieg vielmehr die Ausbildungsvergütung. Auch hat er nicht - wie die Versicherte im Urteil vom 26. September 1972 (aaO) - mit einer verringerten Stundenzahl gearbeitet. Außerdem hat der Kläger - anders als die seinerzeitige Klägerin (die vorgezogenes Altersruhegeld beantragt hatte) - mit der Aufnahme der Anschlußbeschäftigung am 9. Juli 1984 nicht sein endgültiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben vorbereitet. Diese wesentlichen Unterschiede in den Sachverhalten rechtfertigen es, die Berufsmäßigkeit der Beschäftigung hier anders zu beurteilen als in der zitierten früheren Entscheidung.

Der Kläger war somit während der Zeit vom 9. Juli bis zum 7. September 1984 beitragspflichtig in der Arbeitslosenversicherung, so daß das Urteil des LSG, soweit es von der Beigeladenen zu 2) mit der Revision angefochten worden ist, aufgehoben werden mußte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Haufe-Index 517801

BSGE, 256

BB 1992, 497

NZA 1992, 232

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