Leitsatz (amtlich)
AFG § 164 Abs 1 beeinflußt bei Arbeitern, deren Entgelt nicht nach Monaten bemessen wird, die Berechnung des Krankengeldes allein dahin, daß die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit (RVO § 182 Abs 5 S 4, sogenannter Zeitfaktor) vor Eintritt der Kurzarbeit zugrunde zu legen ist; hinsichtlich der Ermittlung des durchschnittlichen Stundenlohns (sogenannter Geldfaktor) ist RVO § 182 Abs 5 S 1 unverändert anzuwenden.
Normenkette
AFG § 164 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25; RVO § 182 Abs. 5 S. 4 Fassung: 1965-08-24, S. 1 Fassung: 1965-08-24
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1974 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 25. September 1973 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des gesamten Streitverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe des dem Kläger vom 8. Mai bis 23. Juli 1972 zustehenden Krankengeldes.
Der Kläger ist als Hauer im Ruhrkohlenbergbau beschäftigt. Auf seiner Zeche wurde in den ersten drei Monaten des Jahres 1972 kurzgearbeitet. Infolgedessen arbeitete der Kläger an jeweils zwei Tagen der Monate Januar und Februar sowie am 3. und 20. März 1972 nicht; als nächste und letzte Ausfallschicht war der 30. März 1972 vorgesehen. Am 27. März 1972 erkrankte der Kläger arbeitsunfähig. Nach Ablauf der Lohnfortzahlung gewährte ihm die beklagte Bundesknappschaft ab 8. Mai 1972 Krankengeld; der Berechnung legte sie das Entgelt (Regellohn) des Klägers aus dem Monat Dezember 1971 zugrunde. Hiergegen wandte sich der Kläger und bat, vom Entgelt des Monats Februar 1972 auszugehen.
Mit dem streitigen Bescheid vom 25. Januar 1973 und dem bestätigenden Widerspruchsbescheid vom 16. April 1973 lehnte dies die Beklagte ab: Nach § 164 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) werde das Krankengeld nach dem regelmäßigen Arbeitsentgelt berechnet, das zuletzt vor Eintritt des Arbeitsausfalls erzielt wurde.
Mit der hiergegen erhobenen Klage hatte der Kläger zwar vor dem Sozialgericht (SG), nicht aber in zweiter Instanz vor dem Landessozialgericht (LSG) Erfolg. Das LSG hat mit der angefochtenen Entscheidung vom 5. November 1974 das stattgebende Urteil des SG vom 25. September 1973 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Gericht ist der Auffassung, § 164 AFG finde nicht nur dann Anwendung, wenn die Arbeitsunfähigkeit an einem Arbeitsausfalltag eintrete; die Bestimmung gelte vielmehr für alle Versicherten, die in einer Zeit arbeitsunfähig erkranken, in der in ihrem Betrieb Kurzarbeitergeld (KUG) gewährt wird. Das Gesetz habe in Kauf genommen, daß sich durch die Anwendung des auszulegenden § 164 Abs. 1 AFG im Einzelfall ein geringeres Krankengeld ergebe.
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er trägt vor, es könne nicht Wille eines sozialen Schutz gewährenden Gesetzes sein, den im konkreten Fall günstigeren Berechnungsmodus des § 182 Abs. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu beseitigen. Im übrigen habe das LSG § 164 Abs. 3 AFG übersehen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1974 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 25. September 1973 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zugelassene Revision ist begründet.
Nach § 164 Abs. 1 AFG wird für Versicherte, die während des Bezuges von KUG arbeitsunfähig erkranken, das Krankengeld nach dem regelmäßigen Arbeitsentgelt berechnet, das zuletzt vor Eintritt des Arbeitsausfalles erzielt wurde (Regellohn, § 182 RVO). Offenkundiger Zweck dieser Bestimmung ist es zu verhindern, daß durch den Bezug von KUG eine Minderung des Krankengeldes eintritt. Ohne § 164 Abs. 1 AFG gälte für Arbeiter, deren Entgelt nicht nach Monaten bemessen wird, für die Berechnung des Krankengeldes uneingeschränkt § 182 Abs. 5 RVO. Diese Vorschrift ist auf den Kläger anwendbar, da er Arbeiter ist, dessen Lohn im Sinne des Satzes 1 aaO nicht nach Monaten, sondern nach im Gedinge verfahrenen Schichten bemessen wird (vgl. § 42 Abs. 3 Satz 1 des Manteltarifvertrages - MTV - für die Arbeiter des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaues vom 16. Oktober 1967 idF vom 29. April 1971). Nach § 182 Abs. 5 RVO liegt der Krankengeldberechnung ein Geldfaktor und ein Zeitfaktor zugrunde (vgl. dazu den erkennenden Senat in BSG 22, 205 und Entscheidung vom 27. Juni 1973 - 5 RKnU 17/72 -). Den Geldfaktor bildet nach Satz 1 aaO das im letzten abgerechneten Lohnabrechnungszeitraum, mindestens jedoch während der letzten abgerechneten vier Wochen vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit erzielte, auf die Arbeitsstunde entfallende Entgelt des Versicherten. Zeitfaktor ist nach Satz 3, 4 und 7 aaO der auf den Werk- oder Arbeitstag entfallende Teil der bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu leistenden regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden.
Ist nun bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit wegen einer im Beschäftigungsbetrieb angeordneten Kurzarbeit die Arbeitszeit allgemein vermindert, so beeinflußt dies nicht den an der Berechnung des Krankengeldes beteiligten Geldfaktor; die Höhe des auf die Arbeitsstunde entfallenden Entgeltes - der durchschnittliche Stundenlohn - wird von der Kurzarbeit nicht berührt. Dagegen kann die Kurzarbeit die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Betrieb, d. h. den Zeitfaktor verringern; dann verringert sich auch das Krankengeld (vgl. dazu das Gemeinsame Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 30. Juni 1969, Nr. 1 zu § 164 AFG, abgedruckt z. B. bei Hennig/Kühl/Heuer, Komm. zum AFG, Anm. 2 zu § 164).
§ 164 Abs. 1 AFG kann und will mithin sein Ziel, eine durch Kurzarbeit bedingte Minderung des Krankengeldes zu verhindern, allein dadurch erreichen, daß er auf den in § 182 Abs. 5 Satz 3, 4 und 7 geregelten Zeitfaktor Einfluß nimmt. Die Vorschrift ist hiernach dahin zu verstehen, daß für Bezieher von KUG von der regelmäßigen Arbeitszeit auszugehen ist, die sich im Beschäftigungsbetrieb vor Eintritt des durch Kurzarbeit bedingten Arbeitsausfalls aus dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses ergeben hat. Hinsichtlich des von der Kurzarbeit nicht berührten Geldfaktors bleibt es dagegen bei der Anwendung des § 182 Abs. 5 Satz 1 RVO (im Ergebnis ebenso der Bundesverband der Ortskrankenkassen und die Leistungsreferenten der Landesverbände der Ortskrankenkassen in DOK 1970, 336, 341 und Schmitz/Specke/Picard, Komm. zum AFG, Stand 1. Juni 1974, Anm. 2.1 bei § 164, S. 164-9 oben).
Nach alledem hätte die Beklagte dem Kläger das Krankengeld auch dann, wenn er - wovon sie ausgeht - am 27. März 1972 "während des Bezuges von KUG" im Sinne des § 164 Abs. 1 AFG arbeitsunfähig erkrankt sein sollte, aus dem Lohnfaktor des § 182 Abs. 5 Satz 1 RVO, im konkreten Falle, also aus dem Stundenlohn vom Februar 1972, errechnen müssen. Da sie dies nicht getan hat, hat sie das SG zu Recht unter Abänderung des streitigen Bescheides entsprechend verurteilt.
Auf die Revision des Klägers war daher das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Zugleich war gemäß § 193 des Sozialgerichtsgesetzes zu entscheiden, daß die Beklagte dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des gesamten Streitverfahrens zu erstatten hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1648759 |
BSGE, 90 |