Entscheidungsstichwort (Thema)
Witwenrente. Versorgungsabsicht zur Begründung einen Hinterbleibenversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung. gemeinsamer Nachname. Grenzen der freien Beweiswürdigung
Orientierungssatz
1. Das Tragen eines gemeinsamen Nachnamens kann ein gewichtiger Beweggrund der Eheleute für eine Heirat sein.
2. Die Grenzen der freien Beweiswürdigung sind nur dann überschritten, wenn sie gegen gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze, Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder wenn das Gericht das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend berücksichtigt (vgl BSG vom 7.2.2002 - B 7 AL 102/00 R = SozR 3-4100 § 128 Nr 15 und BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 7/08 R = SozR 4 5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 3).
Normenkette
SGB 6 § 46 Abs. 2a, 2 S. 1 Nr. 2; SGB 7 § 65 Abs. 6; SGG § 128 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Gewährung von Witwenrente nach dem am 9.8.2005 verstorbenen Versicherten G. S.
Der 1939 geborene Versicherte und die 1941 geborene Klägerin hatten am 6.10.2004 geheiratet; damals litt der Versicherte an einer chronischen Niereninsuffizienz, einem insulinpflichtigen Typ-2-Diabetes mellitus sowie an einer schwerwiegenden koronaren Herzerkrankung mit einer deutlichen Einschränkung der Pumpleistung des Herzens; seit 1999 hatte er einen Herzschrittmacher. Die Klägerin hat vorgetragen, sie sei seit 1968 mit ihrem Mann zusammen gewesen und habe mit ihm mehrere Gaststätten betrieben. 1976 hätten sie zusammen ein Haus gekauft, für das jedoch nur der Versicherte als Eigentümer eingetragen worden sei. In dem Haus sei sie seit 1992 gemeldet gewesen; sie habe mit ihm in einer eheähnlichen Gemeinschaft gelebt. Zunächst habe keine Veranlassung für eine Heirat bestanden, zumal in der DDR das Zusammenleben als unverheiratetes Paar kein Problem gewesen sei. Ausschlaggebend für den im Frühjahr 2004 gefassten Heiratsentschluss sei jedoch die Erfahrung gewesen, dass der fehlende gemeinsame Name bei den Gruppenbusreisen, an denen sie mehrfach teilgenommen hätten, Probleme gemacht habe. Beide hätten mit der Heirat im Wesentlichen einen gemeinsamen Nachnamen begründen wollen. Bis zu seinem Tod sei der Versicherte noch aktiv gewesen und habe noch selbst Auto gefahren; im Februar 2005 hätten beide eine Busreise nach Spanien unternommen, und im Juni 2005 seien sie noch in Österreich und Ungarn gewesen.
Nach der Einlieferung in ein Krankenhaus am 7.8.2005 verstarb der Versicherte am 9.8.2005 an den Folgen eines Multiorganversagens im Zusammenhang mit einer Sepsis. Hierbei handelte es sich nach ärztlicher Beurteilung um ein Akutereignis; die Todesfolge war bis 24 Stunden vorher nicht vorhersehbar. Im sozialgerichtlichen Verfahren hat die Klägerin angegeben, sie beziehe - ohne weitere Einkünfte - eine Altersrente in Höhe von ca 728 Euro monatlich; der Versicherte habe zuletzt eine Rente in Höhe von monatlich ca 977 Euro erhalten. Ein Testament sei nicht vorhanden; sie habe in Erbengemeinschaft mit den beiden Söhnen des Versicherten geerbt.
Den Antrag der Klägerin vom 16.8.2005 auf Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6.1.2006 und Widerspruchsbescheid vom 9.10.2006 ab, weil die Ehe entgegen den Anforderungen des § 46 Abs 2a des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) nicht ein Jahr gedauert habe und keine besonderen Umstände vorlägen, welche die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe widerlegten.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 5.7.2007 die Beklagte zur Gewährung von Witwenrente verurteilt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 17.7.2008 zurückgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, der nach § 46 Abs 2a SGB VI erforderliche Gegenbeweis sei erbracht. Mit der Heirat hätten die Klägerin und der Versicherte nicht den alleinigen oder überwiegenden Zweck verfolgt, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Der Senat sei davon überzeugt, dass die Klägerin bei Heirat keine Versorgungsabsichten gehabt habe und der Versicherte sie nicht ausschließlich aus dem Grund geheiratet habe, um zu ihren Gunsten einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Vielmehr sei die Absicht, einen gemeinsamen Ehenamen zu führen, als das Hauptmotiv der Eheschließung anzusehen; dieser Grund habe für die Klägerin und den Versicherten eine derartige Dominanz gehabt, dass deswegen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung kein Raum mehr für die Annahme einer überwiegenden Absicht bleibe, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Dies gelte auch für den Fall, dass der Versicherte mit der Heirat der Klägerin auch die Absicht verfolgt haben sollte, für sie einen Hinterbliebenenanspruch zu begründen. Aus den konkreten Umständen der Eheschließung ergebe sich nichts Gegenteiliges. Dies gelte insbesondere für die langjährige eheähnliche Beziehung und den Gesundheitszustand des Versicherten; insoweit spreche nichts dafür, dass jedenfalls die Klägerin mit einem alsbaldigen Versterben des Versicherten gerechnet und aus diesem Grund geheiratet habe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der Vorschriften des § 46 Abs 2a SGB VI und § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie würdigt das Gesamtergebnis des Verfahrens dahingehend, dass die Klägerin den Nachweis des Vorliegens "besonderer Umstände", die die Rechtsvermutung des § 46 Abs 2a SGB VI widerlegten, nicht erbracht habe. Es sei ausgesprochen unwahrscheinlich und widerspreche jeglicher Lebenserfahrung, dass das Hauptmotiv für eine Eheschließung nach einer dreieinhalb Jahrzehnte währenden Beziehung, in der die Notwendigkeit einer Eheschließung und des Tragens eines gemeinsamen Namens nicht gesehen worden sei, nunmehr der Wunsch gewesen sein solle, einen solchen zu führen. Auch stelle die Versorgung der Klägerin durch ihre Altersrente und ihren Erbanteil an Haus und Grundstück keinen "besonderen Umstand" iS des § 46 Abs 2a SGB VI dar. Heutzutage habe praktisch jede Frau im Alter von über 30 Jahren eine selbst erworbene Rentenanwartschaft. Würde man diese als "besonderen Umstand" ausreichen lassen, hätte dies zur Folge, dass die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe fast ausnahmslos widerlegt sei; aus dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Ausnahmefall würde also der Regelfall werden. Es handele sich insgesamt geradezu um den "klassischen" Fall einer Versorgungsehe. Jedenfalls sei es der Klägerin entgegen den Feststellungen der Vorinstanz nicht gelungen, den Nachweis zu erbringen, dass die Annahme nicht gerechtfertigt sei, dass der alleinige oder überwiegende Zweck ihrer Eheschließung mit dem Versicherten gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 17.7.2008 sowie das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5.7.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, dass bereits der plötzliche und unvorhersehbare Tod des Versicherten als besonderer, die Vermutung des § 46 Abs 2a SGB VI widerlegender Umstand anzusehen sei. Stelle man nicht bereits hierauf ab, sei davon auszugehen, dass der Heiratsentschluss auf der Motivation beruht habe, einen gemeinsamen Ehenamen zu führen. Dem widerspreche auch nicht die Multimorbidität des Versicherten, weil weder er noch sie von einem lebensbedrohlichen Gesundheitszustand ausgegangen seien.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet.
Der Klägerin steht der von den Vorinstanzen bereits zugesprochene Anspruch auf Witwenrente (konkret: große Witwenrente nach § 46 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI), beginnend am 1.9.2005 (§ 99 Abs 2 Satz 1 SGB VI) zu.
Der Leistungsausschlussgrund des § 46 Abs 2a SGB VI (hierzu im Einzelnen Senatsurteil vom 5.5.2009 - B 13 R 53/08 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) liegt bei der Klägerin nicht vor. Nach dieser Vorschrift haben zwar Witwen keinen Anspruch auf Witwenrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat (Regeltatbestand); die Klägerin erfüllt jedoch den Ausnahmetatbestand, "dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen".
Die tatsächlichen Feststellungen des LSG tragen seine entsprechende Schlussfolgerung; Rechtsfehler sind ihm nicht zur Last zu legen. Das LSG hat aufgrund der Beweisaufnahme, insbesondere auch der nicht nur erst-, sondern auch zweitinstanzlich durchgeführten persönlichen Anhörung der Klägerin festgestellt, dass bei ihrer Heirat mit dem Versicherten eben nicht allein oder überwiegend der Zweck verfolgt wurde, einen Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Im Vordergrund stand vielmehr der Wunsch beider, einen gemeinsamen Nachnamen zu tragen. Insbesondere hatte die Klägerin hiernach bei der Heirat keine Versorgungsabsichten; auch wenn für den Versicherten die Absicht der Begründung einer Hinterbliebenenversorgung zu Gunsten der Klägerin nicht auszuschließen ist, war doch auch für ihn das Tragen eines gemeinsamen Nachnamens ein gewichtiger Beweggrund für die Heirat. Insgesamt steht damit dieser für beide Eheleute wesentliche Beweggrund neben der allenfalls allein beim Versicherten zu unterstellenden Versorgungsabsicht und überwiegt diese. Diese Feststellungen sind für den Senat bindend, weil sie die Beklagte nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsgründen angegriffen hat (§ 163 SGG) .
Die Beklagte hat zwar versucht, umfangreich zu begründen, warum sie aufgrund der Umstände des Falles zu einer anderen rechtlichen Würdigung kommt. Hierin liegt jedoch keine schlüssige Verfahrensrüge, die nach § 164 Abs 2 SGG Voraussetzung einer entsprechenden revisionsgerichtlichen Prüfung ist. Angebliche Fehler der Beweiswürdigung begründen keinen von Amts wegen zu berücksichtigen Verfahrensmangel, der bis in die Revision fortwirkt. Nach der Vorschrift des § 128 Abs 1 SGG (freie Beweiswürdigung) entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dies schließt von vornherein aus, einen Verstoß gegen diese Bestimmung mit dem Vorwurf zu begründen, die Beweiswürdigung sei im Ergebnis unrichtig ausgefallen. Vielmehr sind die Grenzen der freien Beweiswürdigung nur dann überschritten, wenn sie gegen gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze, Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Gericht das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend berücksichtigt (stRspr, zB BSG vom 7.2.2002, SozR 3-4100 § 128 Nr 15; zuletzt BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 7/08 R, - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 3 RdNr 24, jeweils mwN) . Einen entsprechenden Vortrag enthält die Revisionsbegründung der Beklagten auch nicht ansatzweise.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2253226 |
NZA 2010, 326 |