Leitsatz (amtlich)
Wird ein Handwerksbetrieb zu einem handwerklichen Nebenbetrieb, so wird sein Inhaber nicht schon dadurch, sondern erst mit der entsprechenden Eintragung in die Handwerksrolle versicherungsfrei.
Normenkette
HwVG § 2 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1960-09-08
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 2. Februar 1965 und das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. Dezember 1965 werden aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger war als selbständiger Tischlermeister seit 1934 in die Handwerksrolle eingetragen; er unterhält einen Möbeleinzelhandel. Die Beklagte forderte ihn in den Jahren 1962 und 1963 mehrmals auf, Beiträge zu entrichten (Bescheide vom 20. März 1962, 15. Mai 1962, 9. September 1963; Widerspruchsbescheid vom 4. März 1964).
Demgegenüber machte der Kläger geltend, daß sein Einzelhandel seit Jahren seine Handwerkstätigkeit an wirtschaftlicher Bedeutung überwiege. Die Eintragung in der Handwerksrolle ist indessen erst während dieses Rechtsstreits - am 1. Februar 1965 - dahin geändert worden, daß es sich bei dem Tischlerhandwerk des Klägers um einen Nebenbetrieb handele.
Der Klage haben Sozialgericht (SG) und Landessozialgericht (LSG) stattgegeben. Sie haben der Eintragung über den handwerklichen Nebenbetrieb des Klägers rückwirkende Kraft beigemessen. Dazu entnehmen sie der Vorschrift über die Versicherungsfreiheit von Handwerkern im Nebenbetrieb (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Handwerkerversicherungsgesetzes - HwVG -), daß die obligatorische Versicherung der betreffenden Personen trotz Eintragung in die Handwerksrolle verhindert werden solle. Dieser gesetzgeberischen Absicht werde aber nur die Auffassung gerecht, daß die Versicherungsfreiheit in dem Augenblick eintrete, in dem das Handwerk effektiv nur nebenbetrieblich geführt werde.
Die Beklagte hat die - zugelassene - Revision eingelegt. Sie beantragt, die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie meint, die Eintragung in die Handwerksrolle wirke stets konstitutiv sowohl für das Versicherungsverhältnis als auch für die Versicherungsfreiheit des Handwerkers. Im einen wie im anderen Falle knüpfe das Gesetz die Rechtsfolgen allein daran, daß die versicherungsrechtlich relevante Tatsache "eingetragen" sei. Diese - der Rechtsklarheit und Praktikabilität dienende - Regelung dulde keine Ausnahme.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist begründet.
Die Beitragsforderung wird zu Recht für eine Zeit erhoben, in welcher der Kläger noch uneingeschränkt mit dem von ihm selbständig betriebenen Handwerk in der Handwerksrolle eingetragen war. An die Eintragung knüpft § 1 Abs. 1 Satz 1 HwVG die Pflicht zur Versicherung in der Rentenversicherung der Arbeiter. Da der Kläger erst später als Inhaber eines handwerklichen Nebenbetriebs in der Handwerksrolle ausgewiesen wurde, war er nicht schon vorher versicherungsfrei.
Nach § 1 Abs. 4 HwVG endet die Versicherungspflicht mit Ablauf des Monats, in dem ihre Voraussetzungen entfallen. Zu den Voraussetzungen gehört die Bekanntgabe in dem von der zuständigen Handwerkskammer geführten Verzeichnis. Die obligatorische Handwerkerversicherung wird nicht unmittelbar durch die für sie erheblichen Tatsachen, sondern durch die Eintragung in die Handwerksrolle ausgelöst, und zwar unabhängig davon, ob Registerinhalt und Sachverhalt miteinander übereinstimmen (BSG SozR Nr. 3 zu § 1 HwVG, Nr. 2 zu § 3 HwVG). Das folgt aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 HwVG, wonach Handwerker versichert werden, "die ... eingetragen sind". Im übrigen entspricht diese Auffassung der traditionellen Rechtsprechung (RVA AN 1941, 151) sowie der erklärten Absicht des Gesetzgebers (Bericht des Bundestagsausschusses für Sozialpolitik -Drucks. III/1379 Begründung zu § 1 und § 2 des Gesetzentwurfs: "Der Grund der Eintragung ... soll einer Nachprüfung nicht unterliegen". "... die Versicherungspflicht für die Handwerker an die Eintragung ... anschließt"). Die Versicherung dauert fort, solange die Eintragung des Handwerkers nicht gelöscht ist (Umkehrschluß aus § 1 Abs. 6 HwVG; ferner § 3 Abs. 1 HwVG; BSG 23, 163). Es ist unbeachtlich, daß der Handwerksbetrieb ruht, zu bestehen aufgehört hat, in einen Fabrik- oder Handelsbetrieb verwandelt worden ist oder - was dem Übergang in einen Nebenbetrieb am nächsten kommt - seine Selbständigkeit verloren hat. Folgt die Löschung in der Handwerksrolle der tatsächlichen Entwicklung nach, so kommt ihr keine rückwirkende Kraft zu. Das vertrüge sich nicht mit der rechtsgestaltenden Eigenart dieser Registrierung (vgl. Brandel, Deutsche Rentenversicherung - DRV - 1969, 142, 146; Eyermann/Fröhler, Handwerksordnung, Kommentar, 2. Aufl. 1967, Randnrn. 2 zu § 6 und 25 zu § 7). Damit stimmt überein, daß in § 1 Abs. 4 HwVG die Wirkung der Löschung auch in bezug auf das Versicherungsverhältnis nur für die Zukunft angeordnet ist.
Für den Wechsel von der Versicherungspflicht zur Versicherungsfreiheit nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 HwVG gilt nichts abweichendes. Wird ein Handwerksbetrieb zum Nebenbetrieb eines Gesamtunternehmens, dessen wirtschaftlicher Zweck im wesentlichen auf etwas anderes als auf die Ausübung des betreffenden Handwerks gerichtet ist, so bleibt sein Inhaber solange dem Versicherungsgebot unterworfen, wie die Tatsachenänderung nicht in der Handwerksrolle bekanntgegeben ist. Das ist einmal daraus zu entnehmen, daß hinsichtlich des Inhabers handwerklicher Nebenbetriebe § 2 Abs. 1 Nr. 1 HwVG das Erfordernis der Eintragung aufstellt. Zum anderen ergibt sich diese Rechtsfolge aus dem Ineinandergreifen der Vorschriften über das Ende der Versicherungspflicht (§ 1 Abs. 4 HwVG) und den Beginn der Versicherungsfreiheit (§ 2 Abs. 3 HwVG). Beide Zeitpunkte sind aufeinander abgestimmt. Die Freigabe des Handwerkers aus dem Versicherungszwang tritt entsprechend § 1 Abs. 4 HwVG mit dem Monatsersten ein, der auf den Kalendermonat folgt, in dem die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit erfüllt sind, also auch die Eintragung der Nebenbetriebseigenschaft vorgenommen ist. So wird eine Normenkollision vermieden, die sich ergäbe, wenn die Versicherungsfreiheit auf eine Zeit zurückzuverlegen wäre, in welcher andererseits die Eintragung, welche die Versicherungspflicht begründete, noch fortbestand. Die Rechtsgestaltung durch das Gesetz ist einheitlich von dem formellen Prinzip der Publizität durch die Handwerksrolle beherrscht. Dabei wird in Kauf genommen, daß die Beitragszahlung anfänglich später einsetzt und am Ende später aufhört, als durch die zugrunde liegende Sachlage an sich geboten wäre. Der Gesetzgeber hat dem Bestreben nach Rechtsklarheit und Vereinfachung der Rechtsanwendung den Vorzug vor einer dem tatsächlichen Geschehen genauer angepaßten Lösung gegeben. Er war sich wohl der Schwierigkeiten bewußt, die im Einzelfall auftreten, wenn bei Selbständigen die Gegebenheiten des versicherungs- und beitragsrechtlichen Grundtatbestandes, nämlich des Erwerbs der Unterhaltsmittel durch Arbeit aufzuklären sind. Diese Schwierigkeiten sind gewiß nicht geringer, wenn es darum geht, zu erkennen und klarzustellen, ob ein Handwerksbetrieb die Eigenschaften eines Nebenbetriebs besitzt. Auch für diesen Tatbestand ergab sich und besteht das Bedürfnis nach einem vereinfachten, leicht zu handhabenden Orientierungsmittel, so wie es sich in der Eintragung in die Handwerksrolle anbietet.
Der entgegenstehenden Ansicht des Berufungsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen. Das LSG mißt im Anschluß an Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band III, S. 786 b, der Eintragung des Klägers als Inhaber eines handwerklichen Nebenbetriebs rückwirkende Bedeutung bei. Die Versicherungsfreiheit soll danach durch die Änderung der Tatsachen, nämlich dadurch hervorgerufen worden sein, daß sich der Handwerksbetrieb zu einem Nebenbetrieb verwandelte. Für diese Ansicht wird ua angeführt, daß § 2 Abs. 1 Nr. 1 HwVG zur Erläuterung dessen, was handwerklicher Nebenbetrieb sei, auf § 2 Nrn. 2 und 3 und § 3 der Handwerksordnung (HwO) verweise. Mit dieser Verweisung soll den Versicherungsträgern die Aufgabe zur selbständigen Prüfung der rechtserheblichen Umstände auferlegt sein. Dieses Argument kann jedoch nicht als stichhaltig anerkannt werden. Mit der gleichen Berechtigung ließe sich eine solche Aufgabe der Versicherungsträger auch im Zusammenhang mit der Versicherungspflicht der Handwerker überhaupt dartun. Ordnet doch § 1 Abs. 1 Satz 1 HwVG die Versicherung nicht etwa für diejenigen an, die "als Handwerker" in der Rolle eingetragen sind, sondern erklärt ausdrücklich, daß "Handwerker, die ... eingetragen sind", versichert werden. Hätte man sich an diese Ausdrucksweise des Gesetzes zu halten, so dürfte sich der Versicherungsträger nicht allein auf die Aufzeichnung der Handwerksrolle verlassen, sondern hätte in jedem einzelnen Falle von sich aus zu untersuchen, ob die betreffende Person selbständiger Handwerker ist. Das wird aber nach einhelliger Meinung aus der Gesetzesfassung nicht gefolgert (BSG SozR Nr. 3 zu § 1 HwVG; Brackmann, aaO, S. 782 d, 783). Vielmehr geht man allgemein von der sog. Tatbestandswirkung der Eintragungen in die Handwerksrolle aus, also davon, daß die Verlautbarung dieses Registers als Voraussetzung für die Normverwirklichung genügt. So wenig wie die Normbeschreibung des HwVG an der einen Stelle einen zuverlässigen Hinweis für die dem Versicherungsträger obliegenden Tatsachenermittlungen gibt, so wenig ist davon an anderer Stelle auszugehen. - Eine weitere Überlegung geht dahin, der Vermerk in der Handwerksrolle, daß es sich um einen Nebenbetrieb handele, habe im Gegensatz zur Eintragung eines Handwerkers nur feststellenden, also keinen konstitutiven Charakter; infolgedessen trete die Registerbekundung nicht an die Stelle der wirklichen Gegebenheiten, sondern beziehe sich bloß darauf und damit auch auf ein vergangenes Geschehen (Brackmann aaO, S. 786 a; Brandel DRV 1969, 142, 148; aA Kommentar des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Band II, 6. Aufl., Anm. 3 zu § 2 HwVG; zwiespältig: Jorks, Handwerkerversicherungsgesetz 1962, Anm. 4 zu § 2). Diese Überlegung ist nicht überzeugend. Sie bedient sich des Zirkelschlusses, indem sie das Ziel der Antwort als Begründung verwendet. Denn daß die Eintragung des handwerklichen Nebenbetriebs nicht selbständig rechtserzeugend die Rechtsfolge der Versicherungsfreiheit herbeiführt, ist gerade darzutun. Indessen ließe sich dafür vielleicht eine unterschiedliche Regelung in der Verordnung (VO) über die Einrichtung der Handwerksrolle und den Wortlaut der Handwerkerkarte vom 16. März 1954 (BGBl I 38) anführen. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 7 dieser VO ist der Zeitpunkt der Eintragung in die Handwerksrolle zu vermerken. In bezug auf die Eintragung handwerklicher Nebenbetriebe (Nr. 8 der angeführten Vorschrift) ist für eine Datierung Gleiches - ausdrücklich - nicht vorgeschrieben. Ob es nicht dennoch auch dafür gilt (dazu: Eyermann/Fröhler, aaO, Rdnr. 3 zu § 6), mag auf sich beruhen. Jedenfalls ist dieser aus einer VO hergeleitete Gesichtspunkt nicht klar und tragfähig genug, um ein Auslegungsergebnis zu widerlegen, das aus dem Gesetz selbst - seinem Wortlaut und dem Zusammenspiel seiner Vorschriften (§ 1 Abs. 3 und 4 und § 2 Abs. 3 HwVG) - zu gewinnen ist. - Eine Stellungnahme zu der hier angeschnittenen Rechtsfrage ist des weiteren nicht aus der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Mitteilungen der Handwerkskammern aus der Handwerksrolle an die Landesversicherungsanstalten vom 3. April 1962 (Bundesanzeiger 1962 Nr. 69 vom 7. April 1962, S. 1) herauszulesen. In dieser, von dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung erlassenen Verwaltungsvorschrift heißt es, daß Eintragungen als Inhaber eines handwerklichen Nebenbetriebs den Landesversicherungsanstalten nicht mitzuteilen seien. Dazu besteht auch kein Anlaß, weil die betreffenden Personen kraft Gesetzes von der Versicherung ausgenommen sind. Anders ist jedoch die Rechtslage, wenn ein Handwerker einmal in die Pflichtversicherung einbezogen war und aus ihr ausscheidet. Alsdann kann es keinen Unterschied machen, ob er in der Handwerksrolle überhaupt zu löschen oder künftig als Inhaber eines handwerklichen Nebenbetriebs zu führen ist.
Schließlich kann der hier vertretenen Ansicht nicht mit den in BSG 24, 13; SozR Nr. 49 zu RVO § 1248 veröffentlichten Urteilen des Bundessozialgerichts begegnet werden. Im ersten Falle wurde erkannt, daß der Versicherungsträger es gegen sich gelten lassen müsse, wenn die Löschung eines Handwerkers in der Rolle rückwirkend berichtigt werde. Im anderen Falle wurde ausgeführt, eine rückbezügliche Löschung gelte rentenversicherungsrechtlich bis zu dem Zeitpunkt zurück, für den sie sich selbst Geltung beimesse. Beide Entscheidungen lassen es offen, ob eine rückwirkende Eintragung in die Handwerksrolle überhaupt zulässig ist. Sie halten sich streng an den Gedanken der Tatbestandswirkung, d.h. an die Maßgeblichkeit des Registerinhalts, und schränken diesen Gedanken nur dahin ein, daß der Versicherungsträger an die Eintragung nicht gebunden sei, wenn diese sich als nichtig erweise.
Von den angeführten Fällen unterscheidet sich die gegenwärtige Streitsache. Die Eintragung, die hier zu beurteilen ist, enthält sich des in die Vergangenheit reichenden Geltungswillens. Sie begnügt sich mit der Erklärung dessen, was vom Datum der Eintragung an wirklich ist. Vom Gedanken der Tatbestandswirkung aus, welcher auch der vorerwähnten Rechtsprechung zugrunde liegt, kann sich die Versicherungsfreiheit des Klägers nur für die Zukunft auswirken.
Hiernach sind die vorinstanzlichen Urteile, die mit diesem Ergebnis nicht übereinstimmen, aufzuheben; der Revision ist mit der auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes beruhenden Kostenentscheidung stattzugeben.
Fundstellen
Haufe-Index 1668887 |
BSGE, 263 |