Leitsatz (redaktionell)
Zur Frage, ob die in Berlin-West frühestens im Dezember 1952 zur LVA Berlin entrichteten Beiträge von den besonderen Vorschriften über die Anpassung der Berliner Beiträge an das System der neuen Rentenberechnung (RVO § 1255 nF) erfaßt werden.
Normenkette
ArVNG Art. 3 § 6 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1957-02-23, Art. 2 § 56 Buchst. d Fassung: 1960-02-25, § 58 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1960-02-25; FANG Art. 6 § 17 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1960-02-25; RVO § 1255 Abs. 5 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 24. Juni 1963 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß auch die Klage gegen den Bescheid vom 6. August 1962 abgewiesen wird.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Es war zu entscheiden, ob die Rente der Klägerin nach neuem Recht oder wegen in Berlin entrichteter Beiträge nach altem Recht zu berechnen und umzustellen ist (Art. 3 § 6 Abs. 3 Satz 1, Art. 2 §§ 56 ff des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG -, Art. 6 § 17 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes - FANG -).
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) sind für die Klägerin Pflichtbeiträge bis 1940 an die Landesversicherungsanstalt (LVA) Schlesien sowie 1949 und 1950 an die LVA Westfalen entrichtet. Als die Klägerin 1950 nach Berlin (West) übergesiedelt war, ließ sie sich dort am 17. Dezember 1952 eine Quittungskarte ausstellen. Sie entrichtete freiwillige Wochenbeiträge durch Kleben von Wochenmarken in diese Quittungskarte rückwirkend für die Zeit seit Oktober 1950.
Die Beklagte gewährt der Klägerin Rente wegen des am 7. Januar 1959 eingetretenen Versicherungsfalls der Berufsunfähigkeit (BU) (Bescheid vom 18. August 1959). Sie berechnete sie nach dem seit dem 1. Januar 1957 geltenden Recht auf monatlich 32,10 DM. 1962 wandelte sie die Rente in Altersruhegeld um und berechnete dieses ebenfalls nach neuem Recht auf monatlich 56,60 DM (Bescheid vom 6. August 1962).
Die Klägerin ist der Auffassung, ihre Rente sei nach dem bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Recht zu berechnen und nach dem ArVNG umzustellen. Sie meint, ihre in Berlin entrichteten Beiträge seien auf Grund des Rentenversicherungs-Überleitungsgesetzes vom 10. Juli 1952 (RVÜG) entrichtet; deshalb gelte Art. 3 § 6 Abs. 3 ArVNG, wonach die Rente bis zur Anpassung des RVÜG an die Vorschriften des ArVNG nach altem Recht zu berechnen und umzustellen sei.
Die Beklagte ist anderer Auffassung: nur die noch zur einheitlichen Rentenversicherung in Berlin entrichteten Beiträge fielen unter das RVÜG; bei den von der Klägerin in Berlin entrichteten Beiträgen handele es sich nicht um Einheitsbeiträge.
Klage und Berufung waren ohne Erfolg.
Das LSG Berlin hat u. a. ausgeführt (Urteil vom 24. Juni 1963): Für die Klägerin, die früher bei der LVA Schlesien versichert gewesen sei, gelte wegen der nach dem 17. Dezember 1952 an die LVA Berlin geleisteten Beiträge das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG) vom 7. August 1953 und die Reichsversicherungsordnung (RVO) (§ 1 Abs. 2 Nr. 1, § 2 FAG). Diese Vorschriften und nicht das RVÜG seien anzuwenden. Deshalb sei auch Art. 3 § 6 Abs. 3 ArVNG nicht anzuwenden. Das FANG sehe keine Sonderregelung für Fälle wie den der Klägerin vor. Art. 6 § 17 FANG führe nicht zum Ziele, denn die Vorschrift setze eine Berechnung der Rente nach dem RVÜG voraus. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat Revision eingelegt und sinngemäß beantragt, die Urteile des LSG und des Sozialgerichts (SG) aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihrer Bescheide vom 18. August 1959 und 6. August 1962 zu verurteilen, ihr unter Anwendung des Art. 3 § 6 Abs. 3 ArVNG höhere Rente und höheres Altersruhegeld zu gewähren.
Die Klägerin wiederholt ihre Rechtsauffassung. Sie bemängelt ferner die tatsächlichen Feststellungen des LSG. 1956 sei ihre Anwartschaft auf Rente nach altem Recht erhalten gewesen. Sie habe im Dezember 1956 sechzehn Beitragsmarken gekauft und diese der Sachbearbeiterin bei ihrem Arbeitgeberbetrieb zur Verwertung übergeben.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie führt aus: Zur Zeit des Versicherungsfalles der Klägerin sei das RVÜG bereits durch das FANG rückwirkend ab 1. Januar 1959 dem ArVNG angepaßt gewesen (Art. 2 §§ 56 ff ArVNG). Schon deshalb bestehe kein Anspruch auf Berechnung der Rente nach Art. 3 § 6 Abs. 3 ArVNG. Die Anrechnung der entrichteten freiwilligen Beiträge sei bereits durch § 1255 Abs. 5 RVO nF sichergestellt. Einer Anpassung dieser Beiträge habe es daher nicht bedurft. In Art. 2 §§ 57 und 58 ArVNG sei auch eine Anpassung dieser Beiträge nicht vorgesehen. § 57 aaO spreche nur von Beitragszeiten in der einheitlichen Rentenversicherung. Beiträge zur einheitlichen Rentenversicherung hätten aber längstens bis 31. August 1952 entrichtet werden können (§ 39 Abs. 2 RVÜG). Auch habe die einheitliche Rentenversicherung nur Monatsbeiträge gekannt, während die Klägerin Wochenbeiträge entrichtet habe. Art. 2 § 56 Buchst. d ArVNG könne sich höchstens auf bis zum 31. August 1952 geleistete Beiträge beziehen. Mit der Anpassung der RVÜG-Beiträge im Sinne von Art. 3 § 6 Abs. 3 ArVNG seien nur Beiträge zur einheitlichen Rentenversicherung gemeint. Solche habe die Klägerin nicht entrichtet. Die Rente könne auch nicht nach Art. 2 § 42 ArVNG berechnet werden, weil die Anwartschaft nicht erhalten gewesen sei. Für 1956 seien nur sechzehn Beitragswochen nachgewiesen.
II.
Die Revision ist statthaft, jedoch nicht begründet.
Die Klägerin zeigt mit ihrem Vorbringen über den Kauf von Beitragsmarken Ende 1956 keine Mängel im Verfahren des LSG durch ungenügende Sachaufklärung auf (§ 103 SGG); denn sie hat nicht dargetan, daß sie diese Tatsache bereits vor dem LSG vorgebracht hätte. Das LSG war daher nicht verpflichtet, näher nachzuforschen, ob die an der Anwartschaftserhaltung zum 31. Dezember 1956 fehlenden Beiträge etwa doch noch entrichtet worden seien (Art. 2 § 42 ArVNG). Die Klägerin hat somit in bezug auf die Feststellungen des LSG keine begründeten Revisionsgründe vorgebracht. Das Revisionsgericht ist daher an die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), die dahin gehen, daß nicht genügend Beiträge zur Erhaltung der Anwartschaft zum 31. Dezember 1956 entrichtet sind.
Dem LSG ist darin beizupflichten, daß die Rechtsauffassung der Beklagten dem Gesetz entspricht. Die Rente der Klägerin ist nicht gemäß Art. 3 § 6 Abs. 3 ArVNG nach altem Recht zu berechnen.
Der Anspruch auf Rente richtet sich grundsätzlich nach dem Recht, das zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalles gilt (Art. 2 § 5 ArVNG). Zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit am 7. Januar 1959 galten bereits die Vorschriften der RVO nF sowie die Vorschriften über die Anpassung der Berliner Rentenversicherung (Art. 2 §§ 56 ff ArVNG idF des FANG). Der vorliegende Fall wird von diesen besonderen Anpassungsvorschriften nicht erfaßt.
Die Klägerin hat die frühestens im Dezember 1952 entrichteten freiwilligen Beiträge, auf die es hier ankommt, zur Rentenversicherung der LVA Berlin (Invalidenversicherung) entrichtet (Art. 2 § 56 Buchst. d ArVNG). Diese Beiträge konnten schon ohne besondere Anpassungsvorschriften für die Berliner Versicherungen nach dem System der Rentenberechnung der RVO nF angerechnet werden. Keine der einzelnen Anpassungsvorschriften in Art. 2 §§ 57 ff ArVNG erfaßt die seit 17. Dezember 1952 entrichteten Beiträge:
Art. 2 § 57 ArVNG bezieht sich nur auf Beiträge, die in Berlin zur einheitlichen Sozialversicherung (Art. 2 § 56 Buchst. a und b ArVNG) und zur einheitlichen Rentenversicherung (Art. 2 § 56 Buchst. c ArVNG) entrichtet sind.
Art. 2 § 58 Abs. 1 ArVNG betrifft nur Beiträge, die vom 1. Juli 1945 bis 31. Dezember 1950 entrichtet sind (Art. 2 § 56 Buchst. a und b ArVNG).
Art. 2 § 58 Abs. 2 Satz 1 ArVNG schreibt die Bewertung von Berliner Beiträgen nach dem Angestelltenversicherungsgesetz, also nach Monatstabellen, vor. Diese Anpassung hat nur ... Sinn für Beiträge, die in Berlin als Monatsbeiträge zu entrichten waren (siehe die Satzung der Versicherungsanstalt Berlin vom 3.12.1950, Teil II, VOBl I 585). Nach dem RVÜG wurden aber ab 1. September 1952 (§§ 38, 39, 40 RVÜG) freiwillige Beiträge zur Invalidenversicherung wieder in Wochenmarken wie im Bundesgebiet entrichtet. Solche Beiträge, wie sie auch die Klägerin entrichtet hat, fallen daher nicht unter Art. 2 § 58 Abs. 2 Satz 1 ArVNG. Die übrigen Bestimmungen des Art. 2 § 58 Abs. 2 ArVNG betreffen ebenfalls nur Beiträge, die zu anderen Zeiten entrichtet sind als die der Klägerin.
Art. 2 §§ 59 und 60 ArVNG regeln Sonderfälle, in denen in Berlin abweichend vom Recht im Bundesgebiet Renten gezahlt und andere Zeiten angerechnet wurden.
Daß die Beiträge der Klägerin nicht mehr nach dem vom Bundesrecht abweichenden - anpassungsbedürftigen - Berliner Sonderrecht entrichtet sind, zeigen auch die einzelnen Überleitungsvorschriften des RVÜG:
Als die Klägerin die Quittungskarte Nr. 1 in Berlin am 17. Dezember 1952 ausstellen ließ, war das Recht der Berliner Rentenversicherung bereits durch das RVÜG an das Bundesrecht angeglichen. Das RVÜG stellt in § 1 den Grundsatz a. f, daß die Rentenversicherung in Berlin (West) vom 1. April 1952 an getrennt nach Invalidenversicherung und Angestelltenversicherung nach den in der Bundesrepublik geltenden Vorschriften durchgeführt wird und daß die Vorschriften der RVO über die Rentenversicherung (idF der Ersten Vereinfachungsverordnung vom 17.3.1945) anzuwenden sind, soweit das RVÜG nicht etwas anderes vorschreibt. Dies bedeutet, daß in der Rentenversicherung in Berlin, abgesehen von abweichenden Sondervorschriften des RVÜG, die RVO angewandt wird. Das RVÜG bildet insofern nur die gesetzliche Grundlage für die Anwendung des Rechts der RVO in Berlin (vgl. BSG 13, 196).
In § 38 Abs. 2 und 3 RVÜG sind für die Zeit nach Ablauf des auf die Verkündung des Gesetzes folgenden Monats - das ist ab 1. September 1952 - die gleichen Beitragsklassen wie in § 1387 RVO aF gebildet und die Höhe der Beiträge wie in § 1390 RVO aF festgesetzt. Nach § 40 Abs. 2 RVÜG sind Beiträge für freiwillig Weiterversicherte durch Einkleben von Marken in Quittungskarten zu entrichten, und es sind die im Bundesgebiet geltenden Marken zu verwenden; dies entspricht inhaltlich § 1413 Abs. 1 RVO aF.
Die Klägerin konnte sonach seit 1. September 1952 freiwillige Beiträge in Berlin nur durch Einkleben von Marken in die Quittungskarte - und zwar von Wochenmarken wie im Bundesgebiet-entrichten. Dies kann hier erst nach Ausstellung der Quittungskarte, also frühestens am 17. Dezember 1952 geschehen sein. Zu dieser Zeit bestand aber nur die gemäß § 2 RVÜG errichtete LVA Berlin. Die seit 1. September 1952 entrichteten Beiträge stimmen in vollem Umfang mit den im Bundesgebiet zu entrichtenden überein (§§ 39, 40 Abs. 2 RVÜG; Bekanntmachung über Beitragsmarken der LVA Berlin vom 1. September 1952, Amtsbl. 1952, 829). Sie können deshalb ohne besondere Anpassungsvorschriften nach § 1255 RVO nF bewertet werden. Die besondere Gleichstellung der zur LVA Berlin ab 1. April 1952 entrichteten Beiträge mit denen im Bundesgebiet (Art. 2 § 56 Buchst. d ArVNG) kann sonach für die Rentenberechnung nach § 1255 RVO nF nur für die bis 31. August 1952 (s. § 38 Abs. 2, § 39 Abs. 2 RVÜG) entrichteten Beiträge Bedeutung haben.
Daß die Beiträge für zurückliegende Zeiten in den Jahren 1950/51 bestimmt sind, macht diese Zeiten nicht zu Beitragszeiten in der einheitlichen Sozialversicherung oder in der einheitlichen Rentenversicherung der Versicherungsanstalt Berlin (VAB); denn gemäß § 2 i. V. m. § 54 RVÜG war bereits mit Wirkung vom 1. April 1952 an Stelle der Berliner Versicherungen die Landesversicherungsanstalt Berlin getreten.
Art. 6 § 17 Abs. 1 Satz 2 FANG, wonach Renten, die nach Art. 3 § 6 ArVNG berechnet worden sind, nach neuem Recht unter Berücksichtigung des Art. 2 §§ 56 bis 61 ArVNG neu zu berechnen sind, greift nicht ein; denn Art. 3 § 6 Abs. 3 ArVNG war bei der Berechnung der Rente der Klägerin schon deshalb nicht anzuwenden, weil sie keine Beiträge zu den früheren Versicherungsanstalten entrichtet hat, die vor Errichtung der LVA Berlin in Berlin bestanden haben.
Welche Renten in Art. 3 § 6 Abs. 3 Satz 1 ArVNG idF vom 23. Februar 1957 mit den Worten: "Renten, auf die das RVÜG anzuwenden ist", gemeint sind, läßt sich jetzt aus den 1960 durch das FANG eingefügten §§ 56 ff des Art. 2 ArVNG ohne weiteres entnehmen; denn dies sind die Vorschriften, bis zu deren Erlaß "die Renten, auf die das RVÜG anzuwenden war", vorläufig gemäß Art. 3 § 6 Abs. 3 Satz 1 ArVNG zu berechnen waren. Es handelt sich dabei nur um die Renten, bei denen Beiträge anzurechnen sind, die zu den vom Bundesrecht abweichenden früheren Berliner Versicherungen entrichtet sind - abgesehen von den hier nicht in Frage kommenden Fällen des Art. 2 §§ 59, 60 ArVNG. Diese Beiträge konnten wegen der Abweichungen vom Bundesrecht nicht nach § 1255 RVO nF bewertet werden.
Die Auffassung der Klägerin, ihre Rente sei gemäß Art. 3 § 6 Abs. 3 ArVNG nach altem Recht zu berechnen und umzustellen, ist somit nicht begründet. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Das LSG hat den Bescheid vom 6. August 1962 als gemäß § 96 SGG mitangefochten angesehen, aber im Urteilstenor die Klage insoweit nicht ausdrücklich abgewiesen. Der Senat hat dies zur Klarstellung nachgeholt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen