Verfahrensgang
LSG Berlin (Urteil vom 05.06.1991) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 5. Juni 1991 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um das Ende der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS).
Die am 16. Oktober 1947 geborene Klägerin, die die dänische Staatsangehörigkeit besitzt, legte 1966 die Reifeprüfung und 1969 eine Prüfung als Fremdsprachenkorrespondentin ab. Anschließend war sie versicherungspflichtig beschäftigt. Nach Aufnahme des Studiums der Psychologie im Mai 1983 übte sie eine Halbtagsbeschäftigung aus, die sie zum Wintersemester 1988/89 aufgab. Seither war sie in der KVdS versicherungspflichtig.
Die Beklagte stellte aufgrund des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) mit Bescheid vom 12. Januar 1989 das Ende der Versicherungspflicht zum 31. März 1989 fest, weil die Klägerin das 30. Lebensjahr vollendet habe. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 1989).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 2. März 1990 abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 5. Juni 1991 zurückgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Die gesetzliche Regelung, nach der die Versicherungspflicht ausnahmsweise über das 30. Lebensjahr hinaus weiterbestehe, sei eng auszulegen und nicht auf die Abwehr eines Mißbrauchs der KVdS beschränkt. Bei der Klägerin sei der Fortbestand der Versicherungspflicht über den 31. März 1989 hinaus nicht gerechtfertigt. Dazu reichten die von der Klägerin angegebenen Gründe nicht aus. Die Klägerin stehe den Absolventen des Zweiten Bildungswegs, bei denen das Gesetz die Überschreitung des 30. Lebensjahres zulasse, nicht gleich.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 5 Abs 1 Nr 9 des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V), des Art 12 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) und des Art 3 Abs 1 GG.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG vom 5. Juni 1991 und das Urteil des SG vom 2. März 1990 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 1989 aufzuheben und festzustellen, daß sie über den 31. März 1989 hinaus bis einschließlich April 1991 Pflichtmitglied in der studentischen Krankenversicherung war.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist. Die Klägerin ist aus der Versicherungspflicht in der KVdS ausgeschieden.
Die Versicherungspflicht der Klägerin als Studentin bestand Ende 1988 nach den damals noch geltenden Vorschriften des Zweiten Buchs der Reichsversicherungsordnung (RVO). Dieses war durch das Gesetz über die Krankenversicherung der Studenten (KVSG) vom 24. Juni 1975 (BGBl I 1536) um die KVdS erweitert worden. Nach § 165 Abs 1 Nr 5 RVO wurden – unabhängig von ihrem Alter – eingeschriebene Studenten der staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen für den Fall der Krankheit versichert.
Die Versicherungspflicht hat bei der Klägerin jedoch nach dem zum 1. Januar 1989 in Kraft getretenen GRG vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) geendet. Seither sind Studenten nach § 5 Abs 1 Nr 9 Halbs 1 SGB V grundsätzlich nur noch bis zum Abschluß des 14. Fachsemesters, längstens bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres versicherungspflichtig. Die Klägerin war bei Inkrafttreten des neuen Rechts 41 Jahre alt. Gleichwohl blieb sie nach der Übergangsregelung in Art 56 Abs 6 GRG noch bis zum Ende des Wintersemesters 1988/89 versicherungspflichtig. Über den 31. März 1989 hinaus hat die Versicherungspflicht jedoch nicht mehr bestanden. Eine Ausnahmeregelung, die Halbs 2 des § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V enthält, greift nicht ein. Nach dieser Vorschrift sind Studenten nach Abschluß des 14. Fachsemesters oder nach Vollendung des 30. Lebensjahres nur noch versicherungspflichtig, wenn die Art der Ausbildung oder familiäre sowie persönliche Gründe, insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungswegs, die Überschreitung der Altersgrenze oder eine längere Fachstudienzeit rechtfertigen. Dieses trifft bei der Klägerin nicht zu.
Die Anwendung dieser Regelung ist nicht schon deswegen von vornherein ausgeschlossen, weil die Klägerin auch bei Aufnahme des Studiums im Jahre 1983 bereits 35 Jahre alt und deshalb die nunmehr eingeführte Altersgrenze schon bei Beginn ihres Studiums überschritten war. Bei einem solchen Sachverhalt kommt die Versicherungspflicht in der KVdS jedoch nur in Betracht, wenn zwischen dem Abitur und der Altersgrenze von 30 Jahren sowie weiter bis zum Beginn des Studiums Gründe iS des § 5 Abs 1 Nr 9 Halbs 2 SGB V vorgelegen haben, die für einen so späten Studienbeginn ursächlich waren und damit das Überschreiten der Altersgrenze rechtfertigen (vgl hierzu das Urteil vom 30. September 1992 – 12 RK 3/91, zur Veröffentlichung bestimmt).
Zur Einführung und Überschreitung der Altersgrenze führt der Senat in seinem Urteil vom 30. September 1992 (12 RK 40/91, zur Veröffentlichung bestimmt) unter Darlegung der Entwicklung der KVdS und der Motive des Gesetzgebers aus, daß der Gedanke der Mißbrauchsabwehr zwar den Anstoß für die Neuregelung gegeben hat, sie aber nicht auf die Abwehr einer mißbräuchlichen Begründung der KVdS beschränkt worden ist. Vielmehr hat der Gesetzgeber allgemeine Schranken nach der Höchstdauer der Fachstudienzeit (14 Semester) und des Alters (Vollendung des 30. Lebensjahres) eingeführt. Die Gründe, die eine Überschreitung dieser Grenzen rechtfertigen, müssen nach dem genannten Urteil im allgemeinen von solcher Art und solchem Gewicht sein, daß sie nicht nur aus der Sicht des Einzelnen, sondern auch bei objektiver Betrachtungsweise die Aufnahme des Studiums oder seinen Abschluß verhindern oder als unzumutbar erscheinen lassen (Hinderungsgründe). Das Studium aufzuschieben, weil dies als zweckmäßig oder sinnvoll erscheint, reicht demgegenüber nicht aus. Die Aufnahme einer Berufsausbildung und die anschließende Ausübung einer Berufstätigkeit zwischen dem Abitur und der Aufnahme des Studiums bilden in der Regel keinen Hinderungsgrund.
Bei der Klägerin gilt insofern nichts Abweichendes. Das LSG hat ihr Vorbringen, sie habe früher als Ausländerin keinen Anspruch auf finanzielle Förderung des Studiums gehabt und sei deshalb auf einen schnellen Verdienst angewiesen gewesen sowie später durch ihren früheren Ehemann an der Aufnahme des Studiums gehindert worden, nicht für ausreichend gehalten, um eine Überschreitung der Altersgrenze zu rechtfertigen. Dieses ist rechtlich nicht zu beanstanden und im Revisionsverfahren auch nicht mehr angegriffen worden.
Die mit der Revision allein erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken sind unbegründet. Soweit die Klägerin sich in ihrem Grundrecht auf freie Berufswahl (Art 12 Abs 1 GG) verletzt fühlt, trifft das nicht zu. Die krankenversicherungsrechtliche Regelung über die Begrenzung der KVdS hat keinen die Berufswahl unmittelbar regelnden Charakter. Im Recht der Krankenversicherung, insbesondere in der KVdS, konkretisiert sich das Recht auf freie Berufswahl nicht mit der Folge, daß der Gesetzgeber die einmal eingeführte beitragsgünstige KVdS uneingeschränkt aufrechterhalten müßte (vgl BVerfGE 76, 220, 247 = SozR 4100 § 242b Nr 3 zur Leistungseinschränkung bei Unterhalts- und Übergangsgeld). Studenten wie die Klägerin können sich, wenn auch zu höheren Beiträgen, freiwillig weiterversichern. Wie der Senat in seinem schon erwähnten Urteil vom 30. September 1992 (12 RK 40/91) ausführt, liegt auch ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip nicht vor.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Soweit die Klägerin dieses wegen einer Benachteiligung gegenüber Absolventen des Zweiten Bildungswegs geltend macht, liegt eine sachfremde Ungleichbehandlung nicht vor, weil bei Absolventen des Zweiten Bildungswegs in der Regel nur die Zeit als Hinderungsgrund anzusehen ist, die in einer entsprechenden Ausbildungsstätte zum Erwerb der Hochschulreife benötigt worden ist, nicht jedoch auch eine vorherige Berufstätigkeit. Insofern wird auf die Ausführungen in den Urteilen vom 30. September 1992 (12 RK 40/91 und 12 RK 3/91, beide zur Veröffentlichung bestimmt) Bezug genommen. Die Begrenzung der KVdS nach dem Alter und nicht nur nach der Fachstudienzeit führt entgegen der Ansicht der Klägerin ebenfalls nicht zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung. Zwar war nach dem Referentenentwurf des GRG eine Begrenzung der KVdS lediglich nach der Dauer der Studienzeit (18 Semester) vorgesehen. Doch konnte der Gesetzgeber, der die Anknüpfungspunkte seiner Regelung grundsätzlich selbst wählen kann, sich auch dafür entscheiden, neben einer Begrenzung nach der (Fach-)Studienzeit von nur 14 Semestern eine Altersgrenze (von 30 Jahren) einzuführen. Dieses wird dadurch gerechtfertigt, daß in dem Altersabschnitt unterhalb dieser Grenze Leistungen der Krankenversicherung unterdurchschnittlich in Anspruch genommen werden, weil der Gesundheitszustand im allgemeinen gut ist und beitragsfrei versicherte Familienangehörige seltener und erst im Laufe der Zeit hinzukommen (vgl das Urteil in dem Verfahren 12 RK 40/91). Besonderheiten, die sich bei einzelnen Studenten höheren Alters ergeben, durfte der Gesetzgeber bei einer verallgemeinernden Regelung unberücksichtigt lassen. Sie liegen bei der Klägerin des vorliegenden Verfahrens etwa darin, daß sie längere Zeit neben der Ausübung einer versicherungspflichtigen Berufstätigkeit studiert und insofern die Versichertengemeinschaft als Studentin nicht belastet hat (Vorrang der „Beschäftigungs-Versicherung” vor der „Studenten-Versicherung” nach § 165 Abs 6 Satz 2 RVO).
Die Revision der Klägerin war unbegründet und daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 1173003 |
NJW 1993, 3017 |
NVwZ 1994, 97 |