Entscheidungsstichwort (Thema)
Folgen eines Arbeitsunfalls
Beteiligte
…, Klägerin und Revisionsklägerin |
Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten,Mannheim 1, Dynamostraße 7-9, Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Streitig ist, ob es sich bei dem Verlust des "linken Innen- und Außenmeniskus" unfallversicherungsrechtlich um Folgen des Arbeitsunfalls handelt, den die Klägerin am 7. September 1985 erlitten hat.
An diesem Tag rutschte die Klägerin gegen 22 Uhr beim Servieren aus und schlug mit dem linken Knie gegen einen Tisch. Ihren eigenen Angaben zufolge ist ihr anschließend noch ein Schrank auf das linke Bein gefallen, als sie versucht hat, sich an diesem aufzurichten. Bei der am folgenden Tag im Kreiskrankenhaus W. durchgeführten Untersuchung stellte der Chirurg Dr. L. eine Schwellung des in der Beweglichkeit eingeschränkten linken Kniegelenkes fest. Röntgenologisch wurde kein Anhalt für eine frische Knochenverletzung festgestellt. Eine genaue Untersuchung des Bandapparates war wegen starker Schmerzen nicht möglich. Am 11. September 1985 führte Dr. L. deshalb eine Arthroskopie des linken Kniegelenkes in Narkose durch. Hierbei fand sich ein rein seröser Erguß von 40 ml; der Innenmeniskus zeigte degenerative Veränderungen mit kleinen Rißbildungen. Das histologische Untersuchungsergebnis lautete: "Chronische Meniscopathie, Meniskusrisse". Der Innenmeniskus wurde von Dr. L. während der bestehenden Narkose entfernt.
Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 20. Dezember 1985 ab, die Klägerin wegen des Meniskusschadens zu entschädigen; dieser sei keine Folge des Arbeitsunfalls, sondern degenerativ bedingt. Wegen anhaltender Beschwerden wurde die Klägerin am 13. Januar 1986 erneut arthroskopiert. Bei diesem im Nordwest-Krankenhaus S. von Dr. W. durchgeführten Eingriff wurde der linke Außenmeniskus, der einen breiten Längsriß zeigte, zum Teil entfernt. In einer für die Beklagte erstellten gutachterlichen Stellungnahme vom 18. Januar 1986 und ihrer Ergänzung vom 9. März 1986 vertrat Dr. S. die Auffassung, daß weder die Innen- noch die Außenmeniskusschäden durch das Unfallereignis vom 7. September 1985 verursacht sein könnten. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin durch Bescheid vom 26. März 1986 zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, nach dem Inhalt des gerichtsärztlichen Gutachtens von Prof. Dr. W. (vom 5. Februar 1988) sei es nicht wahrscheinlich, daß eine traumatische Meniskusverletzung vorgelegen habe (Urteil vom 26. Mai 1988).
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin das von Dr. Schröter am 26. Januar 1988 für die H. -M. -S. -AG erstellte Gutachten zum Beweis dafür vorgelegt, daß es sich bei der Resektion der Menisci um unfallbedingt induzierte Behandlungsfehler gehandelt habe; die anläßlich der Arthroskopie medizinisch, zumindest aber unfallbedingt nicht indizierte Entfernung des Innenmeniskus stelle einen durch den Arbeitsunfall hervorgerufenen Behandlungsfehler dar, der den Außenmeniskusschaden zur Folge gehabt habe, so daß der gesamte Knieschaden Unfallfolge sei.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 17. Mai 1990 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Arbeitsunfall vom 7. September 1985 habe lediglich eine Prellung bzw Distorsion des linken Kniegelenkes zur Folge gehabt, nicht dagegen eine traumatische Schädigung des inneren und/oder äußeren Meniskus. Die Entfernung der linken Menisci könne auch nicht als mittelbare Folge des Arbeitsunfalls angesehen werden. Denn bei der Resektion des Innenmeniskus durch Dr. L. habe es sich nicht um einen Kunstfehler bei der Behandlung unmittelbarer Unfallfolgen, sondern um eine nicht indizierte Resektion gehandelt, die auf einem eigenständigen, mit der Behandlung der Unfallfolgen nicht im Zusammenhang stehenden Entschluß des Operateurs beruht habe. Der zeitliche und örtliche Zusammenhang mit der unfallbedingt durchgeführten Arthroskopie reiche nicht aus, um den für die Anerkennung als Unfallfolge erforderlichen Zusammenhang im Sinne einer rechtlich wesentlichen Bedingung zu bejahen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung des § 548 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Ihrer Ansicht nach sei der Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und den daraus resultierenden Gesundheitsstörungen auch dann gegeben, wenn der geltend gemachte Körperschaden auf einem Behandlungsfehler des Arztes beruhe, den dieser anläßlich der Versorgung von Personen nach Arbeitsunfällen begehe. Dabei dürfe nicht danach differenziert werden, zu welchem Zweck und in welcher Absicht die jeweilige konkrete Behandlungsmaßnahme vorgenommen werde, wenn es sich - wie hier - um einen einheitlichen operativen Eingriff handele. Einen solchen stelle die schadensursächliche Arthroskopie dar, die nicht in mehrere Eingriffe aufgespalten werden dürfe. Es hafte nun einmal ärztlichen Behandlungsfehlern der vorliegenden Art an, daß ihre Begehung mit einem entsprechenden, intraoperativ gefaßten Entschluß des Arztes verbunden sei. Ein solcher "dazwischentretender" Entschluß könne den Kausalzusammenhang deshalb nicht unterbrechen.
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. Mai 1990 aufzuheben und festzustellen, daß die Gesundheitsstörung "Verlust des linken Innen- und Außenmeniskus" Folge ihres Arbeitsunfalls vom 7. September 1985 ist. |
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Die Beklagte beantragt,
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die Revision der Klägerin zurückzuweisen. |
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Sie ist der Ansicht, der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfasse nur die Haftung für solche ärztlichen Kunstfehler, die bei der Feststellung oder Behandlung von Unfallfolgen begangen würden. Behandlungsfehler, die nur anläßlich einer Unfalloperation bei einem zusätzlichen, unfallunabhängigen Eingriff begangen würden, seien dem Versicherungsträger dagegen nicht zuzurechnen. Insoweit sei die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Adäquanztheorie auf Sachverhalte der vorliegenden Art übertragbar (vgl BGH NJW 1963, 1671; BGHZ 25, 86 ff).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Bei den geltend gemachten Meniskusschäden am linken Kniegelenk handelt es sich nicht um Unfallfolgen, weil diese nicht im Rechtssinne der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre verursacht worden sind.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) war das Unfallgeschehen allein nicht geeignet, eine traumatische Schädigung des Innen- und/oder des Außenmeniskus zu verursachen. Vielmehr wurde der zusätzliche operative Eingriff zur Behebung einer unfallunabhängigen Gesundheitsstörung vorgenommen, wobei dahinstehen kann, ob dieser - für sich betrachtet - medizinisch indiziert gewesen ist. Zwischen dem Arbeitsunfall und der Meniskusschädigung hat lediglich insofern ein Kausalzusammenhang bestanden, als die Unfallverletzung den arthroskopischen Eingriff des Operateurs induziert hat, ohne den der degenerativ veränderte Innenmeniskus - zumindest zu diesem Zeitpunkt - nicht entdeckt und infolgedessen auch nicht operativ entfernt worden wäre. Diese Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne (conditio sine qua non) reicht jedoch nicht aus, um die geltend gemachte Gesundheitsstörung als Folge des Arbeitsunfalls zu qualifizieren. Nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung sind als Ursache und Mitursache im Rechtssinne unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nämlich nur die Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl hierzu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl S 480 ff mit zahlreichen Nachweisen). Haben mehrere Bedingungen zu einem Erfolg beigetragen, so sind nur solche Bedingungen wesentlich, die gegenüber anderen von überragender Bedeutung sind (vgl Brackmann aaO S 480k I).
In Anwendung dieser Grundsätze kam dem Arbeitsunfall als Schadensursache keine wesentliche Bedeutung zu. Zwar hat das Bundessozialgericht (BSG) sowohl für das Gebiet der Kriegsopferversorgung als auch für das Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung entschieden, daß durch - zur Feststellung oder Behandlung von Unfallfolgen durchgeführte - ärztliche Eingriffe hervorgerufene Gesundheitsstörungen mittelbare Schädigungs- oder Unfallfolgen sein können, auch wenn es sich dabei um Folgen ärztlicher Kunstfehler handelt (vgl BSGE 17, 60, 62; 46, 283, 284; BSG SozR 2200 § 548 Nr 59). In den genannten Entscheidungen hat das BSG jedoch stets - wenn auch nicht ausdrücklich - auf die wesentliche sachliche Verbindung (vgl hierzu BSGE 58, 76, 77) zwischen der Schädigung bzw dem Arbeitsunfall und dem zur geltend gemachten Gesundheitsstörung führenden ärztlichen Eingriff abgestellt. Eine mittelbare Schädigungs- oder Unfallfolge hat es nur dann für gegeben erachtet, wenn den Ärzten "bei" der versorgungsrechtlich gebotenen Behandlung ein Kunstfehler unterlaufen ist (BSGE 17, 60, 62), wenn die Gesundheitsstörung durch einen Kunstfehler "bei" der Behandlung eines Arbeitsunfalls aufgetreten ist (BSGE 46, 283, 284) oder wenn die Eingriffe dazu gedient haben, Art, Umfang und Ausmaß von Schädigungs- oder Unfallfolgen festzustellen (BSG SozR 2200 § 548 Nr 59).
Auf das Erfordernis der wesentlichen sachlichen Verknüpfung (aaO) zwischen dem Arbeitsunfall und dem Zweck des zur Gesundheitsstörung führenden ärztlichen Eingriffs, wie er sich aus der Handlungstendenz des Arztes und den sie bestätigenden objektiven Umständen des Falles ergibt, kann nicht verzichtet werden, um wertend entscheidend zu können, ob ein mittelbarer Schaden noch vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfaßt ist. Zutreffend hat die Beklagte auf die insoweit übertragbare Rechtsprechung des BGH hingewiesen, wonach dem Schädiger Komplikationen eines ärztlichen Eingriffs nicht zugerechnet werden können, wenn dieser zwar anläßlich einer unfallbedingten Operation vorgenommen wird, jedoch durch eine Behandlungsmaßnahme, die durch ein unabhängig von dem Unfall bestehendes Leiden erforderlich geworden ist. Unter Zugrundelegung dieses Rechtssatzes hat der BGH den ursächlichen Zusammenhang im Sinne der Adäquanztheorie in einem Fall verneint, in dem der Geschädigte nach einer bei ihm vorgenommenen unfallbedingten Bauchoperation starb, bei der auch eine erst während des Eingriffs entdeckte, nicht unfallbedingte Anomalie in Form eines Meckel'schen-Divertikels am Dünndarm des Patienten entfernt worden war (BGHZ 25, 86 ff). Es ist dem Schädiger nicht zuzurechnen, "daß bei dem Verletzten gelegentlich einer unfallbedingten Operation ein zusätzlicher Eingriff zur Behebung eines nicht unfallbedingten Leidens gemacht wird, der infolge einer hieran sich anschließenden Komplikation zum Tode des Patienten führt" (BGH aaO S 91; vgl auch BGH NJW 1963, 1671 zum Impfschaden nach einer medizinisch nicht indizierten - präventiven - Wundstarrkrampfimpfung anläßlich einer unfallbedingten Behandlung). Nichts anderes kann insoweit im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gelten. Auch wenn zwischen der im Zivilrecht angewandten Adäquanztheorie und der hier maßgeblichen Theorie der wesentlichen Bedingung erhebliche Unterschiede bestehen (vgl hierzu BSGE 63, 277, 280), so können dem Arbeitsunfall bei wertender Betrachtung nur solche Komplikationen ärztlicher Eingriffe zugeordnet werden, die bei der Erkennung oder Behandlung von Unfallfolgen aufgetreten sind. Denn die unfallfremde Gesundheitsstörung und der eigenständige Entschluß des eingreifenden Arztes, diese Erkrankung mitzubehandeln, sind als auslösende Ursachen für den nachfolgenden Schaden von so überragender Bedeutung, daß der unfallbedingte Anlaß der Behandlung nicht mehr als wesentlich mitursächlich angesehen werden kann. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn beispielsweise das Gelingen der unfallbedingten Operation von der Mitbehandlung eines unfallfremden Leidens abhinge. Dafür liegen hier jedoch keine Anhaltspunkte vor.
Die Revision kann auch nicht mit Erfolg einwenden, bei der Arthroskopie vom 11. September 1985 habe es sich um eine einheitliche Operation gehandelt, die nicht in mehrere operative Eingriffe aufgespalten werden dürfe. Dem stehen die unangegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des LSG entgegen, wonach Dr. L. durch den arthroskopischen Eingriff Erkenntnisse darüber gewinnen wollte, ob und ggf welche Schäden im Knieinnenraum durch den Unfall verursacht worden sind. Dies entspricht der typischen Indikation für eine Arthroskopie, bei der es sich um eine endoskopische Untersuchung eines Gelenkes, meist des Kniegelenkes handelt (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 255. Aufl, S 134). Bei diesem Eingriff sind die von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen aber nicht entstanden. Erst als Dr. L. erkannt hatte, daß keine durch den Arbeitsunfall verursachten traumatischen Meniskusschäden, sondern degenerative Veränderungen am Innenmeniskus vorlagen, entschloß er sich aufgrund dieser Diagnose und der von ihm daraus gefolgerten Indikation zu dem therapeutischen Teil der Arthroskopie, der unfallfremden Meniskusresektion. Angesichts dieser eindeutigen Abgrenzbarkeit zwischen dem unfallbedingten diagnostischen Teil und dem unfallfremden therapeutischen Teil der Arthroskopie können der zusätzliche Eingriff und seine Folgen nicht mehr - im Rechtssinne - auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen