Leitsatz (redaktionell)
Zusammenleben der geschiedenen Frau mit dem Versicherten - Haushaltsführung durch die Klägerin mittels eines Gesamtbetrages, den der Versicherte und die 3 Söhne aushändigten.
Normenkette
RVO § 1265 S. 1 Alt. 3 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. Juni 1963 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin beansprucht auf Grund des § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung ihres früheren Ehemannes.
Die Ehe wurde am 21. Juli 1937 unter Schuldigerklärung beider Eheleute geschieden. Der Versicherte kehrte aus dem zweiten Weltkrieg tuberkulosekrank und arbeitsunfähig zurück. Seit Juni 1947 wohnte und lebte er wieder mit der Klägerin zusammen. In dem gemeinsamen Haushalt befanden sich auch die drei aus der Ehe hervorgegangenen, in den Jahren 1926, 1928 und 1930 geborenen Söhne, von denen jeder aus seinem Arbeitseinkommen ein Kostgeld von etwa 30.- RM bzw. DM wöchentlich beisteuerte; ferner wurde der Hauseigentümer (Vermieter) - unter Verrechnung seines Kostgeldes mit der Miete - mitverpflegt. Auch der Versicherte händigte der ihm pflegenden und den gemeinsamen Haushalt führenden Klägerin seine Einkünfte aus; dies waren vom 1. Oktober 1947 bis Ende März 1948 monatlich 38.- RM Tbc-Beihilfe und eine im Jahre 1948 mit Wirkung vom 1. August 1947 an bewilligte Versorgungsrente von monatlich 126.- RM bzw. DM, auf die aber die vorher gewährte Tbc-Beihilfe angerechnet wurde.
Am 21. Oktober 1948 starb der Versicherte, nachdem er die letzten Wochen seines Lebens in einem Krankenhaus verbracht hatte. Die Klägerin bezieht seit 1. Juni 1960 Hinterbliebenenbezüge nach § 42 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in der Fassung des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960.
Den Antrag auf Gewährung der Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung ihres früheren Ehemannes stellte die Klägerin im März 1960; sie begründete ihn damit, daß der Versicherte sie im letzten Jahr vor seinem Tode aus seinem Einkommen und aus seinem Sparguthaben unterhalten und die Absicht gehabt habe, sie wieder zu heiraten. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 18. August 1960 ab.
Das Sozialgericht (SG) Koblenz hat die hiergegen gerichtete Klage durch Urteil vom 5. Mai 1961 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat durch Urteil vom 19. Juni 1963 die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente vom 1. März 1960 an zu gewähren. Es hat die Voraussetzungen der letzten Alternative des § 1265 RVO als vorliegend erachtet und hierzu im einzelnen ausgeführt: In der maßgeblichen Zeit habe die Klägerin kein Einkommen gehabt. Sie sei von ihren Söhnen und ihrem früheren Ehemann aus deren Einkünften mit unterhalten worden. Deren Leistungen seien nicht etwa - soweit sie nicht für die Gebenden selbst verbraucht worden seien - Entgelt für die Haushaltsführung der Klägerin gewesen, vielmehr hätten sie als Ganzes Unterhaltsleistungen für die aus den geschiedenen Eheleuten und den Kindern bestehende Haushalts-und Familiengemeinschaft dargestellt. Der Versicherte habe somit im letzten Jahr vor seinem Tode der Klägerin regelmäßig und mit einem nicht unerheblichen Betrag Unterhalt geleistet.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und sie mit einer Verletzung des § 1265 RVO begründet. Sie meint, die angefochtene Entscheidung stehe nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG); danach seien Geldleistungen eines mit seiner geschiedenen Frau im gemeinsamen Haushalt lebenden Versicherten grundsätzlich keine Unterhaltsleistungen im Sinne des § 1265 RVO, sondern Entgelt für die Führung des Haushalts des Versicherten. So sei es auch im Falle der Klägerin. Die Tbc-Beihilfe des Versicherten und später seine Versorgungsrente hätten ebenso wie das Kostgeld des Hauseigentümers nur ein Entgelt für die von der Klägerin erbrachten Leistungen dargestellt. Allenfalls habe das Kostgeld der Söhne Unterhaltszahlungen an die Mutter enthalten. Diese Zahlungen hätten weit über dem gelegen, was der Versicherte zur Haushaltsführung beigesteuert habe. Seine geringen Einkünfte hätten wegen des Tbc-Leidens kaum für seinen eigenen Bedarf ausgereicht. Es sei nicht bewiesen, daß die Klägerin von dem ihr von dem Versicherten zur Verfügung gestellten Geld etwas erübrigt habe, vielmehr müsse aus den Angaben der Klägerin entnommen werden, daß sie ihren Unterhalt überwiegend aus dem Einkommen der Söhne und aus den Unterstützungen ihrer Eltern, denen sie auch den Haushalt geführt habe, bestritten habe. Sollten ihr jedoch Geldmittel von dem Versicherten zur Verfügung gestellt worden sein, so könnten diese nur als Entgelt für die Versorgung und die Pflege des Versicherten angesehen werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 19. Juni 1963 aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Soweit die Revision in Zweifel zieht, daß der Klägerin überhaupt Geldmittel von dem Versicherten zur Verfügung gestellt worden seien, und außerdem behauptet, die Klägerin sei in der in Betracht kommenden Zeit auch von ihren Eltern unterstützt worden, steht das Vorbringen im Widerspruch zu den vom LSG getroffenen Feststellungen und kann deshalb im Revisionsverfahren keine Beachtung finden. An jene Feststellungen ist das BSG gebunden, weil in bezug auf sie keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht worden sind (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Die Rechtsfindung hat demnach davon auszugehen, daß die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten kein eigenes Einkommen hatte und ihr Lebensunterhalt von dem Gelde mit bestritten worden ist, welches der Versicherte und die drei Söhne ihr zur Führung des gemeinsamen Haushalts ausgehändigt haben.
Rechtsgrundlage für den mit der Klage geltend gemachten Anspruch auf Hinterbliebenenrente sind §§ 1263, 1265 RVO in Verbindung mit Art. 2 § 19 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG). Danach wird, auch wenn der Versicherungsfall des Todes vor dem 1. Januar 1957, aber nach dem 30. April 1942 eingetreten und die Wartezeit für den Versicherten erfüllt ist, seiner geschiedenen Ehefrau Hinterbliebenenrente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Daß der Versicherte die Wartezeit durch Zurücklegung einer Versicherungszeit von mindestens 60 Kalendermonaten erfüllt hat (§ 1263 Abs. 2 RVO), ist vom LSG festgestellt worden, unter den Beteiligten auch nicht streitig. Von den alternativ angeführten Voraussetzungen des § 1265 RVO hat das LSG nur die letzte - Unterhaltsleistung im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten - geprüft und deren Vorliegen bejaht. Das Ergebnis seiner Rechtsfindung ist nicht zu beanstanden. Das LSG hat allerdings nicht im einzelnen festgestellt, welche Teile des der Klägerin zur Haushaltsführung zur Verfügung stehenden Gesamtbetrages (126 + 3 x 130 = 516 RM bzw. DM) auf jeden der Gebenden selbst entfielen und was für die Klägerin übrig blieb. Einer so eingehenden Klärung des Sachverhalts bedurfte es aber auch nicht, weil der Gesamtbetrag nicht so niedrig war, daß die Familiengemeinschaft nicht davon hätte leben können, und weil darüber hinaus feststeht, daß die Gemeinschaft tatsächlich von diesem Betrag gelebt und vor allem auch die Klägerin mitgelebt hat. Es bestehen auch keine Bedenken dagegen, daß das LSG - was offenbar ist von einer im wesentlichen gleichwertigen Unterstützung der Klägerin durch den Versicherten und jeden der Söhne ausgegangen ist. Dies rechtfertigt sich dadurch, daß dem - unterstellten - zusätzlichen Bedarf des kranken Versicherten an Stärkungsmitteln der naturgemäß größere Nahrungsbedarf der im Arbeitsleben stehenden jungen Menschen entgegenzusetzen ist. Hiernach hat die Klägerin während der in Betracht kommenden Zeit ihren Unterhaltsbedarf aus Mitteln gedeckt, die zu etwa einem Viertel aus Zuwendungen des Versicherten stammten.
In diesen Zuwendungen konnte das LSG eine Unterhaltsleistung im Sinne des § 1265 RVO sehen, ohne sich damit in Widerspruch zu der Rechtsprechung des BSG zu setzen. Das BSG hat es in den von der Revision angeführten Entscheidungen nicht zum Grundsatz erhoben, daß Geldmittel, die ein mit seiner geschiedenen Frau im gemeinsamen Haushalt lebender Versicherter zur Verfügung stellt, keine Unterhaltsleistungen, sondern Entgelt für die Führung des Haushalts seien. Es hat - je nach der Lage des Einzelfalls - die Möglichkeit der Leistung von "Unterhalt" durchaus anerkannt, allerdings zum Nachweis des Unterhaltscharakters von Zuwendungen an die frühere Ehefrau das Bestehen eines eheähnlichen Verhältnisses allein nicht genügen lassen, vielmehr gefordert, daß die Zuwendung unabhängig von der Gegenleistung der Frau geleistet wird (vgl. BSG 12, 279, 281; 19, 185; SozR RVO § 1265 Nr. 16; 4 RJ 381/64 vom 9. September 1965). Im vorliegenden Falle spricht der Sachverhalt gegen die Annahme eines rein wirtschaftlichen Austausches von Leistung und Gegenleistung. Die Tatsache, daß nicht nur das frühere Ehepaar, sondern die ganze Familie wieder zusammenlebte und daß die Rente des Versicherten auch für Zeiten in denen er sich im Krankenhaus befand der Klägerin zufloß, rechtfertigen die Auffassung des LSG, daß die Geldleistungen nicht nur der Söhne, sondern auch des Versicherten Unterhaltsleistungen an die Klägerin waren.
Die Leistungen des Versicherten an die Klägerin erreichen auch in ihrem Vomhundertsatz (25 v. H.) des Unterhaltsbedarfs der Berechtigten dasjenige Maß, welches der erkennende Senat in seiner Entscheidung BSG 22, 44 als Voraussetzung für die Auslösung einer Hinterbliebenenrente nach § 1265 RVO gefordert hat.
Nach alledem ist die Revision unbegründet und muß zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen