Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifvertrag. Allgemeinverbindlicherklärung. verfassungsrechtliche Streitigkeit. Rechtsetzungsakt. Anspruch auf Normerlaß. untergesetzliche Rechtsnorm. abstrakte Normenkontrolle. grundrechtlicher Gesetzgebungsauftrag. Verfahrensrechte/materielle Rechte. Rechtsschutzgarantie. Fortsetzungsfeststellungsklage. Verwaltungsakt. Regelung. Feststellungsklage. Feststellungsinteresse. Erledigung eines Rechtsverhältnisses. Wiederholungsgefahr „Lohndrückerei”. „Schmutzkonkurrenz”. gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien. Außenseiter. Sicherung angemessener Arbeitsbedingungen. öffentliches Interesse/Individualinteressen der Tarifvertragsparteien. Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Tarifautonomie. Effektivität der tarifvertraglichen Normsetzung. Aushöhlung von Tarifverträgen. Koalitionsfreiheit. Recht auf koalitionsgemäße Betätigung. Rechtsreflex. normatives Ermessen. Grenzen der Rechtsetzungsbefugnis. Unvertretbarkeit. Unverhältnismäßigkeit. Urlaubsgeld. Lohnzusatzleistung. Ausbildungsvergütung. Nachwirkung von Tarifverträgen. Rückwirkung der Allgemeinverbindlicherklärung
Leitsatz (amtlich)
Für den Anspruch einer Tarifvertragspartei auf Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. Der Charakter der Allgemeinverbindlicherklärung als Rechtsnorm steht dem nicht entgegen.
Die Allgemeinverbindlicherklärung dient nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern darüber hinaus auch den Interessen der Tarifvertragsparteien mit der Folge, daß die antragstellende Tarifvertragspartei einen diesem Schutzzweck entsprechenden Anspruch auf rechtsfehlerfreie Entscheidung über ihren Antrag hat. Hat sich dieser Anspruch nach Ablauf des Tarifvertrags erledigt, so kann die Tarifvertragspartei die ihr aus dem Antrag erwachsenen Rechte mittels der Feststellungsklage nach § 43 VwGO klären lassen, wenn sie hieran ein berechtigtes Interesse hat.
Dem zuständigen Minister steht bei der Beurteilung des öffentlichen Interesses an der Allgemeinverbindlichkeit ein weites normatives Ermessen zu. Die rechtlichen Grenzen dieses Ermessens sind erst dann überschritten, wenn die getroffene Entscheidung in Anbetracht des Zwecks der Ermächtigung und der hiernach zu berücksichtigenden Öffentlichen und privaten Interessen – einschließlich der Interessen der Tarifvertragsparteien – schlechthin unvertretbar oder unverhältnismäßig ist.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, Art. 100 Abs. 1; TVG § 5; DVO-TVG § 7; VwGO §§ 40, 43, 47, 113 Abs. 1 S. 4; VwVfG § 35
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15. Juli 1986 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten um die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen.
Die klagende Gewerkschaft schloß am 5. Juli 1983 mit den beigeladenen Arbeitgeberverbänden vier Lohntarifverträge für die gewerblichen und für die berufsfremden gewerblichen Arbeitnehmer der Südwestdeutschen Bekleidungsindustrie und der Bekleidungsindustrie in Baden, zwei Urlaubsgeldabkommen für die gewerblichen Arbeitnehmer der Südwestdeutschen Bekleidungsindustrie und der Bekleidungsindustrie in Baden sowie zwei Tarifverträge über die Vergütung für Auszubildende. Die Tarifverträge traten mit Ausnahme der Urlaubsgeldabkommen rückwirkend zum 1. Mai 1983 in Kraft; für die Urlaubsgeldabkommen wurde der Vertragsbeginn auf den 1. Januar 1983 festgesetzt.
Mit Schreiben vom 5. August 1983 stellte die Klägerin gemeinsam mit den beigeladenen Arbeitgeberverbänden beim Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung Baden-Württemberg den Antrag, die Tarifverträge vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an für allgemeinverbindlich zu erklären. In seiner Entscheidung vom 20. Dezember 1983 gab das Ministerium dem Antrag insoweit statt, als es die Lohntarifverträge mit Wirkung vom 5. November 1983, dem Tag der Bekanntmachung des Antrags, für allgemeinverbindlich erklärte. Die Urlaubsgeldabkommen und die Tarifverträge über die Vergütung für Auszubildende wurden nicht für allgemeinverbindlich erklärt, weil die Allgemeinverbindlicherklärung dieser Verträge nicht im öffentlichen Interesse geboten erscheine. Der beantragten rückwirkenden Allgemeinverbindlicherklärung der Lohntarifverträge stünden Gründe des Vertrauensschutzes entgegen.
Daraufhin hat die Klägerin gegen die Entscheidung des Ministeriums, soweit darin ihr Antrag abgelehnt worden war, Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben und zur Begründung vorgetragen: Die Urlaubsgeldabkommen und die Tarifverträge über die Vergütung für Auszubildende müßten aus den gleichen Gründen für allgemeinverbindlich erklärt werden wie die Lohntarifverträge. Da die früheren Tarifverträge ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärt worden seien, hätten die betroffenen nicht tarifgebundenen Arbeitgeber mit einer rückwirkenden Allgemeinverbindlicherklärung rechnen müssen. – Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Allgemeinverbindlicherklärung kein Verwaltungsakt, sondern ein Rechtsetzungsakt sei, auf den die Tarifvertragsparteien keinen Anspruch hätten.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin, nachdem die streitigen Tarifverträge außer Kraft getreten waren, die Feststellung beantragt, daß die teilweise Ablehnung ihres Antrags vom 5. August 1983 rechtswidrig gewesen sei. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen (DÖV 1986, 1066). Es hält die Klage in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht für unzulässig. Zweifelhaft sei schon, ob für den von der Klägerin verfolgten Anspruch auf Erlaß einer Rechtsnorm der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sei. Jedenfalls sei die Klage mit dem zuletzt gestellten Antrag deshalb unzulässig, weil nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nur die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts festgestellt werden könne. Die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags sei jedoch ein Akt der Rechtsetzung, der darin bestehe, daß die Verbindlichkeit der Tarifvertragsnormen auf die sogenannten Außenseiter erstreckt werde. Da die Entscheidung über den Erlaß oder Nichterlaß einer Allgemeinverbindlicherklärung nur die Rechtssphäre der Außenseiter, nicht aber die Rechte der Tarivertragsparteien berühre, enthalte sie keine Regelung im Sinne des § 35 VwVfG. Die Klägerin könne ihr Begehren auch nicht mit einer zulässigen Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO verfolgen. Es fehle an einem hinreichend konkreten feststellungsfähigen Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem beklagten Land, denn die Antragsbefugnis der Tarifvertragsparteien vermittle diesen keinen Anspruch auf die Allgemeinverbindlicherklärung oder auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren Antrag.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren zweitinstanzlichen Klageantrag weiter. Sie rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das beklagte Land verteidigt das Berufungsurteil.
Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren und führt aus: Die Klage sei schon deshalb unzulässig, weil der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht eröffnet sei. Das Begehren der Klägerin ziele unmittelbar auf die Kontrolle eines Rechtsetzungsakts ab. Die abstrakte Normenkontrolle rechne jedoch zu den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten, für die der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht eröffnet sei. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG komme der Klägerin nicht zugute, weil zur öffentlichen Gewalt im Sinne dieser Vorschrift nicht die Gesetzgebung gehöre. Im übrigen sei die Klage auch aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen weder als Fortsetzungsfeststellungs- noch als Feststellungsklage zulässig.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision hat keinen Erfolg. Die Gründe des Berufungsurteils verletzen zwar Bundesrecht, das Urteil erweist sich aber aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Die Klage ist nicht, wie der Verwaltungsgerichtshof meint, unzulässig, sondern unbegründet.
1. Für das Rechtsschutzbegehren der Klägerin ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, die nicht einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist.
Die Parteien streiten darum, ob das beklagte Land die im Antrag der Klägerin vom 5. August 1983 genannten Tarifverträge gemäß § 5 des Tarifvertragsgesetzes (TVG) uneingeschränkt für allgemeinverbindlich erklären mußte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 44, 322 ≪340 ff.≫; 55, 7 ≪24≫; 64, 208 ≪215≫) ist die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen ein Akt der Rechtsetzung, der darauf abzielt, auch die nicht organisierten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die sogenannten Außenseiter, den Bestimmungen des Tarifvertrags zu unterwerfen. Mit ihr nimmt der Staat die Rechtsregeln, die die Tarifvertragsparteien für ihre Mitglieder durch Vertrag geschaffen haben, in seinen Willen auf und dehnt die Verbindlichkeit dieser Regeln auf Personen aus, die bisher vom Tarifvertrag nicht erfaßt wurden. Als „staatlicher Hoheitsakt” (BVerfGE 44, 322 ≪344≫) unterfällt die Allgemeinverbindlicherklärung dem öffentlichen Recht. Deshalb ist auch über den von der Klägerin verfolgten Anspruch auf Erlaß der Allgemeinverbindlicherklärung nach Maßgabe öffentlichen Rechts zu entscheiden.
Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit liegt nicht vor. Sie wäre nur dann zu bejahen, wenn die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlicher Normen den eigentlichen Kern des Rechtsstreits bilden würde oder – anders ausgedrückt – wenn das streitige Rechtsverhältnis entscheidend vom Verfassungsrecht geformt wäre (Senatsurteil vom 11. Juli 1985 – BVerwG 7 C 64.83 –, NJW 1985, 2344; Senatsbeschluß vom 5. Februar 1976 – BVerwG 7 A 1.76 –, BVerwGE 50, 124 ≪130≫). Das ist hier nicht der Fall.
Grundlage des von der Klägerin verfolgten Anspruchs ist § 5 TVG, also eine Norm des einfachen Rechts, nicht des Verfassungsrechts. Daß die Verfassung in ihrem Artikel 9 Abs. 3 eine gesetzliche Regelung des Tarifvertragsrechts fordert (vgl. BVerfGE 50, 290 ≪369≫; 58, 233 ≪248 f.≫) und daß das Tarifvertragsgesetz deshalb im Lichte dieser verfassungsrechtlichen Bestimmungen ausgelegt werden muß, ist ohne Bedeutung. Denn ein Rechtsverhältnis, das wie das hier streitige nicht selbst unmittelbar dem Verfassungsrechtskreis entstammt, hat nicht schon allein deshalb verfassungsrechtlichen Charakter, weil die maßgeblichen einfach-gesetzlichen Bestimmungen der Erfüllung eines Verfassungsgebots dienen oder weil seine Beurteilung nicht unerheblich von verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten abhängt (Senatsurteil vom 11. Juli 1985 – BVerwG 7 C 64.83 –, a.a.O.). Deshalb gehören Prozesse zwischen Bürger und Staat einschließlich solcher, bei denen Verfassungs-, insbesondere Grundrechtsnormen streitentscheidend sind, grundsätzlich vor die Verwaltungs- und nicht vor die Verfassungsgerichte (Senatsurteil vom 28. November 1975 – BVerwG 7 C 53.73 –, DÖV 1976, 315).
Auch der Umstand, daß die Klägerin, wie sich aus dem zur Rechtsnatur der Allgemeinverbindlicherklärung Gesagten ergibt, einen Anspruch auf staatliche Rechtsetzung geltend macht, führt nicht zur Annahme einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit. Zwar ist das Verfahren zur Entscheidung über die Rechtsgültigkeit eines förmlichen nachkonstitutionellen Bundes- oder Landesgesetzes den Verfassungsgerichten des Bundes oder der Länder vorbehalten (BVerfGE 70, 35 ≪55≫). Dementsprechend kann auch der Anspruch eines Bürgers auf Erlaß eines förmlichen Gesetzes, soweit ein solcher Anspruch besteht, nur vor den Verfassungsgerichten durchgesetzt werden (BVerwG, Urteil vom 15. Januar 1987 – BVerwG 3 C 19.85 –, BVerwGE 75, 330 ≪334≫). Die Klägerin verfolgt jedoch keinen Anspruch auf Erlaß eines förmlichen Gesetzes durch den Bundes- oder Landesgesetzgeber, sondern einen Anspruch auf Erlaß einer Rechtsnorm mit Rang unterhalb des Gesetzes durch die zuständige oberste Landesbehörde. Der Rang der Rechtsnorm, um die gestritten wird, ist für die Frage nach dem einzuschlagenden Rechtsweg von entscheidender Bedeutung: Betrifft der Streit die Gültigkeit oder den Erlaß eines förmlichen Gesetzes, so sind die Verfassungsgerichte zur Entscheidung berufen, denn über eine Verletzung der Verfassung durch den zu ihrer Beachtung verpflichteten Gesetzgeber haben allein sie zu entscheiden (BVerfGE 10, 124 ≪127 f.≫; 70, 35 ≪67 – abweichende Meinung Steinberger – ≫). Dagegen ist die gerichtliche Kontrolle der Exekutive, auch soweit sie rechtsetzend tätig wird, Aufgabe der Verwaltungsgerichte (BVerfGE 68, 319 ≪325 f.≫; BVerfG, Beschluß vom 18. Dezember 1985 – 2 BvR 1167/87 u.a. – NJW 1986, 1483). Aus diesem Grund dürfen die Verwaltungsgerichte, wenn es für die Entscheidung über das Klagebegehren auf die Gültigkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm ankommt, diese in den Gründen ihrer Entscheidung selbst als ungültig verwerfen. Soweit untergesetzliche Rechtsnormen nach § 47 VwGO einer abstrakten Gültigkeitskontrolle unterworfen sind, obliegt diese gleichfalls nicht den Verfassungs-, sondern den Verwaltungsgerichten. Dann hat aber auch der Streit um die Pflicht der Exekutive zum Erlaß einer solchen Rechtsnorm, wie er hier vorliegt, keinen verfassungsrechtlichen, sondern lediglich verwaltungsrechtlichen Charakter.
Da der vorliegende Rechtsstreit überdies auch nicht einem anderen Gericht zugewiesen ist – der Anspruch auf Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags wird von der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nach §§ 2, 2 a des Arbeitsgerichtsgesetzes nicht erfaßt –, ist für ihn gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.
2. Das Berufungsgericht äußert im Hinblick darauf, daß die Klägerin einen Anspruch auf Erlaß einer Rechtsnorm verfolgt, Zweifel, ob die in § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO gewährleistete verwaltungsgerichtliche Kontrolle sich auch auf Ansprüche dieser Art erstreckt. Diese Zweifel sind nicht begründet.
a) Allerdings hat der Senat in seinem vom Berufungsgericht erwähnten Urteil vom 26. Januar 1962 – BVerwG 7 C 13.61 –, BVerwGE 13, 328 ≪329≫, ausgesprochen, der Erlaß einer inhaltlich Normcharakter tragenden Regelung könne nicht im Verwaltungsrechtsweg erzwungen werden, denn die Träger der Staatsgewalt würden in den der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung unterliegenden öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten allein in ihren Verwaltungsfunktionen vor Gericht gezogen. Dem liegt ersichtlich die Vorstellung zugrunde, daß der Erlaß von Rechtsnormen dem Wohl der Allgemeinheit, nicht der Erfüllung von Individualansprüchen dient und daß deshalb weder ein Anlaß noch die Notwendigkeit besteht, solche Ansprüche im Rechtsweg durchzusetzen.
Die der zitierten Senatsrechtsprechung zugrundeliegende Prämisse erweist sich bei erneuter Überprüfung als nicht hinreichend tragfähig. Es ist zwar richtig, daß Individualansprüche auf oder beim Erlaß von Rechtsnormen wegen der Eigenart der rechtsetzenden Tätigkeit des Staates im allgemeinen nicht bestehen; sie sind aber, wie der vorliegende Fall verdeutlicht, nicht schlechthin undenkbar. Die Vorstellung, daß der Erlaß von Rechtsnormen nicht mit Ansprüchen einzelner Bürger verbunden ist, trifft also nur im Grundsatz zu. Das bedeutet, daß auch die Möglichkeit, einen derartigen Anspruch auf dem Rechtsweg durchzusetzen, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist für ein solches Klagebegehren unter den Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.
Rechtsnormen enthalten – typischerweise – abstrakt-generelle Regelungen und werden mit diesem Regelungsinhalt im Interesse der Allgemeinheit erlassen. Das schließt indes nicht die Möglichkeit aus, daß der einzelne durch die Norm begünstigte Bürger einen Anspruch auf ihren Erlaß hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann sich aus den Grundrechten ein Anspruch des Bürgers auf Erlaß eines ihn begünstigenden förmlichen Gesetzes ergeben, wenn dem betreffenden Grundrecht ein bestimmter Handlungsauftrag an den Gesetzgeber zu entnehmen ist; letzteres ist freilich wegen der prinzipiellen Freiheit des Gesetzgebers, ob und wie er von seinen Gesetzgebungsbefugnissen Gebrauch macht, nur ausnahmsweise möglich (BVerfG, NJW 1987, 2287 mit weiteren Nachweisen; zum Anspruch des Bürgers aus Art. 7 Abs. 4 GG auf Erlaß eines Ersatzschulfinanzierungsgesetzes: BVerfGE 75, 40 ≪56 ff.≫ und Senatsurteil vom 17. März 1988 – BVerwG 7 C 99.86 –, BVerwGE 79, 154 ≪156 f.≫). Ebenso ist es denkbar, daß die Grundrechte dem Bürger einen Anspruch auf Erlaß einer untergesetzlichen Rechtsnorm vermitteln. Auch aufgrund eines einfachen Gesetzes können dem Bürger Ansprüche auf oder beim Erlaß von Rechtsverordnungen, Satzungen oder anderen untergesetzlichen Rechtsnormen zustehen. Es gibt keinen Satz des Verfassungsrechts, der dem Gesetzgeber die Begründung solcher Ansprüche verbietet. Das gilt um so mehr deswegen, weil die Handlungsform des Verwaltungsakts – innerhalb gewisser Grenzen – gegen diejenige der Rechtsnorm austauschbar ist, also Einzelfallregelungen im Gewand von Rechtsnormen ergehen können (vgl. BayVGH, BayVBl. 1980, 209 ≪211≫ mit Anmerkung Würtenberger, BayVBl. 1980, 662). In Betracht kommt sowohl die Begründung von Befugnissen zur Mitwirkung am Rechtsetzungsverfahren (Antragsrechte, Anhörungsrechte oder dgl.) als auch die von materiellen Rechten bis hin zum strikten Anspruch auf Erlaß einer bestimmten Rechtsnorm.
Soweit der Bürger solche Rechte auf oder beim Erlaß von Rechtsnormen durch die Exekutive hat, steht ihm nach Art. 19 Abs. 4 GG zur Durchsetzung seiner Rechte der Rechtsweg offen. Das ist für Verfahrensrechte in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Ergebnis bereits anerkannt (vgl. BVerwGE 59, 48 ≪56≫). Für darüber hinausgehende materielle Rechte kann nichts anderes gelten. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 24, 33 ≪49 f.≫; 24, 367 ≪401≫; 31, 364 ≪368≫; 45, 297 ≪334≫) die Gesetzgebung von der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ausgenommen. Es hat diese Aussage jedoch ausdrücklich auf den Erlaß von Gesetzen im förmlichen Gesetzgebungsverfahren beschränkt; hinsichtlich der untergesetzlichen Rechtsnormen ist die Frage nach der Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 4 GG offengeblieben (vgl. insbesondere BVerfGE 31, 364 ≪368≫). Nach Ansicht des Senats muß die offengebliebene Frage bejaht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zur Begründung seiner einschränkenden Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG auf die Vorschriften des Grundgesetzes über die verfassungsgerichtliche Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, Art. 100 Abs. 1 GG) hingewiesen und diesen Regelungen abschließende Bedeutung beigemessen (BVerfGE 24, 33 ≪49 f.≫; 45, 297 ≪334≫). Es hat sich demnach von der Absicht leiten lassen, das in den genannten Vorschriften statuierte Entscheidungsmonopol der Verfassungsgerichtsbarkeit bei der Feststellung von Verfassungsverletzungen durch den Gesetzgeber zu sichern (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand: Januar 1987, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 94). Diese Erwägung des Bundesverfassungsgerichts trifft auf den Erlaß von Rechtsnormen durch die Exekutive nicht zu. Da auch sonst kein Grund ersichtlich ist, der dafür spräche, diese Äußerungsform der öffentlichen Gewalt abweichend vom Wortlaut des Art. 19 Abs. 4 GG von dem dort gewährleisteten Rechtsschutz durch die staatlichen Gerichte auszunehmen, steht dem Bürger nach dieser Bestimmung in Verbindung mit § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO bei Rechtsverletzungen, die im Zusammenhang mit dem Erlaß untergesetzlicher Rechtsnormen stehen, uneingeschränkt der Verwaltungsrechtsweg offen.
b) Das Berufungsgericht bezieht sich zur Begründung seiner Zweifel an der Möglichkeit einer verwaltungsgerichtlichen „Normerlaßklage” auch auf § 47 VwGO und führt aus, diese Vorschrift beschränke die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Rechtsetzungstätigkeit der Exekutive auf bereits erlassene Normen. Diese Argumentation ist jedoch schon deshalb nicht überzeugend, weil Ansprüche auf Erlaß einer untergesetzlichen Rechtsnorm, wie dargelegt, der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG unterfallen; das schließt die Forderung ein, daß das Prozeßrecht für diese Ansprüche eine geeignete Klageart zur Verfügung stellt (vgl. BVerwGE 50, 11 ≪19≫). Davon abgesehen kann dem System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nicht entnommen werden, daß außerhalb des § 47 VwGO die Überprüfung von Rechtsetzungsakten ausgeschlossen sein soll (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1982 – BVerwG 5 C 103.81 –, Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 78; Bettermann, Rechtssetzungsakt, Rechtssatz und Verwaltungsakt, in: Festschrift für Hans-Carl Nipperdey zum 70. Geburtstag, 1965, S. 723 ff. ≪732≫). Insbesondere schließt § 47 VwGO nicht die Zulässigkeit von Klagen aus, die zwar auf eine Überprüfung von Rechtsetzungsakten der Exekutive abzielen, aber eigene subjektiv-öffentliche Rechte des Bürgers zum Gegenstand haben. So hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem soeben zitierten Urteil vom 9. Dezember 1982 entschieden, daß eine auf die Feststellung des Nichtbestehens der Mitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft gerichtete Klage nicht deswegen unzulässig ist, weil ihre Begründetheit ausschließlich von der von den Prozeßbeteiligten unterschiedlich beurteilten Gültigkeit einer Rechtsnorm abhängt und die Gültigkeit dieser Norm kraft Landesrechts nicht zum Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens gemäß § 47 VwGO gemacht werden kann. In demselben Sinn ist im Urteil vom 29. Juli 1977 – BVerwG 4 C 51.75 –, BVerwGE 54, 211 ≪214 f.≫ ausgeführt, der in § 47 VwGO vorgesehenen Möglichkeit eines dem Normerlaß nachfolgenden Kontrollverfahrens könne nicht entnommen werden, daß etwaige (materielle) Ansprüche auf Unterlassung bestimmter rechtsetzender Maßnahmen prozessual nicht durchsetzbar sein sollten. In beiden vom Bundesverwaltungsgericht beurteilten Fällen wäre das Rechtsschutzziel des Klägers – zumindest teilweise – auch über die Ungültigerklärung der betreffenden Rechtsnorm in einem nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren erreichbar gewesen. Wenn das Bundesverwaltungsgericht gleichwohl der Vorschrift des § 47 VwGO keine die Zulässigkeit der erhobenen Klage ausschließende Wirkung zuerkannt, sondern die materielle Prüfung des Klagebegehrens für notwendig gehalten hat, so muß dies erst recht in Fällen gelten, in denen der Kläger seinem Rechtsschutzziel im Normenkontrollverfahren von vornherein keinesfalls näher kommen kann. Das aber trifft für Ansprüche auf Beteiligung am Normsetzungsverfahren, auf rechtmäßige Ausübung der Normsetzungsbefugnisse oder auch unmittelbar auf Normerlaß zu, weil das Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO zur Verfolgung solcher Ansprüche schlechterdings ungeeignet ist. Wollte man in derartigen Fällen den Verwaltungsrechtsweg im Hinblick auf § 47 VwGO für verschlossen halten, so bliebe der Kläger insoweit generell und ausnahmslos ohne Rechtsschutz. Dieses Ergebnis wäre mit dem System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung unvereinbar. Denn § 47 VwGO will, soweit er nicht lediglich auf eine objektive Rechtskontrolle abzielt, den Schutz der subjektiv-öffentlichen Rechte des Bürgers nicht einschränken, sondern verbessern, indem er mögliche Zweifel an der Gültigkeit einer Rechtsnorm in einem ausschließlich der Klärung dieser Zweifel dienenden Verfahren bündelt und so zahlreichen Einzelprozessen gegen auf die Norm gestützte konkrete Verwaltungsentscheidungen vorbeugt, in denen die Gültigkeit der Norm nur als Vortrage überprüft werden kann (BVerwGE 56, 172 ≪178≫; Senatsbeschluß vom 15. September 1987 – BVerwG 7 N 1.87 –, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 17).
3. Im vorliegenden Fall ist zwar nicht die von der Klägerin für richtig gehaltene sogenannte Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, wohl aber eine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO die geeignete und zulässige Klageart.
a) Mit der Fortsetzungsfeststellungsklage kann die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts begehrt werden. Sie ist hier deshalb nicht einschlägig, weil die von der Klägerin angegriffene Entscheidung des baden-württembergischen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung kein Verwaltungsakt ist. Daß die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags und auch die Ablehnung eines hierauf gerichteten Antrags einer Tarifvertragspartei keine Verwaltungsakte sind, hat der Senat bereits in BVerwGE 7, 82 und 188 entschieden. Hieran ist – insoweit in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht – festzuhalten. Wie das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 44, 322 ≪340 ff.≫ näher dargelegt hat, regelt die Allgemeinverbindlicherklärung in einer unbestimmten Zahl von Fällen den Inhalt der Arbeitsverhältnisse der Außenseiter. Diese Regelung ist wegen ihres abstrakt-generellen Charakters gerade das Gegenteil eines Verwaltungsakts, nämlich eine Rechtsnorm. Fraglich kann daher lediglich sein, ob mit der Regelung der Rechtsverhältnisse der Außenseiter eine weitere, als Verwaltungsakt zu charakterisierende Einzelfallregelung gegenüber den Tarifvertragsparteien verbunden ist, die das Verfahren der Allgemeinverbindlicherklärung durch einen Antrag in Gang bringen können, ohne dabei selbst Rechtsetzungsbefugnisse auszuüben. Allenfalls in diesem Sinne kann nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 1977 (BVerfGE 44, 322) noch von einer „Doppelnatur” der Allgemeinverbindlicherklärung als Rechtsnorm und als Verwaltungsakt die Rede sein.
Allein das Antragsrecht der Tarifvertragsparteien reicht zur Annahme eines Verwaltungsakts nicht aus. Wie das Beispiel des Petitionsbescheids nach Art. 17 GG zeigt, der kein Verwaltungsakt ist (vgl. Senatsbeschluß vom 1. September 1976 – BVerwG 7 B 107.75 –, NJW 1977, 118), endet nicht jedes antragsabhängige Verwaltungsverfahren mit einem Verwaltungsakt gegenüber dem Antragsteller. Ausschlaggebend ist, ob die Behörde nach dem objektiven Sinngehalt ihrer Entscheidung Rechte des Antragstellers in der in § 35 VwVfG vorausgesetzten Weise „regelt”, d.h. begründet, ändert, aufhebt oder verbindlich feststellt oder die Begründung, Änderung, Aufhebung oder verbindliche Feststellung solcher Rechte verbindlich ablehnt (BVerwGE 69, 374 ≪377≫; 77, 268 ≪271≫). Bei der Entscheidung über den Antrag einer Tarifvertragspartei auf Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags läßt sich ein derartiger individueller Rechtsfolgenausspruch der Behörde gegenüber dem Antragsteller nicht feststellen:
Das mit dem Antrag einer Tarifvertragspartei eingeleitete Verfahren nach § 5 TVG und der Verordnung zur Durchführung des Tarifvertragsgesetzes vom 20. Februar 1970 (BGBl. I S. 193) – DVO-TVG – ist auf die beantragte Allgemeinverbindlicherklärung, also auf die Ausübung von Rechtsetzungsbefugnissen gerichtet. Ziel des Antrags und des Verfahrens ist mithin eine andere Entscheidung als die Erweiterung oder die Feststellung von Rechten der antragstellenden Tarifvertragspartei. Dementsprechend fällt auch im Falle der Ablehnung der Allgemeinverbindlicherklärung keine selbständige Entscheidung über die Rechte der antragstellenden Tarifvertragspartei, die als Verwaltungsakt bezeichnet werden könnte (ebenso im Ergebnis Backhaus/Wenner, DB 1988, 115 ≪116 ff.≫ mit ausführlichen Nachweisen zum Meinungsstand).
b) Wenngleich die Klägerin hiernach nicht entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines durch Zeitablauf erledigten Verwaltungsakts begehren kann, hat sie doch durch ihren Antrag vom 5. August 1983 ein konkretes Rechtsverhältnis zum beklagten Land begründet, das gemäß § 43 Abs. 1 VwGO der Klärung im Wege der Feststellungsklage zugänglich ist. Derart klärungsfähig und klärungsbedürftig ist namentlich die zwischen den Parteien umstrittene Frage, welche Rechte der Klägerin aus ihrem Antrag erwachsen sind und ob das badenwürttembergische Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung diese Rechte mit seiner Entscheidung vom 20. Dezember 1983 verletzt hat. Da die Klägerin unzweifelhaft die Allgemeinverbindlicherklärung der von ihr geschlossenen Tarifverträge beantragen durfte, läßt sich die Möglichkeit, daß ihr ein Anspruch auf diese Erklärung oder doch auf rechtsfehlerfreie Entscheidung über ihren Antrag zustand, nicht ohne weiteres von der Hand weisen. Eine vorrangige andere Klage (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO), insbesondere eine Leistungsklage auf uneingeschränkte Allgemeinverbindlicherklärung der in ihrem Antrag vom 5. August 1983 genannten Tarifverträge, kann die Klägerin schon deshalb nicht erheben, weil diese Verträge nach ihrem Ablauf durch neue Verträge ersetzt worden sind und damit jetzt nicht mehr für allgemeinverbindlich erklärt werden können. Die Klägerin hat auch das nach § 43 Abs. 1 VwGO nötige berechtigte Interesse an der erstrebten Feststellung der Verletzung ihrer Rechte, weil sie in ständiger Praxis nach dem Abschluß neuer Tarifverträge deren Allgemeinverbindlicherklärung beantragt und deshalb damit rechnen muß, daß ein solcher Antrag künftig erneut, und sei es wiederum nur teilweise, abgelehnt wird. Die Gefahr der Wiederholung gleichartiger Verwaltungsakte ist im Rahmen des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als hinreichender Grund für das Interesse des Klägers an einer Sachentscheidung anerkannt. Im vorliegenden Fall muß, auch wenn § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO die Anforderungen an das Feststellungsinteresse im Vergleich zu § 43 Abs. 1 VwGO senkt (vgl. BVerwGE 61, 128 ≪135≫), Entsprechendes gelten. Denn die Klägerin konnte wegen der begrenzten Laufzeit der streitigen Tarifverträge eine Sachentscheidung im Revisionsverfahren von vornherein erst nach Vertragsablauf erwarten. In Fällen dieser Art, in denen sich das zur Überprüfung gestellte Rechtsverhältnis noch vor der Ausschöpfung des gerichtlichen Instanzenzugs zu erledigen droht, dürfen nach dessen Erledigung an das Feststellungsinteresse des Klägers nach § 43 Abs. 1 VwGO keine strengeren Anforderungen gestellt werden als nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, weil anderenfalls ein hinreichend wirksamer Rechtsschutz nicht gewährleistet wäre (vgl. auch BVerwGE 61, 164 ≪168 f.≫).
4. Die nach alledem zulässige Klage ist aber nicht begründet. Das baden-württembergische Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung hat durch die teilweise Ablehnung des Antrags der Klägerin vom 5. August 1983 deren Rechte aus § 5 TVG nicht verletzt.
a) Das beklagte Land war gemäß § 5 TVG der Klägerin gegenüber allerdings zu einer rechtmäßigen Entscheidung über den gestellten Antrag verpflichtet. Das folgt aus dem Umstand, daß die im Tarifvertragsgesetz vorgesehene Möglichkeit, einen Tarifvertrag auf Antrag einer Tarifvertragspartei für allgemeinverbindlich zu erklären, nicht nur im öffentlichen Interesse besteht, sondern zugleich auch den Interessen der antragstellenden Tarifvertragsparteien dient. Die Allgemeinverbindlicherklärung begünstigt die Tarifvertragsparteien nicht nur tatsächlich und unbeabsichtigt im Sinne eines bloßen Rechtsreflexes; vielmehr ist § 5 TVG im Lichte des Art. 9 Abs. 3 GG dahin auszulegen, daß die Begünstigung beabsichtigt ist.
Sinn und Zweck der Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 TVG stellen sich nämlich nach der diese Vorschrift als verfassungsgemäß und damit rechtsgültig bestätigenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. insbesondere BVerfGE 44, 322 ff.) wie folgt dar:
Mit dem Tarifvertrag regeln die Vertragspartner einverständlich die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer nach § 3 Abs. 1 TVG beiderseits an den Inhalt der Tarifnormen gebundenen Mitglieder. Dieser Regelung droht insbesondere in Zeiten nachlassender Konjunktur und eines Überangebots an Arbeitskräften dadurch Gefahr, daß nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer untertarifliche Arbeitsbedingungen vereinbaren. Eine solche Tarifunterbietung kann zum einen dazu führen, daß nicht organisierte Arbeitnehmer die Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft beim Wettbewerb um die knappgewordenen Arbeitsplätze verdrängen; zum anderen können sich auf diese Weise nicht organisierte Arbeitgeber gegenüber den Mitgliedern des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes Konkurrenzvorteile verschaffen und diese so in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährden. Diesen als „Lohndrückerei” und „Schmutzkonkurrenz” bezeichneten Erscheinungen, die überdies – jedenfalls auf längere Sicht – eine Minderung der Anziehungskraft der Tarifvertragsparteien und einen Mitgliederschwund zur Folge haben können, wirkt die Allgemeinverbindlicherklärung in der Weise entgegen, daß sie den persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags auf die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstreckt (BVerfGE 44, 322 ≪323 f.≫). Haben die Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag gemeinsame Einrichtungen (Lohnausgleichskassen, Urlaubskassen usw., § 4 Abs. 2 TVG) vereinbart, sind diese häufig von vornherein auf die Einbeziehung aller Angehörigen des betreffenden Berufskreises angelegt. In solchen Fällen kann die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Einrichtungen erforderlich sein (BVerfGE 55, 7 ≪23 f.≫). Darüber hinaus – und nicht zuletzt – dient die Allgemeinverbindlicherklärung dem Ziel, den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern angemessene Arbeitsbedingungen zu sichern (BVerfGE 44, 322 ≪325, 342≫).
Alle genannten Ziele der Allgemeinverbindlicherklärung liegen im öffentlichen Interesse. Soweit mit ihr der soziale Schutz von Außenseitern bezweckt ist, bedarf dies keiner näheren Darlegung. Aber auch sonst zielt die Allgemeinverbindlicherklärung stets auf die Förderung des Gemeinwohls ab. Denn das Grundgesetz gewährleistet in Art. 9 Abs. 3 eine Ordnung des Arbeits- und Wirtschaftslebens, bei der der Staat seine Zuständigkeit zur Rechtsetzung weit zurückgenommen und die Bestimmung über die regelungsbedürftigen Einzelheiten des Arbeitsvertrags grundsätzlich den Koalitionen überlassen hat. Diesen ist durch Art. 9 Abs. 3 GG die im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe zugewiesen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in eigener Verantwortung und im wesentlichen ohne staatliche Einflußnahme zu gestalten (BVerfGE 44, 322 ≪340 f.≫; 55, 7 ≪23 f.≫). Dieser im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe der Koalitionen entspricht das öffentliche Interesse daran, die Effektivität der tarifvertraglichen Normsetzung zu sichern und einer Aushöhlung der Tarifverträge vorzubeugen.
Andererseits liegen die zuletzt genannten Ziele der Allgemeinverbindlicherklärung auch, wenn nicht sogar in erster Linie im Interesse der Tarifvertragsparteien selbst. Denn die Tarifvertragsparteien handeln beim Abschluß von Tarifverträgen nicht im Namen des Staates, sondern machen von einer ihnen grundrechtlich verbürgten Freiheit Gebrauch. Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG schützt für jedermann und für alle Berufe das Recht, sich zu Koalitionen zusammenzuschließen, sowie auch die Koalition als solche und ihr Recht, durch spezifisch koalitionsgemäße Betätigung die in der Vorschrift genannten Zwecke zu verfolgen (BVerfGE 55, 7 ≪21≫; 73, 261 ≪270≫).
Hierzu gehört der Abschluß von Tarifverträgen als das wichtigste Mittel der autonomen Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Auch die Tarifautonomie ist den Koalitionen in Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich gewährleistet (BVerfGE 50, 290 ≪369≫; 58, 233 ≪248≫). Sie ist freilich nicht in allen Einzelheiten in der Verfassung vorgezeichnet, sondern vom Gesetzgeber durch einfaches Gesetz zu entfalten (BVerfG a.a.O.). Letzteres ist im Tarifvertragsgesetz geschehen. Wenn aber das Tarifvertragsgesetz insgesamt das Recht der Koalitionen auf koalitionsgemäße Betätigung sichert und die ihnen garantierte Tarifautonomie entfaltet, so gilt dasselbe insbesondere auch für die Regelung des § 5 TVG über die Allgemeinverbindlicherklärung, denn diese zielt, wie dargelegt, darauf ab, die Effektivität der tarifvertraglichen Normsetzung zu wahren. Dementsprechend bezeichnet das Bundesverfassungsgericht die Allgemeinverbindlicherklärung als „ein Instrument, das die von Art. 9 Abs. 3 intendierte autonome Ordnung des Arbeitslebens durch die Koalitionen abstützen soll, indem sie den Normen der Tarifverträge zu größerer Durchsetzungskraft verhilft” (BVerfGE 44, 322 ≪342≫). An anderer Stelle seiner Entscheidung vom 24. Mai 1977 heißt es (a.a.O. S. 345): „Die vom Gesetzgeber gewählte Rechtsetzungsform soll der Garantie des Kernbereichs spezifisch koalitionsgemäßer Betätigung und dem hieraus fließenden Vorrecht der Verbände, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch eigene Normsetzung zu wahren und zu fördern, so weit wie möglich Rechnung tragen.”
Auf eine die Tarifparteien begünstigende Regelung deutet übrigens auch die Antragsabhängigkeit der Allgemeinverbindlicherklärung hin (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1986 – BVerwG 1 C 44.84 –, NJW 1987, 856 ≪857≫). Hinzu kommt, daß nach der prinzipiellen Ordnung des Verhältnisses des einzelnen zum Staat im Grundgesetz bei gesetzlichen Begünstigungen ohnehin im Zweifel ein rechtlich geschütztes Individualinteresse zu bejahen ist (BVerfGE 15, 275 ≪281 f.≫, BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1986 – BVerwG 1 C 44.84 –, a.a.O.). Der Hinweis des Berufungsgerichts auf den Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG und das dort für allein maßgeblich erklärte öffentliche Interesse begründet keinen beachtlichen Einwand. Auch wenn Maßstab einer gesetzlich vorgesehenen Begünstigung das öffentliche Interesse ist, kann das Gesetz nach Maßgabe dieses Maßstabs zugleich das Interesse des einzelnen an der Begünstigung rechtlich schützen, so daß dieser eine rechtsfehlerfreie Entscheidung zu beanspruchen hat (BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1986 – BVerwG 1 C 44.84 –, a.a.O.; BVerwGE 65, 19 ≪22≫; allgemein zur möglichen Identität von öffentlichem und privatem Interesse Leisner, DÖV 1970, 217 ff.). Den Tarifvertragsparteien steht mithin nach § 5 TVG nicht nur ein Antragsrecht, sondern darüber hinaus auch eine dieses Recht ergänzende materielle Rechtsposition zu.
An der in BVerwGE 7, 188 geäußerten und vom Berufungsgericht geteilten Rechtsauffassung, eine Tarifvertragspartei könne durch die Ablehnung ihres Antrags auf Allgemeinverbindlicherklärung nicht in ihren Rechten verletzt werden, hält der Senat nach alledem nicht länger fest.
Das den Tarifvertragsparteien zustehende materielle Recht ist freilich nicht gleichbedeutend mit einem strikten Rechtsanspruch auf Erlaß der Allgemeinverbindlicherklärung, und zwar auch dann nicht, wenn die in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG normierte tatbestandliche Voraussetzung der Allgemeinverbindlicherklärung (Mindestanteil der bei den tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer von 50 %) erfüllt ist. Denn damit ergibt sich lediglich die Möglichkeit ihres Erlasses nach Maßgabe des öffentlichen Interesses („… kann einen Tarifvertrag … für allgemeinverbindlich erklären, wenn … die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse geboten erscheint”, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG). Die Konkretisierung des öffentlichen Interesses, seine Gewichtung und seine Abwägung mit der – durch die Allgemeinverbindlicherklärung verkürzten – Privatautonomie der Außenseiter ist dem jeweils zur Entscheidung berufenen, parlamentarisch verantwortlichen Bundes- oder Landesminister (§ 5 Abs. 6 TVG) vorbehalten (BVerfGE 44, 322 ≪348≫), der insbesondere arbeitsmarkt- oder sonstige sozialpolitische Erwägungen anzustellen hat. In Übereinstimmung hiermit hebt das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung hervor, daß der zuständige Minister bei der Entscheidung nach § 5 TVG über einen „weiten Beurteilungspielraum” verfügt (vgl. Urteil vom 3. Februar 1965 – 4 AZR 385/63 –, NJW 1965, 1624 ≪1626≫; Urteil vom 24. Januar 1979 – 4 AZR 377/77 –, AP § 5 TVG Nr. 16 mit zustimmender Anmerkung Wiedemann ≪a.a.O. Bl. 839 ff., Bl. 840 ff.≫). Diese Entscheidungsfreiheit ist eine Ausprägung der auch mit Rechtsetzungsakten der Exekutive typischerweise verbundenen normativen Ermessens (vgl. dazu Badura, Das normative Ermessen beim Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen, in: Gedächtnisschrift für W. Martens, 1987, S. 25 ff.; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz a.a.O., Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 217) und wird erst dann rechtswidrig ausgeübt, wenn die getroffene Entscheidung in Anbetracht des Zwecks der Ermächtigung in § 5 TVG und der hiernach zu berücksichtigenden öffentlichen und privaten Interessen – einschließlich der Interessen der Tarifvertragsparteien – schlechterdings unvertretbar oder unverhältnismäßig ist (vgl. BVerfGE 45, 142 ≪162 f.≫). Demgemäß kann die antragstellende Tarifvertragspartei die Verneinung des öffentlichen Interesses an der Allgemeinverbindlichkeit durch den zuständigen Minister nur daraufhin verwaltungsgerichtlich überprüfen lassen, ob diese äußersten rechtlichen Grenzen seiner Rechtsetzungsbefugnis überschritten sind. Überdies spricht – da das mögliche öffentliche Interesse an der Allgemeinverbindlichkeit nicht in seiner Gesamtheit, sondern nur in Teilbereichen mit den Interessen der Tarifvertragsparteien übereinstimmt und da auch die Interessen der Tarifvertragsparteien nicht immer gleichläufig sind – manches dafür, daß die antragstellende Tarifvertragspartei der ablehnenden Entscheidung des Ministers ausschließlich eine rechtswidrige Vernachlässigung ihrer eigenen, zuvor ordnungsgemäß in das Verfahren eingebrachten Interessen entgegensetzen kann. Das mag indes offenbleiben, weil die hier angegriffene Entscheidung auch dann nicht zu beanstanden ist, wenn sie uneingeschränkt anhand des genannten Maßstabs auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft wird. Da diese Prüfung ohne weitere Sachverhaltsaufklärung aufgrund des bisherigen Akteninhalts vorgenommen werden kann, braucht der Rechtsstreit nicht, wie von der Klägerin beantragt, an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen zu werden. Vielmehr kann der Senat selbst abschließend zur Sache entscheiden.
b) Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage dagegen, daß das baden-württembergische Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung ihren Antrag vom 5. August 1983, soweit er die von ihr geschlossenen Tarifverträge über die Gewährung von Urlaubsgeld und über die Vergütung für Auszubildende betraf, insgesamt abgelehnt und daß es die Lohntarifverträge nicht, wie beantragt, ab dem 1. Mai 1983, sondern erst ab dem 5. November 1983 für allgemeinverbindlich erklärt hat.
Die Ablehnung des Antrags auf Allgemeinverbindlicherklärung der Urlaubsgeldabkommen und der Tarifverträge über Ausbildungsvergütungen hat das Ministerium wie folgt begründet: Hinsichtlich der Urlaubsgeldabkommen habe nicht glaubhaft gemacht werden können, daß ohne eine Allgemeinverbindlicherklärung unvertretbare Arbeitsbedingungen bestehen würden. Die wirtschaftliche Grundlage der Arbeitnehmerhaushalte werde durch die Löhne und nicht durch das Urlaubsgeld bestimmt, das zudem gegenüber 1982 mit 12 bis 17 DM nur um einen verhältnismäßig geringen Betrag erhöht worden sei. Dasselbe gelte für die Ausbildungsvergütungen. Wesentlich sei, daß die Unterlassung einer Allgemeinverbindlicherklärung insoweit nicht zu einer Schwächung der Tarifvertragsparteien führen werde. Zu den Ausbildungsvergütungen hat das Ministerium im gerichtlichen Verfahren nachgetragen, daß diese schon durch die Vorschrift des § 10 des Berufsbildungsgesetzes auf einer angemessenen Höhe gehalten würden und daß die Erhaltung der Möglichkeit, niedrigere als die tariflichen Ausbildungsvergütungen zu vereinbaren, zur Bereitstellung zusätzlicher Ausbildungsplätze beitragen könne.
Diese Erwägungen halten sich im Rahmen der Ermächtigung des § 5 TVG und tragen die Entscheidung des Ministeriums, die Urlaubsgeldabkommen und die Tarifverträge über Ausbildungsvergütungen im Unterschied zu den Lohntarifverträgen nicht für allgemeinverbindlich zu erklären. Zwar weist die Klägerin zu Recht darauf hin, daß die Urlaubsgeldabkommen die diesbezüglichen früheren Verträge insgesamt ersetzten und daß jedenfalls bei der Neueinstellung von nicht organisierten Arbeitnehmern keine Bindung an einen früheren Tarifvertrag mehr bestand. Das ändert aber nichts daran, daß es nicht schlechterdings unvertretbar erscheint, das Urlaubsgeld als eine zwar willkommene, aber nicht sozial unverzichtbare Lohnnebenleistung anzusehen, und daß die meisten nicht organisierten Arbeitnehmer das Urlaubsgeld aufgrund der Nachwirkung der früheren Verträge, die für allgemeinverbindlich erklärt worden waren, in seiner bisherigen Höhe weiter erhielten (§ 4 Abs. 5 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 und 4 TVG). Bei den Vergütungen für Auszubildende hatte, auch wenn man von einer erhöhten sozialen Schutzbedürftigkeit dieser Personengruppe ausgeht, das Motiv des Ministeriums Gewicht, für ein möglichst breites Angebot von Ausbildungsplätzen zu sorgen. Daß das Ministerium diesem – übrigens gleichfalls dem Schutz der Auszubildenden dienenden – Ziel den Vorrang vor der Durchsetzung tarifmäßiger Vergütungen einräumte, ist nicht zu beanstanden, zumal da nach § 10 des Berufsbildungsgesetzes jeder Auszubildende Anspruch auf die Gewährung einer „angemessenen Vergütung” hatte. Im übrigen verblieb es auch hinsichtlich der Ausbildungsvergütungen für eine große Zahl von Betroffenen wegen der Nachwirkung der früheren Tarifverträge bei den dort vorgesehenen Leistungen. Entgegen der Ansicht der Klägerin war das Ministerium nicht verpflichtet, über alle in ihrem Antrag genannten Tarifverträge in gleicher Weise zu entscheiden. Zwar mögen die Verträge den Tarifvertragsparteien sowohl bei Vertragsabschluß als auch bei der gemeinsamen Stellung des Antrags nach § 5 Abs. 1 TVG als Einheit erschienen sein. Das hinderte das Ministerium aber nicht, jeden Vertrag einzeln auf die Notwendigkeit der Allgemeinverbindlicherklärung zu überprüfen und je nach dem Ergebnis dieser Prüfung verschieden zu entscheiden. Wie dargelegt, fehlte es bei den Urlaubsgeldabkommen und den Tarifverträgen über Ausbildungsvergütungen nicht an besonderen Gründen, die dafür sprachen, diese Verträge anders als die Lohntarifverträge nicht für allgemeinverbindlich zu erklären.
Ebensowenig war das Ministerium verpflichtet, schon deshalb, weil es dem Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung der Lohntarifverträge stattgab, seiner Erklärung zugleich auch antragsgemäß Rückwirkung auf den 1. Mai 1983 beizumessen. Gemäß § 7 Satz 2 DVO-TVG wird der Beginn der Allgemeinverbindlichkeit von dem zuständigen Minister bestimmt; dieser soll in der Regel keinen Zeitpunkt vor der Bekanntmachung des Antrags auf Allgemeinverbindlicherklärung wählen (§ 7 Satz 3 DVO-TVG). Zwar entfällt die dem Minister in § 7 Satz 3 DVO-TVG auferlegte Beschränkung immer dann, wenn es sich um die Erneuerung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags handelt; ein solcher Fall lag hier vor, weil die früheren Lohntarifverträge ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärt worden waren. Das heißt aber nicht, daß ein Tarifvertrag, der einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag nach dessen Ablauf ersetzt, stets rückwirkend auf den Zeitpunkt seines Inkrafttretens für allgemeinverbindlich zu erklären wäre. Vielmehr kann sich der zuständige Minister in derartigen Fällen in den Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen (vgl. BAG, Urteil vom 3. November 1982 – 4 AZR 1255/79 – AP Nr. 18 zu § 5 TVG) für die Rückwirkung, aber auch im Interesse der hiervon nachteilig Betroffenen gegen sie entscheiden. Wenn sich im vorliegenden Fall das baden-württembergische Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung in Anbetracht des vergleichsweise langen Zeitraums, der – ohne sein Verschulden – von dem Außerkrafttreten der früheren Lohntarifverträge bis zur Bekanntmachung des Antrags auf Allgemeinverbindlicherklärung verstrichen war, sowie mit Rücksicht darauf, daß möglicherweise einzelne nicht tarifgebundene Arbeitgeber nach so langer Zeit nicht mehr auf Lohnnachzahlungen eingerichtet waren, gegen die von der Klägerin beantragte Rückwirkung entschied, so war das rechtlich unbedenklich. Auf die von der Klägerin näher erörterte Frage, ob die Rückwirkung ohne Verletzung der Rechte der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber hätte angeordnet werden können, kommt es nicht an, weil das Ministerium auch unter dieser Voraussetzung von der Rückwirkung absehen durfte.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Sendler, Kreiling, Seebass, Dr. Gaentzsch, Dr. Bardenhewer
Fundstellen
BVerwGE, 355 |
DVBl. 1989, 562 |