Entscheidungsstichwort (Thema)
Außergewöhnliche Belastung als Grund für Härtefreibetrag nach § 25 Abs. 6 BAföG. Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff der unbilligen Härte. Freibetrag zur Vermeidung unbilliger Härte. Härtefreibetrag nach § 25 Abs. 6 BAföG. unbillige Härte, Freibetrag zur Vermeidung von unbilligen Härten. sonst eintretende unbillige Härten als Ermessenskriterium
Leitsatz (amtlich)
1. Mit der Hervorhebung der in § 25 Abs. 6 Satz 2 BAföG genannten Belastungen und Aufwendungen enthält das Gesetz eine Wertung dahin, daß es in diesen Fällen von Belastungen und Aufwendungen naheliegt, einen weiteren Teil des Elterneinkommens anrechnungsfrei zu lassen, um eine – sonst (d.h. ohne Härtefreibetrag) eintretende – unbillige Härte zu vermeiden (Klarstellung und Weiterführung von BVerwGE 77, 222 und BVerwG, Urteil vom 15. November 1990 – BVerwG 5 C 19.88 – ≪Buchholz 436.36 § 25 BAföG Nr. 10≫).
2. Im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 25 Abs. 6 BAföG kann auch berücksichtigt werden, daß das Elterneinkommen im Bewilligungszeitraum deutlich höher gewesen ist als in dem nach § 24 Abs. 1 BAföG maßgeblichen Berechnungsjahr.
Normenkette
BAföG § 25 Abs. 6
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 26.02.1997; Aktenzeichen 12 B 95.424) |
VG München (Entscheidung vom 13.10.1994; Aktenzeichen M 15 K 93.4959) |
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Februar 1997 wird insofern und dahin geändert, daß der Beklagte verpflichtet wird, über den Antrag der Klägerin nach § 25 Abs. 6 BAföG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts neu zu entscheiden.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Klägerin und der Beklagte tragen die Kosten des Revisionsverfahrens je zur Hälfte.
Tatbestand
I.
Mit Bescheid vom 4. September 1991 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Ausbildungsförderung ab, weil das nach Abzug eines Härtefreibetrages (monatlich 200 DM) anrechenbare Elterneinkommen (monatlich 932 DM) ihren Bedarf (monatlich 825 DM) übersteige. Den Widerspruch hiergegen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 1991 zurück. Zwar sei der Bedarf um monatlich 65 DM für Krankenversicherungsleistungen zu erhöhen, aber auch ein Bedarf von monatlich 890 DM liege noch unter dem anrechenbaren Elterneinkommen von monatlich 932 DM. Der Härtefreibetrag in Höhe von monatlich 200 DM errechne sich aus dem in § 33 b Abs. 3 EStG geregelten Pauschbetrag von jährlich 2 400 DM für die mit einem Grad der Behinderung von 90 % körperbehinderte Mutter der Klägerin. Sonstige Belastungen könnten nur anerkannt werden, soweit sie im Bewilligungszeitraum, also in der Zeit von Oktober 1991 bis September 1992, angefallen seien bzw. anfielen. Mit Schreiben vom 30. Dezember 1991 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, daß die Aufwendungen im Sinne des § 25 Abs. 6 BAföG (ungedeckte Krankheitskosten) 1991 nach überschlägiger Ermittlung mindestens 6 000 DM betrügen und in der Zeit von Oktober 1991 bis September 1992 mindestens die Höhe des Jahres 1991 erreichen würden; sie beantragte, diesen Jahresbetrag nach § 25 Abs. 6 BAföG zu berücksichtigen und einen entsprechend geänderten Förderungsbescheid zu erlassen. Im Schreiben vom 10. August 1992 wiederholte die Klägerin ihren Antrag, für ihre Förderung im Bewilligungszeitraum von Oktober 1991 bis September 1992 vom maßgeblichen Einkommen der Eltern die außergewöhnlichen Belastungen abzuziehen. Am 2. Juni 1993 wurden dem Beklagten die Einkommensteuerbescheide der Eltern der Klägerin für 1991 und 1992 vorgelegt, die Aufwendungen nach § 33 EStG in Höhe von 6 935 DM (1991) und 7 389 DM (1992) auswiesen.
Mit Bescheid vom 23. August 1993 lehnte der Beklagte den Antrag auf Anerkennung außergewöhnlicher Belastungen für den Bewilligungszeitraum Oktober 1991 bis September 1992 ab. Nach § 25 Abs. 6 BAföG könnten außergewöhnliche Belastungen nur berücksichtigt werden, wenn auch die Belege hierfür umgehend vorgelegt würden. Das sei nicht geschehen. Die Einkommensteuerbescheide für 1991 und 1992 erfüllten diese Voraussetzung nicht. Den Widerspruch der Klägerin, dem eine Aufstellung der beim Finanzamt geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen beigefügt war, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 1993 zurück; die Belege für den Anfall der Belastungen seien nicht umgehend nach ihrer Entstehung vorgelegt worden.
Am 26. Oktober 1993 hat die Klägerin Klage mit dem Ziel erhoben, den Beklagten zu verpflichten, für die Entscheidung über ihre Ausbildungsförderung vom Einkommen ihrer Eltern die sich anteilig aus den Einkommensteuerbescheiden 1991 und 1992 ergebenden außergewöhnlichen Belastungen im Bewilligungszeitraum nach § 25 Abs. 6 BAföG anrechnungsfrei zu lassen. Der Beklagte ist der Klage mit der Auffassung entgegengetreten, eine besondere Härte im Sinne von § 25 Abs. 6 BAföG liege jedenfalls deshalb nicht vor, weil das Einkommen der Eltern in den Jahren 1991 und 1992 gegenüber dem für die Berechnung des Elterneinkommens grundsätzlich maßgeblichen Jahr 1989 ganz erheblich gestiegen sei. Lege man das Elterneinkommen im Bewilligungszeitraum zugrunde, würde sich auch dann keine Förderung ergeben, wenn die von der Klägerin für den Bewilligungszeitraum geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen vom Elterneinkommen abgezogen würden. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen: Die vorgelegten Einkommensteuerbescheide ließen nicht erkennen, ob die außergewöhnlichen Belastungen im Bewilligungszeitraum entstanden seien. Hiervon unabhängig fehle es an einer unbilligen Härte im Sinne von § 25 Abs. 6 BAföG, weil das Elterneinkommen im Bewilligungszeitraum erheblich höher gewesen sei. Auf die Berufung der Klägerin hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Beklagten verpflichtet, über den Antrag der Klägerin nach § 25 Abs. 6 BAföG erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs zu entscheiden. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt:
Die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 6 BAföG seien erfüllt. Die Klägerin habe den erforderlichen Antrag im Bewilligungszeitraum gestellt. Die Belege für die geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen müßten nicht unverzüglich vorgelegt werden. Auch sei mit den geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen der Tatbestand der unbilligen Härte erfüllt. Doch müsse der Beklagte nun noch nach Ermessen entscheiden, ob und gegebenenfalls inwieweit ein weiterer Teil des Elterneinkommens anrechnungsfrei bleiben könne. Dabei könne der Beklagte im Rahmen seiner Ermessensentscheidung auch berücksichtigen, daß das Einkommen der Eltern im Bewilligungszeitraum deutlich höher gewesen sei als in dem nach § 24 Abs. 1 BAföG maßgeblichen Jahr 1989.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er begehrt, das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs aufzuheben und die Berufung in vollem Umfang zurückzuweisen. Zu Unrecht gehe das Berufungsgericht davon aus, daß eine unbillige Härte im Sinne von § 25 Abs. 6 BAföG dann (und immer schon dann) vorliege, wenn der Einkommensbezieher im Bewilligungszeitraum außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 EStG zu tragen habe. Vielmehr seien in die Beurteilung der Frage, ob eine unbillige Härte vorliege, auch andere Aspekte mit einzubeziehen. So wirke sich hier nicht erst auf die anschließende Ermessensausübung, sondern bereits auf die Auslegung und Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der unbilligen Härte aus, daß das Elterneinkommen im Bewilligungszeitraum von Oktober 1991 bis September 1992 wesentlich höher gewesen sei als das der Anrechnung zugrunde liegende aus dem Jahre 1989. Insofern fehle es bereits an einer unbilligen Härte als Voraussetzung für einen Freibetrag nach § 25 Abs. 6 BAföG.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. § 25 Abs. 6 Satz 2 BAföG enthalte gesetzliche Konkretisierungen des unbestimmten Rechtsbegriffs der unbilligen Härte in § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG. Da § 25 Abs. 6 Satz 2 BAföG die außergewöhnlichen Belastungen nach §§ 33 bis 33 c EStG anführe, stünden sie damit als unbillige Härte im Sinne des § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG fest.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Ausführungen des Beklagten. Für § 25 Abs. 6 BAföG seien die Einkommensverhältnisse im Bewilligungszeitraum maßgeblich; das gelte bereits für die tatbestandliche Prüfung, ob dem Einkommensbezieher trotz Einkommenssteigerung aufgrund seiner atypischen Aufwendungen eine unbillige Härte erwachse.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Beklagten, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 in Verbindung mit § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist teilweise begründet.
Das Berufungsgericht ist zutreffend der Auffassung, daß der Klägerin ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren Antrag nach § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG zusteht. Zu Unrecht geht das Berufungsgericht zwar davon aus, daß mit den den Eltern der Klägerin im Bewilligungszeitraum entstandenen außergewöhnlichen Belastungen der Tatbestand der unbilligen Härte im Sinne des § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG erfüllt sei, zu Recht aber meint es, im Rahmen der Ermessensentscheidung könne berücksichtigt werden, daß das Elterneinkommen im Bewilligungszeitraum deutlich höher gewesen sei als in dem nach § 24 Abs. 1 BAföG maßgeblichen Jahr.
Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zu den im Bewilligungszeitraum angefallenen außergewöhnlichen Belastungen sind im Revisionsverfahren nicht beanstandet worden und damit für das Bundesverwaltungsgericht bindend, so daß es keiner Erörterung bedarf, ob die für den Härtefreibetrag maßgeblichen außergewöhnlichen Belastungen – wie es das Berufungsgericht im vorliegenden Streitfall für vertretbar erachtet hat – entsprechend § 24 Abs. 4 Satz 2 BAföG ermittelt werden können.
Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht insoweit, als es in Anwendung des § 25 Abs. 6 Satz 2 BAföG außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG für hinreichend hält, den Tatbestand der unbilligen Härte im Sinne von § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG zu erfüllen. Bereits nach dem Regelungsgehalt des § 25 Abs. 6 BAföG verbietet es sich, das bloße Vorliegen außergewöhnlicher Belastungen als unbillige Härte im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen. Denn außergewöhnliche Belastungen können nicht selbst eine unbillige Härte sein, weil nach dem Ziel des § 25 Abs. 6 BAföG unbillige Härten gar nicht erst entstehen, sondern vermieden werden sollen. In diesem engen Sinn hat weder der Senat in BVerwGE 77, 222 noch das Berufungsgericht, dieser Entscheidung folgend, die Aussage verstanden, daß unter den Tatbestand der unbilligen Härte insbesondere außergewöhnliche Belastungen nach §§ 33 ff. EStG fallen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß § 25 Abs. 6 BAföG nicht auf den tatsächlichen Eintritt einer unbilligen Härte abstellt, sondern auf deren Vermeidung. § 25 Abs. 6 BAföG setzt demnach als Tatbestand voraus, daß eine allein die Freibeträge nach § 25 Abs. 1, 3 und 4 BAföG berücksichtigende Einkommensanrechnung zu einer unbilligen Härte führen würde. Dabei kommen nach § 25 Abs. 6 Satz 2 BAföG insbesondere außergewöhnliche Belastungen nach den §§ 33 bis 33 c EStG als Umstand in Betracht, der ohne Härtefreibetrag zu einer unbilligen Härte führen würde/könnte. Der Senat stellt deshalb die mißverständliche Formulierung, § 25 Abs. 6 Satz 2 BAföG führe außergewöhnliche Belastungen im Sinne des Einkommensteuerrechts als Beispielsfall einer unbilligen Härte auf (BVerwGE 77, 222 ≪224, 228, 229≫), klar: Außergewöhnliche Belastungen können die Annahme einer unbilligen Härte rechtfertigen (BVerwG, Urteil vom 15. November 1990 – BVerwG 5 C 19.88 – ≪Buchholz 436.36 § 25 BAföG Nr. 10 S. 21≫), sind also nach § 25 Abs. 6 BAföG geeignet, eine unbillige Härte im Sinne dieser Vorschrift zu begründen (BVerwGE 77, 222 ≪225≫). Der gesetzlichen Hervorhebung der Beispiele in § 25 Abs. 6 Satz 2 BAföG, d.h. der außergewöhnlichen Belastungen nach §§ 33 ff. EStG und der Aufwendungen für behinderte Personen, kann aber nicht nur entnommen werden, daß in diesen Fällen eine Anrechnungsfreiheit möglich ist, wenn damit eine unbillige Härte vermieden werden kann. Vielmehr enthält die gesetzliche Hervorhebung (Hierunter ≪Satz 1≫ fallen insbesondere …) eine Wertung dahin, daß es in diesen Beispielsfällen naheliegt, einen weiteren Teil des Einkommens anrechnungsfrei zu lassen, um eine – sonst (d.h. ohne Härtefreibetrag) eintretende – unbillige Härte zu vermeiden. Von dieser Wertung des Gesetzgebers ist bei der Beurteilung, ob der Eintritt einer unbilligen Härte droht, und bei der Ermessensentscheidung über den Freibetrag nach § 25 Abs. 6 BAföG auszugehen.
Das Berufungsgericht ordnet den Begriff der unbilligen Härte in § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG zu Unrecht allein der Tatbestandsseite zu. Dabei verkennt es die Verknüpfung des Begriffs der unbilligen Härte, eigentlich eines unbestimmten Rechtsbegriffs, mit dem Ermessen in § 25 Abs. 6 BAföG. Wie der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (BVerwGE 39, 355) ausgeführt hat, kann nur nach Sinn und Zweck der jeweiligen Norm darüber entschieden werden, in welchem Verhältnis unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessen in einer Norm zueinander stehen. Da es Sinn und Zweck des § 25 Abs. 6 BAföG ist, unbillige Härten zu vermeiden, prägt der Begriff der unbilligen Härte den Zweck der Ermessensermächtigung „Zur Vermeidung unbilliger Härten”) entscheidend und bestimmt maßgeblich das Steuerungsprogramm für das Ermessen sowie die hierfür beachtlichen Kriterien. Neben diesem Zweck, unbillige Härten zu vermeiden, sind andere für die Einräumung eines Freibetrages nach § 25 Abs. 6 BAföG bedeutsame Ermessensgesichtspunkte nicht ersichtlich. So lassen sich keine Gründe finden, die es rechtfertigen könnten, gegen den Ermächtigungszweck einen weiteren Teil des Einkommens trotz sonst eintretender unbilliger Härte nicht anrechnungsfrei zu lassen. Einerseits gibt § 25 Abs. 6 BAföG nur dann, wenn und soweit eine Einkommensanrechnung ohne Härtefreibetrag zu einer unbilligen Härte führen würde, die Ermessensdirektive vor, einen weiteren Teil des Einkommens anrechnungsfrei zu lassen (eine sonst eintretende unbillige Härte als notwendige Bedingung); andererseits soll aber auch immer dann, wenn und soweit eine Einkommensanrechnung ohne Härtefreibetrag zu einer unbilligen Härte führen würde, ein weiterer Teil des Einkommens anrechnungsfrei gelassen werden „Zur Vermeidung unbilliger Härten” als notwendige und zugleich hinreichende Ermessensdirektive bzw. eine sonst eintretende unbillige Härte als notwendiges und zugleich hinreichendes Ermessenskriterium). Damit ist die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der unbilligen Härte im Sinne des § 25 Abs. 6 BAföG unmittelbar mit dem Ermessensbereich und der Ermessensausübung nach dieser Vorschrift verbunden.
Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß der Beklagte im Rahmen seiner Ermessensentscheidung auch berücksichtigen kann, daß das Einkommen der Eltern der Klägerin im Bewilligungszeitraum deutlich höher gewesen ist als in dem nach § 24 Abs. 1 BAföG maßgeblichen Jahr 1989 (ebenso OVG NW FamRZ 1991, 746; a.A. Rothe/Blanke § 25 BAföG Rn. 43.3 und 43.4). Damit wird nicht der grundsätzlich nach § 24 Abs. 1 BAföG maßgebliche Berechnungszeitraum (vorletztes Kalenderjahr vor Beginn des Bewilligungszeitraums) für das für die Anrechnung in Frage kommende Einkommen aufgegeben. Auch im Streitfall wird Elterneinkommen unstreitig nur in Höhe des 1989 erzielten Einkommens zur Anrechnung herangezogen. Auch wenn sich das für die Anrechnung in Betracht kommende Einkommen maßgeblich nach den Einkommensverhältnissen in einem zurückliegenden Jahr bemißt, ist es gerechtfertigt, für die Beurteilung einer Belastung im Bewilligungszeitraum als mögliche unbillige Härte das aktuelle Einkommen im Bewilligungszeitraum zu berücksichtigen. Der Beklagte, das Berufungsgericht und das OVG NW a.a.O. haben zur Begründung zu Recht auf die mit § 25 Abs. 6 BAföG beabsichtigte Anschließung an das Unterhaltsrecht und dessen Anknüpfung an das aktuelle Einkommen hingewiesen. Eines Freibetrages nach § 25 Abs. 6 BAföG zur Vermeidung einer unbilligen Härte bedarf es nämlich dann nicht, wenn bzw. soweit eine besondere Belastung im Bewilligungszeitraum mit einem entsprechend höheren Einkommen im Bewilligungszeitraum ausgeglichen werden kann. Vergleichbar ist in § 36 Abs. 1 Satz 1 BAföG zur Vermeidung einer Gefährdung der Ausbildung die Berücksichtigung des Ehegatteneinkommens im Bewilligungszeitraum vorgesehen, obgleich für die Anrechnung des Ehegatteneinkommens grundsätzlich der Berechnungszeitraum nach § 24 Abs. 1 BAföG maßgebend ist.
Auf die Revision des Beklagten ist das Berufungsurteil zu ändern. Zwar hat das Berufungsgericht den Beklagten zu Recht verpflichtet, über den Antrag der Klägerin erneut zu entscheiden. Denn der Beklagte hat den Antrag der Klägerin auf Ausbildungsförderung unter Berücksichtigung eines Härtefreibetrages wegen außergewöhnlicher Belastungen im Bescheid vom 23. August 1993 und im Widerspruchsbescheid vom 28. September 1993 nicht in Ausübung von Ermessen aus Ermessensgründen abgelehnt. Deshalb können, wie im Berufungsurteil zutreffend gesehen, die im gerichtlichen Verfahren vom Beklagten gegen einen Härtefreibetrag vorgetragenen Gründe nicht als nach § 114 Satz 2 VwGO zulässige Ergänzung von „Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts” berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Mai 1998 – BVerwG 1 C 17.97 – UA S. 22 ≪zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt≫: § 114 Satz 2 VwGO regelt nur die Ergänzung der Ermessenserwägungen, nicht deren vollständige Nachholung). Das Berufungsurteil ist aber zu ändern, weil, wie oben gezeigt, die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zur Bedeutung des Merkmals der unbilligen Härte im Gefüge des § 25 Abs. 6 BAföG nicht zutrifft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Fundstellen
BVerwGE |
BVerwGE, 164 |
FamRZ 1998, 1630 |
NVwZ-RR 1999, 124 |
NVwZ 1999, 424 |
SGb 1999, 28 |
DVBl. 1998, 1137 |
www.judicialis.de 1998 |