Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhaltssicherung. Verdienstausfallentschädigung nach Wehrübung. Ausfallzeiten
Leitsatz (amtlich)
Eine im Kalendermonat vor der Einberufung bereits seit mehr als zwei Jahren anhaltende Arbeitslosigkeit steht der Gewährung einer Verdienstausfallentschädigung nach § 10 Abs. 3, § 13 Abs. 3 USG nicht entgegen.
Normenkette
USG §§ 10, 13
Verfahrensgang
OVG Berlin (Urteil vom 19.12.2002; Aktenzeichen 6 B 2.02) |
VG Berlin (Urteil vom 15.01.2002; Aktenzeichen 23 A 19.00) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 19. Dezember 2002 wird aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. Januar 2002 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der am 12. Februar 1941 geborene Kläger nahm im Jahre 1999 an einer Wehrübung teil und begehrt dafür die Zahlung einer höheren Verdienstausfallentschädigung.
Er war bis zum 31. Dezember 1994 Berufssoldat mit dem Dienstgrad eines Oberstleutnants. Danach bezog er – bis zum 30. Juni 1995 – so genannte Übergangsgebührnisse nach dem Einigungsvertrag als Übergangsgeld. Seit 1995 nahm er jährlich an mehrmonatigen Wehrübungen nach § 23 WPflG teil. Dabei erhielt er eine Verdienstausfallentschädigung, für deren Berechnung anfangs dasjenige Jahresgehalt zugrunde gelegt wurde, das der Kläger im letzten Jahr seines aktiven Dienstes vom 1. Januar bis 31. Dezember 1994 erzielt hatte. Das Gehalt hatte brutto 106 318,32 DM betragen, was nach Abzug von Lohnsteuer und Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherung zu einem Jahreseinkommen von netto 68 254,76 DM führte. Dieser Betrag – dividiert durch 360 – ergab einen Tagessatz von 189,59 DM, der dem Kläger für jeden Tag einer Wehrübung bewilligt wurde.
Aufgrund Einberufungsbescheids vom 18. Dezember 1998 nahm der Kläger vom 4. Januar bis 12. März 1999 erneut an einer Wehrübung teil. Am 30. Dezember 1998 beantragte er dafür Leistungen für Wehrübende nach dem Unterhaltssicherungsgesetz. Für diese Zeit gewährte ihm der Beklagte mit Bescheid vom 13. Januar 1999 eine Verdienstausfallentschädigung von 189,59 DM je Wehrdiensttag.
Mit Bescheid des Kreiswehrersatzamtes vom 10. März 1999 wurde diese Wehrübung über den 12. März hinaus bis zum 2. Juli 1999 verlängert. Am 11. März 1999 beantragte der Kläger daraufhin für den Verlängerungszeitraum ebenfalls Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz. Für diesen Zeitraum von insgesamt 112 Wehrdiensttagen wurde dem Kläger mit Bescheid vom 7. Juli 1999 nicht mehr der Tagessatz in Höhe von 189,59 DM bewilligt, sondern nur noch die Mindestleistung in Höhe des Tagessatzes für den Dienstgrad eines Oberstleutnants von 68,00 DM. Mit Bescheid vom 7. Juli 1999 wurde als Härteausgleich zusätzlich ein Tagesbetrag von 9,76 DM gewährt; dabei handelte es sich um den Differenzbetrag zwischen dem seinerzeit vom Kläger bezogenen Arbeitslosengeld in Höhe von täglich 77,76 DM und dem Tagessatz der Mindestleistung von 68,00 DM. Die Absenkung der Verdienstausfallentschädigung begründete der Beklagte damit, dass der Kläger im Kalenderjahr vor der Einberufung wegen seiner Arbeitslosigkeit keinen Arbeitslohn bezogen habe und demzufolge im maßgeblichen Bezugsjahr kein Arbeitsentgelt als Bemessungsgrundlage berücksichtigungsfähig gewesen sei. Daher habe ihm nur die um den Härteausgleich aufgestockte Mindestleistung bewilligt werden können.
Nach erfolglosem Widerspruch hat der Kläger Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 15. Januar 2002 den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Bezirksamtes Lichtenberg vom 7. Juli 1999 und seines Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2000 verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 13. März 1999 bis 2. Juli 1999 eine weitere Verdienstausfallentschädigung nach dem Unterhaltssicherungsgesetz in Höhe von 12 524,96 DM zu zahlen.
Auf die dagegen eingelegte Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 19. Dezember 2002 das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 15. Januar 2002 geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Ein Wehrpflichtiger, der an Wehrübungen teilnehme, erhalte gemäß § 2 Nr. 3 USG Leistungen nach den §§ 13 bis 13d USG. Im vorliegenden Fall könne der Kläger lediglich einen Anspruch auf die Mindestleistung nach § 13c USG geltend machen, wonach die Tabellenleistung gewährt werde, wenn die Leistungen nach den §§ 13 bis 13b USG zusammen den Betrag unterschritten, der sich für den Wehrpflichtigen auf Grund seines Dienstgrades und Familienstandes nach der als Anlage beigefügten Tabelle ergebe. Diese Mindestleistungen stünden auch den Wehrpflichtigen zu, die keine Leistungen nach den §§ 13 bis 13b USG erhielten. Eine Verdienstausfallentschädigung nach § 13 USG könne auf Grund der langjährigen Arbeitslosigkeit des Klägers nicht ermittelt werden.
Die dagegen eingelegte Revision hat der Kläger damit begründet, entscheidend sei die Regelung in § 10 Abs. 3 Satz 2 USG. Wenn danach “diese Zeiten” – hier diejenigen der Arbeitslosigkeit – im Falle des Absatzes 2 Nr. 2 mehr als ein Jahr betrügen, sei der monatliche Durchschnitt des Nettoeinkommens in dem vor dieser Zeit liegenden Jahr maßgebend. Unstreitig sei diese Voraussetzung in seinem Falle erfüllt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 19. Dezember 2002 zu ändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. Januar 2002 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen auf die Ausführungen im Urteil des Oberverwaltungsgerichts verwiesen.
Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt. Er hält die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im Ergebnis für zutreffend. Bereits aus der Entstehungsgeschichte von § 10 Abs. 3 USG ergebe sich, dass der Ausschuss für Verteidigung – ihm folgend das Plenum des Bundestages – seinerzeit mit seinem Änderungsantrag die Berücksichtigung von Verdienstausfallzeiten entgegen der ursprünglichen Fassung im Regierungsentwurf zum Unterhaltssicherungsgesetz auf einen engen zeitlichen Rahmen habe begrenzt sehen wollen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Revision ist zulässig und begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verstößt gegen Bundesrecht. Die Ablehnung der Verdienstausfallentschädigung in der begehrten Höhe ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Der zur Erfüllung der Wehrpflicht einberufene Wehrpflichtige und seine Familienangehörigen erhalten Leistungen zur Sicherung ihres Lebensbedarfs (Unterhaltssicherung) nach Maßgabe des hier in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1987 (BGBl I S. 2614) und des Art. 14 § 18 des Gesetzes vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S. 2942) anwendbaren Unterhaltssicherungsgesetzes – USG – (§ 1 Abs. 1 Satz 1 USG). Freiwillig Wehrdienstleistende sowie frühere Berufs- und Zeitsoldaten werden nach Maßgabe vom § 1 Abs. 1 Sätze 2 und 3 USG einbezogen. Dass der Kläger zu dem nach § 1 Abs. 1 USG anspruchsberechtigten Personenkreis zählt, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Demnach gehört der Kläger wegen seiner Teilnahme an einer Wehrübung gemäß § 2 Nr. 4 USG zum Kreis derjenigen, die Leistungen nach den §§ 13 bis 13d USG beanspruchen können. In seinem Fall ist § 13 USG einschlägig.
Wehrpflichtige, die infolge des Wehrdienstes Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder Lohnersatzleistungen einbüßen, erhalten gemäß § 13 Abs. 1 USG eine Verdienstausfallentschädigung nach § 13 Abs. 2 oder Abs. 3 USG. Während der streitgegenständlichen Wehrübung war der Kläger arbeitslos und somit kein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nach dem Arbeitsplatzschutzgesetz ruhte und dem deshalb das entfallende Arbeitsentgelt nach § 13 Abs. 2 USG zu ersetzen war.
Da somit die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 USG nicht vorliegen, greift die Regelung des § 13 Abs. 3 USG ein. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 USG erhält der Wehrpflichtige für jeden Wehrdiensttag 1/360 des Arbeitslohnes, der in dem Jahre erzielt wurde, das dem Kalendermonat vor der Einberufung vorausgeht, nach Abzug der entrichteten Steuern vom Einkommen und der Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozial- und Arbeitslosenversicherung. Die Regelung in § 10 Abs. 3 USG gilt nach § 13 Abs. 3 Satz 2 USG entsprechend. Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 USG bleiben Zeiten der Berufsausbildung sowie Zeiten des Verdienstausfalls infolge Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit oder Krankheit oder aus Gründen, denen der Wehrpflichtige sich nicht entziehen konnte, unberücksichtigt. Betragen diese Zeiten mehr als ein Jahr, so ist gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 USG der monatliche Durchschnitt des Nettoeinkommens in dem vor dieser Zeit liegenden Jahr maßgebend.
Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend herausgearbeitet, dass es streitentscheidend auf die Auslegung der tragenden Formulierungsteile von § 10 Abs. 3 Satz 2 USG “Betragen diese Zeiten … mehr als ein Jahr, so ist der … Durchschnitt des Nettoeinkommens … in dem vor dieser Zeit liegenden Jahr maßgebend” ankommt. Die Auslegung der Regelung nach Wortlaut (a), Systematik (b), Sinn und Zweck (c) und Entstehungsgeschichte (d) führt zu dem Ergebnis, dass es auf den Durchschnitt des Jahres-Nettoeinkommens ungeachtet der Länge des Zeitraums ankommt, der zwischen der letztmaligen Erzielung von Arbeitseinkommen und der Einberufung vergangen ist. Zeiten des Verdienstausfalls infolge Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Krankheit sowie aus Gründen, denen der Wehrpflichtige sich nicht entziehen konnte, stehen der Gewährung von Leistungen der Unterhaltssicherung auf der Grundlage erzielten Arbeitseinkommens auch dann nicht entgegen, wenn diese Ausfallzeiten im Kalendermonat vor der Einberufung bereits über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren anhielten.
a) Das Oberverwaltungsgericht ist – im erklärten Gegensatz zum Verwaltungsgericht – der Ansicht, es werde zwar im zweiten Satzteil von § 10 Abs. 3 Satz 2 USG formuliert “vor dieser Zeit” und nicht etwa “vor diesem Jahr”; für den hypothetischen Fall der Formulierung “vor diesem Jahr” müsste nämlich die Position des Beklagten als unumstößlich gelten. Allerdings rechtfertige der Umstand, dass das Gesetz die Formulierung “vor diesem Jahr” im zweiten Satzteil nicht verwende, nicht die Schlussfolgerung, es sei zwingend, die dort angesprochene Zeit mit den im ersten Satzteil erwähnten Zeiten gleichzusetzen. Eine solche Auslegung sei möglich, jedoch keineswegs zwangsläufig. Sie wäre nur dann zwingend, wenn auch im zweiten Satzteil von “Zeiten” die Rede wäre.
Dem Ergebnis der Wortauslegung durch das Oberverwaltungsgericht kann nicht gefolgt werden. Mit dem Terminus “diese Zeiten” in § 10 Abs. 3 Satz 2 USG sind offensichtlich die in § 10 Abs. 3 Satz 1 USG näher bezeichneten Berufsausbildungs- und Verdienstausfallzeiten gemeint. Den Terminus “diese Zeiten” am Beginn des Satzes 2 greift der Terminus “vor dieser Zeit” am Ende des Satzes wieder auf: Die voraussetzungsgemäß ein Jahr übersteigende Gesamtdauer der durchgehenden Ausfallzeiten im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 1 USG, welche der Wehrpflichtige im Kalendermonat vor der Einberufung bereits zu verzeichnen hatte, soll zu seinen Gunsten unberücksichtigt bleiben. Die Wahl des Singulars in “vor dieser Zeit” lässt sich zwanglos damit erklären, dass der Gesetzgeber an dieser Stelle den konkreten, im Falle des einzelnen Wehrpflichtigen zugrunde zu legenden Ausfallzeitraum ins Auge gefasst hat, während die Verwendung des Plurals in “diese Zeiten” an die abstrakte Vorgabe der verschiedenen Arten von Ausfallzeiten in Satz 1 anschließt.
b) Das nach dem Gesetzeswortlaut somit nahe liegende Auslegungsergebnis wird durch Erwägungen bestätigt, die sich aus der Gesetzessystematik ergeben. Die Regelung in § 10 Abs. 3 USG ist Teilelement zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage (§ 10 Abs. 1 USG), die für die Berechnung derjenigen Leistungen von Bedeutung ist, die im Falle der Ableistung von Grundwehrdienst dem Wehrpflichtigen und seinen Familienangehörigen zustehen (§ 2 Nr. 1 USG). Sie ist erkennbar vom Bestreben des Gesetzgebers getragen, Benachteiligungen zu vermeiden, die sich bei Berücksichtigung von Ausfallzeiten ergäben (vgl. BTDrucks 2/3210 S. 15 zu § 11). Dieser Gesichtspunkt kommt bei der Verdienstausfallentschädigung des Wehrpflichtigen, der eine Wehrübung leistet, ebenfalls zum Tragen, weil § 13 Abs. 3 Satz 2 USG die Regelung in § 10 Abs. 3 USG für entsprechend anwendbar erklärt. Ferner ist der Regelung in § 13 c Abs. 1 Satz 2 USG zu entnehmen, dass die Mindestleistung nach der Tabelle bloßen Auffangcharakter hat. Auf sie soll nur subsidiär zurückgegriffen werden, wenn die speziellen vorrangigen Bestimmungen – hier § 13 USG – nicht zum Zuge kommen. Beim Zusammentreffen beider Aspekte – Nichtberücksichtigung von Ausfallzeiten, Subsidiarität der Mindestleistung – ist ein Auslegungsergebnis zu bevorzugen, welches die Gewährung einer Verdienstausfallentschädigung auch dann zulässt, wenn der letztmalige Bezug von Arbeitslohn im Kalendermonat der Einberufung mehr als zwei Jahre zurückliegt.
c) Das Oberverwaltungsgericht folgt bei der Auslegung nach Sinn und Zweck seinem Grundansatz, dass die Unterhaltssicherung keine Leistungen umfassen könne, die dem Wehrpflichtigen infolge der Wehrübung nicht entgangen seien. Die in § 13 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 10 Abs. 2 Nr. 2, 2. Halbsatz und § 10 Abs. 3 USG enthaltene Regelung stelle davon eine Ausnahme dar, die eng auszulegen sei. In Fällen langjähriger Dauerarbeitslosigkeit würde andernfalls der Gedanke der Verdienstausfallleistung im Grunde aufgegeben und die Leistungen auf der Grundlage lange zurückliegender monatlicher Nettoeinnahmen bemessen werden.
Die Auslegung nach Sinn und Zweck führt entgegen den Ausführungen im Urteil des Oberverwaltungsgerichts nicht zu einem anderen als dem nach Gesetzeswortlaut und Regelungszusammenhang nahe liegenden Auslegungsergebnis. Zwar ist der Legaldefinition der Unterhaltssicherung in § 1 Abs. 1 Satz 1 USG – Sicherung des Lebensbedarfs des Wehrpflichtigen und seiner Familienangehörigen – sowie den nachfolgenden Bestimmungen des Gesetzes der Grundsatz zu entnehmen, dass derjenige Standard gewahrt werden soll, über den der Wehrpflichtige vor der Einberufung verfügte. Dieser Aktualitätsgrundsatz wird für den gedachten Normalfall verwirklicht, in welchem der Wehrpflichtige vor der Einberufung durchgehend Einkommen aus selbständiger oder nichtselbständiger Arbeit erzielte; im Falle des eine Wehrübung leistenden Arbeitnehmers wird er in § 13 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 USG konkretisiert. Doch erfährt er aus wehrsozialpolitischen Gründen in § 10 Abs. 3 USG eine wichtige Modifikation. Diese stellt in jedem Falle eine signifikante Durchbrechung des Aktualitätsgrundsatzes dar. Selbst bei Zugrundelegung der vom Oberverwaltungsgericht in Übereinstimmung mit dem Beklagten und dem Bundesministerium der Verteidigung befürworteten Auslegungsvariante wird ein Wehrpflichtiger durch die Regelung noch begünstigt, wenn er knapp zwei Jahre vor der Einberufung noch an einem einzigen Tag Arbeitseinkommen erzielt hat (vgl. die Berechnungsformel in H 13.33 Abs. 2 i.V.m. H 10.4 Abs. 2 der Hinweise zur Durchführung des Unterhaltssicherungsgesetzes vom 22. Juni 1998 – VMBl S. 272). Dies zeigt, dass dem Aktualitätsgrundsatz beim Eingreifen von Ausfallzeiten der in § 10 Abs. 3 Satz 1 USG bezeichneten Art keine besondere Bedeutung zukommt. Dieser Grundsatz liefert daher kein entscheidendes Argument für eine Auslegungsvariante, die von der Fixierung eines Zweijahreszeitraums in § 10 Abs. 3 Satz 2 USG ausgeht.
d) Das gefundene Auslegungsergebnis steht auch nicht im Gegensatz zur Entstehungsgeschichte der Regelung. Der Vertreter des Bundesinteresses hat vorgebracht, der Entstehungsgeschichte des § 10 Abs. 3 USG lasse sich entnehmen, dass der Ausschuss für Verteidigung und ihm folgend das Plenum des Deutschen Bundestages mit seinem Änderungsantrag die Berücksichtigung von Verdienstausfallzeiten entgegen der ursprünglichen Fassung im Regierungsentwurf auf einen engen zeitlichen Rahmen habe begrenzt sehen wollen. Diese Fassung sei in § 10 Abs. 3 Satz 2 USG Gesetz geworden.
Dieser Auslegung nach der Entstehungsgeschichte sowie der daraus gezogenen Schlussfolgerung ist aber nicht zu folgen. Gründe für die Einführung der vom Regierungsentwurf abweichenden Gesetzesfassung lassen sich nicht mehr nachvollziehen, so dass sich keine tragfähigen Vermutungen über die Bedeutung dieser durch den Ausschuss für Verteidigung ausgelösten Änderung anstellen lassen.
Die Regelung in § 10 Abs. 3 USG geht zurück auf § 11 Abs. 1 Satz 2 im Regierungsentwurf 1957 (USG-E) vom 19. Februar 1957 (BTDrucks 2/3210): “Der Tabellensatz (§ 6) bemisst sich nach dem monatlichen Durchschnitt des Nettoeinkommens des Wehrpflichtigen im letzten Jahr vor der Einberufung. Zeiten des Verdienstausfalls infolge Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Krankheit sowie aus Gründen, denen der Wehrpflichtige sich nicht entziehen konnte, werden in die Jahresfrist nicht eingerechnet; die Jahresfrist erweitert sich entsprechend.” Zur Begründung ist an gleicher Stelle ausgeführt: “Die Bestimmung des Absatz 1 Satz 2 soll eine Benachteiligung verhindern. Die Zeiten eines unverschuldeten Verdienstausfalles sollen bei der Errechnung des monatlichen Durchschnittseinkommens ausscheiden.” (a.a.O. S. 15).
Der Ausschuss für Verteidigung schlug in seinem Bericht vom 13. März 1957 (BTDrucks 2/3297) anstelle von § 11 Abs. 1 Satz 2 USG-E die Einführung eines § 11 Abs. 3 mit folgendem Wortlaut vor: “Zeiten des Verdienstausfalls infolge Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit oder Krankheit oder aus Gründen, denen der Wehrpflichtige sich nicht entziehen konnte, bleiben unberücksichtigt. Betragen diese Zeiten im Falle des Absatzes 2 Nr. 2 mehr als ein Jahr, so ist der monatliche Durchschnitt des Nettoeinkommens in dem vor dieser Zeit liegenden Jahr maßgebend.” Die Fassung von § 11 Abs. 3 Satz 2 USG-E stimmt wörtlich überein mit der heutigen Fassung von § 10 Abs. 3 Satz 2 USG. Eine detaillierte Begründung für den später Gesetz gewordenen Änderungsvorschlag hat der Ausschuss für Verteidigung nicht gegeben. Das Protokoll über die Sitzung des Ausschusses für Verteidigung am 13. März 1957 (Protokoll Nr. 141) führt an der entsprechenden Stelle lediglich aus “wie Ausschussdrucksache Nr. 210”. Diese Ausschussdrucksache weist aber nur die gegenüber dem Regierungsentwurf geänderte Textfassung auf; eine Begründung enthält sie nicht. Gründe für die Textänderung können auch nicht dem mündlichen Bericht des Ausschusses für Verteidigung im Deutschen Bundestag vom 13. März 1957 entnommen werden (BTDrucks 2/3297). Ebenso wenig finden sich Ausführungen, welche auf Gründe für die eingetretene Änderung in der Textfassung hinweisen, im Bericht über die 199. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 20. März 1957, in welcher der Ausschuss für Verteidigung seine Beratung erläutert hat (Bundestag, Stenografischer Bericht über die 199. Sitzung S. 11307).
Das nach der Beteiligung des Bundesrates (Bundesrat, Stenografischer Bericht über die 174. Sitzung am 29. März 1957 S. 571) durchgeführte Vermittlungsverfahren hat § 11 Abs. 3 USG-E nicht mehr betroffen. Die spätere Verschiebung des § 11 Abs. 3 innerhalb des USG – zu § 10 – hat den Wortlaut von Absatz 3 Satz 2 nicht berührt (Art. 1 Nr. 13 des Gesetzes zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes vom 21. April 1961, BGBl I S. 457).
Zwar gibt die dargestellte Entstehungsgeschichte zu erkennen, dass der Gesetzgeber im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens einen Konzeptionswechsel vorgenommen hat. Nach der Entwurfsfassung musste das Bezugsjahr in vollem Umfang durch erzieltes Einkommen ausgefüllt sein, wobei Unterbrechungen durch Ausfallzeiten von beliebiger Länge unschädlich waren. Nach der Gesetz gewordenen Fassung genügt es dagegen, wenn im Bezugsjahr an einem einigen Tag Einkommen erzielt wurde. Dieser Konzeptionswechsel ist jedoch nicht zwingend mit der Fixierung des Bezugsjahrs auf den der Einberufung vorausgehenden Zweijahreszeitraum verbunden. Er lässt sich vielmehr ohne Systembrüche auch dann realisieren, wenn Arbeitseinkommen – an wie vielen Tagen auch immer – letztmals mehr als zwei Jahre vor dem der Einberufung vorhergehenden Kalendermonat erzielt wurde. Dass der Gesetzgeber andere Absichten verfolgt hat, ist nicht deutlich geworden.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.
Unterschriften
Bardenhewer, Hahn, Büge, Graulich, Vormeier
Fundstellen