Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlöschen des Anspruches auf Kostenersatz bei zu Unrecht erbrachten Leistungen der Sozialhilfe. Kostenersatz bei zu Unrecht erbrachten Leistungen der Sozialhilfe. Erlöschen des Anspruches auf –
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Ersatz der Kosten zu Unrecht erbrachter Leistungen der Sozialhilfe gemäß § 92a Abs. 4 Satz 1 BSHG erlischt in entsprechender Anwendung des Absatzes 3 Satz 1 der Bestimmung in drei Jahren vom Ablauf des Jahres an, in dem er aufgrund der Rücknahme der rechtswidrigen Sozialhilfebewilligung entstanden ist.
Normenkette
BSHG § 92a Abs. 4
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 15.03.2004; Aktenzeichen 12 A 3993/02) |
VG Köln (Entscheidung vom 05.09.2002; Aktenzeichen 5 K 3469/99) |
Tenor
Die Revision der Klägerin zu 2 gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. März 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin zu 2 trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Beklagte nimmt die allein revisionsführende Klägerin zu 2 und ihren Ehemann, den Kläger zu 1, gemäß § 92a Abs. 4 Satz 1 BSHG auf Ersatz der Kosten zu Unrecht erbrachter Leistungen der Sozialhilfe an sie und ihre Kinder in Anspruch. Die Familie der Kläger hat seit Februar 1995 ergänzende laufende Hilfe zum Lebensunterhalt vom Beklagten bezogen. Im Jahre 1996 erhielt der Beklagte Mitteilung der Grenzpolizei, dass die Kläger sich seit dem 8. August 1994 mehrfach im Ausland aufgehalten hatten. In diesem Zusammenhang wurde im Juni 1997 vom Amtsgericht Passau ein Strafbefehl gegen den Kläger zu 1 erlassen. Mit Rücknahme- und Rückforderungsbescheid gemäß §§ 45, 50 SGB X vom 6. Februar 1998 nahm der Beklagte gegenüber den Klägern die Bewilligungsbescheide hinsichtlich der während der Abwesenheit zu Unrecht gewährten Leistungen zurück und forderte von den Klägern zu 1 und 2 die an sie und die Kinder während der Jahre 1994 bis 1997 zuviel gezahlte Sozialhilfe in Höhe von insgesamt 12 984,33 DM zurück, da sie unvollständige Angaben gemacht hätten, obwohl sie über ihre Mitteilungspflichten wiederholt aufgeklärt worden seien. Während der durch die Ein- und Ausreisestempel nachvollzogenen Auslandsaufenthalte der Kläger sei zu Unrecht Hilfe zum Lebensunterhalt gezahlt worden.
Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch erließ der Beklagte unter dem 26. März 1999 insgesamt vier Widerspruchsbescheide, welche die an die verschiedenen Kläger gewährten Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt betrafen. Dabei wurden die zugrunde liegenden Bescheide jeweils gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X in Höhe der festgestellten Überzahlungen aufgehoben. Gegenüber den Kindern wurde die Rückforderung der an sie geleisteten Beträge auf § 50 SGB X gestützt, während die Kläger zu 1 und 2 mit separaten Widerspruchsbescheiden jeweils gemäß § 92a Abs. 4 BSHG gesamtschuldnerisch zum Ersatz der ihnen selbst, dem jeweils anderen Elternteil und den Klägern zu 3 bis 5 zu Unrecht erbrachten Leistungen aufgefordert wurden. Auf das im Revisionsverfahren allein noch streitgegenständliche Jahr 1994 bezog sich dabei ein Hilfebetrag von insgesamt 1 162,52 DM, wovon 557,79 DM für die Klägerin zu 2 und 604,73 DM für die Kinder geleistet worden waren.
Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht teilweise Erfolg. Die angefochtenen Bescheide wurden, soweit sie die Klägerin zu 2 betreffen, “insoweit aufgehoben”, als von ihr auf der Grundlage von § 92a Abs. 4 BSHG die im Jahre 1994 an die Kläger zu 3 bis 5 gewährten Sozialhilfeleistungen in Höhe von 604,73 DM zurückgefordert wurden. Der Rücknahme- und Rückforderungsbescheid sei insoweit rechtswidrig, da der Anspruch auf Kostenersatz für die im Jahre 1994 gewährten Hilfeleistungen gemäß § 92a Abs. 4 Satz 1 i.V.m Abs. 3 Satz 1 BSHG (entsprechend) mit Ablauf des Jahres 1997 erloschen sei. “Im Übrigen”, ”über die genannten, auf Grundlage von § 92a Abs. 4 BSHG gegenüber den Klägern zu 1 und 2 vorgenommenen Rückforderungen der im Jahre 1994 gewährten Leistungen hinaus” und “abgesehen von den oben genannten erloschenen Erstattungsansprüchen” sei der Rücknahme- und Rückforderungsbescheid in Gestalt der Widerspruchsbescheide rechtmäßig.
Das Oberverwaltungsgericht hingegen hat auf die Berufung des Beklagten die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Der Anspruch des Beklagten gegen den Kläger zu 1 auf Kostenersatz nach § 92a Abs. 4 Satz 1 BSHG sei mit der Aufhebung der Leistungsbewilligung entstanden und nicht erloschen; dies gelte in gleicher Weise für die Kostenersatzforderung gegen die Klägerin zu 2. Die gemäß § 92a Abs. 4 Satz 1 BSHG auf den Anspruch auf Ersatz der Kosten zu Unrecht gewährter Sozialhilfe “entsprechend” anzuwendende Regelung in § 92a Abs. 3 Satz 1 BSHG, wonach ein Anspruch auf Kostenersatz gemäß Absatz 1 der Bestimmung in drei Jahren vom Ablauf des Jahres an erlösche, in dem die Hilfe gewährt worden sei, betreffe den Ersatz der Kosten rechtmäßiger Sozialhilfegewährung. Der Auffassung, dass die Erlöschensregelung auch im Fall der entsprechenden Anwendung so zu lesen sei, dass die Frist mit dem Ende des Jahres der tatsächlichen Leistungsgewährung beginne, sei nicht zu folgen. Eine “entsprechende” Anwendung bedeute, dass die tatsächliche Leistungserbringung allein für den Fristbeginn nicht ausreichend sei, es vielmehr auch der – für die Entstehung des Anspruches erforderlichen – Rücknahme der rechtswidrigen Leistungsbewilligung bedürfe. Die “entsprechend” anzuwendenden Bestimmungen seien nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des einschlägigen Regelungsbereichs und des Zwecks der gesetzlichen Regelung, welche die Inbezugnahme anordne, anzuwenden.
Ein Erlöschen eines Anspruches auf Kostenersatz wegen zu Unrecht erbrachter Sozialhilfe nach § 92a Abs. 4 BSHG setze – wie der Anspruch auf Kostenersatz nach § 92a Abs. 1 BSHG, der sich auf rechtmäßige Sozialhilfeleistungen beziehe, in unmittelbarer Anwendung – voraus, dass der Anspruch bereits entstanden sei, was sich bereits aus dem allgemeinen Verständnis des Rechtsbegriffs des “Erlöschens” ergebe (vgl. etwa §§ 362, 389, 397 BGB).Während aber die Forderung auf Kostenersatz nach rechtmäßiger Hilfe nach § 92a Abs. 1 BSHG bereits mit der tatsächlichen Erbringung der rechtmäßigen Leistung entstehe, sei bei dem Anspruch auf Kostenersatz wegen zu Unrecht erbrachter Sozialhilfe nach § 92a Abs. 4 BSHG als Besonderheit zu berücksichtigen, dass für dessen Entstehung eine vorherige Rücknahme der Sozialhilfebewilligung notwendig sei. Die Anknüpfung des Fristbeginns an die für die Entstehung des Anspruches konstitutive Rücknahme der Leistungsbewilligung entspreche auch dem Rechtscharakter dieses Ersatzanspruches, der als quasideliktischer Anspruch (vgl. § 823 BGB) einzustufen sei. Für derartige Ansprüche gelte auch im Zivilrecht grundsätzlich, dass die regelmäßige kurze (dreijährige) Verjährung nicht vor der Anspruchsentstehung beginne. Dieses Verständnis korrespondiere auch mit der Intention der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten, mit der Einführung des § 92a Abs. 4 BSHG die Möglichkeiten des Sozialhilfeträgers zur Herstellung des Nachranges durch Kostenersatz über die Möglichkeit einer Erstattungsforderung nach § 50 SGB X gegen den Leistungsempfänger hinaus zu erweitern.
§ 92a Abs. 4 BSHG biete eine hinreichende rechtliche Grundlage auch für die Kostenersatzforderung hinsichtlich der der Klägerin zu 2 im Jahre 1994 gewährten Leistungen. Nicht zu folgen sei der Auffassung, § 92a Abs. 4 BSHG erfasse nicht die Fälle rechtswidriger Leistungen, die nach dem bisher geltenden Recht durch Rücknahme nach § 45 SGB X und Festsetzung einer Erstattungsforderung nach § 50 SGB X gegenüber dem Leistungsempfänger rückabgewickelt werden konnten, so dass allein auf § 50 SGB X abzustellen sei. Eine solche möglicherweise beabsichtigte Beschränkung der gesetzlichen Regelung habe im Gesetz keinen Niederschlag gefunden. Es bestehe vielmehr eine Anspruchskonkurrenz, so dass der Träger der Sozialhilfe grundsätzlich nach beiden Bestimmungen vorgehen könne.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin zu 2 eine Verletzung des § 92a Abs. 4 BSHG.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die Erlöschensregelung des § 92a Abs. 3 Satz 1 BSHG mit ihrer zeitlichen Begrenzung des Kostenersatzanspruches auf drei Jahre nach Ablauf des Jahres der Hilfegewährung auf den Anspruch des Beklagten auf Kostenersatz nach § 92a Abs. 4 Satz 1 BSHG für die im Jahre 1994 an die Klägerin und ihre drei Kinder zu Unrecht erbrachten Leistungen der Sozialhilfe anzuwenden.
Die tatsächlichen Voraussetzungen des im Widerspruchsbescheid gegen die Klägerin zu 2 für das Jahr 1994 festgesetzten Kostenersatzanspruches nach § 92a Abs. 4 BSHG wegen Herbeiführung der zu Unrecht erbrachten Leistungen der Sozialhilfe durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten sind nicht mehr im Streit, vielmehr geht es um die Rechtsfrage, ob der Anspruch infolge Ablaufs der Dreijahresfrist des § 92a Abs. 3 Satz 1 BSHG erloschen bzw. nicht entstanden ist.
Zutreffend geht die Vorinstanz davon aus, dass § 92a Abs. 4 BSHG eine hinreichende rechtliche Grundlage für die Kostenersatzforderung auch hinsichtlich der der Klägerin zu 2 im Jahre 1994 gewährten Leistungen darstellt. Für die Fälle der Rückforderung rechtswidrig erbrachter Sozialhilfeleistungen, die vor der durch Gesetz vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S. 2374) mit Wirkung vom 1. Januar 1994 erfolgten Einfügung des § 92a Abs. 4 BSHG (nur) durch Rücknahme nach § 45 SGB X und Festsetzung einer Erstattungsforderung nach § 50 SGB X gegenüber dem Leistungsempfänger rückabgewickelt werden konnten, ist auch in Fällen einer Personengleichheit von Verursacher und Leistungsempfänger davon auszugehen, dass keine der beiden in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen – sei es der neu eingefügte Kostenersatzanspruch aus § 92a Abs. 4 BSHG, sei es der Kostenerstattungsanspruch aus §§ 45, 50 SGB X – aus Gründen der Spezialität ausscheidet (für Spezialität der Regelung in §§ 45, 50 SGB X dagegen Conradis, LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003 Rn. 21; Paul, ZfSH/SGB 2000, 277 ≪283≫; für einen Vorrang des Anspruches nach § 92a Abs. 4 BSHG umgekehrt Zeitler, in: Mergler/Zink, BSHG, 4. Aufl. 37. Lieferg., Stand März 2004, § 92a BSHG Rn. 47; für Anspruchskonkurrenz im Sinne der rechtlichen Möglichkeit, nach beiden Bestimmungen vorzugehen, Linhart, NDV 1996, 354, 357; Schellhorn/Schellhorn, Kommentar zum Bundessozialhilfegesetz, 16. Aufl. 2002, § 92a Rn. 46 und – für die inhaltsgleiche Neuregelung in § 103 Abs. 1 Satz 2, § 104 SGB XII – Grieger, in: Rothkegel ≪Hrsg.≫, Sozialhilferecht, 2005, S. 536 f. Rn. 30; vgl. auch Schaefer in: Fichtner, BSHG, 2. Aufl., Rn. 22 zu § 92a). Es ist kein zwingender Grund ersichtlich, warum die quasideliktische Haftung nach § 92a Abs. 4 BSHG nicht kumulativ und verstärkend neben die Erstattungspflicht nach §§ 45, 50 SGB X treten können sollte.
Die in Literatur und Rechtsprechung umstrittene Frage nach dem Beginn der Erlöschensfrist gemäß § 92a Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 BSHG ist in Übereinstimmung mit der Vorinstanz dahin zu beantworten, dass der Kostenersatzanspruch aus § 92a Abs. 4 BSHG nicht bereits in drei Jahren ab Hilfegewährung erlischt (so OVG Koblenz, Urteil vom 21. Oktober 2004 – 12 A 11206/04 –, FEVS 56, 367; Conradis, a.a.O., Rn. 18 zu § 92a BSHG sowie für die Nachfolgebestimmungen der §§ 103, 104 SGB XII ders. in LPK-SGB XII, 7. Aufl. 2005, § 103 Rn. 25 sowie § 104 Rn. 9; so auch Schoenfeld, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2005, § 104 Rn. 11; Schellhorn/Schellhorn, a.a.O., § 92a BSHG Rn. 46), sondern erst in drei Jahren ab Rücknahme der Sozialhilfebewilligung. Für diese Auslegung sprechen folgende Gesichtspunkte:
Gemäß § 92a Abs. 4 Satz 1 BSHG sind auf den Kostenersatzanspruch des Absatz 4 die Absätze 1 bis 3 “entsprechend” anzuwenden. Der Kostenersatzanspruch nach § 92a Abs. 1 BSHG erlischt in drei Jahren vom Ablauf des Jahres an, in dem die Hilfe gewährt worden ist. Dieser Anspruch entsteht mit der Hilfegewährung, und zwar unabhängig davon, ob bzw. wann der Sozialhilfeträger Kenntnis von dem die (rechtmäßige) Hilfegewährung auslösenden vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verhalten hat oder erlangen kann. Auch die Erlöschensfrist beginnt unabhängig von der (möglichen) Kenntnis des Sozialhilfeträgers. Der Kostenersatzanspruch nach Absatz 4 entsteht dagegen nicht bereits mit der Hilfegewährung, sondern erst mit der Aufhebung des rechtswidrigen Leistungsbescheides. Deshalb passt Absatz 3 Satz 1 auf Kostenersatzansprüche nach Absatz 4 direkt nicht.
Für die entsprechende Anwendung kommen zwei Varianten in Betracht: Die eine – etwa vom OVG Koblenz vertretene – hält für die entsprechende Anwendung an der zeitlichen Fixierung in Absatz 3 Satz 1 auf das Jahr der Hilfegewährung fest, variiert aber in Fällen wie dem Streitfall die Rechtsfolge von “erlischt” auf “entsteht nicht”. Die andere – vom Berufungsgericht vertretene – hält für die entsprechende Anwendung an der Rechtsfolge in Absatz 3 Satz 1 “erlischt” fest, variiert aber die zeitliche Fixierung vom Jahr der Hilfegewährung auf das Jahr der Anspruchsentstehung infolge Rücknahme des Bewilligungsbescheides. Der zweitgenannten Variante ist der Vorzug zu geben, denn für die in der Literatur vertretene weitere Auffassung, dass der Kostenersatzanspruch des § 92a Abs. 4 Satz 1 BSHG erst in drei Jahren ab Kenntnis oder Erkennbarkeit der Voraussetzungen des § 92a Abs. 4 Satz 1 BSHG erlösche (so Linhart, NDV 1996, 354, 358 und Zeitler in Mergler/Zink, BSHG, 4. Aufl. 37. Lieferg., Stand März 2004, Rn. 47.1), bietet das Gesetz keine hinreichenden Anhaltspunkte.
Der Wortlaut des § 92a Abs. 3 Satz 1 BSHG, wonach der Kostenersatzanspruch “in drei Jahren vom Ablauf des Jahres an, in dem die Hilfe gewährt worden ist”, erlischt, ist für die “entsprechende Anwendung” auf die anders gelagerte Konstellation des § 92a Abs. 4 BSHG nicht unmittelbar aussagekräftig, da es nicht um die zeitliche Fixierung auf drei Jahre als solche, sondern um die Festlegung der zeitlichen Anknüpfung dieser Fixierung im Rahmen einer entsprechenden Anwendung geht. Das sprachliche Argument der Vorinstanz, ein “Erlöschen” des Anspruches auf Kostenersatz gemäß § 92a Abs. 3 Satz 1 BSHG setze voraus, dass der Anspruch bereits entstanden sei, der Anspruch auf Kostenersatz nach Absatz 4 jedoch erst mit der Rücknahme der Sozialhilfebewilligung entstehe, steht einer “entsprechenden” Anwendung des Absatz 3 Satz 1 deshalb nicht zwingend entgegen, weil im Rahmen einer entsprechenden Anwendung eine rechtliche Gleichsetzung des Zeitablaufes als Entstehungshindernis mit der in Absatz 3 Satz 1 vorgesehenen Funktion als Erlöschenstatbestand nicht als von Vorneherein ausgeschlossen erscheint. Die Gesetzesgeschichte spricht jedoch für die Auslegung des Berufungsgerichts.
Der Bericht des federführenden Haushaltsausschusses zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung gibt die Stellungnahme des Ausschusses für Familien und Senioren, die zu der durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S. 2374) – 2. SKWPG – eingefügten Regelung des § 92a Abs. 4 BSHG führte, wie folgt wieder (BTDrucks 12/5930 S. 4):
“In einer Reihe neuerer Entscheidungen habe das Bundesverwaltungsgericht festgestellt (zuletzt Urteil vom 22.10.1992 – 5 C 65.88 – in: FamRZ 1993, 544), dass die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen nur vom Leistungsempfänger selbst, nicht aber von seinem Ehegatten oder bei minderjährigen unverheirateten Hilfeempfängern nicht von den Eltern verlangt werden könne. In einigen der entschiedenen Fälle beruhte die Erbringung unrechtmäßiger Leistungen auf grob fahrlässig oder vorsätzlich falschen Angaben der vom Rückgriff freigestellten Personen, vor allem auf falschen Angaben der Eltern über Einkommen und Vermögen bei minderjährigen Hilfeempfängern. Auch in diesen Fällen habe das Bundesverwaltungsgericht eine Anwendung der allgemeinen Erstattungsgrundsätze unter Hinweis auf den abschließenden Charakter der Erstattungsregelungen im Sozialrecht abgelehnt. Durch Einfügung einer ergänzenden Regelung in § 92a BSHG solle diese vorhandene Lücke geschlossen werden. Es sei nicht hinnehmbar, dass etwa Eltern, die für ihr Kind Leistungen erschlichen, diese nicht zu ersetzen bräuchten und dem Träger der Sozialhilfe dadurch erhebliche Mehrkosten bzw. Einnahmeausfälle entstünden.
Satz 1 erweiterte die Regelung der Absätze 1 bis 3, die auf rechtmäßige Leistungen abstellten, auf zu Unrecht erbrachte Leistungen an den Verpflichteten selbst oder an seine unterhaltsberechtigten Angehörigen. Soweit Satz 1 nichts Abweichendes regele, seien die Absätze 1 bis 3 auch in diesen Fällen anzuwenden. Satz 2 stelle klar, dass daneben die Erstattungspflicht nach § 50 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch bestehen bliebe und die Verpflichteten aus beiden Rechtsgrundlagen als Gesamtschuldner im Sinne von §§ 421 ff. BGB hafteten.”
Wenn diese Begründung mit Blick auf die in § 92a Abs. 4 BSHG angeordnete entsprechende Anwendung der Absätze 1 bis 3 bei zu Unrecht erbrachten Leistungen erklärt, diese seien, “soweit Satz 1 nichts Abweichendes regele”, “auch in diesen Fällen anzuwenden”, spricht dies nicht für die oben genannte erste Variante, vielmehr folgt daraus, dass abweichende Regelungen in Satz 1 sich auf die entsprechende Anwendbarkeit auswirken, und zwar dergestalt, dass abweichende Regelungen in Satz 1 zu entsprechenden Abweichungen bei der Anwendung der Absätze 1 bis 3 führen. Da nun in Absatz 4 Satz 1 unter Berücksichtigung der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein anderer Entstehungszeitpunkt als der der Hilfegewährung bestimmt ist, ist dies entsprechend beim Beginn der Erlöschensfrist zu berücksichtigen. Das spricht für die Auslegung des Berufungsgerichts. Hinzu kommt, dass diese Auslegung nur zu einer Veränderung auf der Tatbestandsseite führt, die Rechtsfolgenseite mit dem Erlöschen des Kostenersatzanspruches aber nicht verändert wird. Diese Auslegung vermeidet die weiter vom Gesetzeswortlaut entfernte Auslegung, welche eine Vorschrift, die das Erlöschen eines entstandenen Anspruches regelt, in eine Vorschrift abwandelt, die das Entstehen eines Anspruches hindert. Schließlich spricht auch der teleologische Gesichtspunkt, dass der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 92a Abs. 4 BSHG die Position des Sozialhilfeträgers durch Schaffung eines eigenständigen Kostenersatzanspruches gegen den Leistungsverursacher stärken wollte, eher für als gegen die Auslegung der Vorinstanz. Andernfalls würde die Vorschrift schon wegen der zwischen der Hilfegewährung und dem Rücknahmebescheid liegenden Zeitspanne in einer Vielzahl von Fällen leerlaufen. Demgemäß konnte die gegen diese Auslegung gerichtete Revision keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke, Beck
Fundstellen
Haufe-Index 1492390 |
FamRZ 2006, 947 |
ZAP 2006, 635 |
DÖV 2006, 744 |
FEVS 2006, 495 |
ZfF 2007, 92 |
DVBl. 2006, 996 |
NWVBl. 2006, 416 |
info-also 2006, 287 |