IG Metall, Gewerkschaft, Mitglieder: 2,2 Millionen, Sitz: bundesweit
Gesprächspartner: Karl-Heinz Hageni, IG Metall, Vorstandsressort Angestellte, IT, Studierende
Britta Redmann: Was verstehen Sie unter agilem Arbeiten? Kennen Sie Beispiele?
Karl-Heinz Hageni: Wenn ich von der Wortbedeutung ausgehe, dann heißt ›agil‹ beweglich, flink zu sein, sich schnell an veränderte Rahmenbedingungen anpassen zu können. Auf das konkrete Arbeitsumfeld bezogen, bedeutet es für ein Projekt oder ein Produkt, dass dieses in kleinen Schritten und im Takt mit einem sich selbstorganisierten Team entwickelt wird. Merkmale von Agilität sind der regelmäßige Austausch im Sinne einer Reflexion als auch die Transparenz der Arbeit. Teams arbeiten stärker eigenverantwortlich, entscheiden gemeinsam über den nächsten Arbeitsschritt und die zu leistenden Arbeitspakete. Bei allem, was getan wird, stehen der Kunde und sein Nutzen immer im Mittelpunkt. Klassische Unternehmenshierarchien weichen Netzwerkorganisationen, in denen kooperativ zusammengearbeitet wird.
Durch sich beschleunigende Digitalisierung wird Flexibilität und vor allem kurzfristiges Reagieren auf Kundenwünsche heutzutage immer wichtiger. Damit auch Agilität. So sind beispielsweise bei einer App-Entwicklung übliche Entwicklungszeiten von neun bis achtzehn Monaten nicht mehr akzeptabel. Durch agiles Arbeiten können die Zyklen hier auf sechs Monate verkürzt werden.
Agilität ist dabei durchaus nicht nur ein Thema für Start-ups. Auch in Entwicklungsabteilungen oder im Office-Bereich arbeiten immer mehr Teams mit agilen Methoden. Bei der Softwareentwicklung wird meist Scrum oder Kanban verwendet. Das Kanban-Prinzip wird auch oft in der Projektarbeit oder im Office-Bereich zur erhöhten Transparenz genutzt. Design Thinking unterstützt die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle oder Produkte.
Britta Redmann: Wo besteht Ihrer Meinung nach bei agilem Arbeiten eine Mitbestimmung?
Karl-Heinz Hageni: Es gibt viele Themen, die eine rechtzeitige Einbindung und Mitwirkung des Betriebsrates bedürfen. Angefangen bei der Arbeitszeit genauso wie bei Zeiten, die eingeplant werden sollten, um auch Ruhepausen nach einem Projekt zu haben oder um auch sogenannte Kreativzeiten sicherzustellen. Auch sollten Regeln zur Vermeidung von Überstunden vereinbart werden. Hier sind wiederum gesundheitliche Aspekte betroffen, wie z. B. Erholungsbedürfnisse, als auch Prävention und Gefährdungsbeurteilungen von Anfang an bei der Planung zu berücksichtigen.
Das komplette Performance-Management müsste neu gedacht werden: Individuelle Leistungsbeurteilungen sind zu hinterfragen, ob sie im agilen Umfeld noch sinnvoll sind oder ob hier nicht neue, ggf. kollektive Regelungen gefunden werden müssten. Weiterhin darf die durch Agilität geschaffene Transparenz und der offene Austausch im Team nicht zur individuellen Leistungskontrolle genutzt werden.
Zu denken ist auch an Regelungen für die Einsätze und die Entscheidungsprozesse in den Teams. Damit agil gearbeitet werden kann, sollten auch Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden, die Teamarbeit und agiles Arbeiten leichter ermöglichen.
Und letztendlich geht es auch um Fragestellungen der Qualifizierung und Befähigung für die neuen Methoden, Rollen und für die Teamarbeit. Gerade für Führungskräfte sollte hier eine Qualifizierung zu ihrer neuen Rolle als ›Unterstützter‹ eingefordert werden. Weg vom alten ›Command & Control‹ hin zu einer dienenden Führung.
Britta Redmann: Welche Vorteile ergeben sich aus dem agilen Arbeiten für Arbeitnehmer?
Karl-Heinz Hageni: Vorteile für Beschäftigte können sein, dass durch agiles Arbeiten sowohl für den Einzelnen als auch für das Team mehr Selbstbestimmung ermöglicht wird. Das wiederum kann zu einem ausgeglichenen Arbeiten führen und weniger Stress bedeuten. Ein weiterer Vorteil ist das gegenseitige Voneinander-Lernen, insbesondere im Team. Auch kann das Wissen, für den wirklichen Kundennutzen zu arbeiten, bei Mitarbeitern die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit und auch ihre Motivation erhöhen.
Britta Redmann: Welche Vorteile ergeben sich daraus für Arbeitgeber?
Karl-Heinz Hageni: Für Unternehmen gibt es sicherlich ähnliche Vorteile: Dass der Kunde in den Mittelpunkt gestellt wird, wirkt sich positiv auf die Kundenorientierung aus. Kürzere Entwicklungszyklen und eine bessere Umsetzung und Anpassungsfähigkeit stärken die Wettbewerbsfähigkeit und dienen daher dem Unternehmenserfolg. Die stetige Reflexion der Beschäftigten und Teams hilft Betrieben, sich hin zu einer ›lernenden Organisation‹ zu entwickeln.
Britta Redmann: Gibt es aus Ihrer Sicht auch Nachteile?
Karl-Heinz Hageni: Nachteile können sich dann ergeben, wenn durch zu hohe Ergebnisorientierung und eine zu hohe Taktung Erholungsbedürfnisse nicht gelebt werden können und Zeit für die Weiterbildung verloren geht oder gar nicht vorhanden ist. Passieren könnte auch, dass das Team zu hohe Ansprüche an sich selbst stellt, sich in der Aufgabenschätzung übersteuert und die Zeitvorgaben zu knapp bemessen sind. Dadu...