Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Sozialpolitik. Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Richtlinie 2000/78/EG. Art. 2 und 6 Abs. 1. Nationale Regelung, wonach Richter, Staatsanwälte und Notare bei Erreichen des 62. Lebensjahrs aus dem Berufsleben ausscheiden müssen. Legitime Ziele, die eine unterschiedliche Behandlung gegenüber Arbeitnehmern rechtfertigen, die noch nicht 62 Jahre alt sind. Verhältnismäßigkeit der Übergangszeit
Beteiligte
Tenor
1. Ungarn hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf verstoßen, dass es eine nationale Regelung erlassen hat, wonach Richter, Staatsanwälte und Notare bei Erreichen des 62. Lebensjahrs aus dem Berufsleben ausscheiden müssen, was zu einer unterschiedlichen Behandlung aufgrund des Alters führt, die außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen steht.
2. Ungarn trägt die Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 7. Juni 2012,
Europäische Kommission, vertreten durch J. Enegren und K. Talabér-Ritz als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Ungarn, vertreten durch M. Z. Fehér als Bevollmächtigten,
Beklagter,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano (Berichterstatter) sowie der Richter A. Borg Barthet, M. Ilešič, E. Levits und J.-J. Kasel,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin
aufgrund des Beschlusses des Präsidenten des Gerichtshofs vom 13. Juli 2012, die Rechtssache dem in den Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und 133 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehenen beschleunigten Verfahren zu unterwerfen,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Oktober 2012,
nach Anhörung der Generalanwältin
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission die Feststellung, dass Ungarn dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16) verstoßen hat, dass es eine nationale Regelung erlassen hat, wonach Richter, Staatsanwälte und Notare bei Erreichen des 62. Lebensjahrs aus dem Berufsleben ausscheiden müssen, was zu einer unterschiedlichen Behandlung aufgrund des Alters führt, die nicht durch legitime Ziele gerechtfertigt und jedenfalls zur Erreichung der verfolgten Ziele weder erforderlich noch angemessen ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 2
Art. 1 der Richtlinie 2000/78 bestimmt:
„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.”
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie sieht vor:
„(1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz’, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.
(2) Im Sinne des Absatzes 1
- liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;
liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters oder mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn:
i) diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich, oder
ii) …”
Rz. 4
Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.
Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:
- die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen B...