Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer. Arbeitszeitgestaltung. Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub. Virus SARS-Cov-2. Quarantänemaßnahme. Unmöglichkeit, bezahlten Jahresurlaub, der für einen mit einem Quarantänezeitraum zusammenfallenden Zeitraum gewährt wurde, übertragen zu lassen

 

Normenkette

Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 31 Abs. 2; Richtlinie 2003/88/EG Art. 7

 

Beteiligte

Sparkasse Südpfalz

TF

Sparkasse Südpfalz

 

Tenor

Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

sind dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Regelung oder Gepflogenheit nicht entgegenstehen, nach der es nicht statthaft ist, Tage bezahlten Jahresurlaubs zu übertragen, die einem Arbeitnehmer, der nicht krank ist, für einen Zeitraum gewährt werden, der mit dem Zeitraum einer Quarantäne zusammenfällt, die von einer Behörde wegen eines Kontakts dieses Arbeitnehmers mit einer mit einem Virus infizierten Person angeordnet wurde.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein (Deutschland) mit Entscheidung vom 14. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 17. März 2022, in dem Verfahren

TF

gegen

Sparkasse Südpfalz

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele (Berichterstatterin),

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Sparkasse Südpfalz, vertreten durch K. Kapischke, M. Sprenger und K. Waterfeld,
  • der finnischen Regierung, vertreten durch M. Pere als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und D. Recchia als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Mai 2023,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) und von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen TF und seinem Arbeitgeber, der Sparkasse Südpfalz, über die Übertragung von Tagen bezahlten Jahresurlaubs, die TF für einen Zeitraum gewährt worden waren, der mit seiner Quarantäne nach einem Kontakt mit einer mit dem SARS-Cov-2-Virus infizierten Person zusammenfiel.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 4 und 5 der Richtlinie 2003/88 heißt es:

„(4) Die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit stellen Zielsetzungen dar, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen.

(5) Alle Arbeitnehmer sollten angemessene Ruhezeiten erhalten. …”

Rz. 4

Art. 7 („Jahresurlaub”) Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.”

Deutsches Recht

Rz. 5

§ 7 Abs. 3 des Bundesurlaubsgesetzes vom 8. Januar 1963 (BGBl. 1963, S. 2) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: BUrlG) bestimmt:

„Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. …”

Rz. 6

§ 28 Abs. 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz) (im Folgenden: IfSG) sieht vor:

„Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt …, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen …, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. …”

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

Rz. 7

TF, der seit 2003 bei der Sparkasse Südpfalz beschäftigt ist, war für den Zeitraum vom 3. bis 11. Dezember 2020 bezahlter Jahresurlaub gewährt worden.

Rz. ...

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