Prof. Dr. Anja Mengel, Jan Peters
Im Februar 2023 forderte das Europäische Parlament die Europäische Kommission auf, die Richtlinie 2009/38/EG zu überarbeiten.
Anschließend hat die Europäische Kommission einen Entwurf zur Änderung der Richtlinie veröffentlicht.
Geplant sind folgende Anpassungen:
- Um Rechtsunsicherheiten zu beseitigen, wird in Art. 1 Abs. 4 des Richtlinienentwurfs (RLE) die Definition von "länderübergreifenden Angelegenheiten" verdeutlicht. Hiernach soll eine länderübergreifende Angelegenheit vermutet werden, wenn eine Maßnahme das Unternehmen oder die Unternehmensgruppe in mindestens 2 verschiedenen Mitgliedstaaten betrifft. Dies gilt, wenn die zentralen Leitungen davon ausgehen können, dass Arbeitnehmer in mehr als einem Mitgliedstaat von den Folgen betroffen sein könnten. Unter welchen Voraussetzungen eine "Betroffenheit" anzunehmen ist, lässt der Entwurf offen.
- Der Richtlinienentwurf legt fest, dass Unternehmen einem Europäischen Betriebsrat finanzielle und materielle Ressourcen zur Verfügung stellen müssen, die den Einsatz von Experten, die Deckung von Rechtskosten sowie Schulungen umfassen. Unternehmen können auch virtuelle Formate für Sitzungen vorsehen, wenn die Parteien dies vereinbaren.
- Das Geschlechterverhältnis der Arbeitnehmervertretungen soll ausgewogen sein. Dazu ordnet Art. 6 Abs. 2a RLE an, dass jeweils mindestens 40 % Frauen und Männer das jeweilige Gremium besetzen, wenn die Betriebsparteien es neu verhandeln oder gründen.
- Der Unternehmensleitung soll gestattet werden, Informationen über die es den Europäischen Betriebsrat unterrichtet oder anhört, als vertraulich zu kennzeichnen. In diesem Fall muss sie begründen, warum sie die Informationen als vertraulich übermittelt.
- Die Unternehmensleitung soll unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt sein, Informationen zurückzuhalten. Sie muss dies gegenüber der Arbeitnehmervertretung begründen. Erforderlich ist, dass die Informationen nach objektiven Kriterien geeignet sind, die Arbeitsweise des Unternehmens erheblich zu beeinträchtigen.
- Arbeitnehmervertreter sollen von der zentralen Leitung eine mit Gründen versehene schriftliche Antwort bekommen, bevor diese eine Entscheidung zu einer Maßnahme in einer länderübergreifenden Angelegenheit trifft. Der Entwurf lässt außerdem Raum dafür, dass Mitgliedstaaten einen Unterlassungsanspruch für Europäische Betriebsräte in Bezug auf diese Maßnahmen einführen. Voraussetzung dazu wäre, dass der Arbeitgeber den jeweiligen Europäischen Betriebsrat noch nicht abschließend unterrichtet und angehört hat. Es liegt im Ermessen des deutschen Gesetzgebers, einen Unterlassungsanspruch einzuführen.
- Mitgliedstaaten sollen sicherstellen, dass Sanktionen bei Verstößen gegen die Richtlinie wirksam, abschreckend und verhältnismäßig sind. Insofern sollen sie die Schwere, Dauer, Folgen und den vorsätzlichen oder fahrlässigen Charakter der Straftat sowie die Größe und finanzielle Lage des Unternehmens berücksichtigen. Es wird abzuwarten sein, ob der deutsche Gesetzgeber entsprechend die nach § 45 EBRG vorgesehenen Bußgelder erhöht.
- Der Richtlinienentwurf sieht ein vereinfachtes Verfahren zur Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats vor. Die Ausnahmen der bisherigen Richtlinie sollen gestrichen werden. Hierdurch werden nach Einschätzung der Kommission mehr als 5 Mio. Arbeitnehmer in 320 multinationalen Unternehmen, die Einrichtung eines Europäischen Betriebsrats beantragen können, für die bereits Vereinbarungen getroffen sind. Es sind nach Art. 14a RLE Übergangsvorschriften für entsprechende Alt-Vereinbarungen vorgesehen. Diese sollen ersetzt oder jedenfalls an die neue Rechtslage angepasst werden.
- Es soll künftig jährlich 2 Plenarsitzungen geben. Bisher war nur eine Sitzung vorgesehen. Außerordentliche Sitzungen, die von dem vorgesehenen Intervall abweichen, sollen nur möglich sein, wenn es besonders dringend ist, dass die Parteien den regulären Termin nicht einhalten.
Weiteres Verfahren:
Das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten haben den Änderungsvorschlag nun zu erörtern. Insofern lässt sich aktuell nicht abschließend beurteilen, welche Regelungen des Entwurfs fortan Teil der novellierten Richtlinie sein werden. Nach Abschluss der Erörterungen und Inkrafttreten einer geänderten Richtlinie haben die Mitgliedstaaten ein Jahr Zeit zur Umsetzung in nationales Recht. Danach gilt ein 2-jähriger Übergangszeitraum.
Insbesondere länderübergreifend tätige Unternehmen(sgruppen), bei denen es bislang keinen Europäischen Betriebsrat gab, müssen sich womöglich auf die Einrichtung eines Europäischen Betriebsrats einstellen. Außerdem sollten betroffene Unternehmen Maßnahmen zur Förderung eines ausgewogenen Geschlechterverhältnisses in ihren Europäischen Betriebsräten prüfen. Und auch interne Prozesse sollten überprüft und ggf. angepasst werden, um die Zielvorgaben bei Neuverhandlungen von Beteiligungsvereinbarungen oder bei der Einrichtung neuer Gremien zu erreichen.