(1) § 8 Abs. 2 AÜG sieht zwei Ausnahmetatbestände für das Abweichen vom Gleichstellungsgrundsatz vor:
a) |
Abweichung durch Tarifvertrag, der auf das Arbeitsverhältnis kraft beidseitiger Tarifbindung anzuwenden ist, soweit er nicht die in einer Rechtsverordnung nach § 3a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschreitet; |
b) |
rechtswirksame arbeitsvertragliche Inbezugnahme eines auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrages, soweit der Tarifvertrag nicht die in einer Rechtsverordnung nach § 3a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschreitet. |
Durch oder aufgrund eines Tarifvertrages im Sinne des § 8 Abs. 2 AÜG kann hinsichtlich des Arbeitsentgelts nur für die ersten 9 Monate einer Überlassung an einen Entleiher vom Gleichstellungsgrundsatz abgewichen werden (§ 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG). Nähere Ausführungen hierzu unter FW 8.4.
(2) Soweit ein solcher Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden ist, hat der Verleiher die nach diesem Tarifvertrag geschuldeten Arbeitsbedingungen zu gewähren (§ 8 Abs. 2 Satz 2 AÜG). Ein Verstoß hiergegen kann die Versagung (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG) oder den Widerruf (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 AÜG) der Erlaubnis zur Folge haben. Es sind die unter FW 3.1 dargestellten Grundsätze, insbesondere zur Verhältnismäßigkeit zu beachten. Daneben wird der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 16 Abs. 1 Nr. 7a AÜG verwirklicht, die mit einer Geldbuße bis zu 500.000,00 EUR geahndet werden kann. Soweit ein Tarifvertrag Löhne unterhalb einer festgesetzten Lohnuntergrenze vorsieht, gelten die Rechtsfolgen des § 8 Abs. 2 Satz 4 AÜG. Die Wirksamkeit des Tarifvertrages bleibt im Übrigen unberührt. Vergütet ein Verleiher seine Arbeitnehmer entsprechend dem Tarifvertrag unterhalb der festgesetzten Lohnuntergrenze, ist auch ein Verstoß gegen die arbeitsrechtlichen Pflichten nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG zu prüfen.
(3) Zu (1) a): Sind beide Parteien des Arbeitsvertrages tarifgebunden, weil der Arbeitgeber Mitglied des tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverbandes und der Arbeitnehmer Mitglied der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft ist, gilt der Tarifvertrag unmittelbar und zwingend (§ 4 Abs. 1 TVG). Voraussetzung dafür ist, dass das Arbeitsverhältnis unter den räumlichen, fachlichbetrieblichen und persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages fällt (zu Mischbetrieben siehe FW 8.5 Nr. 5). Aufgrund eines solchen Tarifvertrages kann von dem Grundsatz der Gleichbehandlung zugunsten oder zu Ungunsten des Leiharbeitnehmers abgewichen werden. Die Ausnahme ermöglicht es den Tarifvertragsparteien die Arbeitsbedingungen flexibel zu gestalten und z. B. Pauschalierungen beim Arbeitsentgelt zuzulassen und die Leistungen für Zeiten des Verleihs und Nichtverleihs in einem Gesamtkonzept zu regeln.
Zu (1) b): Nicht tarifgebundene Parteien können die Anwendung eines Tarifvertrages durch den Einzelarbeitsvertrag vereinbaren (sog. Inbezugnahme). Andernfalls gilt der Gleichstellungsgrundsatz. Auch hier gilt, dass das betreffende Arbeitsverhältnis in den räumlichen, persönlichen und betrieblich-fachlichen Geltungsbereich des in Bezug genommenen Tarifvertrags fallen muss. Im Falle der Inbezugnahme ist der Tarifvertrag grundsätzlich vollständig und umfassend anzuwenden. Eine vertragliche Vereinbarung entspricht nicht den Anforderungen des § 8 Abs. 2 Satz 3 AÜG für eine Abweichung vom Gleichstellungsgebot, wenn sie nur die punktuelle Anwendung der tariflichen Regelungen vorsieht (BAG, Urteil vom 16.10.2019 - 4 AZR 66/18). Das Gleiche gilt für die Inbezugnahme einzelner sachlich und inhaltlich zusammenhängender Regelungsbereiche. Eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz ist grundsätzlich nur zulässig, wenn sachlich und inhaltlich das gesamte Tarifwerk in Bezug genommen wird. Nur die sachliche und inhaltliche Anwendung des gesamten Tarifwerks sorgt für einen paritätischen und angemessenen Ausgleich divergierender Interessen. Die vertragliche Vereinbarung von Regelungen über einzelne Gegenstände, die tariflich nicht geregelt sind und vertragliche Regelungen, die ausschließlich zu Gunsten des Arbeitnehmers von tariflichen Bestimmungen abweichen, lassen das Abweichen vom Gleichstellungsgebot zu.
(4) Gemäß § Absatz 5 TVG gelten die Normen eines Tarifvertrags nach dessen Ablauf weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden (sog. Nachwirkung). Ein solcher Ablauf des Tarifvertrags liegt im Wesentlichen in Fällen des Ablaufs seiner vereinbarten Laufzeit oder bei ordentlicher Kündigung durch eine der Tarifvertragsparteien vor. Die Nachwirkung kann von den Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag ausgeschlossen werden. Auch nachwirkende Tarifverträge können die Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz wirksam ermöglichen. Für im Nachwirkungszeitraum neu begründete Arbeitsverhältnisse gilt dies allerdings nur im Fall der einzelvertraglichen Inbezugnahme, wenn also der nachwirkende Zeitarbeitstarifvertrag mit der Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz ausdrücklich im Zeitarbeitsvertrag mit dem Leih...