Kein Anspruch auf „Equal Pay“ für Leiharbeitnehmer
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Klage einer Leiharbeitnehmerin abgewiesen, die nach dem „Equal Pay“-Grundsatz eine Vergütung wie die Stammbelegschaft des ausleihenden Unternehmens verlangt hatte.
Befristetes Leiharbeitsverhältnis
Die Klägerin des Verfahrens war bei der beklagten Leiharbeitsfirma als Leiharbeitnehmerin nach § 14 Abs. 2 TzBfG befristet in Teilzeit beschäftigt. Im streitgegenständlichen Zeitraum von Januar bis April 2017 wurde sie als Kommissioniererin an ein Einzelhandelsunternehmen überlassen. Nach ihrem Vortrag erhielten vergleichbare Stammarbeitnehmer des Einzelhandelsunternehmens einen um mehr als 4 Euro höheren Stundenlohn.
Tarifvertrag lässt Schlechterstellung beim Lohn zu
Das beklagte Leiharbeitsunternehmen begründete den niedrigeren Stundenlohn der Klägerin von zuletzt 9,23 EUR brutto pro Stunde mit dem zwischen der Gewerkschaft ver.di und dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen iGZ geschlossenen Tarifvertrag, der eine solche Abweichung befristet zulasse.
Klägerin rügt Verstoß gegen EU-Recht
Die Klägerin machte geltend, dass die entsprechende tarifvertragliche Regelung unwirksam sei, da sie gegen den Gleichstellungsgrundsatz des § 8 Abs. 1 AÜG (§ 10 Abs. 4 Satz 1 a.F.) verstoße. Sie sei auch nicht mit dem in Art. 5 Abs. 3 der EU-Leiharbeitsrichtlinie verankerten Grundsatz der Beachtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer vereinbar.
Vorlagefragen an EuGH
Dies sahen sowohl das BAG als auch die Vorinstanzen anders. Allerdings hatte das BAG vor seiner Entscheidung dem EuGH die Frage vorgelegt, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine rechtliche Schlechterstellung von Leiharbeitnehmern mit Art. 5 Abs. 3 der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG vereinbar ist. Nach Art. 5 Abs. 3 der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG ist bei Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz in Tarifverträgen „die Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu gewährleisten.
Kompensation der Ungleichbehandlung durch Ausgleichsvorteile
Der EuGH hatte die Frage dahingehend beantwortet, dass die Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer im Sinne der EU-Richtlinie gewährleistet ist, wenn deren Ungleichbehandlung durch Ausgleichsvorteile auf der anderen Seite neutralisiert wird. Ein solcher Ausgleichsvorteil kann nach der Entscheidung des EuGH bei Leiharbeitsverhältnissen u.a. die Gewährung eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung in verleihfreien Zeiten sein (EuGH, Urteil v. 15.12.2022, C-311/21).
Gesetzliche Regelungen der Arbeitnehmerüberlassung
Die vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen für eine Ungleichbehandlung sah das BAG im vorliegenden Fall als erfüllt an. Nach der Entscheidung des EuGH sei insbesondere die Regelung des § 8 AÜG nicht zu beanstanden. Nach dem in § 8 Abs. 1 AÜG normierten Gleichstellungsgrundsatz ist der Verleiher grundsätzlich verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Wesentlichen gleichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren, die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers gelten. § 8 Abs. 2 AÜG lässt Abweichungen durch Tarifvertrag zu, sofern die Mindestlohnbestimmungen eingehalten werden.
Lohnfortzahlung in verleihfreien Zeiten
Das BAG stellte klar, dass das deutsche Recht grundsätzlich verleihfreie Zeiten insbesondere für Leiharbeitnehmer, die nicht ausschließlich für einen bestimmten Einsatz eingestellt werden, vorsieht. Der von iGZ und ver.di ausgehandelte Tarifvertrag garantiere für diese verleihfreien Zeiten die Fortzahlung des Arbeitsentgelts und gewähre den Leiharbeitnehmern damit den vom EuGH geforderten Ausgleichsvorteil.
Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern gesetzlich gewährleistet
Darüber hinaus sah das BAG den Grundsatz der Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern durch diverse gesetzliche Regelungen in Deutschland gewährleistet:
- § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG stelle sicher, dass das Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten uneingeschränkt beim Verleiher liegt.
- Der Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung nach § 615 Satz 1 BGB sei im Leiharbeitsverhältnis - anders als sonst - gemäß § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG nicht abdingbar.
- In Deutschland dürften die tarifliche Vergütung von Leiharbeitnehmern die staatlich festgesetzten Lohnuntergrenzen bzw. den gesetzlichen Mindestlohn nicht unterschreiten.
- Darüber hinaus sei eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG nur während der ersten 9 Monate eines Leiharbeitsverhältnisses erlaubt.
Klage abgewiesen
Im Ergebnis hatte die Klage der Leiharbeitnehmerin auf Zahlung eines der Stammbelegschaft entsprechenden Lohns damit keinen Erfolg. Das BAG wies ihre Revision gegen die ablehnende Entscheidung der Vorinstanz zurück.
(BAG, Urteil v. 31.5.2023, 5 AZR 143/19)
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