Reinhild Fürstenberg, Maren Mönninghoff
Immer mehr Mitarbeiter pflegen neben ihrer Berufstätigkeit einen nahen Angehörigen: das können die eigenen Eltern sein, die Eltern des Partners, Kinder mit Behinderungen oder Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Dabei stellt die Pflegebedürftigkeit des Angehörigen besondere Herausforderungen an die Vereinbarkeit von Beruf und Alltag. Denn wenn eine Pflegesituation akut auftritt, gibt es viele Fragen. Viel Zeit bleibt den Angehörigen nun nicht, wichtige Entscheidungen müssen getroffen werden. So muss beispielsweise entschieden werden, ob die Versorgung des Pflegebedürftigen im eigenen Zuhause erfolgen kann oder ob das Heim die richtige Alternative darstellt. Oftmals fühlen sich Pflegende mit der Vielzahl an Fragen und Entscheidungen überfordert und benötigen Unterstützung durch einen kompetenten Ansprechpartner.
4.1 Pflege organisieren
Eine Pflegebedürftigkeit tritt häufig plötzlich ein. Wenn ein Angehöriger auf einmal nicht mehr für sich selbst sorgen kann, ändert sich der Alltag der Pflegenden komplett. Plötzlich müssen Mitarbeiter Berufstätigkeit und Pflege zugleich bewältigen. Es gibt elementare Fragen:
- Wie gestalte ich die richtige Pflege?
- Was muss ich beachten?
- Wer übernimmt welche Kosten?
Mitarbeiter stehen hierbei vor der enormen Herausforderung, in kurzer Zeit gute Lösungen zur Versorgung ihrer Angehörigen zu organisieren und Beruf und Familie komplett neu auszurichten.
Pflegethemen, die beschäftigen, sind:
- Plötzlich Pflegefall – Was sind die ersten Schritte?
- Welche Gesetze regeln die Vereinbarkeit von Beruf und Familie?
- Wie und wo wird der Pflegegrad beantragt?
- Welche Leistungen übernehmen die Pflegekassen?
- Welche Betreuungsformen gibt es?
- Wo erhalte ich weitere Informationen?
4.2 Herausforderung für die Familie
Für viele Familien ist die Auseinandersetzung mit der Pflege des Angehörigen eine große Herausforderung, denn nicht immer haben Familien untereinander einen intensiven und vertrauensvollen Umgang. Im Laufe des Lebens kommt es zu Konflikten unter Geschwistern, Eltern und Kindern. Sich nun gemeinsam mit Pflege- und Versorgungsmöglichkeiten, Vollmachten und der Finanzierung der Pflege zu befassen, ist oftmals schwer.
Hinzu kommen die Belastungsgrenzen einzelner Familienmitglieder, die häufig nicht genügend Aufmerksamkeit erfahren. Dabei sind Selbstpflege und Selbstfürsorge die Grundvoraussetzungen, um pflegen zu können: Pflegende sollten dementsprechend auf ausreichenden Schlaf achten, damit sich Körper und Seele erholen können. Auch regelmäßige Pausen sind wichtig, um die eigene Leistungsfähigkeit zu erhalten. Mit dem Pflegebedürftigen kommunizieren, sich die Zeit nehmen zum Nachfragen und das Verstehen-Wollen des Angehörigen beugt außerdem Missverständnissen vor. Den Pflegealltag einmal mit den Augen des pflegenden Angehörigen oder der gepflegten Person zu sehen, kann helfen, die Bedürfnisse des anderen besser zu verstehen. Um akute Krisensituationen zu entschärfen, sollte der Pflegende versuchen, Abstand zu gewinnen.
4.3 Belastung der Pflegenden
Die Pflege von einem Angehörigen ist nicht nur zeitaufwendig, sondern auch körperlich und psychisch sehr belastend. Erschwerend kommt hinzu, dass das Thema Pflege in vielen Kreisen immer noch tabuisiert wird. Häufig wagen es die Betroffenen nicht, an ihrer Arbeitsstelle von den Belastungen z. B. durch einen demenzkranken Angehörigen zu erzählen. Der Pflegende versucht stattdessen, weiterhin hundertprozentig am Arbeitsplatz zu funktionieren und vollen Einsatz zu bringen.
Häufig quälen den Mitarbeiter auch Existenzängste, weil eine Pflegesituation oft auch eine finanzielle Mehrbelastung mit sich bringt. Eine weitere Belastungssituation entsteht, wenn der pflegebedürftige Angehörige nicht in der gleichen Stadt wohnt und die Pflege damit aus der Ferne organisiert werden muss. Die Tatsache, dass man nicht in der Nähe eines lieben Angehörigen sein kann, belastet neben den strukturellen Gegebenheiten auch die Nerven und das Gemüt.
Die Folgen für die Gesundheit der pflegenden Angehörigen sind enorm:
- 17 % der pflegenden Angehörigen leiden an Depressionen (bei Demenzerkrankungen bis zu 35 %).
- Die Zahl der chronischen und schwerwiegenden Krankheiten bei pflegenden Angehörigen ist bis zu 51 % höher als bei einer Vergleichsgruppe.
- Pflegende Angehörige leiden häufig unter dem Burnout-Syndrom.
Auch Arbeitgeber spüren die Auswirkungen der Doppelbelastung durch Pflege und Beruf auf Ihre Mitarbeiter:
- Der Arbeitgeber leidet häufig unter einer reduzierten Leistungsfähigkeit und hohen Fehlzeiten seines Mitarbeiters. Oftmals gehen wichtige Mitarbeiter dem Unternehmen ganz verloren.
Es entstehen hohe betriebliche Folgekosten von über 14.000 EUR pro Jahr für jeden pflegenden Mitarbeiter (Abb. 4).
Abb. 4: Betriebliche Folgekosten aufgrund mangelnder Vereinbarkeit von Beruf und Pflege
- 71 % der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt – häufig von erwerbstätigen Angehörigen neben der Arbeit.
- Mehr als 75 % der pflegenden Angehörigen geben an, dass sie die Pflege eher stark oder sogar sehr stark belastet.