BMF, Schreiben vom 17.9.2021, IV A 3 – S 0338/19/10004 :005 (DOK 2021/0957238), BStBl I 2021, 1759
Vorläufige Festsetzung (§ 165 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 AO) und Aussetzung der Festsetzung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 (§ 165 Absatz 1 Satz 4 in Verbindung mit Satz 2 Nummer 2 AO); Aussetzung der Vollziehung und Ruhen von Rechtsbehelfsverfahren
Das Bundesverfassungsgericht hat in den Verfahren 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 mit am 18. August 2021 veröffentlichtem Beschluss vom 8. Juli 2021 im Ergebnis entschieden:
- § 233a in Verbindung mit § 238 Absatz 1 Satz 1 AO ist mit Artikel 3 Absatz I GG unvereinbar, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem I. Januar 2014 ein Zinssatz von 0,5 % pro Monat zugrunde gelegt wird.
- Für Verzinsungszeiträume bis 31. Dezember 2018 ist das bisherige Recht aber weiter anwendbar (Fortgeltungsanordnung).
Für Verzinsungszeiträume ab 1. Januar 2019 gilt Folgendes:
- § 233a in Verbindung mit § 238 Absatz 1 Satz 1 AO ist als Folge des Verstoßes gegen Artikel 3 Absatz 1 GG unanwendbar (Anwendungssperre).
- Gerichte und Verwaltungsbehörden dürfen diese Normen insoweit nicht mehr anwenden, laufende Verfahren sind auszusetzen. D.h. betragsmäßig „neue” Nachzahlungs- und Erstattungszinsen dürfen auf der Grundlage des § 233a in Verbindung mit § 238 Absatz 1 Satz 1 AO nicht mehr festgesetzt werden.
- Unanfechtbare Zinsfestsetzungen, die auf der Anwendung von § 233a in Verbindung mit § 238 Absatz 1 Satz 1 AO beruhen, sind wegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weder aufzuheben noch zu ändern (§ 79 Absatz 2 Satz 1 BVerfGG entsprechend). Sie genießen Bestandskraft. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist – soweit sie noch nicht vollzogen ist – allerdings unzulässig (§ 79 Absatz 2 Satz 2 BVerfGG entsprechend).
- Ansprüche des Zinsschuldners gegen die Finanzbehörde aus ungerechtfertigter Bereicherung hinsichtlich bereits entrichteter Zinsen sind ausgeschlossen (§ 79 Absatz 2 Satz 4 BVerfGG).
- Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung für Verzinsungszeiträume ab 1. Januar 2019 zu treffen.
- Die Unvereinbarkeitserklärung erstreckt sich ausdrücklich nicht auf die anderen Verzinsungstatbestände nach der AO zulasten der Steuerpflichtigen, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betrifft aber auch nicht die Verzinsung zugunsten der Steuerpflichtigen nach § 236 AO.
Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt Folgendes:
I. Erstmalige Zinsfestsetzungen nach § 233a AO
Sämtliche erstmalige Festsetzungen von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 sind gemäß § 165 Absatz 1 Satz 4 in Verbindung mit Satz 2 Nummer 2 und § 239 Absatz 1 Satz 1 AO auszusetzen.
Aussetzung der Zinsfestsetzung bedeutet, dass die bei Anwendung des nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr anwendbaren § 233a in Verbindung mit § 238 Absatz 1 Satz 1 AO für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 anfallenden Nachzahlungs- oder Erstattungszinsen nicht festgesetzt werden. Die ausgesetzte Zinsfestsetzung ist nachzuholen, soweit und sobald die Ungewissheit durch eine rückwirkende Gesetzesänderung beseitigt ist (§ 165 Absatz 2 Satz 2 Halbsatz 2 AO).
Für Verzinsungszeiträume bis 31. Dezember 2018 anfallende Nachzahlungs- oder Erstattungszinsen nach § 233a AO sind hingegen – endgültig – festzusetzen. Unter Verzinsungszeiträumen bis zum 31. Dezember 2018 sind hierbei nur volle Zinsmonate zu verstehen, die spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2018 enden.
In betroffene Zinsbescheide ist folgender Erläuterungstext aufzunehmen:
„Die Festsetzung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 ist gemäß § 165 Absatz 1 Satz 4 in Verbindung mit Satz 2 Nummer 2 und § 239 Absatz 1 Satz 1 AO ausgesetzt.
Die Aussetzung der Zinsfestsetzung erfolgt aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 2021, Az. 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, nach der § 233a in Verbindung mit § 238 Absatz 1 Satz 1 AO für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 bis zu einer rückwirkenden Gesetzesänderung nicht mehr angewendet werden darf. Nach Verkündung der vom Bundesverfassungsgericht geforderten rückwirkenden Gesetzesänderung wird die Festsetzung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen gegebenenfalls nachgeholt.
Für Verzinsungszeiträume bis zum 31. Dezember 2018 ergeht die Festsetzung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen endgültig.”
II. Geänderte oder berichtigte Zinsfestsetzungen nach § 233a AO
Bei Änderungen oder Berichtigungen von Festsetzungen von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 ist wie folgt zu verfahren:
Wird eine Zinsfestsetzung nach § 164 Absatz 2 in Verbindung mit § 239 Absatz 1 Satz 1 AO ...
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