Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch für ein volljähriges behindertes Pflegekind
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Pflegekind ist eine Person, mit der der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band wie zwischen Eltern und Kindern verbunden ist. Dies setzt bei einem volljährigen Pflegekind besondere Umstände voraus.
2. Um dem volljährig Behinderten in ein Aufsichts-, Betreuungs- und vor allem Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern stellen zu können, muss die Behinderung so schwer sein, dass der geistige Zustand des Behinderten dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entspricht.
3. Ist eine erzieherische Einwirkungsmöglichkeit der pflegenden Person auf die zu pflegende volljährige Person ausgeschlossen, ähnelt ein solches Pflegeverhältnis dem zu einem Kostgänger, so dass die Entstehung eines familienähnlichen Bandes und die Gewährung von Kindergeld ausgeschlossen ist.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 2
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist der Kindergeldanspruch für ein volljähriges behindertes Pflegekind, das im Rahmen des betreuten Wohnens in Familien (BWF) im Haushalt des Klägers lebt.
Am 29. April 2013 übersandte die B der Familienkasse den Kindergeldantrag des am 13. Oktober 1961 geborenen Klägers für die am 28. Oktober 1959 geborene C und teilte mit, C habe seit früher Kindheit eine geistige Behinderung, auf Grund derer sie auch in Zukunft nicht in der Lage sein werde, für ihren Lebensunterhalt selbst aufzukommen. Sie arbeite in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Sie beziehe Eingliederungshilfe und lebe seit dem 28. Juni 1993 im Rahmen des betreuten Wohnens bei der Familie des Klägers. Die Mutter des Klägers sei altersbedingt nicht mehr in der Lage, C ausreichend zu versorgen, da die geistige Behinderung viel Förderung, Kraft und Pflege abverlange. C sei deshalb innerhalb der Familie zum Kläger und seiner Ehefrau umgezogen. Zwischen ihr und der gesamten Familie sei in den letzten 20 Jahren ein sehr starkes familienähnliches Band entstanden, sie nehme den Kläger und seine Ehefrau als Autoritätspersonen an.
Aus dem beigefügten Kindergeldantrag ergibt sich, dass C seit dem 1. April 2013 im Haushalt des Klägers lebt. Aus dem ebenfalls beigefügten unbefristet gültigen Schwerbehindertenausweis der C ergibt sich ein Grad der Behinderung von 80 sowie die Merkzeichen G und H. Laut Bestätigung des Versorgungsamts vom 31. Januar 1978 wurde bei C eine geistige Behinderung – endogenes Ekzem – festgestellt.
Mit Bescheid vom 6. Mai 2013 lehnte die Familienkasse den Kindergeldantrag des Klägers mit der Begründung ab, bei der Wohnform „begleitetes Wohnen in Familien” liege kein Pflegekindschaftsverhältnis im Sinne des Einkommensteuergesetzes vor, da es an dem familienähnlichen Band fehle. Ein familienähnliches Band liege vor, wenn das Kind wie zur Familie angehörig angesehen und behandelt werde. Dies werde dann angenommen, wenn zwischen den Steuerpflichtigen und dem Kind ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern bestehe. Bei dem begleitenden Wohnen in Familien sprächen bereits die Bestimmungen der Vereinbarung hierüber gegen ein familienähnliches Band, weil bei der Betreuung und Versorgung im Haushalt Mitbestimmungs- und Kontrollrechte des Trägers bestünden.
Hiergegen erhob der Kläger Einspruch und trug vor, C sei in den letzten 20 Jahren zu einem Mitglied in der Familie geworden, seit sie am 28. Juni 1993 als Pflegekind seiner Mutter in der Familie aufgenommen worden sei. Es verbinde sie ein enges familienähnliches Band. Sie kenne seine Kinder seit der ersten Stunde, sei dabei gewesen, als sein Vater verstorben sei und erlebe jetzt mit, wie seine Mutter altersbedingt abbaue. Die jetzt erfolgte Aufnahme als Pflegekind basiere auf dem bereits bestehenden familienähnlichen Band und geschehe in der Absicht, diese Beziehung weiter zu vertiefen. Die Aufnahme in seiner Familie sei auf unbestimmte Dauer angelegt. Die Eltern von C seien bereits verstorben.
Mit Einspruchsentscheidung vom 19. November 2013 wies die Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, C sei im Alter von 53 Jahren in den Haushalt des Klägers aufgenommen worden. Beim betreuten Wohnen in Familien sprächen bereits die Bestimmungen über das begleitete Wohnen gegen ein familienähnliches Band. So solle das Kind beim betreuten Wohnen in Familien als Gast behandelt werden. Die Betreuung und Versorgung werde auch nicht eigenverantwortlich vorgenommen, vielmehr bestünden Mitbestimmungs- und Kontrollrechte des Trägers. Der Träger müsse über alle wesentlichen Veränderungen informiert werden und führe regelmäßige Gespräche mit der Gastfamilie und dem in den Haushalt aufgenommenen erwachsenen Behinderten. Diese Umstände ähnel...