Zeitpunkt der kindergeldrechtlichen Berücksichtigung eines Pflegekinds
Nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG gehören auch Pflegekinder zu den berücksichtigungsfähigen Kindern. Dabei handelt es sich um Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinem Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht.
Berücksichtigung beim Kindergeld
Nach § 64 Abs. 1 EStG ist nur einem Berechtigten Kindergeld auszuzahlen. Doppelzahlungen sind auszuschließen. Die Vorschrift verbietet, dass für dasselbe Kind für denselben Monat zweimal Kindergeld in voller Höhe an verschiedene Berechtigte gezahlt wird. Auch eine Aufteilung ist nicht möglich.
Ist danach weder eine Doppelzahlung noch eine Aufteilung des Kindergeldes mit dem Gesetz vereinbar, dann kann ein Haushaltswechsel des Kindes während des laufenden Monats bei dem neuen Berechtigten erst ab dem Folgemonat berücksichtigt werden (vgl. hierzu BFH, Urteil v. 16.12.2003, VIII R 76/99).
Fall des FG Sachsen-Anhalt
Genau um diese Frage ging es in einem Klageverfahren vor dem FG des Landes Sachsen-Anhalt. Hier hatte der Kläger und sein Lebenspartner das Pflegekind seit dem 7.12.2020 im Haushalt aufgenommen. Die Familienkasse gewährte erst ab Januar 2021 Kindergeld. Der Kläger begehrte aber schon ab November 2020 (Geburt des Kindes) Kindergeld. Er gab zur Begründung an, dass das Kind sich aufgrund Frühgeburtlichkeit ab Geburt auf der Neonatologie eines Klinikums befunden habe und bereits bei Geburt durch das Jugendamt die Inobhutnahme und Aufnahme im Haushalt des Klägers festgestanden habe.
Somit habe kein Kindergeldanspruch für eine andere Person bestanden. Die Kindesmutter sei nämlich zum Zeitpunkt der Geburt obdachlos und ohne finanzielle Mittel zur Versorgung des Kindes gewesen. Das Kind sei somit in der Klinik verblieben und im Dezember in den Haushalt der Pflegeeltern entlassen worden.
Familenkasse: Kindergeld erst im Folgemonat
Die Familienkasse argumentierte dagegen, dass Änderungen in den familiären Verhältnissen erst im Folgemonat zu einem neuen Anspruchsvorrang führen würden. Die Voraussetzungen für die Berücksichtigung als Pflegekind hätten daher in den Monaten November und Dezember 2020 noch nicht vorgelegen und der Kläger sei nur nachrangig berechtigt gewesen. Vorrangig kindergeldberechtigt sei ab Geburt die leibliche Mutter gewesen.
Dies gelte auch, obwohl die Kindesmutter noch der Vater Kindergeld für November und Dezember 2020 beantragt oder bewilligt bekommen haben und daran ändere auch nichts, dass für das Jugendamt bereits mit dem Tag der Geburt am 27.11.2020 nachweislich festgestanden habe, dass das Kind in die Obhut des Klägers gehen werde.
FG gewährt für Dezember Kindergeld
Für November gewährte das FG Sachsen-Anhalt (Urteil v. 2.2.2023, 4 K 848/21) zwar kein Kindergeld, aber für Dezember (einschließlich Kinderbonus). Es sei ab dem 7.12.2020 von einem Pflegekindschaftsverhältnis auszugehen, sodass ab Dezember Kindergeld zu bewilligen war. Im November 2020 fehle es dagegen an einem Pflegekindschaftsverhältnis.
Ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern bestehe bzw. bestand seit Geburt nicht. Nach Angaben des Landkreises in einer Bescheinigung war die leibliche Mutter zum Zeitpunkt der Geburt obdachlos und verfügte über keine finanziellen Mittel zur Versorgung des Kindes. Das Kind wurde unmittelbar am Tag seiner Geburt durch das Jugendamt in Obhut genommen und der vorläufige Aufenthalt in einer Kinderklinik festgelegt.
Eine vorrangige Anspruchsberechtigung i. S. v. § 32 Abs. 2 EStG i. V. m. § 64 Abs. 1 EStG konnte daher zugunsten der leiblichen Eltern nicht entstehen. Für das fehlende Obhuts- und Pflegeverhältnis der leiblichen Eltern spreche zudem, dass diese für den streitigen Zeitraum kein Kindergeld beantragt oder bewilligt bekommen haben. Daraus werde ersichtlich, dass sich die leiblichen Eltern selbst nicht als anspruchsberechtigt angesehen haben und dass offensichtlich auch kein Familienband zwischen den Eltern und dem Kind bestanden hat bzw. entstehen konnte.
Aufgrund der Inobhutnahme des Kindes durch das Jugendamt und der bestehenden Notwendigkeit des Klinikaufenthaltes konnte aber zunächst noch kein familienähnliches Band zwischen dem Kind und dem Kläger entstehen und somit auch keine Haushaltsaufnahme begründet werden. Selbst wenn nach den Angaben des Jugendamtes am Tag nach der Geburt festgestanden hat, dass das Kind in die Pflege gehen werde, sei es faktisch bis zum 7.12.2020 zu keiner Aufnahme im Haushalt des Klägers gekommen.
Daher sei für November kein Kindergeld zu gewähren, wohl aber für Dezember. Soweit die Familienkasse die Ansicht vertrete, dass erst ab dem Folgemonat (Januar 2021) ein Anspruch des Klägers auf Kindergeld entstanden sei, folgt das FG dem nicht. Daher folgt das FG auch nicht der Rechtsprechung des BFH, weil feststehe, dass es im Dezember 2020 nicht zu Doppelzahlungen kommen kann und demzufolge eine Festsetzung und Auszahlung des Kindergelds Dezember 2020 an den Kläger unproblematisch möglich sei.
Revisionsverfahren beim BFH anhängig
Gegen die Entscheidung des FG des Landes Sachsen-Anhalt wurde Revision eingelegt, welche es abzuwarten gilt (Az beim BFH III R 5/23).
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