Entscheidungsstichwort (Thema)
Folgeentscheidung zu BFH, Urteil v. 21.9.2021, VI R 25/19: Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte und Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen bei auswärtiger beruflicher Tätigkeit eines Müllwerkers
Leitsatz (redaktionell)
Der Betriebshof ist keine erste Tätigkeitsstätte eines Müllwerkers, wenn er sich dort jeweils lediglich umkleidet, die Ansage der Einsatzleitung anhört, das Tourenbuch, die Fahrzeugpapiere und die Fahrzeugschlüssel abholt, danach mit seinen Kollegen die Blinker sowie die Beleuchtung des Müllfahrzeugs kontrolliert und wenn die übrige Zeit des 45-minütigen Aufenthalts auf dem Betriebshof auf Parkplatzsuche für den eigenen PkW, den zeitgleichen Dienstbeginn von 500 Arbeitnehmern und die zeitgleiche Abfahrt von 120 Fahrzeugen vom Betriebshof zurückzuführen ist (Anschluss an BFH, Urteil v. 21.9.2021, VI R 25/19).
Normenkette
EStG § 9 Abs. 4 S. 1, Abs. 4a S. 1, Abs. 4 S. 2, Abs. 4a S. 3 Nr. 3
Tenor
Der Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 11.04.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.08.2017 wird dahingehend geändert, dass Mehraufwendungen für Verpflegung bei auswärtiger beruflicher Tätigkeit in Höhe von 2.700 Euro bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als weitere Werbungskosten berücksichtigt werden. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird nicht zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich des Revisionsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Tatbestand
Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang (Rückverweisung durch Bundesfinanzhof –BFH–, Urteil vom 02.09.2021 VI R 25/19, BFH/NV 2022, 18, juris). Die Beteiligten streiten über das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte und die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen bei auswärtiger beruflicher Tätigkeit bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Jahres 2016 (Streitjahr).
Der in C… wohnende Kläger erzielt als angestellter Müllwerker Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er ist seit dem 01.12.2015 als Müllwerker für die C… Betriebe tätig und seit diesem Zeitpunkt im Betriebshof der C… Betriebe in der B…-straße in C… eingesetzt. Auf die mit den C… Betrieben am 30.10.2015 bzw. 02.11.2016 abgeschlossenen Arbeitsverträge wird wegen der Einzelheiten verwiesen.
Der Kläger fährt arbeitstäglich, so auch im Streitjahr, als einer von zwei sog. Läufern neben dem Kraftfahrer auf dem Lkw mit, der die Mülltonnen der Kunden entleert.
In der den Akten des Beklagten (Bl. 6 der Lohnsteuer-Arbeitnehmer-Akte –L-A–) befindet sich die Kopie der ersten Seite eines Schreibens der C… Betrieben an eine nur mit Vornamen bezeichnete Person vom 02.05.2016, welches dem Beklagten offenbar aus einem anderen, nicht den Kläger betreffenden Verfahren vorliegt. Auf dem Schreiben ist handschriftlich das Wort „Muster” vermerkt. Das Schreiben betrifft einen Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung zum Verpflegungsmehraufwand. In dem Schreiben führen die C… Betriebe u.a. das Folgende aus:
„[…] Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen wurden Sie einer sog. ‚ersten Tätigkeitsstätte’ zugeordnet. […] Ihre ,erste Tätigkeitsstätte' im Sinne des Einkommensteuergesetzes ist Ihr Betriebshof/Ihre Regionalstelle D…-straße C…, dem Sie/der Sie zugeordnet sind und auf dem/der Sie arbeitstäglich Ihre Arbeit aufnehmen und beenden. […]”
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kopie des vorstehend genannten Schreibens verwiesen.
In seiner für 2016 eingereichten Einkommensteuererklärung machte der Kläger als Werbungskosten u.a. Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen aufgrund einer Abwesenheit von mehr als acht Stunden an 225 Tagen in Höhe von insgesamt 2.700,00 Euro geltend (225 Tage × 12,00 Euro). Der Beklagte folgte insoweit nicht der Einkommensteuererklärung, weil er die Auffassung vertrat, dass keine beruflich veranlasste Auswärtstätigkeit gegeben sei, und setzte dementsprechend mit Bescheid vom 11.04.2017 die Einkommensteuer 2016 ohne Ansatz der in Höhe von 2.700,00 Euro geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen (die sonstigen Werbungskosten belaufen sich unstreitig auf … Euro) i.H.v. … Euro fest (Bl. 10 der Gerichtsakte –G-A–).
Der Kläger erhob gegen den Einkommensteuerbescheid für 2016 am 28.04.2017 fristgerecht Einspruch (Bl. 2 L-A).
Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 16.08.2017 – einem Mittwoch – wies der Beklagte den Einspruch des Klägers gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 als unbegründet zurück (Bl. 12 G-A, bekanntgegeben mit einfachem Brief).
Am 21.09.2017 hat der Kläger Klage erhoben.
Am 20.05.2019 hat der frühere Berichterstatter einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt, in dem die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben. Wegen der Einzelheiten des Termins wird auf die Terminsniederschrift (Bl. 51 G-A) verwiesen.
Mit Urteil vom 23.05.2019 (Bl. 53 G-A) hat der vormals zuständige 4. Senat des Finanzgerichts –FG– die Klage im ersten Rechtsgang abgewiesen, da die vom Kl...