Entscheidungsstichwort (Thema)
Familienähnliches Band bei 17-jährigen?. Kindergeld
Leitsatz (redaktionell)
Die Rechtsprechung des BFH, wonach sich mit einem Volljährigen ein familienähnliches Band nur bei Vorliegen besonderer Umstände begründen lässt, ist auf 17-jährige Personen nicht übertragbar.
Normenkette
EStG § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1, § 62 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Kindergeld für ihre am 08.08.1995 geborene Nichte W.
Sowohl die Klägerin als auch W. besitzen die irakische Staatsangehörigkeit. Der Klägerin wurde am 05.05.2010 eine bis zum 18.04.2013 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) mit dem Zusatz „Erwerbstätigkeit gestattet” erteilt. Seit dem 09.04.2013 ist sie im Besitz einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG.
Am 21.03.2013 wurde die Klägerin vom Amtsgericht C zum Vormund von W. bestellt, die ausweislich einer Meldebescheinigung der Stadt C seit dem 18.09.2012 bei ihr in Deutschland wohnt. Seit dem 05.11.2012 besucht W. ein Berufskolleg. Ihr Vater ist in 2002 verstorben und ihre Mutter – die Schwester der Klägerin – lebt im Irak.
Die Beklagte lehnte den von der Klägerin am 28.03.2013 gestellten Antrag auf Kindergeld mit Bescheid vom 17.04.2013 ab mit der Begründung, dass kein Pflegekindschaftsverhältnis vorliege, weil eine familienähnliche Bindung kurz vor Eintritt der Volljährigkeit grundsätzlich nicht mehr begründet werden könne.
Den hiergegen eingelegten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 14.05.2013 als unbegründet zurück.
Im Klageverfahren verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Ansicht, dass ihr als Vormund Kindergeld zustehe, zumal das Kindergeld benötigt werde, um die Vormundschaft ordnungsgemäß auszuführen. Jedes in Deutschland lebende Kind habe Anspruch auf angemessene Förderung und Unterstützung.
Es liege auch eine auf Dauer angelegte familiäre Verbindung vor. W. sei wegen des Terrors und des Kriegs in ihrem Heimatland von dort geflüchtet und sei wegen der dortigen Geschehnisse traumatisiert. Sie – die Klägerin – sei ihre Bezugsperson, auf die W. angewiesen sei und bei der sie sich wohl fühle. W. werde auch nach Erreichen der Volljährigkeit bei ihr – der Klägerin – verbleiben, zumal die schulische Laufbahn noch mehrere Jahre in Anspruch nehmen werde.
Seit der Einreise nach Deutschland habe W. ihre Mutter nicht mehr gesehen. Es habe nur telefonische Kontakte gegeben, und das auch nur alle paar Monate.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 17.04.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.05.2013 zu verpflichten, zu ihren Gunsten für das Kind W. Kindergeld für den Zeitraum September 2012 bis Mai 2013 festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Das Verfahren wurde mit Beschluss vom 18.11.2013 auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Kindergeldakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Beklagte geht zu Unrecht davon aus, dass das Kind W. bei der Klägerin nicht als Pflegekind zu berücksichtigen ist.
1. Nach § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG besteht ein Kindergeldanspruch für Kinder i.S.d. § 32 Abs. 1 EStG. Kinder sind nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG auch Pflegekinder. Pflegekinder sind dabei Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben.
a) Ein familienähnliches Band liegt vor, wenn das Kind wie zur Familie angehörig angesehen und behandelt wird. Dies setzt voraus, dass zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Kind ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern besteht, das seine Grundlage in einer ideellen Dauerbindung finden muss. Dabei ist nicht allein auf die äußeren Lebensumstände, sondern auch darauf abzustellen, ob das Pflegekind in der Familie eine natürliche Einheit von Versorgung, Erziehung und „Heimat” findet – also nicht nur Kostgänger ist – sondern wie zur Familie gehörig angesehen und behandelt wird. Aus der Parallele zum Eltern-Kind-Verhältnis ergibt sich zudem, dass auch zwischen dem Pflegeelternteil und dem Pflegekind ein Autoritätsverhältnis bestehen muss, aufgrund dessen sich das Pflegekind der Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsmacht des Pflegeelternteils unterwirft (vgl. zu allem Bundesfinanzhof – BFH –, Urteil vom 09.02.2012 – III R 15/09, BFH/NV 2012, 1043).
Dass W. von der Klägerin – ihrer Tante – nicht als Kostgänger, sondern als Familienmitglied aufgenommen und behandelt wurde un...