Entscheidungsstichwort (Thema)
Dauerhafte Zuordnung zur Baustelle eines Auftraggebers des Arbeitgebers, ex-ante-Betrachtung
Leitsatz (redaktionell)
1) Die Baustelle eines Auftraggebers des Arbeitgebers stellt keine erste Tätigkeitsstätte des Arbeitnehmers dar, wenn sich den objektiven Umständen des Falles nicht die Prognose ableiten lässt, dass der Arbeitnehmer auf dem Betriebsgelände des Auftraggebers über einen Zeitraum von grundsätzlich mehr als 48 Monaten bzw. für die Dauer seines Dienstverhältnisses tätig werden sollte (ex-ante-Betrachtung).
2) Eine erste Tätigkeitsstätte wird dann auch nicht begründet, wenn der Arbeitnehmer in der Nachbetrachtung zwar über einen Zeitraum von mehr als 48 Monaten ununterbrochen auf dem Betriebsgelände des Auftraggebers eingesetzt war, sich diese Einsatzzeit aber weder zu Beginn des Ersteinsatzes noch zu Beginn der Folgeeinsätze prognostizieren ließ.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 4, 1 Nr. 4a S. 1, 2
Tatbestand
Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich der Einkommensteuerfestsetzungen für die Jahre 2010 bis 2013 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist nunmehr noch streitig, ob der Beklagte zu Recht den Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen und (weiteren) Fahrtkosten für das Jahr 2014 (Streitjahr) versagt hat.
Der Kläger ist seit 2013 verheiratet und wird im Streitjahr zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Er ist beruflich als angestellter Elektromonteur bei der Firma X (nachfolgend „Arbeitgeberin”) tätig und erzielt(e) aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit. Mit Bescheinigung vom 26.11.2014 stellte der Kreis R mit Wirkung vom 05.09.2014 einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 beim Kläger fest.
Die Arbeitgeberin des Klägers unterhält auf dem Betriebsgelände der Y (nachfolgend „Auftraggeberin”) in der A-Str., N mindestens seit dem Jahr 2005 eine Baustelle, auf der der Kläger jedenfalls seit dem Jahr 2010 ohne Unterbrechungen eingesetzt ist. Die Arbeitgeberin des Klägers wurde dabei ausschließlich auf der Grundlage von befristeten Verträgen für die Auftraggeberin tätig. Diese Verträge weisen ab dem Jahr 2010 Laufzeiten von längstens 36 Monaten (vom 01.01.2010 bis 31.12.2012 (Bl. 105 f. d. Gerichtsakte – GA), vom 01.01.2013 bis 30.03.2015 (Bl. 110 f. d. GA) und vom 01.04.2015 bis 31.12.2017 (Bl. 107 d. GA)) auf. Ausweislich eines als „Bescheinigung” bezeichneten Schreibens der Arbeitgeberin vom 23.12.2015 (Bl. 62 d. GA) war der Kläger im Streitjahr keiner ersten Tätigkeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zugeordnet.
Die Arbeitgeberin führte in der vorstehend genannten Bescheinigung weiter aus, dass sich ihre Personalplanung nach dem Inhalt der Aufträge, der Qualifikation des Mitarbeiters und den Terminvorgaben der Kunden richte. Aus der Personalplanung ergebe sich keine dauerhafte Zuordnung, da die Tätigkeit nicht unbefristet oder für die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses oder über einen Zeitraum von mehr als 48 Monaten geplant werde. Die Mitarbeiter werden grundsätzlich nach Bedarf auf Montage-Baustellen tätig.
Zwischen den Beteiligten ist nicht (mehr) streitig, dass der Kläger die Baustelle in N im Streitjahr an 227 Tagen aufgesucht hat, die einfache Entfernung zwischen seiner Wohnung und der Baustelle 70 Kilometer beträgt und der Kläger für die Fahrten zwischen seiner Wohnung und der Baustelle ein eigenes bzw. ein ihm zur Nutzung überlassenes Fahrzeug genutzt hat (vgl. Bl. 126 d. GA).
Die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr übermittelten der Kläger und seine Ehefrau am 23.03.2015. Darin machte der Kläger Aufwendungen für Fahrten zwischen seiner Wohnung und der Baustelle in N i. H. von 5.369 EUR als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit geltend. Der Betrag setzt sich zusammen aus nach Reiskostengrundsätzen ermittelten Fahrtkosten (227 Tage × 70 Kilometer × 2 × 0,30 EUR = 9.534 EUR) abzüglich der im Streitjahr (lohn-)steuerfrei erhaltenen Fahrtkostenerstattungen der Arbeitgeberin in Höhe von 4.165 EUR. Abgesehen von Pauschalen für die Kontoführung (16 EUR) und Arbeitsmittel (110 EUR) gab der Kläger keine weiteren Werbungskosten an. Einen Pauschbetrag für behinderte Menschen i. S. des § 33b Abs. 3 EStG brachte er ebenfalls nicht in Ansatz.
Mit Bescheid vom 23.10.2015 setzte der Beklagte die Einkommensteuer des Streitjahres auf 9.272,00 EUR fest. Dabei ließ der Beklagte die bei den Einkünften des Klägers aus nicht selbständiger Arbeit geltend gemachten Werbungskosten nicht zum Abzug zu, sondern legte stattdessen den Werbungskostenpauschbetrag i. H. von 1.000 EUR zugrunde. Im Übrigen wurden der Kläger und seine Ehefrau erklärungsgemäß veranlagt.
Mit Schreiben des derzeitigen Prozessbevollmächtigten vom 24.11.2015 (Eingang beim Beklagten am selben Tag) legte der Kläger unter anderem gegen den vorgenannten Einkommensteuerbescheid Einspruch ein und führte an, dass er die Reisekosten glaubhaft gemacht habe und der Bescheid daher zu ändern sei.
D...