Seit dem 1.1.2023 kann eine vorgezogene Altersrente ohne Beachtung von Hinzuverdienstbeschränkungen in Anspruch genommen werden. Ein Rentenwegfall oder eine Rentenkürzung (Teilrente) wegen eines zu hohen Hinzuverdienstes scheidet fortan aus.
Wer bis zum Jahr 2022 eine vorgezogene Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze als Vollrente beziehen wollte, musste beachten, dass nur begrenzt hinzuverdient werden durfte. An diesem langjährigen Grundverständnis hatte sich auch durch das Flexirentengesetz nichts geändert. Gleichwohl waren seit 1.7.2017 Rente und Hinzuverdienst flexibler als bisher miteinander kombinierbar. Die zuvor, bis 30.6.2017 geltenden monatlichen Hinzuverdienstgrenzen entfielen zugunsten einer in Ost und West einheitlichen kalenderjährlichen Hinzuverdienstgrenze von 6.300 EUR (brutto) für die volle Altersrente. Bei höherem Hinzuverdienst erfolgte eine stufenlose Anrechnung für die Altersteilrente.
Das neue Hinzuverdienstrecht des Flexirentengesetzes für Altersrenten wurde weitgehend auch auf Erwerbsminderungsrenten übertragen. Auf eine ausführliche Darstellung zu diesem Hinzuverdienstrecht wird hier verzichtet, zumal sich das Hinzuverdienstrecht bei Erwerbsminderungsrenten zum 1.1.2023 wesentlich geändert hat.
2.1 Hinzuverdienstrecht bei Altersrenten vom 1.7.2017 bis 31.12.2022
Im ersten Schritt wurde der Hinzuverdienst innerhalb eines Kalenderjahres neben der Altersrente betrachtet und geprüft, ob dieser Hinzuverdienst die kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze von 6.300 EUR (brutto) überstieg. War dies nicht der Fall, bestand in dem jeweiligen Kalenderjahr Anspruch auf Altersvollrente. Wurde die Hinzuverdienstgrenze von 6.300 EUR überschritten, war der übersteigende Betrag festzustellen und – um ihn auf Monatsbasis umzurechnen – durch 12 zu teilen. Von diesem Betrag wurden 40 % auf die Vollrente angerechnet. Verblieb nach der Anrechnung ein Restbetrag, war dies die stufenlose monatliche Teilrente für das Kalenderjahr. Verblieb kein Restbetrag, bestand kein Rentenanspruch.
Im zweiten Schritt war der sog. Hinzuverdienstdeckel zu prüfen. Der Hinzuverdienstdeckel ermittelte sich aus den höchsten jährlichen Entgeltpunkten innerhalb der letzten 15 Jahre vor Rentenbeginn und war im Ergebnis – vereinfacht ausgedrückt – der beste Monatsverdienst innerhalb dieses Betrachtungszeitraums. Überstieg die verbliebene Teilrente nach dem ersten Schritt (40 % Anrechnung) zusammen mit 1/12 des kalenderjährlichen Hinzuverdienstes den Hinzuverdienstdeckel, kam es zu einer weiteren Anrechnung. In diesem Fall minderte sich die – nach dem ersten Schritt festgestellte – Teilrente weiter. Verblieb ein Restbetrag, war dies die finale stufenlose monatliche Teilrente für das Kalenderjahr. Verblieb kein Restbetrag, bestand kein Rentenanspruch.
Höhere Hinzuverdienstgrenze und keine Anwendung des Hinzuverdienstdeckels bei vorgezogenen Altersrenten in den Jahren 2020 bis 2022
An die Stelle der kalenderjährlichen Hinzuverdienstgrenze von 6.300 EUR trat im Jahr 2020 eine kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze von 44.590 EUR und in den Jahren 2021 und 2022 von 46.060 EUR. Zur Anrechnung auf die Rente und somit zu einer Teilrente kam es erst, wenn der Hinzuverdienst neben der Rente diesen Betrag überschritt. Der Hinzuverdienstdeckel war in den Jahren 2020 bis 2022 nicht zu prüfen.
Die höheren Hinzuverdienstgrenzen und das Aussetzen der Anwendung des Hinzuverdienstdeckels in den Jahren 2020 bis 2022 galten nur für vorgezogene Altersrenten, nicht hingegen für Erwerbsminderungsrenten.
2.2 Verfahren (Prognose/Spitzabrechnung)
Der Hinzuverdienst des Jahres 2022, der neben der vorgezogenen Altersrente berücksichtigt wurde, war in der Regel noch nicht abschließend bekannt und wurde seinerzeit prognostiziert. Die Prognose erfolgte durch den Rentenversicherungsträger, der den voraussichtlichen kalenderjährlichen Hinzuverdienst bestimmte. Grundlage dafür waren grundsätzlich die Angaben des Versicherten. Basierend darauf wird eine Vollrente oder "stufenlose" Teilrente gezahlt.
Zum 1.7.2023 wurde der tatsächliche Hinzuverdienst des Kalenderjahres 2022 ermittelt und geprüft, ob die Prognose den tatsächlichen Verhältnissen entsprochen hat (Spitzabrechnung). Die Rente wurde rückwirkend für das vorangegangene Kalenderjahr neu berechnet und die bisherigen Bescheide wurden aufgehoben, wenn die Prognose nicht zutreffend war. Das konnte der Fall sein, wenn z. B. entweder mehr oder weniger als prognostiziert hinzuverdient wurde. Der Versicherte musste zu viel erbrachte Renten erstatten, wenn tatsächlich ein höherer Hinzuverdienst erzielt wurde. Wurden im Vergleich zur Prognose niedrigere Verdienste erzielt, erhielten die Versicherten eine Nachzahlung.