Dipl.-Psych. Julia Scharnhorst
Schon bei der Frage, was genau die Resilienz eines einzelnen Menschen ausmacht, ist sich die Fachwelt nicht ganz einig. Geht es um die Bewältigung von Krisen und das Zurückfinden in die alte Form ("bouncing back")? Oder geht es sogar um das Wachsen an Krisen und das Entwickeln neuer Fähigkeiten oder Einsichten?
Ähnliche Fragen stellen sich auch bei der Widerstandsfähigkeit von Unternehmen und Verwaltungen. Möchte man die Frage eingrenzen auf die Bewältigung akuter Krisen? Oder sollte man die Sache eher langfristig betrachten und auch einbeziehen, wie Unternehmen über die Zeit hinweg mit Widrigkeiten aller Art umgehen? Gehört dann zur Resilienz eher der Umgang mit diesen Krisen, also das Krisenmanagement? Oder sollte man auch schon die Vorbereitung auf Krisen, also z. B. das Risk-Assessment und das Erstellen von Notfallplänen, mit als Teil der Resilienz betrachten?
Vorbereitung auf akute Krisen
Schon 1993 gab es auf das World Trade Center einen Bombenanschlag. Der größte Arbeitgeber im WTC – Morgan Stanley – befürchtete weitere Anschläge, weil das Gebäude als starkes Symbol wirkte. Es wurden detaillierte Pläne erstellt und Übungen durchgeführt.
Am 11.9.2001 verfügte die Firma über 3 Gebäude, in denen die Angestellten sich treffen und weiter arbeiten konnten. Bereits eine Minute, nachdem das erste Flugzeug in das Hochhaus gerast war, wurde damit begonnen, die 2.700 Angestellten zu evakuieren. Ihre Büros, die über 22 Stockwerke verteilt lagen, waren fast leer, als das zweite Flugzeug einschlug. So verloren nur 6 Angestellte ihr Leben. Da Morgan Stanley in mehrfache Computer- und Kommunikationssysteme investiert hatte, konnten die Beschäftigten schnell wieder die Arbeit aufnehmen.
In der heutigen Zeit, in der es oft um das schnelle Erwirtschaften eines Shareholder-Value geht, werden sicherlich eher kurzfristige Kriterien für eine organisationale Resilienz angelegt. So könnte man neben dem Bewältigen von Krisen auch gute Umsatzzahlen, ein schnelles Wachstum, das Erschließen neuer Märkte als Messgrößen für Resilienz nehmen. Hier wären vorwiegend betriebswirtschaftliche Kennzahlen gefragt.
Es lassen sich aber durchaus auch andere Messgrößen zur Bestimmung der Widerstandskraft einer Organisation festlegen, z. B. deren Lebensdauer, die Fluktuationszahlen beim Personal oder die Krankenstände. Hier legt man eine langfristige Betrachtung zugrunde, die ganz andere Kenngrößen in den Blick nimmt. Beispiele für sehr langlebige Organisationen sind z. B. die Kirchen, deren Resilienz sich sicherlich nicht am betriebswirtschaftlichen Erfolg messen lässt.
Stora Enso
Eines der am längsten existierenden Unternehmen ist Stora Enso. Es wurde bereits im Jahr 1288 in Schweden gegründet. Ca. 700 Jahre lang beschäftigte man sich bei Stora mit dem Abbau von Kupfer. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts wurden auch die Bereiche Holzeinschlag und Papierproduktion dazu genommen. Heute ist Stora Enso das zweitgrößte Forstunternehmen der Welt und einer der größten Papier- und Verpackungsmittelhersteller. 2012 wurde ein Umsatz von 10,81 Mrd. EUR erzielt.
Mögliche Messgrößen für organisationale Resilienz:
- Lebensdauer des Unternehmens,
- Anzahl von überstandenen Krisen,
- wirtschaftliches Wachstum, Umsatzzahlen ("Fortune 500", "Global 500"),
- Fluktuation des Personals,
- Loyalität,
- Krankheitsstand,
- Vorbereitung auf Krisen, Notfallplanung,
- Innovationsfähigkeit, Flexibilität, Anpassungsfähigkeit an sich wandelnde Umwelten.
Immer wieder wurde versucht, die Erfolgsfaktoren resilienter Unternehmen und Organisationen zu identifizieren. Teilweise werden diese Versuche aus Forschungsinteresse von der Wissenschaft unternommen, teilweise versuchen Wirtschaftsbetriebe selbst herauszubekommen, was erfolgreiche Unternehmen auszeichnet und zu Überlebenskünstlern macht. Es wird danach gefragt, warum das durchschnittliche multinationale Unternehmen nur eine Lebensspanne von 40 bis 50 Jahren hat und nicht – wie andere Firmen – mehrere Jahrhunderte lang existiert.
In der wissenschaftlichen Diskussion wird zwischen 2 Hauptfaktoren der Widerstandsfähigkeit von Organisationen unterschieden: Vorausschau und Vorsorge sowie Resilienz. Zur Gruppe der vorausschauenden und -planenden Aktivitäten gehören z. B. die Maßnahmen, die von den Vereinten Nationen zur Reduzierung von Naturkatastrophen benannt wurden:
- Risikoreduktion,
- Identifikation von Risiken,
- Frühwarnsysteme etablieren und verbessern,
- eine Sicherheits- und Resilienzkultur etablieren,
- zugrunde liegende Risikofaktoren vermindern,
- Katastrophenbereitschaft und Reaktionsfähigkeit auf Katastrophen verbessern.
Von organisationaler Resilienz im engeren Sinne sprechen einige Experten nur dann, wenn Ereignisse eintreten, die über die existierenden Notfallpläne und -maßnahmen nicht mehr zu kontrollieren sind. Um mit unvorhergesehenen Ereignissen erfolgreich umgehen zu können, müssen neue Vorgehensweisen entwickelt werden, es braucht eine Bereitschaft und Fähigkeit zur Innovation.
Rein pragmatisch gesehen is...