Rz. 88

Zu den notwendigen Begründungserfordernissen eines LSt-Haftungsbescheids gehört insbesondere die Angabe der Erwägungen des FA bei der Ausübung seines Ermessens, warum es den Arbeitgeber überhaupt als Haftenden heranziehen will (Entschließungsermessen; Rz. 47) und außerdem warum es ihn als Haftenden anstelle des Arbeitnehmers als Steuerschuldner in Anspruch nimmt (Auswahlermessen; Rz. 48). Dies muss im Haftungsbescheid, spätestens aber in der Einspruchsentscheidung geschehen. Anderenfalls ist der Haftungsbescheid im Regelfall als fehlerhaft aufzuheben. Denn nur aufgrund der Begründung der Ermessenserwägungen kann das FG überprüfen, ob das FA die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.[1] Eine fehlerfreie Ermessensausübung durch das FA setzt zudem eine umfassende und einwandfreie Ermittlung des Sachverhalts voraus.[2]Floskelhafte Angaben über Zweckmäßigkeit und Billigkeit der Inanspruchnahme des Arbeitgebers oder gar eine Bezugnahme auf den Akteninhalt genügen nicht für eine Ermessensbegründung.

Die Finanzbehörde übt ihr Auswahlermessen fehlerhaft aus, wenn sie ohne nähere Begründung nur den Arbeitgeber für die LSt in Haftung nimmt, obwohl nach den im Streitfall gegebenen Umständen eine Haftung des Geschäftsführers i. S. der §§ 34, 35, 69 AO in Betracht kommt.[3]

 

Rz. 89

Der BFH hat ausnahmsweise auf eine Angabe der Ermessenserwägungen des FA verzichtet, wenn ein gegen den Arbeitnehmer als Steuerschuldner zu richtender Nachforderungsbescheid im Ausland vollstreckt werden müsste[4] oder wenn die Ermessensentscheidung durch das Vorliegen einer vorsätzlichen Pflichtverletzung des haftenden Arbeitgebers vorgeprägt ist[5], z. B. weil der Arbeitgeber die einbehaltene LSt nicht abgeführt hat. Der BFH hat eine solche Vorprägung des Ermessens auch bei einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Arbeitgebers angenommen.[6] Dies erscheint bedenklich. Denn anderenfalls kann die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der Ermessensentscheidung entfallen. Fehlt eine gebotene Begründung für die Ermessenausübung im Haftungsbescheid oder in der Einspruchsentscheidung, so sind auf die Anfechtungsklage hin beide Bescheide aufzuheben.[7]

 

Rz. 89a

Die Finanzbehörde kann ihre Ermessenserwägungen nach § 102 S. 2 FGO bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen. Diese Vorschrift gestattet aber nur, bereits an- oder dargestellte Ermessenserwägungen zu vertiefen, zu verbreitern oder zu verdeutlichen. Hingegen darf sie im finanzgerichtlichen Verfahren keine Ermessenserwägungen erstmals anstellen, Ermessensgründe auswechseln oder vollständig nachholen.[8]

 

Rz. 89b

Die Haftungsschuld kann grundsätzlich gestundet werden (§ 222 AO). Eine Ausnahme gilt jedoch für einbehaltene, aber nicht abgeführte LSt. Sie kann nach § 222 S. 4 AO nicht gestundet werden. Für die Haftungsschuld entstehen keine Säumniszuschläge (§ 240 AO).[9] Ebenso entstehen im Rechtsstreit um einen Haftungsbescheid keine Prozesszinsen.[10] Für die Aussetzung eines LSt-Haftungsbescheids dürfen nach teilweise erfolglosem Rechtsbehelf keine Aussetzungszinsen nach § 237 AO festgesetzt werden.[11]

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