Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 321
§ 50d Abs. 12 S. 2 EStG bestimmt, dass eine ausdrückliche Regelung in dem jeweiligen DBA der Bestimmung des § 50d Abs. 12 S. 1 EStG vorgeht. Damit wird das in § 50d Abs. 12 EStG liegende Treaty Override eingeschränkt. Die Regelung kann auch im Protokoll zu dem DBA enthalten sein, da das Protokoll einen integralen Bestandteil des DBA darstellt. Es muss sich aber um eine ausdrückliche Bestimmung handeln, d. h. es muss in dem DBA eine Regelung enthalten sein, die ausdrücklich das Besteuerungsrecht für Abfindungen anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses regelt. Dass sich eine solche Regelung, wenn auch eindeutig, aus einer Auslegung des DBA aufgrund der anwendbaren Auslegungsmethode ergibt, genügt nicht. In diesen Fällen bleibt es bei dem Treaty Override durch § 50d Abs. 12 S. 1 EStG.
Rz. 322
Nach § 50d Abs. 12 S. 3 EStG soll die Anwendung des § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG unberührt bleiben. Angesichts des eindeutigen Wortlauts sind § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 EStG nicht anwendbar. Nach § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG, der im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht gilt, erfolgt keine Freistellung von ausl. Einkünften, wenn der andere Staat das DBA im Gegensatz zu Deutschland so auslegt, dass Deutschland das Besteuerungsrecht hat. Im Zusammenhang mit § 50d Abs. 12 S. 1 EStG bedeutet dies, dass Deutschland trotz der unilateralen Zuordnung der Abfindung zu der Tätigkeit im ausl. Staat die Abfindung besteuert, und damit das Ansässigkeitsprinzip an Stelle des Tätigkeitsortprinzip anwendet, wenn der ausl. Staat die Abfindung nicht der Tätigkeitszeit in seinem Staat zuordnet. Damit sollen unbesteuerte, "weiße" Einkünfte vermieden werden.
Rz. 323
Unberührt bleiben nach § 50d Abs. 12 S. 3 EStG auch Verordnungen zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen. Diese erhalten Vorrang vor der Regelung des § 50d Abs. 12 EStG, und zwar sowohl dann, wenn sie eine gleichlautende als auch dann, wenn sie eine abweichende Regelung enthalten. Diese Regelung ist notwendig, da § 50d Abs. 12 EStG als Gesetz einen höheren Rang einnimmt als eine Rechtsverordnung, die Rechtsverordnung also verdrängen würde. Daher musste die Geltung der Rechtsverordnung gegenüber der gesetzlichen Regelung ausdrücklich bestimmt werden. Durch diese Regelung soll auch die Anwendbarkeit der Bestimmungen über Abfindungen in den Konsultationsvereinbarungen gesichert werden. Der BFH hatte entsprechende Verordnungen zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen für unwirksam erklärt, da die Verordnungsermächtigung in § 2 Abs. 2 AO nicht dem Bestimmtheitserfordernis des Art. 80 Abs. 1 GG entspricht. M. E. genügt § 50d Abs. 12 S. 3 EStG aber nicht, diesen Rechtsverordnungen Wirkung zu verleihen. § 50d Abs. 12 S. 3 EStG bestimmt nur, dass diese Verordnungen dem § 50d Abs. 12 EStG vorgehen, regelt aber nicht, ob diese Verordnungen überhaupt gültig sind. Einen Vorrang können die Verordnungen nur haben, wenn sie gültig sind. Außerdem kann das Gesetz den Verordnungen nicht entgegen Art. 80 Abs. 1 GG Gültigkeit verleihen, da ein einfaches Gesetz eine Regelung des GG nicht verdrängen kann. Die Rspr. des BFH über die Ungültigkeit dieser Verordnungen wird also nicht verdrängt. Das bedeutet, dass eine Rechtsverordnung nicht zu einem Besteuerungsrecht für Deutschland führt, wenn und soweit sie über die Regelung des § 50d Abs. 12 EStG hinausgeht. Ist eine Rechtsverordnung danach ungültig, kann jedoch auf § 50d Abs. 12 EStG zurückgegriffen werden. Eine ungültige Verordnung kann trotz der Bestimmung über den Verordnungsvorrang das Gesetz nicht verdrängen.