Punktuelle Änderung nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG

Die Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG setzt voraus, dass die Arbeitnehmereinkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen wegen der Verletzung der in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG normierten Nachweispflichten abkommenswidrig in die zu ändernde Einkommensteuerveranlagung einbezogen worden sind.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Sind Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, wird nach § 50d Abs. 8 EStG die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Wird ein solcher Nachweis erst geführt, nachdem die Einkünfte in eine Veranlagung zur Einkommensteuer einbezogen wurden, ist der Steuerbescheid insoweit zu ändern. § 175 Absatz 1 Satz 2 AO ist entsprechend anzuwenden.

Sachverhalt: Abfindung an einen Soldaten der britischen Streitkräfte

Fraglich war im Urteilsfall, ob § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG eine eigenständige Korrekturnorm ist, die eine Änderung auch dann gestattet, wenn die Beteiligten im Veranlagungsverfahren zu Unrecht davon ausgegangen sind, dass Einkünfte abkommensrechtlich in Deutschland besteuert werden dürfen?

Der der BFH-Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt verhielt sich folgendermaßen:

  • Die Kläger sind im Inland wohnhafte Eheleute, die im Streitjahr (2014) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden.
  • Der Kläger ist britischer Staatsbürger und arbeitete bis zu seinem Ausscheiden am 22.1.2014 als Soldat für die britischen Streitkräfte. Er war im Inland stationiert. Für seine Tätigkeit erhielt er im Streitjahr laufenden Arbeitslohn/Sold sowie eine Abfindung. Daneben erhielt er Pensionszahlungen. Nach seinem Ausscheiden war er bei einem anderen Arbeitgeber als Bürokraft beschäftigt.
  • In der Einkommensteuererklärung erklärten die Kläger den Bruttoarbeitslohn des Klägers und Entschädigungen/Arbeitslohn für mehrere Jahre. Daneben erklärten sie "steuerfreien Arbeitslohn nach Doppelbesteuerungsabkommen" (Sold und Pension).
  • In einer Anlage zur Einkommensteuererklärung wurden Ausführungen zur steuerlichen Behandlung des laufenden Arbeitslohns bis zum Ausscheiden, der Pensionszahlungen und der Abfindungszahlung gemacht. So führten die Kläger aus, dass der laufende Arbeitslohn bis zum Ausscheiden nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 und die Pensionszahlungen nach Art. 18 Abs. 2 des DBA Großbritannien steuerfrei seien. Sowohl der laufende Arbeitslohn als auch die Pensionszahlungen seien in Großbritannien versteuert worden.
  • Die Abfindungszahlung sei nach britischem Steuerrecht in voller Höhe steuerfrei. Nach der subject-to-tax-Klausel (Rückfallklausel) in Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Großbritannien habe Deutschland deshalb das Besteuerungsrecht. Die Abfindungszahlung sei nach § 34 Abs. 1 EStG zu besteuern.

Die Kläger wurden erklärungsgemäß veranlagt. Der Einkommensteuerbescheid 2014 vom 19.1.2016 wurde bestandskräftig.

In einer Bescheinigung vom 16.5.2018 teilte die britische Steuerbehörde "HM Revenue & Customs" mit, die "pension lump sum" sei normalerweise steuerfrei ("normally tax free"). Auf Nachfrage des Klägers erklärte die "HM Revenue & Customs" mit Schreiben vom 28.6.2018, dass die dem Kläger gewährte "termination grant/pension lump sum" nicht besteuert worden sei.

Mit Schreiben vom 9.7.2018 beantragten die Kläger unter Bezugnahme auf diese Bescheinigung, den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO zu ändern und die Abfindung steuerfrei zu stellen. Vergütungen im öffentlichen Dienst nach Art. 18 Abs. 1 DBA-Großbritannien dürften nur vom Staat des Dienstherrn besteuert werden.

Das Finanzamt (FA) lehnte den Änderungsantrag ab. Der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr sei fehlerhaft. Die Abfindungszahlung sei nach britischem Steuerrecht in voller Höhe steuerfrei. Die Voraussetzungen der subject-to-tax-Klausel in Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Großbritannien lägen nicht vor. Insofern sei das FA der anderslautenden Erklärung der Kläger zu Unrecht gefolgt. Die Einkommensteuerfestsetzung für 2014 sei dennoch nicht zu ändern. Die Abfindung sei nicht wegen fehlender Nachweise nach § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG, sondern wegen der rechtsfehlerhaften Anwendung von Art. 23 DBA-Großbritannien besteuert worden.

Der von den Klägern erhobenen Klage gab das Finanzgericht teilweise statt. Das FA habe die Änderung des angefochtenen Steuerbescheids zu Unrecht abgelehnt. Dieser sei allerdings nur insoweit zu ändern, als die Abfindungszahlung nicht bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens, sondern bei der Berechnung des Steuersatzes zu berücksichtigen sei.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Entscheidung: BFH gibt FA Recht

Der BFH folgt der Auffassung des FA und weist die Klage ab.  

Eigenständige Korrekturnorm des § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG

Ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO setzt § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG nicht voraus. Denn § 50d Abs. 8 Satz 3 EStG erklärt die Regelung des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO lediglich für entsprechend anwendbar. Bei § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG handelt es sich vielmehr um eine eigenständige Korrekturnorm. Danach gilt die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung nicht als rückwirkendes Ereignis.

Nur punktuelle Änderung

Die Änderungsvorschrift eröffnet ausweislich ihres Wortlauts keine vollumfängliche, nachträgliche abkommensrechtliche Überprüfung bestandskräftiger Steuerfestsetzungen auf ihre materielle Richtigkeit, sondern nur eine punktuelle Änderung, soweit der von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG geforderte Nachweis über die Besteuerung im anderen Staat oder den Besteuerungsverzicht des anderen Staates erst im Nachhinein geführt wird. Dies zeigt die Verwendung von "erst" und "nachdem". Damit setzt die Regelung voraus, dass der nach § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG erforderliche Nachweis betreffend den Besteuerungsverzicht beziehungsweise die Entrichtung der dort festgesetzten Steuern nicht (bereits) zuvor im Rahmen der Veranlagung im Inland, sondern erstmals (nachträglich) im späteren Änderungsverfahren geführt wird.

Steuerfestsetzung muss auf § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG beruhen

Dass die abkommenswidrige Steuerfestsetzung auf § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG beruhen muss, damit sie nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG geändert werden kann, hat der Gesetzgeber ferner dadurch verdeutlicht, dass die Änderung weiter voraussetzt, dass ein "solcher" – und damit der nach Satz 1 erforderliche – Nachweis (erst) im Änderungsverfahren geführt worden ist und die Änderungsbefugnis/-verpflichtung der Finanzbehörden nur "insoweit" eröffnet ist, als die abkommenswidrige Besteuerung der Arbeitnehmereinkünfte darauf gründet.

Die Berichtigungsvorschrift ist zudem nicht in der AO, sondern in § 50d Abs. 8 EStG geregelt. Die Berichtigungsnorm in Satz 2 kann nicht isoliert von Satz 1 in den Blick genommen werden. § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG ermöglicht daher keine vollumfängliche, nachträgliche abkommensrechtliche Überprüfung bestandskräftiger Steuerfestsetzungen, sondern nur eine punktuelle Korrektur in Bezug auf Arbeitnehmereinkünfte, die (zumindest auch) mangels Nachweises bestandskräftig besteuert wurden und bei denen der von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG geforderte Nachweis erst im Änderungsverfahren geführt wird oder werden kann.

Sinn und Zweck der Vorschrift verlangen ebenfalls danach, dass im bestandskräftig abgeschlossenen Veranlagungsverfahren die Vorschrift des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG angewandt und damit, dass eine abkommensrechtliche Freistellung nur mangels Nachweises versagt wurde.

Rechtsfehler erlaubt die Änderung nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG nicht

Vorliegend beruht die Besteuerung der Abfindung nicht auf dem fehlenden Nachweis betreffend den britischen Steuerverzicht beziehungsweise die Zahlung der in Großbritannien festgesetzten Steuer, sondern auf der Rechtsauffassung, dass die Voraussetzungen für eine Freistellung nach dem DBA-Großbritannien aufgrund der in Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Großbritannien enthaltenen subject-to-tax-Klausel nicht erfüllt seien. Ein bloßer (vermeintlicher) Rechtsfehler/Rechtsirrtum erlaubt die Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG nicht.

BFH, Urteil v. 1.8.2024, VI R 34/21; veröffentlicht am 21.11.2024

Alle am 21.11.2024 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen


Schlagworte zum Thema:  Doppelbesteuerungsabkommen, Abfindung