Abkommensrechtliche Dreieckskonstellationen
Hintergrund: Wohnsitz im Inland, Arbeit in der Schweiz, Zweitwohnung in Frankreich
Streitig war in einem abkommensrechtlichen Dreieckssachverhalt das Besteuerungsrecht Deutschlands.
X wohnte in den Streitjahren 2012/2013 zusammen mit seiner Ehefrau in einer gemeinsamen Wohnung in Deutschland. Dort befand sich der Lebensmittelpunkt
In 2012 nahm X eine Tätigkeit in der Schweiz auf. Hieraus erzielte er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Anlässlich der Aufnahme dieser Tätigkeit bezog er eine Zweitwohnung in Frankreich, von der aus er arbeitstäglich zu seiner wenige Kilometer entfernten Arbeitsstätte in der Schweiz pendelte. Den Arbeitslohn versteuerte X in Frankreich. Die Schweiz erhob keine Steuer.
Die Eheleute berücksichtigten in ihrer ESt-Erklärung den Arbeitslohn des X auf der Grundlage des DBA-Schweiz als steuerfreie Einkünfte. Das FA folgte dem nicht und unterwarf den Arbeitslohn der inländischen Besteuerung.
Dem widersprach das FG und gab der Klage statt. Der Arbeitslohn sei nach dem DBA-Schweiz von der deutschen Besteuerung freigestellt und werde lediglich dem Progressionsvorbehalt unterworfen. Für Drittstaateneinkünfte sehe das DBA-Frankreich zwar grundsätzlich ein Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats Deutschland vor (Art. 18 DBA-Frankreich). Wegen der Dreieckskonstellation dürfe dieses Besteuerungsrecht aber nicht ohne Rücksicht auf das DBA-Schweiz ausgeübt werden.
Entscheidung: Das DBA-Schweiz ist vorrangig
Der BFH bestätigte das FG und wies die Revision des FA zurück. Da X seine Tätigkeit in der Schweiz ausübte, sind diese Einkünfte grundsätzlich nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz von der deutschen Besteuerung freigestellt und unterliegen lediglich dem Progressionsvorbehalt (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DBA-Schweiz).
Keine unilaterale Rückfallklausel (§ 50d Abs. 8 EStG)
Ein Besteuerungsrückfall nach § 50d Abs. 8 EStG scheidet bereits deshalb aus, weil im Streitfall feststeht, dass die Schweiz hinsichtlich der streitigen Einkünfte des X aus nichtselbständiger Arbeit auf ihr durch das DBA-Schweiz zugewiesene Besteuerungsrecht verzichtet hat und damit ein Ausnahmetatbestand i.S. des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG vorliegt. Das grundsätzlich gegebene Besteuerungsrecht der Schweiz entfällt, weil die Grenzpendlerregelung nach dem DBA-Schweiz/Frankreich das Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn des X Frankreich zuweist. In dieser DBA-Regelung liegt ein Besteuerungsverzicht der Schweiz i.S.v. § 50d Abs. 8 EStG.
Auch kein Besteuerungsrückfall nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG
Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen können von der inländischen Steuerpflicht erfasst werden, wenn sie zwar nach einem DBA von der deutschen Besteuerung auszunehmen sind, diese Einkünfte aber in dem anderen Staat "nur deshalb" nicht steuerpflichtig sind, weil die Person in diesem Staat nicht unbeschränkt steuerpflichtig (z.B. nicht ansässig) ist. Diese Voraussetzung fehlt im Streitfall. Denn die Besteuerung in der Schweiz entfällt nicht allein deshalb, weil X in der Schweiz nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist. Vielmehr unterliegt der Arbeitslohn sowohl bei unbeschränkter als auch bei beschränkter Steuerpflicht grundsätzlich der Schweizerischen Besteuerung. Diese Besteuerung wird lediglich durch die Grenzpendlerregelung des DBA-Schweiz/Frankreich ausgeschlossen.
DBA-Regelungen bei Dreieckskonstellation
Die Dreieckskonstellation ergibt sich daraus, dass X sowohl in Deutschland als auch in Frankreich einen Wohnsitz hat, seine Einkünfte aber aus dem Quellenstaat Schweiz bezieht. Bei isolierter Betrachtung der DBA steht das Besteuerungsrecht nach dem DBA-Schweiz dem Quellenstaat Schweiz, nach dem DBA-Schweiz/Frankreich dem Staat Frankreich (Grenzpendlerregelung) und nach dem DBA-Frankreich (Art. 18) Deutschland zu.
Keine Aufhebung der DBA-Schweiz-Freistellung durch das DBA-Frankreich
Entgegen der Auffassung des FA kann die Zuweisung des Besteuerungsrechts an Deutschland durch das DBA-Frankreich die Steuerfreistellung nach dem DBA-Schweiz nicht aufheben. Die DBA-Regelungen zur Abkommensberechtigung doppelt ansässiger Personen betreffen stets nur die Vertragsstaaten des jeweiligen bilateralen DBA. Eine sich auf andere Staaten erstreckende "abkommensübergreifende" Wirkung kommt diesen Normen nicht zu. Die Verteilungsnormen der jeweiligen DBA stehen grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und sind jeweils autonom und unabhängig voneinander auszulegen. Aus der Sicht eines Steuerpflichtigen reicht es daher aus, wenn er nach einem der von Deutschland abgeschlossenen DBA (hier DBA-Schweiz) die Voraussetzungen einer Freistellung von der inländischen Besteuerung erfüllt. Soweit es sich um ein- und dieselben Einkünfte handelt, kann diese Freistellung nicht durch die abweichende Zuweisung des Besteuerungsrechts in einem anderen Abkommen aufgehoben werden.
Hinweis: Bestätigung der Schrifttumsmeinung
Der BFH folgt damit der allgemeinen Literaturmeinung, dass bei abkommensrechtlichen Dreieckskonstellationen, in denen Deutschland auch mit dem Drittstaat (hier: Schweiz) ein DBA abgeschlossen hat und das Besteuerungsrecht dem Drittstaat zugewiesen wird, die Ausübung des aus einem anderen Abkommen (hier: DBA-Frankreich) folgenden Besteuerungsrechts für Drittstaateneinkünfte ausgeschlossen ist (z.B. Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer MA Art. 21 Rz 54). Dass eine Besteuerung durch den Staat des Hauptwohnsitzes (hier: Deutschland) als sachnäher angesehen werden könnte als eine Besteuerung durch den Staat des Zweitwohnsitzes (hier: Frankreich), wenn der Drittstaat (hier: Schweiz) sein als Quellenstaat zustehendes Besteuerungsrecht nicht ausübt, ist kein Gesichtspunkt für eine andere Entscheidung.
BFH Urteil vom 01.06.2022 - I R 30/18 (veröffentlicht am 06.10.2022)
-
Vermietung an den Partner in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft
812
-
BVerfG verhandelt im November zum Solidaritätszuschlag
707
-
Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld nach § 268 AO ist unwiderruflich
690
-
Abschreibung für eine Produktionshalle
632
-
Selbst getragene Kraftstoffkosten bei der 1 %-Regelung
544
-
Berechnung der Zehn-Jahres-Frist bei sanierungsrechtlicher Genehmigung
519
-
Abzug von Fahrtkosten zur Kinderbetreuung
493
-
Neue Grundsteuer B in Baden-Württemberg ist verfassungsmäßig
473
-
Sonderausgabenabzug für einbehaltene Kirchensteuer auf Kapitalerträge aus anderen Einkunftsarten
465
-
Anschrift in Rechnungen
421
-
Alle am 21.11.2024 veröffentlichten Entscheidungen
21.11.2024
-
Keine Rückstellung für vorläufig festgesetzte Zinsrückzahlung
21.11.2024
-
Erfordernis der Glaubhaftmachung gem. § 52a Abs. 6 FGO
20.11.2024
-
Betriebsausgabenabzug für steuerfreie Photovoltaikanlagen auch in 2022 möglich
18.11.2024
-
Keine AdV bei geltend gemachter Verfassungswidrigkeit der Grundsteuerwertermittlung
18.11.2024
-
BFH zur Vorteilsminderung bei der 1 %-Regelung
18.11.2024
-
Bestattungskosten als Nachlassverbindlichkeiten bei Zahlung aus einer Sterbegeldversicherung
18.11.2024
-
Erbschaftsteuerlicher Freibetrag bei Erbverzicht der Elterngeneration
18.11.2024
-
Hinzurechnungsbesteuerung und Kapitalverkehrsfreiheit bei Schweizer Tochtergesellschaften
15.11.2024
-
Keine Kfz-Steuerbefreiung bei untergeordneter land- und forstwirtschaftlicher Tätigkeit
15.11.2024