Das Vorgehen der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung kann weitgehend auf die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen übertragen werden. Hinsichtlich der Ermittlung und Beurteilung psychischer Belastungen zeigen sich aber Unterschiede, da vergleichbare Methoden und Instrumente, wie z. B. bei der Messung des Lärmpegels oder der Leitmerkmalmethode zum Berechnen einer Gesundheitsbeeinträchtigung durch Heben und Tragen, nicht verfügbar sind.
Grundsätzlich gibt es keine Vorgaben hinsichtlich der Verwendung von Methoden, Instrumenten und Bewertungsverfahren. Das Arbeitsschutzgesetz macht aber im Rahmen der Nennung allgemeiner Grundsätze in § 4 Abs. 3 deutlich, dass der "Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse" zu berücksichtigen sind. Insofern ist bei der Auswahl von Instrumenten darauf zu achten, ob die inhaltliche Gestaltung dieser Anforderung gerecht und ein entsprechendes Bewertungsschema mitgeliefert wird. Die Leitlinie der GDA zur Umsetzung der psychischen Gefährdungsbeurteilung zeigt auf, welche Verfahrensweisen zur Beurteilung der psychischen Belastung bei der Arbeit sowie zur Bestimmung der Grenzwerte grundsätzlich infrage kommen können.
4.1 Nutzung von Instrumenten, die Kriterien oder "Schwellenwerte" für gesundheitlich relevante Ausprägungen der erfassten psychischen Belastung enthalten
Diese Variante ermöglicht eine Bestimmung des Grenzwertes (in der Leitlinie Schwellenwert genannt). Dieser kann als ermittelter Wert oder als Ergebnis einer spezifischen Kombination von Ergebniswerten dargestellt werden. Ist der Wert erreicht/überschritten bzw. die kritische Kombination identifiziert worden, ergibt sich daraus ein Handlungsbedarf.
Vorteile:
- sichere Bestimmung des Grenzwertes;
- Instrumente mit dieser Verfahrensweise ermöglichen oftmals eine Ergebnisdarstellung nach dem Ampelsystem grün-gelb-rot, was auch eine Priorisierung des Handlungsbedarfs ermöglicht.
Nachteile:
- unternehmensspezifische Situationen und Sichtweise der Mitarbeiter werden nur bedingt berücksichtigt.
4.1.1 Praxisbeispiel 1: KFZA
Der Kurz-Fragebogen zur Arbeitsanalyse KFZA ist ein Fragebogeninstrument mit 26 Items und zählt zur Gruppe der Screeningverfahren. Er dient als quantitatives Verfahren zur Verhältnisprävention und liefert Informationen über das Erleben der Arbeitssituation aus der Sichtweise der Beschäftigten zu den Bereichen Arbeitsinhalte, Ressourcen und Stressoren sowie zum Organisationsklima. Die Beantwortung der einzelnen, als Aussagen oder Fragen formulierten Items, erfolgt in einer 5-stufigen Skala.
Der Fragebogen ist in 2 Varianten, einer reinen IST-Bewertung sowie einer IST/SOLL-Version, verfügbar. Letztere eignet sich insbesondere zur Bestimmung von Grenzwerten, da sowohl die Ausprägung des IST-Wertes als auch die Differenz von IST zu SOLL zur Bewertung herangezogen werden. Laut Becker/Prümper (2016) können Aspekte als sehr erhebliche Belastung klassifiziert werden, wenn der IST-Wert einen halben Skalenpunkt und mehr in negativer Ausprägungsrichtung von der Skalenmitte (3,0) entfernt liegt und zudem eine IST-SOLL-Differenz von einem Skalenpunkt und mehr vorhanden ist. Im Weiteren definieren Becker/Prümper Kriterien einer erheblichen, beachtlichen, nennenswerten, geringen und normalen Belastung.
Abb. 2: Visualisierung der Bestimmung einer sehr erheblichen Belastung des KFZA-Fragebogens
Wie in Abb. 2 zu erkennen ist, muss der IST-Wert einer Variablen den Ergebniswert von 3,5 oder höher erreichen und gleichzeitig eine Differenz zum SOLL-Wert von einem Skalenpunkt oder mehr bestehen, sodass von einer sehr erheblichen Belastung ausgegangen werden kann. Trifft diese Kombination zu, kann gemäß Abb. 1 vom Überschreiten der Gefahrenschwelle ausgegangen werden. Becker und Prümper definieren darüber hinaus auch weitere Stufen darunter, so z. B. die erhebliche bis hin zur normalen Belastung.
4.1.2 Praxisbeispiel 2: FIT
Ein weiteres Instrument mit guter Möglichkeit der Grenzwertbestimmung ist der Fragebogen zum Erleben von Intensität und Tätigkeitsspielraum in der Arbeit, kurz FIT genannt. Dieser liegt aktuell in der Version 2.0 vor. Er basiert auf einem Modell, welches die Zusammenhänge zwischen Arbeitsanforderungen, Ressourcen und Stressfolgen veranschaulicht (s. Abb. 3). Hierbei ist die Kombination von Arbeitsanforderungen (Job Demands) und Handlungsspielräumen (Job Decision Latitude) entscheidend. Die Kombination aus hoher Anforderung und geringem Handlungsspielraum wird als besonders belastend empfunden und im Modell als Unresolved Strain bezeichnet. Je ausgeprägter diese Konstellation ist, desto mehr ist von einem Gesundheitsr...