Die menschengerechte Gestaltung der Arbeit erfordert eine ganzheitliche Betrachtung: Sowohl physische als auch psychische Belastungen müssen berücksichtigt werden, und zwar im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung. Ziel sind gesunde und motivierte Beschäftigte, die lange beschäftigungsfähig bleiben.
Was ist eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung?
Bei der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung geht es nicht um die Beurteilung von psychischer Verfassung oder Gesundheit der Beschäftigten, sondern um die Beurteilung und Gestaltung der Arbeit in Bezug auf psychische Belastung.
Ob eine Belastung zur Beanspruchung wird, ist individuell verschieden, je nach körperlicher und psychischer Konstitution der Beschäftigten. Belastung ist dabei definiert als Gesamtheit der Einflüsse, die im Arbeitssystem auf den Organismus bzw. die Leistungsfähigkeit des Versicherten einwirken. Beanspruchung ist dagegen die individuelle Auswirkung der Belastung auf den Versicherten.
In der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie GDA legen Bund, Länder und Unfallversicherungsträger Handlungsfelder fest, die sie in bundesweiten Arbeitsprogrammen umsetzen. Im Rahmen des Programms Psyche wurden "Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung" erarbeitet. Sie sollen Unternehmen als Handlungshilfe dienen und listen in Anlage 1 psychische Belastungsfaktoren der Arbeit auf. Sie sind in folgende fünf Bereiche gegliedert:
- Arbeitsinhalt/ Arbeitsaufgabe;
- Arbeitsorganisation;
- Soziale Beziehungen;
- Arbeitsumgebung;
- neue Arbeitsformen.
Mögliche Gefährdungen – in den Empfehlungen der GDA als „mögliche kritische Ausprägung“ bezeichnet - sind u.a. monotone Arbeitsinhalte, geringer Handlungsspielraum, Isoliertheit im Einzelbüro oder Lärm im Großraumbüro, hoher Zeit- und Leistungsdruck, ungünstig gestaltete Schichtarbeit, Arbeitsunterbrechungen von außen, Hitze oder Kälte sowie Konflikte mit Kunden, Kollegen und Vorgesetzten. Psychische Belastungen können sich körperlich auswirken.
Wer darf eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung durchführen?
Der Arbeitgeber ist dafür verantwortlich, dass die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung durchgeführt wird. Da i.d.R. weitergehende Fachkenntnisse erforderlich sind, sollte neben der Fachkraft für Arbeitssicherheit v.a. der Betriebsarzt einbezogen werden. Er kann den Arbeitgeber beraten, insbesondere zu psychischen Belastungsfaktoren, Vorgehensweisen und Methoden zum Ermitteln und Beurteilen psychischer Belastung sowie Möglichkeiten zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit. Betriebs- bzw. Personalrat haben bei der Organisation und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung Mitbestimmungsrechte.
Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung: Welche Pflichten hat der Arbeitgeber?
Seit 2013 fordert das Arbeitsschutzgesetz ausdrücklich, dass Arbeitgeber auch solche Gefährdungen für ihre Beschäftigten ermitteln müssen, die sich aus der psychischen Belastung bei der Arbeit ergeben (§ 5 Abs. 3 ArbSchG). Auch die Gefährdungsbeurteilung nach § 3 ArbStättV sowie § 3 BetrSichV muss sowohl physische als auch psychische Belastungen berücksichtigen.
Und Arbeitgeber müssen geeignete Maßnahmen entwickeln, umsetzen und überprüfen, ob diese wirksam sind. Ziel ist, Unfällen und berufsbedingten Erkrankungen vorzubeugen.
So führt man die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung durch
Eine separate Durchführung wird nicht gefordert. Es empfiehlt sich vielmehr, die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung in bestehende Prozesse, Gremien wie Arbeitsschutzausschuss, Qualitäts- oder Gesundheitszirkel bzw. Managementsysteme einzubinden: Unternehmen können so Synergien nutzen und den Aufwand gering halten.
Die Empfehlungen der GDA erläutern die Gefährdungsbeurteilung in sieben Schritten sowie Methoden und Instrumente.
Vor Beginn wird eine Vorbereitung empfohlen. So können z.B. durch Schulungen Beteiligte für das Thema psychische Belastung sensibilisiert und grundlegende Kenntnisse vermittelt werden. Wichtig dabei ist, Beschäftigte einzubeziehen. Es kann sinnvoll sein, das Vorgehen zunächst in einer Abteilung zu erproben und erst danach im gesamten Unternehmen umzusetzen.
Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen in 7 Schritten
In Analogie zur Vorgehensweise nach ASR V3 kann auch die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung in 7 Schritten erfolgen – ergänzt durch spezifische Aspekte:
- Festlegen von Tätigkeiten und Bereichen: Tätigkeiten und Bereiche mit Arbeitsbedingungen, die in Bezug auf die psychische Belastung gleichartig sind, können zusammengefasst werden.
- Ermitteln der psychischen Belastung durch schriftliche Mitarbeiterbefragung, Beobachtung bzw. Beobachtungsinterviews oder moderierte Analyseworkshops
- Beurteilen anhand von Kriterien oder Schwellenwerten, empirischen Vergleichswerten oder Beurteilung im Workshop
- Entwickeln und Umsetzen von Maßnahmen: Gefährdungen müssen möglichst gering sein und Gefahren an ihrer Quelle bekämpft werden, persönliche Schutzmaßnahmen sind nachrangig (STOP-Prinzip). Maßnahmen betreffen häufig Arbeitsorganisation oder soziale Beziehungen, sie sollten priorisiert werden und zeitnah beginnen.
- Wirksamkeitskontrolle kann durch Workshops, Begehung oder schriftliche Kurzbefragung erfolgen.
- Aktualisierung u.a. bei Veränderung der Arbeitsbedingungen, Fluktuation, Beschwerden, Gesundheitsbeeinträchtigungen, neuen arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen sowie geänderten Arbeitsschutzvorschriften
- Dokumentation: Entsprechend der GDA-Leitlinie „Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation“ sollte die Dokumentation mindestens enthalten: Beurteilung der Gefährdungen, Festlegung konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen einschließlich Terminen und Verantwortlichen, Durchführung der Maßnahmen, Überprüfung der Wirksamkeit, Datum der Erstellung.
Beratung und Unterstützung zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung erhalten Betriebe u.a. bei zuständiger Berufsgenossenschaft, Unfallkasse und Arbeitsschutzbehörde. Auch Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften bieten ihren Mitgliedern Informationen und Beratung an.