Rz. 185
Unter "einmalige Geldleistungen" des § 54 Abs. 2 SGB I fallen Leistungen, die vom Gesetz nicht als wiederkehrende (laufende) Leistungen ausgestaltet sind, z. B. (Schlegel/Voelzke/Pflüger, JurisPK-SGB I, § 54 SGB I Rn 56):
- Kostenerstattungen (z. B. bei kieferorthopädischer Behandlung, § 29 SGB V),
- Rentenabfindungen nach § 107 SGB VI,
- Beitragserstattungen nach § 210 SGB VI,
- Zuschüsse der Pflegekassen zu Maßnahmen der Wohnumfeldverbesserung nach § 40 Abs. 4 SGB XI,
- Eingliederungszuschüsse und Zuschüsse betrieblicher Aus- oder Weiterbildung gemäß SGB III,
- Bestattungs- oder Sterbegeld (§ 64 SGB VII, §§ 36, 53 BVG).
Keine Geldleistungen in diesem Sinne sind solche, die lediglich zahlungstechnisch als Einmalzahlung erbracht werden. In der Praxis spielen hier insbesondere Rentennachzahlungen eine große Rolle, vor allem, wenn diese einem Pfändungsschutzkonto gutgeschrieben werden und der Schuldner daraufhin eine Freigabe gemäß § 850k Abs. 4 ZPO i. V. m. § 54 Abs. 2 SGB I beantragt. Solche Leistungen sind laufende Geldleistungen. Ebenfalls nicht hierzu gehören auch als Geldleistungen erbrachten Surrogate für Dienst- und Sachleistungen, soweit sie nach § 54 Abs. 1 SGB I der Pfändung nicht unterliegen sowie Leistungen, die nach § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I unpfändbar sind, z. B. Hilfen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs nach der KfzHV.
9.10.2.1 Pfändbarkeit
9.10.2.1.1 Billigkeitsprüfung
Rz. 186
Nach § 54 Abs. 2 SGB I ist die Pfändung einmaliger Geldleistungen möglich, wenn und soweit sie nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Leistungsberechtigten, der Art des beizutreibenden Anspruchs sowie der Höhe und Zweckbestimmung der Geldleistung der Billigkeit entspricht. Dies muss das Vollstreckungsgericht im Einzelfall vor Erlass des Pfändungsbeschlusses – ohne Schuldneranhörung (§ 834 ZPO) – prüfen. Dies hat der Gläubiger darzulegen, andernfalls kann das Vollstreckungsgericht mangels Bestimmtheit der Forderung keine Billigkeitsprüfung vornehmen. Die von der Rechtsprechung für die Auslegung des § 850b Abs. 2 ZPO entwickelten Grundsätze können auch für die Auslegung des § 54 Abs. 2 SGB I herangezogen werden (Schlegel/Voelzke/Pflüger, jurisPK-SGB I, § 54 SGB I Rn 60). Was im Einzelnen zur Billigkeit der Pfändung darzulegen ist, ergibt sich aus den Umständen des Einzelfalls (BGH, Vollstreckung effektiv 2016, 15) und der Gläubiger muss es begründen (OLG Stuttgart, Rpfleger 1983, 288). Dazu gehört zunächst die nähere Beschreibung des Anspruchs, aus dem die Vollstreckung betrieben wird. Soweit es ferner um die in der Person des Schuldners liegenden Umstände geht, ist die Darlegungslast des Gläubigers eingeschränkt, er muss aber zumindest grobe Angaben über die Einkommensverhältnisse des Schuldners und über die allgemeine Herkunft der Einkünfte des Schuldners, des Ehegatten und die Zahl der Kinder machen. Notfalls ist er gehalten, sich diese Informationen im Wege der Einleitung eines Verfahrens auf Abgabe der Vermögensversicherung zu verschaffen. Die Anforderungen an den Gläubigervortrag sind allerdings nicht zu überspannen. Neben der Höhe der Bezüge und der wirtschaftlichen Situation von Schuldner und Gläubiger können vor allem Art und Umstände der Entstehung der beizutreibenden Forderung von Bedeutung sein. Es müssen demnach besondere Umstände die Pfändung rechtfertigen. So kann die Pfändung zur Beitreibung privilegierter Ansprüche im Sinne der §§ 850d, 850f Abs. 2 ZPO der Billigkeit entsprechen. Gegen eine zugunsten des Gläubigers zu treffende Billigkeitsentscheidung spricht aber, dass der Schuldner sozialhilfebedürftig würde. Denn das nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Recht des Gläubigers an der Durchsetzung einer titulierten Forderung im Wege der Zwangsvollstreckung (BVerfG, NJW-RR 2010, 1063) findet in solchen Fällen seine Grenze in dem der durch Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG geschützten Anspruch des Schuldners auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums berührt wird (BGH, Vollstreckung effektiv 2018, 56). Dies gilt z. B. für den Fall, dass die Angehörigen des Schuldners bei Pfändung der Ansprüche aus einer auf seinen Todesfall abgeschlossenen Lebensversicherung zur Bestreitung der Bestattungskosten auf Sozialhilfe angewiesen wären, ebenso wenn die Forderung verhältnismäßig gering ist und der Schuldner für sich und seine minderjährigen Kinder ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt bedarf (OLG Celle, MDR 1999, 1087).
9.10.2.1.2 Zweckbestimmung
Rz. 187
Hat die einmalige Sozialleistung jedoch einen bestimmten Zweck zu erfüllen, unterliegt sie regelmäßig ohne Billigkeitsprüfung der Pfändung. Versterben z. B. gesetzlich Versicherte an den Folgen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit, erhalten die Hinterbliebenen ein Sterbegeld i. H. v. einem Siebtel der im Zeitpunkt des Todes geltenden Bezugsgröße (§ 64 SGB VII). Dieser Betrag wird an die sterbegeldberechtigten Personen ausgezahlt, die die Bestattung besorgt haben. Diese Leistungen dienen also dem Zweck der Bestattung und können daher vom Bestattungsunternehmen gepfändet werden.