Rz. 13
Die Pfändung einmaliger Sozialleistungen in Geld wird einer Billigkeitsprüfung unterzogen und ist auch nicht an bestimmte Beträge wie Pfändungsfreigrenzen gebunden. § 850b Abs. 2 ZPO enthält über § 54 hinausgehend eine Regelung für die Pfändbarkeit an sich unpfändbarer Forderungen aus Gründen der Billigkeit bei sonst erfolglosen Versuchen der Vollstreckung in das sonstige Vermögen, "wenn nach den Umständen des Falles, insbesondere nach der Art des beizutreibenden Anspruchs und der Höhe der Bezüge" die Pfändung der Billigkeit entspricht. Die nach § 850b Abs. 2 ZPO geltenden Gesichtspunkte können auch für die Billigkeit nach Abs. 2 herangezogen werden (Siefert, in: KassKomm. SGB I, § 54 Rz. 21, Stand: März 2016; Pflüger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, § 54 Rz. 60, Stand: 16.8.2021). Gerade bei einmaligen Sozialleistungen wird jedoch eine Pfändung oftmals daran scheitern, dass der Sozialleistungsträger seine Leistung bereits erbracht hat, bevor der Gläubiger davon Kenntnis erhält oder der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirkt und zugestellt ist, so dass eine Pfändung nicht mehr möglich ist. Das gilt in vielen Fällen auch dann, wenn eine an sich laufende Geldleistung zuvor nicht erbracht und nunmehr in einer Summe nachgezahlt wird.
Rz. 14
Einmalige Geldleistungen sind nur solche, die sich in der einmaligen Bewilligung und Zahlung erschöpfen (vgl. Siefert, in: KassKomm. SGB I, § 54 Rz. 19, Stand: März 2016; Mrozynski, SGB I, 6. Aufl., § 54 Rz. 17). Die Nachzahlung einer an sich laufend zu zahlenden Sozialleistung ist keine Einmalzahlung. In diesen Fällen richtet sich die Pfändbarkeit nach Abs. 4 und dem sich aus § 850c ZPO ergebendem Pfändungsfreibetrag für den Zeitraum der Nachzahlung. Dies gilt auch dann, wenn wegen des Wegfalls der Leistungsvoraussetzungen keine Folgezahlungen mehr zu erbringen sind (z. B. Renten, Arbeitslosen- oder Krankengeld für zurückliegende Zeiten). Typische einmalige Sozialleistungen sind Rentenabfindungen nach § 107 SGB VI, Bestattungs- und Sterbegeld, Erstattung von Überführungskosten nach § 64 SGB VII, das einmalige Mutterschaftsgeld (ab 1.1.2018 nach § 19 Abs. 2 MuSchG), Kraftfahrzeughilfen sowie Zuschüsse der Pflegekasse zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen nach § 40 Abs. 4 SGB XI.
Rz. 15
Da es sich um einmalige Sozialleistungen i. S. v. § 11 handeln muss, fallen Erstattungen von zu Unrecht entrichteten Beiträgen (§ 26 SGB IV, § 211 SGB VI), Ansprüche auf Erstattung von zu Recht entrichteten Beiträgen (z. B. § 210 SGB VI; strittig, vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 5.4.2011, L 11 R 112/10; Pflüger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, § 54 Rz. 57, Stand: 16.8.2021; Mrozynski, SGB I, 6. Aufl., § 54 Rz. 7) oder auf den Erben übergegangene Geldleistungsansprüche, da diese für den Erben keine Sozialleistung sind, nicht unter Abs. 2.
Rz. 16
Die Billigkeitsprüfung ist vom Vollstreckungsgericht vor Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vorzunehmen (Siefert, in: KassKomm. SGB I, § 54 Rz. 20, Stand: März 2016; v. Koppenfels-Spies, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 54 Rz. 16, Stand: Januar 2022). Hierbei ist zunächst die Situation zu berücksichtigen, dass der Gläubiger der Zwangsvollstreckung einen entsprechenden den Schuldner zur Leistung verpflichtenden Titel hat und der Schuldner (Sozialleistungsberechtigte) trotzdem nicht freiwillig leistet. Für das nach dem bis 17.6.1994 geltenden Recht, das, mit Ausnahme für Unterhaltsansprüche, für die Pfändung immer eine Billigkeitsprüfung vorsah, hatte der Gesetzgeber versucht (Abs. 6 in der vom 1.1.1989 bis 17.6.1994 geltenden Fassung), die Billigkeitsprüfung durch verfahrensrechtliche Regelungen zu ergänzen (Anhörung mit Fristsetzung, Rechtsfolgen für den Fall der Nichtäußerung, Unwirksamkeit von Verfügungen des Schuldners zwischen Aufforderung und abschließender Entscheidung). Diese Regelungen waren dann jedoch wegen Verwerfungen mit dem Vollstreckungsrecht der ZPO und als nicht praktikabel aufgehoben worden (so die Begründung in BT-Drs. 12/5187 S. 29).
Rz. 17
An Kriterien für die Billigkeit nennt Abs. 2 die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Leistungsberechtigten, den Grund der Forderung des Dritten und die Höhe und Zweckbestimmung der Sozialleistung. Alle diese Kriterien stehen gleichwertig nebeneinander und lassen eine Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung von Gläubiger- und Schuldnerinteresse zu; machen diese aber auch erforderlich.
Rz. 18
Unter dem Gesichtspunkt der Einkommens- und Vermögensverhältnisse ist insbesondere wohl die Frage der evtl. Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II oder Sozialhilfebedürftigkeit nach dem SGB XII des Leistungsberechtigten zu prüfen. Hat der Leistungsberechtigte dagegen hinreichende Einkünfte oder auch Vermögen, lässt sich daraus eher auf die Billigkeit der Pfändung einer einmaligen Sozialleistung schließen.
Rz. 19
Die Billigkeit kann sich sowohl aus der Art des im Vollstreckungswege beizutreibenden Anspruchs ergeben als auch aus der Art der ...