Rz. 3
Abs. 2 dient dem Drittschuldnerschutz. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist nach ihrem Schutzzweck abzugrenzen. Sie soll das Vertrauen des Drittschuldners schützen, an den im Überweisungsbeschluss genannten Gläubiger befreiend leisten zu dürfen (BGH, NJW 1994, 3225 = WM 1994, 2033 = ZIP 1994, 1720 = Rpfleger 1995, 119 = KTS 1995, 86 = ZZP 108, 250 = KKZ 1995, 140; LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 6.3.2014, 4 Sa 295/13 - Juris). Dementsprechend gilt der Überweisungsbeschluss, auch wenn er zu Unrecht erlassen ist, zugunsten des Drittschuldners solange als rechtsbeständig, bis dieser Kenntnis von der Aufhebung erlangt (OLG Thüringen, FuR 2012, 449). Trotz etwaiger Unwirksamkeit der Vollstreckung besteht daher die öffentlich-rechtliche Verstrickung fort, solange die sie begründende Vollstreckungshandlung nicht von dem zuständigen Vollstreckungsorgan aufgehoben wird (BGH, DGVZ 2021, 43). Daraus folgt, dass der Drittschuldner im Vertrauen auf den Überweisungsbeschluss an den Gläubiger leisten darf, ansonsten müsste er zugunsten von Gläubiger und Schuldner hinterlegen. Der Drittschuldner wird dadurch dem Schuldner gegenüber auch dann befreit, wenn sich später herausstellt, dass der Überweisungsbeschluss fehlerhaft war.
Zwar bezieht sich der Wortlaut des § 836 Abs. 2 ZPO nur auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Drittschuldner und dem Pfändungsschuldner. Die Bestimmung jedoch ist auch auf das Verhältnis zwischen dem Drittschuldner und dem Pfändungsgläubiger des Schuldners anzuwenden (BGH, BGHZ 66, 394 = DB 1976, 1669 = WM 1976, 980 = Rpfleger 1976, 298 = KTS 1977, 40; LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 6.3.2014 – 4 Sa 295/13 – Juris). Da ein Pfändungsgläubiger mit der Pfändung und Überweisung einer Forderung dem Drittschuldner gegenüber an die Stelle seines ursprünglichen Gläubigers, des Pfändungsschuldners tritt, rechtfertigt sich die Annahme, dass auch jedem Pfändungsgläubiger gegenüber die vom Gesetz für den Drittschuldner gewollte Schutzwirkung eintritt. Diese Schutzwirkung umfasst auch den durch den Zeitpunkt der Pfändung bestimmten Rang einer Forderungsüberweisung (vgl. RZ 7 f.).
Rz. 4
Ist der Überweisungsbeschluss von vornherein – also schon vor der Aufhebung – unwirksam, d. h. nichtig, kann es an einer Schutzbedürftigkeit des Drittschuldners fehlen. Das ist der Fall, wenn dieser die Tatsachen kennt, welche die Unwirksamkeit begründen, und aus ihnen in vergleichbarer Eindeutigkeit wie bei einer Aufhebung auf die Rechtsfolge der Unwirksamkeit schließen muss. Wenn sich dem Drittschuldner daher schon aus dem bekannten Sachverhalt ohne weiteres ernsthafte Zweifel an der Rechtswirksamkeit der hoheitlichen Beschlagnahme aufdrängen müssen, ist ihm zuzumuten, diese Zweifel von einem Rechtskundigen ausräumen oder bestätigen zu lassen. Ein Drittschuldner, der solchen auf der Hand liegenden Bedenken nicht nachgeht, sondern sich rechtsblind stellt, wird nicht geschützt (vgl. BGH, NJW 1993, 933 = WM 1993, 379 = MDR 1993, 214 = ZIP 1993, 517 = VersR 1993, 436 = DB 1993, 479 = ZAP Fach 2, 135 = JuS 1993, 780; BGH, NJW 1993, 2741 = WM 1993, 1896 = MDR 1993, 1244 = DB 1993, 2326). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Überweisungsbeschluss wegen eines offenkundigen schweren Fehlers nichtig ist. Der BGH hat eine derartige Offenkundigkeit in einem Falle angenommen, in welchem einer Bank ein Überweisungsbeschluss zugestellt wurde, der als zugrundeliegenden Titel ausdrücklich einen – kraft Gesetzes unzureichenden (§§ 916 Abs. 1, 930 ZPO) – Arrestbefehl nannte (BGHZ 121, 98 = WM 1993, 429 = NJW 1993, 735 = JA 1993, 186 = MDR 1993, 578 = Rpfleger 1993, 292 = KTS 1993, 280 = KKZ 1993, 194 = ZZP 107, 98 = ZAP EN-Nr. 215/93; dazu Summ, WuB VI E. § 836 ZPO 1.93; Walker, ZZP 107 (1994), 105). Des Weiteren hat der BGH ausgesprochen, dass ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss Zweifel, ob der Vollstreckungsschuldner der Gläubiger der gepfändeten Forderung ist, nicht ausräumt (BGH, NJW 1987, 1703 = BGHZ 100, 36 = WM 1987, 434 = DB 1987, 778 = MDR 1987, 494 = JZ 1987, 931 = JR 1987, 410 = ZZP 101, 426 = ZIP 1987, 601 = JuS 1987, 911 = KTS 1987, 295 = JA 1987, 377; BGH, NJW 1988, 495 = DB 1987, 1933 = WM 1987, 979 = MDR 1987, 1021 = Rpfleger 1987, 464 = JuS 1988, 909 = KTS 1987, 744 = EWiR 1987, 1143 = JA 1987, 569). Denn auf die materielle Berechtigung des Vollstreckungsschuldners kann sich die Wirkung einer Pfändung, die stets nur sein angebliches Recht erfasst, nie erstrecken.
Rz. 5
Abs. 2 schützt nur den Drittschuldner ggü. dem Pfändungsschuldner. Ist bereits die Pfändung "ins Leere" gegangen, weil die Forderung zu diesem Zeitpunkt einem Dritten zugestanden hat, wird der Drittschuldner bei einer Zahlung an den Gläubiger diesem Dritten als Forderungsinhaber ggü. nicht über Abs. 2 befreit; hier können dem Drittschuldner höchstens – und auch nur, falls die Wirkungslosigkeit der Pfändung auf eine Abtretung der Forderung vor Zustellung des Pfändungsbeschlusses an den Drittschuldner zurückzuführen ist – die §§ 408 Abs. 2, 407...