1 Regelungsgehalt
Rz. 1
Abs. 1 regelt allein die Pfändbarkeit von Arbeitseinkommen mit erweiterten Zugriffsmöglichkeiten der Gläubiger, die wg. ihrer Bedürftigkeit von dem Schuldner in besonderem Maße abhängig sind (BGH, NJW 2003, 2832 = FamRZ 2003, 1176 = Rpfleger 2003, 514 = InVo 2003, 397 = BGHReport 2003, 1112 = MDR 2003, 1199 = KTS 2003, 605 = FF 2003, 176 = ZFE 2003, 279 = FPR 2003, 675 = FamRB 2003, 318 = JurBüro 2003, 668). Die Norm ist nicht auf jede Vollstreckungsmaßnahme anwendbar.
Rz. 2
Abs. 2 regelt die Konkurrenz mehrerer vorrangig nach Abs. 1 Berechtigter. Gleichzeitig sieht die Vorschrift eine Sonderbehandlung bestimmter Gläubiger vor; diese erhalten in Abs. 3 erweiterte Pfändungsmöglichkeiten wg. künftig fällig werdender Ansprüche, die bereits zugleich mit der Pfändung wg. fälliger Ansprüche gepfändet und überwiesen werden können (sog. Vorratspfändung).
2 Die privilegierten Gläubiger (Absatz 1 Satz 1) /Anwendungsbereich
Rz. 3
Privilegiert ist der Gläubiger, wenn er Verwandter in gerader Linie (§ 1601 BGB), insbesondere Kind, Adoptivkind, ehelich erklärtes Kind, jetziger oder früherer Ehegatte, jetziger oder früherer Lebenspartner (§§ 5, 12, 16 LPartG), Elternteil oder Elternteil nach §§ 1615l oder 1615n BGB ist.
Hinter der für gesetzliche Unterhaltsansprüche angeordneten Herabsetzung der Pfändungsfreigrenzen steht der Zweck, den Gläubiger, der seinen Unterhalt nicht selbst bestreiten kann, nicht auf die staatliche Sozialfürsorge zu verweisen. Stattdessen soll er privilegiert Zugriff auf das Arbeitseinkommen des ihm gegenüber unterhaltspflichtigen Schuldners nehmen dürfen (BGH, FamRZ 2005, 1564 = ZVI 2005, 404 = WM 2005, 1993 = Rpfleger 2005, 676 = BGHReport 2005, 1418 = MDR 2005, 1434 = InVo 2006, 60 = Vollstreckung effektiv 2006, 5 = JurBüro 2005, 554 = FamRB 2005, 363 = ProzRB 2005, 289 = Familienrecht kompakt 2006, 115; BGH, Vollstreckung effektiv 2009, 169 = FamRZ 2009, 1483 = MDR 2009, 1190 = FPR 2009, 477 = NJW-RR 2009, 1441 = JurBüro 2009, 549 = AGS 2009, 559 = FoVo 2009, 202 = NJW-Spezial 2009, 725 = FamRB 2009, 372 = ZFE 2010, 2 = FamFR 2009, 20; BGH, FamRZ 2005, 1564 = ZVI 2005, 404 = WM 2005, 1993 = Rpfleger 2005, 676 = MDR 2005, 1434 = Vollstreckung effektiv 2006, 5 = JurBüro 2005, 554; BAG, ZInsO 2013, 1214 = VuR 2013, 391 = NZA-RR 2013, 590 = GWR 2013, 256 = EzA-SD 2013, Nr. 12, 12 = ArbR 2013, 292 = FA 2013, 211 = ArbuR 2013, 325 = FamRZ 2014, 1104; BAG, BAGE 23, 226 = DB 1971, 1165 = MDR 1971, 696 = ARST 1971, 124 = Rpfleger 1971, 304 = BB 1971, 1281= NJW 1971, 2094 = SozArb 1972, 67 = SAE 1972, 117). Allerdings ist die vollstreckungsrechtliche Bevorzugung des Unterhaltsgläubigers zeitlich auf solche Unterhaltsforderungen beschränkt, die nicht länger als ein Jahr vor dem Antrag auf Erlass des Pfändungsbeschlusses fällig geworden sind und sonst nur für die Fälle zugelassen, in denen sich der Unterhaltsschuldner seiner Zahlungsverpflichtung absichtlich entzogen hat (Abs. 1 Satz 3; vgl. auch Rn. 29).
Rz. 4
Die Regelung hat auch im Rahmen der Pfändung von Guthaben bei einem Pfändungsschutzkonto (P-Konto) Gültigkeit hinsichtlich der Anwendbarkeit der Absätze 1 und 2 (vgl. § 850k Abs. 4 ZPO).
Rz. 5
Privilegiert sind insbesondere familienrechtlich Ansprüche (BGH, Rpfleger 2004, 111 = BGHReport 2004, 129 = FamRZ 2004, 185 = FPR 2004, 110 = NJW-RR 2004, 362 = MDR 2004, 294), die "kraft Gesetzes" dem Gläubiger als titulierte Unterhaltsansprüche zustehen.
Praktisch bedeutsam ist dies insbesondere dann, wenn der Titel ohne Gründe geschaffen wird, d. h. beim Anerkenntnis- oder Versäumnisurteil, beim Prozess- oder Anwaltsvergleich oder auch bei einer vollstreckbaren notariellen Urkunde. Auch wenn die Parteien gesetzliche Unterhaltsansprüche – vertraglich – in einem Prozessvergleich geregelt haben, geht dadurch der Charakter als gesetzlicher Anspruch nicht verloren (BGH, Rpfleger 2009, 629 = Vollstreckung effektiv 2009, 169 = FoVo 2009, 202 = NJW-Spezial 2009, 725 = FamRB 2009, 372 = ZFE 2010, 2 = FamFR 2009, 20 = FamRZ 2009, 1483 = MDR 2009, 1190 = FPR 2009, 477 = NJW-RR 2009, 1441 = JurBüro 2009, 549 = BGHReport 2009, 1175 = AGS 2009, 559; BGH, MDR 2012, 1370 = FamRZ 2012, 1799 = Rpfleger 2012, 696 = NJW 2013, 239 = FF 2013, 26 = FamRB 2012, 372 = FamFR 2012, 523 = ZAP EN-Nr 647/2012 = FuR 2013, 101 = FoVo 2013, 31).
Rz. 5a
Der BGH (NJW 2013, 239 = MDR 2012, 1370 = FamRZ 2012, 1799 = Rpfleger 2012, 696 = FamRB 2012, 372 = FamFR 2012, 523 = ZAP EN-Nr 647/2012 = FuR 2013, 101 = FoVo 2013, 31) fordert im Rahmen der nach § 850d ZPO bevorrechtigten Unterhaltsvollstreckung die Vorlage eines Vollstreckungstitels, aus dem sich – ggf. im Wege der Auslegung – ergibt, dass der Vollstreckung ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch zugrunde liegt, nicht hingegen, dass der Gläubiger gegenüber anderen Unterhaltsberechtigten bevorrechtigt ist. Ein Vollstreckungsbescheid ist dabei nicht ausreichend (BGH, Vollstreckung effektiv 2016, 116 = MDR 2016, 811 = FoVo 2016, 132 = NJW 2016, 1663; diese Rechtsprechung ist bei der Vollstreckung übergangener Unterhaltsansprüche beim Land durch eine Gesetzesänderung ...