Heraufsetzung des pfandfreien Einkommens bei Leistung von Naturalunterhalt
In einer kürzlich veröffentlichten Grundsatzentscheidung hat der BGH sich mit der Frage auseinandergesetzt, in welcher Höhe ein Unterhaltsgläubiger Einkommen des Unterhaltsschuldners pfänden kann, wenn dieser einem dem pfändenden Gläubiger im Unterhaltsrang gleichstehenden minderjährigen Kind keinen Barunterhalt, sondern Naturalunterhalt leistet.
Vollstreckung per Pfändungs- und Überweisungsbeschluss
In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte ein – im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens volljährig gewordener – Unterhaltsgläubiger Unterhaltsrückstände sowie laufenden Unterhalt gegen den Unterhaltsschuldner, seinen Vater, auf der Grundlage eines gerichtlichen Unterhaltstitels vollstreckt. In dem hierzu erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wurde der dem Schuldner zu belassende pfandfreie Betrag auf 1.100 EUR monatlich festgesetzt.
Unterhaltsschuldner beantragt Heraufsetzung des pfandfreien Betrages
Der Unterhaltsschuldner wehrte sich gegen den aus seiner Sicht zu niedrig festgesetzten pfandfreien Betrag. Er verwies auf seine im Jahr 2011 geborene Tochter. Da er diese in seinem Haushalt versorge und ihr Naturalunterhalt leiste, beantragte er, den ihm pfandfrei monatlich zu belassenden Betrag angemessen heraufzusetzen.
Pfandfreier Betrag wegen Naturalunterhalt an Tochter erhöht
Das Vollstreckungsgericht modifizierte den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss dahingehend, dass nach Verbleib des notwendigen eigenen Unterhalts des Schuldners von monatlich 1.100 EUR das diesen Betrag übersteigende Nettoeinkommen dem Unterhaltsschuldner in Höhe eines ½ Anteils zur Befriedigung der Unterhaltsansprüche seiner minderjährigen Tochter verbleibt.
Naturalunterhalt steht Barunterhalt gleich
Nachdem die hiergegen eingelegte Beschwerde des Sohnes keinen Erfolg hatte, hob der BGH auf seine Rechtsbeschwerde den Beschluss der Vorinstanz auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an diese zurück. Der BGH stellte klar, dass der Schuldner, der einem dem pfändenden Gläubiger gleichstehenden minderjährigen Kind keinen Barunterhalt, sondern Naturalunterhalt leistet, wie ein Barunterhalt leistender Schuldner zu behandeln ist und er daher die Heraufsetzung des ihm pfandfrei zu belassenden Betrages verlangen kann.
Naturalunterhalt ist beim pfandfreien Betrag zu berücksichtigen
Diese Rechtsfolge ergibt sich nach Auffassung des BGH aus der Vorschrift des § 850d ZPO. Gemäß § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO sei dem Schuldner so viel an Einkommen zu belassen, als er für seinen eigenen notwendigen Unterhalt sowie zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem Vollstreckungsgläubiger vorgehenden Berechtigten bzw. zur gleichmäßigen Befriedigung der dem Gläubiger gleichstehenden Berechtigten benötigt. Die Vorschrift sei dahin auszulegen, dass der dem Schuldner zu belassende pfandfreie Betrag entsprechend anzupassen ist (BGH, Beschluss v. 18.1.2023, VII ZB 35/20).
Naturalunterhalt ist vollwertige Erfüllung der Unterhaltspflicht
Dabei kann es nach der Entscheidung des BGH keinen Unterschied machen, ob der Schuldner dem Unterhaltsberechtigten, der dem Gläubiger im Rang gleichsteht, Barunterhalt oder Naturalunterhalt gewährt. Der Elternteil, der ein minderjähriges Kind in seinem Haushalt betreut und versorgt, erfülle seine Unterhaltsverpflichtung gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB in vollem Umfange durch Pflege und Erziehung des Kindes. Diese Versorgungsleistung habe keinen geringeren Wert als die Leistung von Barunterhalt (BGH, Urteil vom 8.4.1981, IVb ZR 587/80).
Umrechnung des Naturalunterhalts in fiktiven Barunterhalt
Hieraus folgt nach der Entscheidung des BGH für Unterhaltsmangelfälle, dass der vom Unterhaltsschuldner geleistete Naturalunterhalt bei der Berechnung des pfandfreien Betrages in einen fiktiven Barunterhaltsanspruch umzurechnen sei. Hierbei sei der Einsatzwert für den geschuldeten Naturalunterhalt auf die gleiche Höhe festzusetzen wie der vom Unterhaltsschuldner im Fall einer fiktiven anderweitigen Versorgung des Kindes zu leistende Barunterhalt.
Berechnung nach Kopfteilen ist zu grob
Vor diesem Hintergrund hatte die Vorinstanz den dem Schuldner über den eigenen notwendigen Unterhalt hinaus pfandfrei zu belassenden Betrag fehlerhaft bemessen, da das LG die Bemessung nach Kopfteilen der auf einer Stufe stehen Unterhaltsberechtigten vorgenommen hat. Gemäß § 850d Abs.1 Satz 2 ZPO hätte das LG richtigerweise bei der Bemessung den der minderjährigen Tochter aufgrund des Gesetzes fiktiv zustehenden Barunterhaltsbetrag einsetzen müssen. Die pauschale Aufteilung nach Kopfteilen entspreche nicht dem gesetzlichen Unterhaltsrecht.
Quotelung im Verhältnis der gesetzlichen Unterhaltsansprüche
In einem 2. Schritt ist nach der Entscheidung des BGH das den notwendigen Unterhalt des Schuldners übersteigende Einkommen zum Zwecke der Bestimmung des pfandfreien Betrages im Verhältnis der Höhe der gesetzlichen Unterhaltsansprüche der Unterhaltsberechtigten in der gleichen Rangstufe zueinander zu quoteln, d.h. nicht pauschal mit 50 zu 50, sondern anteilig entsprechend dem Verhältnis der gesetzlichen Unterhaltsansprüche.
Vorinstanz muss erneut entscheiden
Der BGH hat daher die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben. Zum Zwecke der Anwendung der Rechtsgrundsätze zur Quotelung hat der BGH das Verfahren zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
(BGH, Beschluss v. 15.3.2023, VII ZB 68/21)
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