Irrtumsanfechtung bei der Ausschlagung einer Erbschaft

Wer die Annahme einer Erbschaft ausschlägt, kann die Ausschlagungserklärung nur anfechten, wenn er über die Zusammensetzung des Nachlasses geirrt hat, nicht dagegen bei einem bloßen Irrtum über den Nachlasswert.

Bevor man die Annahme einer Erbschaft ausschlägt, sollte man sich genauestens über den Bestand des Nachlasses und die einzelnen Nachlassgegenstände informieren. Die nachträgliche Anfechtung einer Erbschaftsausschlagung wegen eines Irrtums über den Wert einzelner Nachlassgegenstände ist grundsätzlich nicht möglich. Nur bei einer irrigen Vorstellung über den Bestand des Nachlasses kommt eine Irrtumsanfechtung in Betracht.

Kostenintensive Unterbringung im Seniorenheim

Das OLG Zweibrücken hatte sich mit dem Nachlass einer im Alter von 106 Jahren gestorbenen Erblasserin zu befassen. Diese befand sich vor ihrem Tod längere Zeit in einem Seniorenheim. Für die Heim- und Pflegekosten kam die Kriegsopferfürsorgestelle in Form der Gewährung eines Darlehens an die Erblasserin auf. Das Darlehen der Kriegsopferfürsorgestelle wurde durch Eintragung einer Grundschuld auf einem der Erblasserin gehörenden Hausgrundstück abgesichert.

Enkelin schlug die Erbschaft wegen mutmaßlicher Überschuldung aus

Die Erblasserin hatte ihren Ehemann, ihre beiden Kinder und einige ihrer Enkelkinder überlebt. Da kein Testament vorhanden war, waren eine Enkelin und die Urenkel die gesetzlichen Erben. Die Enkelin schlug die Erbschaft gemäß §§ 1942 ff BGB aus, mit der Begründung, dass nach ihrer Kenntnis der Nachlass überschuldet sei. Die Urenkel traten die Erbschaft an.

Ausschlagung der Erbschaft wegen Irrtums angefochten

Bei dem anschließenden Verkauf des Hausgrundstücks durch eine gerichtlich bestellte Nachlasspflegerin wurde ein Kaufpreis erzielt, der die durch die Grundschuld abgesicherten Verbindlichkeiten gegenüber der Kriegsopferfürsorgestelle deutlich überstieg. Hierauf focht die Enkelin ihre Erbausschlagung wegen Irrtums gemäß §§ 1954 ff BGB an und beantragte die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Miterbin ausweisen sollte.

Erbschein durch Nachlassgericht erteilt

Das zuständige Nachlassgericht hat den Erbschein antragsgemäß erteilt. Das Gericht war der Auffassung, die Enkelin habe die erklärte Erbschaftsausschlagung wirksam angefochten. Gegen diese Entscheidung legte einer der Urenkel Beschwerde beim OLG ein.

Irrige Vorstellung über den Nachlasswert ist unbeachtlicher Motivirrtum

Die Beschwerde hatte Erfolg. Das OLG sah die Anfechtung der Ausschlagungserklärung als nicht wirksam an. Entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts habe die Enkelin kein Recht zur Irrtumsanfechtung gehabt. Sie habe sich lediglich in einem unbeachtlichen Motivirrtum befunden, indem sie eine unrichtige Vorstellung über den Wert des Hausgrundstücks gehabt habe. Die Enkelin habe irrtümlich angenommen, dass die Verbindlichkeiten gegenüber der Kriegsopferfürsorgestelle den möglichen Erlös aus dem Hausverkauf übersteigen würden. Diese unzutreffende Vorstellung über den Wert eines Nachlassgegenstandes berechtige nicht zu einer Irrtumsanfechtung.

Irrtum über Kontoguthaben war für die Anfechtung nicht kausal

An diesem Ergebnis änderte nach Auffassung des OLG auch die Tatsache nichts, dass zum Nachlass noch ein Guthabenkonto der Erblasserin bei der Kreissparkasse Köln gehörte, das der Enkelin zum Zeitpunkt der Ausschlagung nicht bekannt war. Hinsichtlich der Existenz des Bankguthabens habe die Enkelin zwar möglicherweise über den Bestand des Nachlasses geirrt, dies berechtige die Enkelin aber ebenfalls nicht zur Anfechtung, da der Guthabenbetrag auf dem Girokonto wirtschaftlich nicht ins Gewicht gefallen sei. Hätte die Enkelin das Guthaben gekannt, so hätte sich an ihrer Einschätzung der Überschuldung des Nachlasses nichts geändert. Der Irrtum über das Bankguthaben sei damit nicht ursächlich für die Erklärung der Ausschlagung der Erbschaft.

Keine Erbenstellung der Enkelin

Im Ergebnis war damit die Anfechtung der Ausschlagungserklärung nicht wirksam erfolgt. Die Enkelin ist also nicht Erbin geworden und geht damit leer aus.

(OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14.8.2024, 8 W 102/23)


Hintergrund:

Die Entscheidung des OLG Zweibrücken entspricht der ständigen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, wonach es für die Wirksamkeit der Irrtumsanfechtung einer Ausschlagungserklärung auf die Gründe für die unrichtige Vorstellung über den Nachlass ankommt (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 9.12.2020, 3 Wx 13720).

Ausschlagung der Erbschaft wegen mutmaßlicher Überschuldung

Das OLG Frankfurt hatte in einem ähnlich gelagerten, aber im entscheidenden Punkt doch abweichenden Fall die Wirksamkeit der Irrtumsanfechtung einer Erbschaftsausschlagung bejaht. Die Tochter der Erblasserin hatte seit ihrem 11. Lebensjahr keinen Kontakt mehr zu ihrer infolge einer Alkoholsucht verwahrlosten Mutter. Nach deren Tod schlug sie die Erbschaft aus in der Annahme, dass die Mutter mit hoher Wahrscheinlichkeit nur Schulden hinterlassen habe.

Trotz Alkoholsucht: Nachlass mit erheblichem Kontoguthaben

9 Monate nach dem Tod der Mutter erhielt die Tochter Post vom Nachlasspfleger. Daraus ging hervor, dass die Mutter über ein Kontoguthaben im oberen 5-stelligen Bereich verfügte. Nach Erhalt dieser Information erklärte die Tochter die Anfechtung der von ihr abgegebenen Ausschlagungserklärung innerhalb der Sechswochenfrist des § 1954 BGB wegen Irrtums über den Nachlassbestand.

Irrtumsanfechtung wegen Fehlvorstellung über den Nachlassbestand

Das OLG hielt die Irrtumsanfechtung der Ausschlagungserklärung in diesem Fall für wirksam. Entscheidend sei, dass eine Diskrepanz zwischen der Vorstellung des Anfechtenden und den realen Gegebenheiten vorgelegen habe. Ein Irrtum lediglich über den Wert des Nachlasses sei demgegenüber nur ein unbeachtlicher Motivirrtum. Im konkreten Fall habe die Antragstellerin sich über die Existenz eines erheblichen Kontoguthabens und damit über eine tatsächliche Gegebenheit geirrt. Diese Fehlvorstellung über den tatsächlichen Bestand des Nachlasses sei kausal für die Ausschlagungserklärung gewesen und berechtige daher zur Irrtumsanfechtung (OLG Frankfurt, Beschluss v. 24.7.2024, 21 W 146/23)