Rz. 1
Abs. 1 steht im Zusammenhang mit § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO und geht der Regelung in § 850d Abs. 1 Satz 3 ZPO vor (BGH, NJW-RR, 2004, 506 m. w. N. = Rpfleger 2004, 297 = BGHReport 2004, 627 = MDR 2004, 711 = InVo 2004, 373 = FPR 2004, 404 = FamRB 2004, 253). Die Vorschrift soll im Interesse des Schuldners sicherstellen, dass diesem nach Durchführung der Pfändungsmaßnahme das Existenzminimum verbleibt, und im Interesse der Allgemeinheit, die die Mittel für ergänzende Sozialhilfeleistungen aufzubringen hat, verhindern, dass der Gläubiger zu ihren Lasten befriedigt wird. Reicht der aus § 850c ZPO i. V. m. der dazu gehörigen Tabelle zu ermittelnde pfändungsfreie Teil des Arbeitseinkommens nicht aus, um den individuellen Lebensbedarf des Schuldners zu decken und sind seine Bedürfnisse bei Bemessung des notwendigen Unterhalts nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht hinreichend berücksichtigt worden, kann dies über § 850f Abs. 1 ZPO ausgeglichen werden. Bei nicht ehelichen Lebensgemeinschaften erfolgt eine analoge Anwendung (OLG Frankfurt am Main, ZVI 2008, 384 = OLGR Frankfurt 2009, 117). Die Norm ist grds. ihrem Wortlaut nach auf Arbeitseinkommen beschränkt und auch in Verbindung mit § 54 Abs. 4 SGB I, der dessen Anwendung auf laufende Sozialleistungen in Geld erstreckt (BGH, NJW 2007, 604 = WM 2007, 452 = ZVI 2007, 64 = FamRZ 2007, 463 = Vollstreckung effektiv 2007, 68 = ZAP 2007, 146/2007 = InVo 2007, 131 = JurBüro 2007, 218). Der Anwendungsbereich erstreckt sich nicht auf eine Nebenkostenrückzahlung aus Mietvertrag (LG Berlin, ZInsO 2009, 397), da eine solche, unabhängig von der Herkunft der Mittel der Mietvorauszahlung, keine laufende Sozialleistung im Sinne der § 54 Abs. 4 SGB I darstellt. Dadurch, dass diese Mittel aber bei der durch § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II zugelassenen Verrechnung wirtschaftlich für den Empfänger an die Stelle laufender Sozialleistungen treten, liegt eine Gesetzeslücke vor; § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II erfasst nach seinem Wortlaut auch solche Rückzahlungen, die der Schuldner an die Insolvenzmasse herausgeben muss (SG Berlin, 31.10.2007, S 125 AS 11847/07 – Juris). Diese Gesetzeslücke ist planwidrig: Denn grds. ist durch die Konzeption der § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, §§ 850ff. ZPO sichergestellt, dass das Existenzminimum des Schuldners nicht in die Insolvenzmasse fällt, weil es entweder als Arbeitseinkommen direkt nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850c ZPO unpfändbar ist oder als laufende Sozialleistung über § 54 Abs. 4 SGB I. Dass der Gesetzgeber im Falle des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II dem Schuldner bewusst nur einen geringeren Betrag als pfändungsfrei belassen wollte, ist nicht ersichtlich. Die Erstreckung des § 54 Abs. 4 SGB I auf die Leistungen, die nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II wirtschaftlich an die Stelle der Sozialleistung treten, ist daher geboten.
Rz. 2
Abs. 2 erweitert den Zugriff des Gläubigers auf das Arbeitseinkommen des Schuldners, wenn er wg. eines Anspruchs aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung (sog. Deliktsforderung) vollstreckt. Der Schuldner soll in diesen Fällen bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit auch mit den Teilen seines Arbeitseinkommens einstehen, die ihm sonst nach der Vorschrift des § 850c ZPO zu belassen wären (BGH, Vollstreckung effektiv 2005, 97). Nach Abs. 3 können gewöhnliche Gläubiger im Rahmen der sog. erweiterten Lohnpfändung auf zusätzliche Lohnanteile des Schuldners zugreifen. Dadurch kann im Einzelfall ein Ausgleich von Gläubiger- und Schuldnerinteressen berücksichtigt werden, wenn der dem Schuldner zugutekommende Pfändungsfreibetrag unangemessen hoch ist. Der praktische Anwendungsbereich ist allerdings sehr gering.