Rz. 2
Bei Abs. 1 handelt es sich um eine den Gläubigerschutz ergänzende Ausnahmebestimmung (BAG, MDR 1996, 1155 = ZIP 1996, 1567 = DB 1996, 2395 = KTS 1996, 584). Zugunsten des Gläubigers wird eine dem Schuldner wg. seines Vertrages mit dem Empfänger der Arbeitsleistung nicht zustehende Gegenforderung fiktiv als ein zu seinem Vermögen gehörender Anspruch behandelt. Die Regelung bezweckt somit, den vom Schuldner erarbeiteten Lohnanspruch seinem Vermögen zuzurechnen. Daher wird der vereinbarte Anspruch des Dritten ignoriert, sodass eine Pfändung gegen den Schuldner möglich ist.
2.1 Anwendungsbereich
Rz. 3
Die unmittelbare Anwendung von § 850h Abs. 1 ZPO setzt voraus, dass zw. dem eine Arbeitsleistung erbringenden Schuldner und dem Empfänger der Arbeitsleistung ein Rechtsverhältnis bestehen muss, aufgrund dessen der Empfänger eine Gegenleistung schuldet, die lediglich vertraglich einem Dritten zusteht (BAG, MDR 1996, 1155 = ZIP 1996, 1567 = DB 1996, 2395 = KTS 1996, 584). Die Art des Rechtsverhältnisses ist ohne Bedeutung. Neben einem Arbeitsverhältnis kommt ein Dienstverhältnis oder sogar ein Werkvertrag in Betracht. Benachteiligungsabsicht ist hierbei nicht erforderlich (BGH, NJW 1979, 1600 = VersR 1979, 542 = DRsp I(147) 184 = MDR 1979, 826 = EBE/BGH 1979, 182; Zimmermann, § 850h Rn. 1). Es ist ausreichend, wenn eine Vergütung nur für gelegentliche – z. B. für Kellnertätigkeiten in der Sommersaison – oder sogar einmalige Leistungen – z. B. für eine Autoüberführung – geschuldet wird (Goebel, Vollstreckung effektiv 2000, 124). Gleiches gilt, wenn der angestellte Geschäftsführer einer Vertriebs-GmbH vertragliche Verpflichtungen seiner Arbeitgeberin ggü. deren Vertragspartner erfüllt, ohne dass er selbst mit dem Vertragspartner ein Schuldverhältnis eingegangen ist (BAG, MDR 1996, 1155 = ZIP 1996, 1567 = DB 1996, 2395 = KTS 1996, 584). Eine Lohnabtretung fällt hingegen nicht unter die Anwendbarkeit der Regelung. Diese kann jedoch durch Anfechtung entspr. des Anfechtungsgesetzes beseitigt werden.
Rz. 3a
Die Regelung findet auch im Insolvenzverfahren Anwendung (§ 36 Abs. 1 S. 2 InsO). Die Zuständigkeit für die zu treffenden Entscheidung obliegt während eines Insolvenzverfahrens anstelle des Vollstreckungsgerichts gem. § 36 Abs. 4 Satz 1 und 3 InsO dem Insolvenzgericht als besonderem Vollstreckungsgericht (BGH, WM 2004, 834 = ZVI 2004, 197 = BB 2004, 853 = ZInsO 2004, 391 = NZI 2004, 278 = DZWIR 2004, 208 = MDR 2004, 766 = BGHReport 2004, 910 = Rpfleger 2004, 436 = InVo 2004, 511; BGH, WuM 2011, 486). Mit dieser Zuständigkeitszuweisung trägt der Gesetzgeber der besonderen Sachnähe des Insolvenzgerichts Rechnung (BGH, ZIP 2007, 2330 = InVo 2008, 16).
2.2 Fälle von Lohnverschiebung
Rz. 4
- der Arbeitgeber überweist den Lohn an den nicht bei ihm beschäftigten Ehegatten oder an sonstigen Dritten;
- beide Ehegatten arbeiten in demselben Betrieb, der nicht schuldnerische Ehegatte erhält ein wesentlich höheres Einkommen als der Schuldner, obwohl dieser an sich die höher dotierte Stelle hat (Goebel, Vollstreckung effektiv 2000, 124); zugunsten des schuldnerischen Ehegatten wird ein Gesellschaftsverhältnis mit überproportionaler Gewinnausschüttung begründet (Goebel, Vollstreckung effektiv 2000, 124). Nahe liegend sind solche Lohnverschiebungen auch dann, wenn für die Ausübung der Tätigkeit eine bes. Erlaubnis – wie z. B. Gaststättenkonzession, Sprengerlaubnis, Waffen- oder Gewerbeschein oder Zulassung als Rechtsanwalt oder Arzt – notwendig ist und der Schuldner diese nicht mehr erlangen kann. Aus diesem Grund lässt er sich formal unterqualifiziert beschäftigen und dem (untätigen) Ehegatten oder Dritten – mit gültiger Erlaubnis – wird der den unpfändbaren Lohnanteil des Schuldners überschießende Vergütungsanteil zugeschoben (Goebel, Vollstreckung effektiv 2000, 124).
2.3 Pfändung
Rz. 5
Das einem Arbeitnehmer oder Dienstleistenden geschuldete Entgelt, das im Einvernehmen mit dem die tatsächlichen Dienste Leistenden an einen Dritten gezahlt wird, ist verschleiertes Arbeitseinkommen i. S. v. Abs. 1 und unterliegt ohne weiteres einer hinsichtlich der Vergütung des Dienstleistenden ausgebrachten Pfändung (OLGR, Celle 2001, 199). Diese kann auf zweifache Weise erfolgen:
Rz. 6
– Kennt der Gläubiger den Dritten (Ehegatte, Lebensgefährte, Kind usw.), kann er mit dem Titel gegen den Schuldner den Anspruch des Dritten gegen den Drittschuldner pfänden und sich überweisen lassen. Aufgrund der gesetzlichen Fiktion, dass der Anspruch dem Schuldner gehört, bedarf es keines weiteren Titels gegen den Drittberechtigten (Abs. 1 Satz 1). Eine Titelumschreibung und Zustellung an den Dritten ist nicht erforderlich. Der Nachteil dieser Vorgehensweise besteht darin, dass der Anspruch nur in der Höhe erfasst wird, wie er auch auf den Dritten übertragen wurde. Wenn demnach der Anspruch unterhalb der Pfändungsbeträge nach § 850c ZPO liegt, erhält der Gläubiger nichts.
Rz. 7
– Der Gläubiger kann auch ganz normal den Anspruch des Schuldners gegen den Dritten pfänden. Dann greift die Fiktion nach Abs. 1 Satz 2, wonach mit dem ...